Autor Thema: Gedanken  (Gelesen 75939 mal)

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Offline Isdrasil

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Re: Gedanken
« Antwort #75 am: 12.12.2007 10:04 Uhr »
Wahrhaft traurige Weihnacht... :icon_cry:

Stordfield

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Re: Gedanken
« Antwort #76 am: 12.12.2007 11:17 Uhr »
Hallo !

Ich wünschte , ich könnte nur ansatzweise so gute Geschichten schreiben . Dann würde ich mein Brot leichter verdienen .  :icon_smile:
Es würde mich freuen , noch mehr davon zu lesen , Floh !

Gruß Stordfield

Floh82

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Re: Gedanken
« Antwort #77 am: 12.12.2007 11:31 Uhr »
Vielleicht sollte ICH anfangen DAMIT Geld zu verdienen ;)

Aber mal im Ernst: Danke für die Komplimente. Und nein ich habe keinen Urlaub ;)

Stripper Watson

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Fachliteratur
« Antwort #78 am: 13.12.2007 10:50 Uhr »

Vielleicht sollte  ICH  anfangen  DAMIT  Geld zu verdienen ;)



Warum nicht ?   -  Nur munter weiter. 

Auf dem Weg zur Marktreife freilich noch ein wenig feilen; im Streben nach Perfektion hier und dort ein paar Anregungen stibitzen. 
Dies ist überhaupt keine Schande - bekanntlich haben auch  Goethe und Thomas Mann *   öfters mal lange Finger gemacht,
 bei anderen Autoren geklaut und sich inspirieren lassen...

* siehe z.B. ´Literaturen´, Ausgabe Juli/2005:  "Thomas Mann - Parvenü der Erkenntnis"



In diesem Sinne ein paar Lesetips zur Weihnachtzeit - nicht nur für den geneigten Krimi-Fan:

Graham Greene:       ´This Gun For Hire´, ´Brighton Rock´
Patricia Highsmith:    ´The Talented Mr. Ripley´
William Faulkner:      ´Sanctuary´
Truman Capote:        ´In Cold Blood´
Dashiell Hammett:     ´The Maltese Falcon´
Ambrose Bierce:       ´The Dance of Death´, ´Shadow on the Dial´
Leonard Gardner:      ´Fat City´
Fjodor Dostojewski:  ´Schuld und Sühne´
Boileau-Narcejac:     ´Tote sollten schweigen´(Celle qui 'n était plus) , ´Die Gesichter des Schattens´ (Le Visages de l'ombre),
                               ´Mensch auf  Raten´ (Et mon tout un homme)




 Und für den True Crime-Liebhaber,  Schwerpunkt Organisiertes Verbrechen :


John Kobler:        ´ Capone - His Life and World ´

Rich Cohen:         ´ Tough Jews - Fathers, Sons and Gangster Dreams ´,  (Dt: ´ Murder Incorporation ´)

Robert Rockaway: ´ BUT - He Was Good To His Mother; The Lives and Crimes of Jewish Gangsters in the USA´ 
                                                                                        (Deutsch:  ´ Meyer Lansky, Bugsy Siegel & Co. ´)



...für routinierte Ripperazzi womöglich alles alte Hüte... :smiley8:


« Letzte Änderung: 13.12.2007 16:44 Uhr von Stripper Watson »

Stripper Watson

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Verbrecher und Verbrechen
« Antwort #79 am: 13.12.2007 16:45 Uhr »


Ein  weiterer  Klassiker :


Sling: ´Richter  und  Gerichtete´

Sling  =  Paul Schlesinger,  legendärer Berliner Gerichtsreporter der 20er Jahre;  berichtet in seinem
Buch über viele spektakuläre Kriminalfälle dieser Zeit :   www.de.wikipedia.org/wiki/Paul_Schlesinger
 
« Letzte Änderung: 13.12.2007 17:18 Uhr von Stripper Watson »

Floh82

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Bloddy News
« Antwort #80 am: 13.02.2008 14:08 Uhr »
I. Die Geburt des Monsters

Andrew war Chefredakteur des "London Telegraphs" und somit hauptverantwortlich für den Verkauf der Zeitung. Die Verkaufszahlen waren im bisherigen Jahr nicht sehr gut gelaufen, der Besitzer war unzufrieden. "Mr. Loyd wir müssen mehr verkaufen. 1888 war bisher kein gutes Jahr für uns. Wir brauchen dringend ein paar gute Storys."

Andrew Loyd hatte Angst um seinen Job, also trommelte er die Mannschaft zusammen.
In der Sportredaktion gab es außer ein paar interessanten Pferderennen im Spätsommer nichts interessantes. Die Rugbysaison versprach spannend zu werden und es gab einige interessante Duelle in London. Aber für mehr als ein paar hitzige Duelle würde es nicht reichen.

Politik und Wirtschaft waren dieses Jahr mit kaum interessanten Artikeln vertreten. Außer dem Tod von Kaiser Wilhelm I. im Deutschen Reich war kaum etwas passiert.

"Wann hatten wir die besten Verkaufszahlen Archibald?" Der Archivar und Buchhalter schaute ein paar Blätter durch und sagte dann: "Das war zum Beispiel im März. Als diese Unwetter in Nordamerika waren und über 400 Tote gezählt wurden. Oder im Juni als das Deutsche Reich einen neuen Kaiser bekommt und Großbritannien die Weihnachtsinsel annektiert."
Katastrophen, Tote, weitreichende Veränderungen in Politik und Weltgeschehen. Drohende Kriege. Das waren Schlagzeilen. Das waren Verkaufsschlager. "Ich werde mir einige Gedanken machen", sagte Andrew und verschwand in seinem Büro.

Was könnte er tun? Verkaufen kann man eine Zeitung nur wirklich gut, wenn Material vorhanden ist. Aber wie sollte er an welches kommen? London war im Moment nicht gerade sehr ergiebig. Außer ein paar Diebstähle, Unfälle oder Feuer war nichts los. Der Spätsommer war trist...fast langweilig.
Nach einiger Zeit des Grübelns ging er nach draußen in die Redaktionsräume. Einige der Redakteure saßen an ihren Schreibtischen und schrieben Artikel oder sondierten ihre Recherchen zu irgendwelchen Neuigkeiten. Andere Redakteure waren irgendwo in der Stadt und der Umgebung und waren auf der Suche nach quotenbringenden News.
Andrew tippte einem seiner besten Redakteure auf die Schulter: "George ich würde dich heute abend gerne sprechen. Mach dir einige Ideen was uns Quote bringen kann. Sag keinem anderen Bescheid, ich möchte erstmal in kleinem Kreis alles besprechen.". "Wo sollen wir uns treffen Andrew?", fragte George Solter. Der Chefredakteur überlegte kurz und sagte dann: "Im Canyon Pub. Die Straße runter, an der Ecke wo auch die Kutschen immer stehen." George nickte und Andrew ging wieder in sein Büro.

Am Abend kam Solter zum Pub und sah seinen Chef bereits drinnen warten. Er gesellte sich zu ihm, bestellte ein Bier und eine kleine Mahlzeit. Während die beiden ihr Essen aßen, sprachen sie über Belangloses. Erst als sie fertig waren und bereits beim dritten Bier waren, begann Andrew's Stimme leiser zu werden: "Ich brauche, nein eigentlich brauchen wir alle eine gute Story. Wir brauchen eine Katastrophe George. Keinen Unfall oder ein Feuer in einer Lagerhalle am Hafen. Wir brauchen etwas wirklich großes." George war erstaunt, nickte dann aber. "Ist es so schlimm?", fragte er, "Dieses Jahr scheint ein ruhiges Jahr zu sein. Wir könnten vielleicht in den Elendsvierteln über ein paar schreckliche Lebensumstände berichten. Oder wir erfinden einen Bericht über übertragbare Krankheiten bei den Tieren im Londoner Zoo." Andrew schüttelte energisch den Kopf: "George! Unser Job steht auf dem Spiel. Wenn der Telegraph weiterhin so schlechte Zahlen aufweist, stehen wir bald auf der Straße. Wir brauchen keine Geschichten über kranke Tiere oder ein paar arme Verlierer. Wir brauchen etwas wirklich grausames. Wir brauchen Tote, Angst und Horror. Blut ist das beste Geschäft für eine Zeitung und wir brauchen dringend ein grandioses Geschäft."
George war etwas erschrocken über die harten Worte seines Chefredakteurs, aber er verstand so langsam was wirklich auf dem Spiel stand. Er war Reporter, hatte eine kleine Familie zu ernähren und wollte nicht nach einigen erfolgreichen Jahren beim Telegraph einen neuen, schlechtbezahlten Posten bei einer anderen Zeitung annehmen. "Was schlägst du also vor?", fragte er offen. "George, wir brauchen etwas was alle aufschreckt, was allen Angst macht. Wir brauchen etwas so dunkles, dass die Menschen in London nachts nicht schlafen können, die Fensterläden auch tagsüber schließen und trotzdem vor lauter Neugier jeden Satz in unserer Zeitung verschlingen. Wir brauchen etwas mysteriöses, geheimnissvolles." George lächelte aufgrund der Unterhaltung die er gerade führte: "Ein Ungeheuer? Ein Ungeheuer dass Menschen frißt und keiner weiß wie es aussieht. Es tobt irgendwo in London, jeder hat es schon gesehen, aber beschreiben kann es keiner." Er lachte. Sein Lachen brach aprubt ab, als er das Strahlen Andrew Loyd's sah. "George, du bist ein Genie.", sagte Loyd laut,"einen Killer. Wir brauchen einen Killer der Londoner Bürger umbringt. Einen der in der Nacht herumschleicht und sich offen zeigt, der in den Straßen Londons tötet und dann wieder in der Nacht verschwindet. Oh Gott George....wenn wir über solch einen Killer exklusiv berichten würden, wir wären Stars in allen Redaktionen dieser Welt."

Zwei Stunden saßen die beiden noch zusammen und sprachen über Möglichkeiten ihre Zeitung wieder nach oben zu bringen. Sie machten einen neuen kurzfristigen Termin aus. Jeder sollte Ideen entwickeln, Informationen sammeln und Möglichkeiten herausfinden. Niemand sollte vorerst davon wissen. Je weniger Leute darüber Bescheid wissen, umso mehr Leute kaufen die Zeitung. Das war ihre Devise.
Es war der 20. August 1888. Kurz vor Beginn eines dunklen Kapitels der Millionenmetropole London, eines dunklen Kapitels für die ganze Welt.

II. Mann für Monstershow gesucht

Pläne sollten geschmiedet werden, doch das es so dunkle, so grauenvolle Pläne wurden. Jahrzehnte später würde George nachts noch schweißgebadet neben seiner Frau aufwachen und jeden Abend die Fensterläden des Hauses fest zuschließen, die Kinder bei Beginn der Dunkelheit von der Straße holen.
Am 22. August 1888 trafen sich George und Andrew wieder. Diesmal bei Andrew zu Hause. In seiner Wohnung war man ungestört. Sie stellten Pläne auf, verwarfen schnell wieder einige. Nur ein Plan stand nach einigen Stunden immer noch unausgesprochen im Raum.
"Was ist eigentlich mit dem Monster?", meinte Andrew. George war nicht erstaunt, er hatte fast befürchtet das Andrew ihn erneut darauf ansprechen würde. "Die Idee eines blutrünstigen Killers in London ist nicht schlecht." "Ach Andrew", erwiederte George, "Wie soll das ablaufen? In London gibt es Polizei. Wir können nicht einen Killer schaffen, der umher mordet ohne gefasst zu werden." Andrew schüttelte den Kopf: "Und was ist mit den Elendsvierteln? Das EastEnd wäre ein perfekter Ort für solche Taten. Er taucht irgendwo im Dreck auf und ermordet einen von den dort ansässigen. Vielleicht eine Hure. Dann verschwindet er im Chaos des Elends."
Andrew war sogleich begeistert von seinen eigenen Worten. "George mein Freund. Wir brauchen nur einen Killer."
Diese Worte erschracken George aufs Mark. Er hätte nicht gedacht dass Andrew so weit gehen könnte, auch wenn er wußte wieviel auf dem Spiel stand. Er war in Gedanken, grübelte über andere Möglichkeiten. Aber vieles gab es nicht. Diese Möglichkeit war einmalig...ein Mörder der im Londoner Elendsviertel Huren umbringt. Immer und immer wieder.
"Ich kenne niemanden aus dem EastEnd", sagte George fast beiläufig, "Außer Sara und ihren Bruder. Sie verkauft Zeitungen auf der Straße und ihr Bruder arbeitet am Hafen." Andrew nickte: "Stell mich den beiden vor. Vielleicht schlummern Talente in den beiden."

Einen Tag später waren Andrew und George am Hafen. Dort trafen sie Sara und ihren Bruder Steward. Sara war eine kleine, zierliche Frau und ihr Bruder ein schmächtiger Kerl mit hellem Haar und funkelnden Augen. Andrew war enttäuscht. Das waren nicht die Personen, die er sich als dunkle Killer vorstellte. Plötzlich tauchte ein etwas kräftigerer Mann an Steward's Seite auf. "Bist du fertig? Der Boss sucht dich" grummelte der Mann mit einer dunklen Stimme. Seine Augen waren dunkel wie die eines Raben und sein ganzes Gesicht wirkte wie in Stein gemeißelt. Der Bart den er trug, tat sein übriges dazu dem Mann ein unheimliches Aussehen zu geben. Andrew war entzückt. "Entschuldigen Sie Mister. Könnte ich Sie einen Moment sprechen?".
George war im Gespräch mit Sara und Steward und bemerkte nicht das sich Andrew und der unbekannte Mann entfernten. Nach ein paar Minuten ging Steward und Sara folgte ihm. George wartete auf Andrew und schließlich gingen beide zurück zur Redaktion.
Andrew war auf dem gesamten Rückweg fröhlich und ausgelassen. "Was ist los Andrew?". George schaute Andrew fragend an. "Ach George", erwiderte Andrew, "es ist nichts. Ich schätze ich habe heute unser Monster gefunden. Ich werde mich mit dem Mister vom Hafen treffen. Du wirst heute abend mit mir ein paar Pläne entwerfen. Ich brauche Stadtpläne, Zugpläne...alles. Wir machen ein großes Fass auf George. Wir lassen unser Monster los und werden dann Zeitungen am Stück verkaufen."

George war erstaunt. Er traf sich zweimal mit Andrew und sie sahen sich Stadtpläne an. Andrew machte sich viele Notizen und George wußte dass Andrew sich in den nächsten Tagen oft mit dem Mann vom Hafen treffen würde. George hatte keine Angst um sich, er hatte Angst um die Menschen im EastEnd. Andrew schien besessen von dem Gedanken die Stadt von einem Bluthund terrorisieren zu lassen.

Am 31. August 1888 wußte George dass das Monster losgelassen wurde. Mit zitternder Hand saß er an der Schreibmaschine und tippte sich die Finger wund.

III. Das Monster

"Die Verkaufszahlen sind bombastisch!". Der Boss war in die Redaktion gestürmt und hatte jedem zweiten Redakteur persönlich die Hand geschüttelt. George und Andrew saßen gerade in Andrew's Büro als die Tür aufsprang. "Glückwunsch Mr. Loyd und auch Ihnen Mr. Solter. Die Berichte über den Killer bringen gute Verkaufszahlen. Fast jede Zeitung in London schreibt nie gekannte Umsätze. Die Menschen fressen uns aus der Hand."
George und Andrew lächelten zufrieden, auch wenn George schon seit Tagen Magenprobleme hatte.

Es war der 2.11.1888. Vier tote Huren hatte es im EastEnd schon gegeben. Die Verkaufszahlen überschlugen sich, mehr noch als die Angst vor dem Killer.
George erinnerte sich daran als das erste Mal ein Name für den Killer in dre Zeitung stand. Andrew hatte gelacht und sich über diesen Namen gefreut. Er dachte nur noch an die Verkaufszahlen und an sein eigens geschaffenes Monster. George hatte den Mann vom Hafen nie mehr gesehen, Andrew sprach einige Male davon ihm ab und zu noch Tipps zu geben, wenn er ihm das Geld für seine Taten gab. George hatte nie gedacht dass jemand für Geld so etwas abscheuliches tut. Andrew hatte so einen gefunden. Er sprach kaum von ihm, sagte nicht seinen richtigen Namen...vielleicht kannte er ihn auch gar nicht.

An diesem Abend traf Andrew den Mann vom Hafen ein letztes Mal. "Danny ich habe hier noch einmal viel Geld dabei. Diesmal ist es mehr als sonst, aber diesmal will ich einen wirklich brutalen Mord. Ich will viel Blut. Es muss der Höhepunkt deiner Arbeit sein. Danach kannst du das Geld auf den Kopf hauen, geh wohin du willst. Nur noch einmal verstehst du?". Der Mann mit dem Bart und den dunklen Augen nickte: "OK Andy", sie sprachen sich nur mit Koseformen ihres Vornamens an, "Eine Hure geht noch drauf. Vielleicht finde ich diesmal die Möglichkeit es in einem Gebäude zu machen. Dort kann ich etwas ungestörter arbeiten und habe eventuell mehr Zeit. Ich werde danach nie wieder hier auftauchen. Mein Geld werde ich gut gebrauchen können um aus London wegzugehen oder mir einen anderen Job zu suchen."
Andrew nickte und verabschiedete sich dann. "Danny es war toll mit dir zu arbeiten. Du hast mir meinen Kopf gerettet und den Zeitungen unglaubliche Hilfe zukommen lassen."

Am  12.11.1888 hörte Andrew das letzte Mal von Danny. Er bekam einen Brief in dem er schrieb:
"Das war die letzte Arbeit. Jack kehrt jetzt dorthin zurück wo er herkam."

Der Mann vom Hafen wurde nicht mehr im Westen Londons gesehen. Selbst im EastEnd konnte man sich nicht an einen Hafenarbeiter Danny erinnern. Die tausenden Gesichter die täglich im EastEnd zu sehen waren, gaben nichts preis. Er war wie vom Erdboden verschluckt.
George Solter ging 1890 zu einer anderen Zeitung. Dort wurde er später Chefredakteur und verdiente gutes Geld. Als er 11 Jahre nach der Jahrhundertwende starb, hieß es in einem Nachruf: "Solter jackte in seinen jungen Jahren den Killer des Horror-Herbstes von London. Die Jagd machte ihn zu einem mißtrauischen Menschen, aber auch sein Erfolg als Redakteur liegt in der Jagd begründet." Um die Jahrhundertwende war Saltor einer der erfolgreichsten Chefredakteure in ganz London.
Den Jahrhundertwechsel erlebte Andrew Loyd nicht mehr. Er verstarb an einer Lungenkrankheit in den späten 90er Jahren.

So endet die Geschichte der blutigsten Inszenierung einer Schlagzeile. Der Schlagzeile von Jack the Ripper.

Offline Phil

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Re: Gedanken
« Antwort #81 am: 13.02.2008 23:13 Uhr »

Wow, find ich ziemlich gut  :icon_thumb:
"Happiness ain't at the end of the road, happiness IS the road" (Zitat aus dem gleichnamigen Lied von Marillion; Lyrics: Steve Hogarth)

Offline Isdrasil

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Re: Gedanken
« Antwort #82 am: 14.02.2008 07:09 Uhr »
Endlich wieder was zu lesen - klasse, Floh  :icon_thumb:

Offline Isdrasil

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Re: Gedanken
« Antwort #83 am: 24.03.2008 17:27 Uhr »

Die Geister, die ER rief

Tod – und dann kommt kurze Zeit nichts.

Ich sah meinen Tod stets mit anderen Augen – dachte, ich würde eines Tages mit einer Flasche Schnaps in den Händen auf der Strasse liegen. Mit verdrehten Augen in den Himmel blicken und nur noch der unwichtige und abgelegte Teil einer düsteren Kulisse sein. Passanten würden mich anblicken und weiter ihres Weges gehen – wegblicken, den Kopf schütteln, ihren Kindern die Hände vor die Augen halten, ignorieren. Irgendwann würde mich wohl jemand anstossen, etwas sagen wie „Lady, alles klar bei Ihnen?“, und auf eine Antwort warten. Eine zeitlang würde nichts geschehen. Andere Passanten kämen hinzu und würden stehen bleiben – in den Augen vieler Menschen liegt eben ein Unterschied darin, der Erste oder einer von Weiteren zu sein.
Und etwas später dann würde jemand an meinen Hals langen, an meine Brust, hinter der er mein Herz vermutete, an das Gelenk meiner abgemagerten Hand und in die Menge blickend meinen: „Sie ist tot.“

So sah ich es kommen und so stellte ich es mir immer vor – doch dann geschah alles ganz anders.

Da war plötzlich dieses Messer. Zuerst dieser Mann, und dann dieses Messer. Sein Glanz, der für einen Augenblick das Licht des Mondes an seiner Klinge reflektierte. Eine lange und scharfe Klinge, fest umschlossen von den Händen eines starken Mannes. Eine schnelle Bewegung, zu schnell, um mich vor Schreck aufschreien zu lassen. Und dann hörte es langsam auf. Die Welt verschwamm um mich herum und ich sah noch einmal die dunkle Gestalt über mich kommen, ihren hämischen grinsenden Schlund, den Wahnsinn in ihren Augen. Es wurde schwarz. Und ich war tot – dann kam kurze Zeit nichts.

Als ich mich aus meinem Körper löste, erblickte ich erneut das schwarze Ungetüm über mir, schlitzend und stechend, lechzend nach mehr. Einen Moment lang sah ich nur zu, versuchte die Szene zu begreifen. Als ich begriff, war es in diesem Moment, dass mich zum ersten Mal die Wut überkam. Es war keine Wut, wie ich sie bisher kannte – von schlagenden Freiern, von den Strapazen einer schlaflosen Nacht und der Wut auf das Königreich, der Wut auf meine Eltern oder der sinnlosen Wut, die man oftmals spürt und an den Menschen auslässt, die gerade zugegen sind. Es war mehr als das – es war das Konzentrat der Wut, es war die Summe all dieser Wüte, es war die Urwut, die mich überkam, als ich auf dieses Scheusal hinab blickte und sich an meinem Körper vergehen sah. Und in diesem Moment hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, erst leise und undeutlich, dann immer lauter werdend, sich wiederholend, wie ein neuer Herzschlag, den ich doch soeben zuvor verloren hatte:
„Willst Du dich rächen? Willst Du dich rächen, Polly?“

Seit dieser Nacht kehre ich zurück. Ich schleiche mich an sein Bewusstsein und erscheine ihm in seinen Träumen, lache ihn aus und spucke ihm in sein scheussliches Gesicht. Ich knabbere an seiner Seele, Stück für Stück, vergehe mich an seinen Gedanken. Mit meinen scharfen und langen Fingernägeln schlitze ich ihn bei lebendigem Leib auf. Ich kratze ihm seine hasserfüllten Augen aus und lasse ihn die Angst spüren - rieche seinen Schweiß und ergötze mich an seinen Leiden, so wie er einst meinen Körper mit Verachtung strafte und meine Seele mit Füssen trat. Und es tut mir so gut, ihn leiden zu sehen. Seinen Schlaf zu rauben. Die Angst zu spüren, die er jede Nacht spürt, sobald er sich in sein Schlafgemach legt...Oh, du wirst nie wieder schlafen können. Die Toten sind geduldig, lieber Jack. Ich habe alle Zeit der Welt, und du hast sie mir gegeben. Und jede Nacht werde ich dich auf`s Neue besuchen und mir neue Albträume für Dich ausdenken.

Und wenn Du dann an den Ufern der Themse stehst und kapitulierst, deinen Träumen entfliehen und endlich deinen Seelenfrieden finden möchtest – dann warte ich schon auf Dich. Ich habe mich entschieden. Das Spiel ist noch nicht vorbei, Jack. Und ich bin mächtiger geworden, als Du dir jemals vorstellen könntest.




Stordfield

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Re: Gedanken
« Antwort #84 am: 24.03.2008 18:52 Uhr »
Klasse !  :icon_thumb:

Floh82

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Re: Gedanken
« Antwort #85 am: 25.03.2008 01:09 Uhr »
Ziemlich genial! Genau die richtige "zu-Bett-geh"-Story. Spitze!

Floh82

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Re: Gedanken
« Antwort #86 am: 08.04.2008 13:14 Uhr »
So und jetzt mal wieder etwas aus der Welt des Übersinnlichen ;)

Ein wenig Sci-Fi für die Fantasy-Fans im Forum ;)


Die Opferung

ca. 510 v. Christus:
Ein Mann, dessen Name im Laufe der Zeit vergessen wurde, opfert heute unbekannten Göttern einen Menschen im heutigen Wiltshire in England. Nach der blutigen Opferung wirft er die Hände gen Himmel und gibt unidentifierbare Laute von sich. Blutbesudelt, wie in Ekstase kehrt er zu seinem Stamm zurück, die ihn nun voller Hochachtung anblicken.

ca. 47 nach Christus:
Ein römischer Legionär wird von kriegerischen Barbaren aus der Provinz Britannia entführt und in ihr Versteck gebracht. Einige Tage später wird er unter freiem Himmel an einem ihm unbekannten Ort ermordet. Der Mörder, ein Mann der ihn stark an keltische Druiden erinnert, reißt ihn bei lebendigem Leib die Eingeweide aus dem Körper. Während er in Ohnmach fällt hört er seinen Mörder noch Wortfetzen einer unbekannten Sprache schreien.

61 nach Christus:
Nach dem Tod der britannischen Heerführerin Boudicca wird ein Römer aus der Nähe Londinums entführt und aus Rache von Kriegern Britanniens in die Nähe des heutigen Amesbury gebracht und dort hingerichtet. Ein Druide bringt sein Herz an einen unbekannten Ort um es Boudicca zu Ehren zu opfern.


1888 - London:

Hubert Newman hatte ein Gespräch mit einem befreundeten Arzt, Sir William Gull, dem Leibarzt des Königshauses. Hubert hatte Sir Gull an der Universität kennengelernt, an der er Medizin studierte. Er hatte ihn in sein Haus eingeladen und sie unterhielten sich über einige interessante Bücher die der Arzt des Königshauses besaß.
Unter den Exemplaren befanden sich einige Geschichtsbücher die sich mit der älteren Geschichte Englands beschäftigten. In einem dieser Bücher ging es um die keltisch-angehauchte Zivilisation Englands nach Christi Geburt und die Bedeutung einzelner Orte des Landes für diese Kultur.
In jenem Buch las Hubert Newman das erste Mal von der eventuellen Bedeutung der Steinbauten in der Nähe von Salisbury. Ihn interessierte Geschichte und er war sofort Feuer und Flamme für die Epoche der Inselkelten und das mysteriöse Bauwerk aus Stein.

Newman beschloss sich ausführlicher mit diesem Thema zu beschäftigen. In den nächsten Wochen und Monaten las er viele Bücher und kontaktierte Spezialisten auf dem Gebiet der antiken Geschichte und historischer Bauwerke und Naturdenkmäler.

ca. 1470 nach Christus:
Im Rosenkrieg wird ein Anhänger des Hauses Lancaster von Anhängern des Hauses York verschleppt. In einer Nacht- und Nebelaktion wird er zu einem Mann gebracht, der in den Orten um Salisbury nur als "Hexer" bekannt ist. Der geheimnissvolle Mann bringt den Entführten zu einer Ansammlung von Steingebilden und opfert den Mann auf einem der Steine. Herz, Nieren, Leber und Gedärme vergräbt der Mann in der Nähe der Steine, der Leichnam wird am nächsten Morgen in einem Waldstück gefunden.


Nach einem Gespräch mit einem Historiker blättert Newman in einem Buch über das Mittelalter in England, dabei fällt ihm ein Brief in die Hände. In dem Brief erzählt der Schreiber über Anzeichen von Opferungen an einem Steingebilde in Wiltshire. Das Steingebilde gehe bis in die vorchristliche Zeit zurück und der Schreiber vermutet dass die dort aufzufindenen Steinformationen der Menschenopferung dienten und lange in die späteren Epochen benutzt wurden.

Im Sommer des Jahres 1888 fuhr Hubert das erste Mal nach Wiltshire und besuchte das Steingebilde.

ca. 1780 nach Christus:
In Wiltshire wird ein amerikanischer Händler aufgegabelt und von der ansässigen Bevölkerung an einen geheimen Ort gebracht. Aus Wut über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg wird er am Abend von einem unbekannten Mann ermordet und seine Herz in einer Art feierlichen Zeremonie geopfert. Die Gebeine des Mannes wurden nie gefunden.


Im Herbst des Jahres 1888 beschließt Hubert Newman zu handeln. Die Macht Englands war groß, aber nicht groß genug. In London konnte man das Elend des großen Reiches bereits sehen und Newman war unzufrieden. Nachdem er sich viele lange Monate ganz allein mit der Geschichte Englands und einiger Kulte beschäftigt hatte, beschloß er selbst Teil eines Kultes zu sein. Er hatte Kontakte zu Mitgliedern eines fast unbekannten Kultes in England aufgenommen. Mehr durch Zufall hatte er diese Menschen in der Grafschaft Wiltshire kennengelernt. Sie hatten ihm die Geschichte des Kultes näher gebracht und er war fasziniert.

In jenem Herbst sollte er feierlich in den engen Zirkel des Kultes aufgenommen werden. Dafür musste er eine Prüfung bestehen. Die Opferung eines Menschen!

So geschah es, dass Hubert Newman am 31.08.1888 das erste Mal in seinem Leben mordete. Sein Opfer war eine ihm unbekannte Hure, die er in den Elendsvierteln Londons aufgegabelt hatte. Der Kult hatte ihm befohlen ein perfektes Opfer zu suchen und ersteinmal seine Fähigkeiten zu testen. Mit seinem ersten Mord war er ganz zufrieden....aber perfekt war er nicht.

Am 08.09.1888 hatte er einen Teil seines Auftrags erfüllt. Er hatte eine Frau ermordet und ihre Gebärmutter mitgenommen. Die Gebärmutter war Zeichen für Fruchtbarkeit und Empfängnis und galt als Opfer für die positive Zukunft des Reiches.

Der 30.09.1888 war kein guter Tag für Newman. Er tötete in der Nacht eine Frau, wurde aber gestört. Die zweite Frau die er tötete weidete er aus, was sein eigentliches Ziel war. Er nahm eine Niere mit, die als Zeichen für das Leben, ebenso wie das Herz, galt. Die Hälfte der Gebärmutter des Opfers nahm er auch mit....zur Sicherheit falls die andere Gebärmutter die er in seiner Wohnung in Alkohol eingelegt hatte, nicht perfekt war.

Sein letztes Opfer tötete er in der Wohnstätte des Opfers selbst. Am 9. November tötete er Mary Jane Kelly, eine Frau die er zufällig auf der Straße getroffen hatte, und weidete sie aus. Das Herz, Zeichen für das Leben, die Liebe und alles Heilige nahm er mit.

Einige Tage später war Hubert Newman auf dem Weg nach Amesbury. Dort traf er die höchsten Mitglieder seines Kultes. An diesem Tag wurde er geweiht und opferte das erste Mal in seinem Leben die Innereien eines Menschen.
Während die anderen Kultmitglieder um den Opferstein herum standen und in einer für andere Menschen unbekannten Sprache sangen oder beteten, opferte Hubert Newman wie in Ekstase eine Gebärmutter, eine Niere und ein Herz. Er hob die Hände nach der Opferung gen Himmel und sang mit dunkler, monotoner Stimme ein Gebet für die Rettung des britischen Reiches und die Erhaltung der Größe Britanniens.

Dr. Newman ließ sich einige Monate später als Arzt in Amesbury nieder und wurde ein allgemein beliebter Land- und Dorfarzt. Vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs hatte er seine letzte Opferung.

Um 1912 nach Christus wird ein Mann unbekannter Herkunft von dem Arzt Hubert Newman getötet und seine Innereien geopfert. Die Innereien werden direkt an der Opferstelle, dem Steingebilde Stonehenge begraben. Die Leiche des Mannes wird nie gefunden.

Dr. Newman starb während des 1. Weltkriegs unter unbekannten Umständen. Bei der Trauerrede seines Kultes, dem er in den letzten Jahren vorstand, wird er bei seinem Kultnamen genannt: Reppir. Rückwärts gesprochen: Ripper.
Noch Jahrzehnte später wird sein Bild in dem Landhaus des Kultes im Flur zu sehen sein. Unter dem Bild liest man: Dr. Hubert Newman - Jack the Ripper

Offline Isdrasil

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Re: Gedanken
« Antwort #87 am: 09.04.2008 09:25 Uhr »
Mal wieder was Fantastisches zu Lesen - und dies ist ruhig doppeldeutig gemeint  :icon_wink:

Mehr davon, Floh!  :icon_thumb:

Floh82

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Re: Gedanken
« Antwort #88 am: 08.07.2008 21:38 Uhr »
Nach dem vielen Blut, Horror und Sex, nach der vielen Gewalt in meinen Kurzgeschichten folgt nun etwas völlig anderes. Der Mörder nicht als Monster....ich bin in einer melancholischen Grundstimmung, da kommt vielleicht mal was anderes als Story heraus ;)



I - Eine traurige Kindheit

Es war einer dieser Tage an denen er das alles nicht mehr wollte. Die anderen Kinder hatten ihn ausgelacht und erniedrigt. Das war nichts besonderes, doch heute war es wieder einmal besonders schlimm gewesen.
Diesmal hatten sie ihn geschubst und geschlagen, aus Spass wie sie es nannten. Er war nicht beliebt bei diesen starken Jungen, weil er schwach war. Er war nicht stark und groß, eher klein und schmächtig. Er musste viel Mut aufbringen auf einen Baum zu klettern und Mutproben wie Steine nach dem Hund des Nachbarn zu schmeißen fand er blöd.
Seine Mutter die ihn alleine aufzog, da Vater weggegangen war wollte ihn immer vor solchen Jungen schützen. Sie sagte ihm nicht mit ihnen zu spielen, aber wen hatte er sonst? Die Spielsachen in seinem kleinen Zimmer? Seine Schwester war nicht der Spielkamerad den er sich vorstellte. Er wollte doch nur dazu gehören. Aber das tat er nicht. Er war allein!

In der Schule war es nicht viel anders. Zwar hatte er dort den ein oder anderen Freund, aber auch diese merkten nicht was sie taten, wenn sie aus Spass einen Witz über ihn machten. Ihn aufzogen mit seiner Statur oder mit seiner Sensibilität. Niemand merkte das die Worte wie Messer in sein Herz drangen. Niemand sah die Schmerzen, niemand sah die Narben und niemand sah die Tränen, die er nachts in seinem Bett vergoss. Jede Nacht!

So verging Jahr um Jahr. Das Gefühl der Einsamkeit verschwand nicht, manchmal spürte er es kaum, an anderen Tagen war es so schlimm wie nie zuvor. Es war keine glückliche Kindheit die er hatte, aber er hoffte irgendwann würde es besser werden.

Eines Tages saß er allein in seinem Zimmer und weinte. Es war einer dieser Schultage gewesen, die er hasste. Wie viele Menschen hatten über ihn gelacht? Wie viel musste er heute ertragen haben? An diesem Tag betete er zu Gott und fragte ihn warum er das alles ertragen musste. Er fragte warum der Herr ihm diesen Schmerz nicht nehmen konnte. Warum er ein so unnützes Leben wie seins nicht beendete. Er wollte sterben...er wollte diese Welt nicht mehr ertragen.

Und so verging Jahr um Jahr. Einsam und unverstanden.

II - Die erste Liebe

Sie hatte dunkelblondes Haar das etwa schulterlang war. Manchmal hing ihr eine Strähne im Gesicht und sie strich sie mit einer weichen Handbewegung beiseite. In solchen Momentan schaute er am liebsten in ihre rehbraunen Augen und jedes Mal bebte sein Herz. Wenn sie lächelnd an ihm vorbei ging und ihn grüßte, brachte er kaum einen Ton heraus. "Das muss Liebe sein" dachte er sich.
Niemals traute er sich ihr seine Gefühle zu beichten. Viel zu groß war seine Angst vor Ablehnung. Einer Ablehnung die er jeden Tag zu spüren bekam. Niemand mochte ihn, nur ein paar Freunde hatte er, die seine innersten Gefühle aber nicht kannten. Wie sollte er jemals ein solches Mädchen als Freundin bekommen? Er glaubte nicht an irgendein Glück, erst recht nicht an seins.

Einmal ermutigte ihn ein enger Bekannter. "Trau dich. Sie lächelt wenn sie dich sieht. Sie mag dich." Er schöpfte Hoffnung.
An diesem Tag wollte er sich trauen. Mit Blumen in der Hand trat er auf sie zu und ignorierte den überraschenden Blick den sie ihm zuwarf. Dann sprach er sie an, fragte sie ob sie einmal ausgehen könnten und dass er sie gern hat und sie gerne besser kennenlernen würde. Er reichte ihr die Blumen.

"Sei mir nicht böse. Aber wir sind doch nur Freunde und ich finde so soll es bleiben. Danke für die Blumen, ich werde sie in eine Vase stellen." Sie lächelte und ging an ihm vorbei, die Straße hinunter.
Als er wenig später die Straße hinabging fand er seinen Blumenstrauß in einer Seitengasse auf einem Haufen Gerümpel und Pferdedung. Kurz bevor er seine Wohnung erreichte, traf er sie wieder. Sie sah ihn nicht, aber er erkannte sie als sie sich zu einem kräftigen Schönling streckte und ihn küsste.
Er war am Ende und verbrachte die Nacht weinend in seinem Bett. Niemals hätte er gedacht dass er soviele Tränen haben konnte. Am Morgen waren seine Augen rot geweint und seine Stimme krächzend.

Dies war der Tag an dem irgendetwas in seinem Herzen für immer zerbrochen war. Hoffnung....jegliche Hoffnung war an diesem Tag gestorben. Er würde für immer allein sein. Sein größter Alptraum würde wahr werden.
Niemals würde er in den Armen einer Frau liegen, niemals würde eine Frau ihn lieben, niemals würde er glücklich sein. Niemals könnte er einer Frau die Welt vor ihre Füße legen. Denn das hatte er doch vor! Eine Frau glücklich zu machen, so glücklich wie sie es sich nie erträumt hätte. Er wollte doch nur lieben. Und geliebt werden.

III - Der Weg in den Abgrund

Es war ein regnerischer Tag als er durch die Straßen der Stadt ging. Jahre waren vergangen seit jenem Frühlingstag an dem sein Herz aufgehört hatte zu schlagen. Irgendwann hatte er es geschafft sein Herz zu schließen. Keine Gefühle, keine Liebe...und somit keine Möglichkeit ihn zu verletzen. Jeder weitere Schnitt wäre zerstörerisch gewesen. Viele Jahre hatte er vom Tod geträumt, von seinem. Er wollte sterben und nur das Abtöten jeglichen Gefühls konnte ihn daran hindern. So verwirrend es klingen mochte: Nur durch den Tod seines Herzens konnte er leben. Nur durch den Tod aller Gefühle. Den Tod jeglicher Liebe. Nur so konnten die Tränen versiegen und der ein oder andere Tag glücklich werden.

Die Nächte waren immer noch seine größte Angst. Denn es war die Zeit in der er seine Einsamkeit am meisten spürte. Wie ein dunkler Schatten kroch sie heran und legte sich um sein Herz. Wie Nebelschwaden schwirrten sie um seinen Kopf und nebelte ihn völlig ein. Dann bekam er kaum Luft und zitterte am ganzen Körper. Die nächtliche Einsamkeit war grausam.
Um ihr zu entgehen hatte er sich Arbeit gesucht, die ihn völlig einnahm. Er arbeitete viel und jeder war zufrieden. Er half hier und dort und hatte sich sehr viel Wissen angeeignet. Egal ob es handwerkliche Tätigkeiten waren oder Kenntnisse in einigen bestimmten Fachbereichen wie Medizin oder Recht. Er hatte oft eine Antwort. Er war zwar immer noch nicht sehr beliebt, aber zumindest brauchte man ab und zu seine Hilfe.

An jenem Abend traf er viele Menschen. Sie wärmten sich gegenseitig, sie küssten sich und umarmten sich. Es gab solche Tage an denen er glaubte es gäbe nur Paare und er wäre der einzige Mensch auf der Welt der allein war. Der einzige Mensch der niemanden findet. Völlig allein!
In jener Nacht traf er auch sie wieder. Jene Frau wegen der er sein Herz getötet hatte. Sie war gut gekleidet, an ihrer Seite ein Mann mit Zylinder und in sehr schöner Kleidung. Er hätte Politiker sein können oder der Chef einer großen Firma. In London gab es genug davon, vielleicht war er auch in einer der vielen Banken. Mit verächtlichem Blick gingen die beiden durch die Straßen. Sie grüßten die ein oder anderen Menschen, die ebenfalls sehr gut gekleidet waren. Er erinnerte sich dass es heute eine Veranstaltung gegeben hatte. Die Eröffnung einer Bankfilliale hier in der Nähe des East Ends. Wahrscheinlich waren all diese Menschen daher gekommen. Und sie blickten verächtlich auf die armen Bürger, die Menschen dieses Elendsviertels.
Dies war vielleicht der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte.
In jener Nacht trank er sich um den Verstand, versackte in irgendeiner Spelunke im East End und trank und trank und trank. Er wachte am nächsten Morgen in der Gosse auf und wankte nach Hause. Allein. Niemand interessierte sich für ihn. Oder für irgendeinen der anderen Betrunkenen die nach Hause torkelten. Er war Abschaum. Eigentlich hatte sich nie etwas in seinem Leben geändert.

IV - Die Hölle in einem liebesleeren Herz

Er kannte viele Gefühle, auch wenn er glaubte all seine Gefühle getötet zu haben. Er kannte sie alle noch zu gut. Doch dieses Gefühl war so stark. Es war eine Leere in ihm, aber auch ein enormer Druck auf seiner Brust. Etwas wollte sich aus seinem Brustkorb nach draußen zwängen. Und trotzdem diese grausame Leere in sich. Es hätte die Hölle sein können, aber er lebte ja schon in einer.
Wieder vergingen tränenreiche Nächte, die er glaubte hinter sich zu haben.
Er weinte und weinte, seine Einsamkeit wurde ungeheuerlich. Er wollte doch nur lieben und geliebt werden. All diese Gedanken kamen wieder. Wieso war da niemand? Wieso war er allein? Was hatte er getan? Er hatte immer den Teller leer gegessen! Er hatte auf seine Mutter gehört! Er hatte nie etwas böses getan! Er hatte nicht einmal etwas böses gedacht! Sogar den Frauen die ihn missachteten wünschte er nichts böses. Er war doch nur ein Mensch der gut sein wollte, der geliebt werden wollte...um alles in der Welt. Er wollte doch nur Liebe. Nur Liebe!

Doch da war nichts. Niemand! Er war allein. Gab es irgendwen der ihn verstehen konnte? Der diese Einsamkeit kannte? Niemand! Die anderen hatten Freunde, Geliebte. Aber er hatte niemanden. Selbst seine Mutter war gestorben, seine Schwester wohnte nicht in London. Er hatte niemanden. Die Nächte waren kalt, leer und einsam. Und auch sein Herz war dunkel und kalt.

Es war eine grausame Nacht in der die Hölle in seinem Herzen losbrach. Eine Hölle die er so nie gekannt hat. Eine Hölle die alles überbot was er kannte. Eine Hölle die noch mehr Tränen bedeutete. Noch mehr Angst. Noch mehr Einsamkeit. Noch mehr Leere. Noch mehr Kälte. Und am meisten: Noch mehr Tod!

Nie in seinem Leben hatte er eine der Huren die es im East End zu Dutzenden gab, besucht. Er hatte sie immer gemieden. In dieser Nacht war das anders. Er wollte zumindest wissen was körperliche Nähe ist. Also beschloss er sich mit ein wenig erspartem Geld eine Prostituierte aufzusuchen. Er trank sich etwas Mut zu, dann suchte er sich eine Frau aus. Sie ging mit ihm mit. Doch er wußte nicht genau was er tun sollte. Irgendwie lief alles schief. Als sie ihn anlachte und ihm sagte er sei wohl noch grün hinter den Ohren und völlig ohne Erfahrung, als sie in angrinste und ihre Augen blitzten. Da kamen all diese unterdrückten, verhassten Gefühle auf. Irgendetwas explodierte in seinem Herzen und in seinem Kopf. Er nahm das Messer in seiner Tasche, dass er zu seinem Schutz eingepackt hatte und stach zu. Was dann folgte konnte er nie in Worte fassen. Er metzelte die Frau nieder. Er schnitt, er stach. Blut...rotes Blut...überall. Die Farbe der Liebe. Einem Gefühl dass er so gewollt hat. Das er sich so gewünscht hat.

Als er nach Hause ging musste er sich mehrfach übergeben. Sein Kopf brummte, seine Füße schmerzten, seine Hände zitterten. Er wanderte durch die Straßen. Fast als hätte er kein Ziel....oder völlig die Orientierung verloren. Niemand war da. Wie immer. Niemand!

Viele Wochen später war er ein bekannter Mann. Er hatte wieder versucht sich einer Hure zu nähern. Und wieder hatte sie gelächelt. Und wieder wollte sie doch nur sein Geld. Und wieder stach er zu. Und wieder wankte er nach Hause. Und wieder erbrach er sich. Und wieder war er völlig allein. Einsamkeit. Dunkelschwarze, grausame Einsamkeit. Und immer noch keine Liebe.

Er hatte Angst. Auch als er das rothaarige Mädchen besuchte, dass bisher die hübscheste war die er probierte. Doch diesmal wurde es zuviel. Diesmal war das Ergebniss so grausam, dass er es nie aus seinem Kopf verbannen konnte. Selbst sie war nicht einsam. Selbst sie hatte einen Freund mit dem sie zusammen gewohnt hatte. Selbst sie hatte Zärtlichkeit erfahren. Sie war aber auch sehr hübsch. Aber er? Er war einsam und allein. Und sie war eine lächelnde Hure, die für sein Geld ihren Körper darbot. Keine Liebe, keine Gefühle. Nur Schauspiel. Nur ein Seifenblasen-Traum. Ein kurzer Traum von Zweisamkeit. Ein kurzes Gastspiel. Danach wieder Einsamkeit.

Er nahm sie aus. Er war so brutal. Er war völlig außer sich.

Diesmal erbrach er sich nicht. Er ging diesmal auch nicht weinend nach Hause. Er war leer. Er hatte niemanden. Immer noch nicht. Da war keiner. Da war einfach niemand. Nichts!

Ein paar Tage später hatte er seinen Job verloren. Er war nicht mehr konzentriert gewesen. Er war einige Male zu spät gekommen. Und er war einfach ein Niemand. Jeder wußte dass er allein war und jeder dachte sich wohl etwas dabei. Er hatte kaum gesprochen in letzer Zeit. Er lag nächtelang wach....ohne Tränen, ohne Gefühle. Da war nichts. Da war nur Leere. Nur Nichts. Einfach nichts!

An jenem Abend nahm er ein Messer. Ein unbenutztes, denn die anderen hatte er in die Themse geworfen. An diesem Abend erstach er sein kaltes, leeres Herz. An diesem Abend starb ein Mensch zu dessen Begräbniss niemand kommen würde.
Und sie schrieben Jack the Ripper wäre ein Monster. Jack the Ripper war kein Monster. Jack the Ripper war ein Mensch....ein einsamer Mensch der nicht allein sein wollte!

Stordfield

  • Gast
Re: Gedanken
« Antwort #89 am: 09.07.2008 09:11 Uhr »
Hallo !

Danke , Flo , für dir tolle Geschichte . Ich bin begeistert .
Wenn es so gewesen wäre , könnte man ja beinahe Mitleid mit dem Ripper haben . Beinahe aber nur...

Gruß Stordfield

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