Okay, was mir noch im Gedächtnis ist:
Workhouses könnte man sehr frei ins Deutsche übersetzen mit "Armenhaus". In den 1830er Jahren (ahem, plus/minus 1 Jahrzehnt) wurde die Betreuung der Armen quasi vereinheitlicht und große sog. "Union workhouses" übernahmen im gesamten Königreich die Versorgung / Unterbringung der Armen. Arbeitsfähige, gleich welchen Geschlechts, gleich welchen Alters, mußten im Austausch für miserables Essen und karge Unterkunft Schwerstarbeit leisten. Auch eine hamsterlaufradähnliche Vorrichtung, die Tretmühle, wurde vorzugsweise mit Workhouse-Inmates betrieben.
Wir reden hier nicht von einem menschenwürdigen Sozialsystem, sondern von einer bewußt abschreckend gestalteten Gewissensberuhigung der herrschenden Klassen (vgl. Dazu die Aussagen von Scrooge über Workinghouses in Charles Dickens'
A Christmas Carol, hier online:
http://www.literature.org/authors/dickens-charles/christmas-carol/). Der Eintritt ins Workhouse galt daher auch unter den Betroffenen als absoluter und finaler sozialer Abstieg.
Die Wechselwirkung zwischen Workhouse und dem daraus resultierenden schleichenden Verlust an restlicher Selbständigkeit ist eines der Themen von Jack Londons
People of the Abyss. Wer Englisch kann und diesen gratis erhältlichen Text noch nicht gelesen hat, sollte das nachholen. Es ist eine hautnahe Reportage aus Whitechapel um 1900 und hier ist sie online:
http://sunsite.berkeley.edu/London/Writings/PeopleOfTheAbyss/.
Arbeitsfähige waren daher auch sehr selten, und in den Workhouses wurden oft jene untergebracht, die verwaist waren, zu alt, zu krank oder aber auch, wie im Falle Kosminski, die harmlosen Irren, die keine Gefahr für sich oder andere darstellten. In Bezug auf Wahnsinnige ist festzuhalten, daß Armenhäuser keine geschlossenen Anstalten im psychiatrischen Sinne mehr waren, sondern mehr Verwahrstationen für leicht auffällige, von der Sozialnorm abweichende (Gammler, Prostituierte) Personen. Auch dann in der Regel nur für begrenzte Zeit, bis man sie z.B. einem Verwandten übergeben konnte (siehe erneut Kosminski). Die medizinische Betreuung, außer einer initialen Begutachtung, war vorhanden, aber von eher.... allgemeiner Natur.
Wie gesagt, in der Regel, es gab auch Ausnahmen, da wurden schwerste Fälle unter unaussprechlichen Bedingungen in den workhouses "untergebracht", allerdings kam dies nach den Armengesetzreformen Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr vor.
Lunatic Asylums sind wohl lose mit "Irrenanstalten" zu übersetzen. Schon die Terminologie macht den Unterschied deutlich. Hier gab es zunächst eine regelmäßige und soweit wie mögliche fachkundige Betreuung (zumindest für die zahlenden Patienten). Im Zuge der bereits erwähnten Armengesetzgebung wurden die zumeist privat betriebenen Anstalten, die trotzdem die schweren "Sozialfälle" zu versorgen hatten, von letzteren "befreit". Diese fürderhin in den nun entstehenden staatlichen "County Asylums" untergebracht.
Über Stand der Wissenschaft, Pflegefragen etc. könnten wir lange diskutieren, ich hänge einfach noch ein paar Buchempfehlungen dran. Wichtig in unserem Zusammenhang ist, daß Lunatic Asylums für die Aufbewahrung von solchen Delinquenten vorgesehen waren, die in irgendeiner Form eine Gefahr für sich oder andere darstellten. In workhouses waren allenfalls die harmlosen Irren untergebracht.
Kosminski wäre niemals zurück in die Obhut seines Bruder zurück übergeben worden (siehe AFS beiträge oben), hätte er in irgendeiner Form Zeichen von "Raving Mania" oder "homicidal Mania" während der medizinischen Begutachtung erkennen lassen. Man hätte ihn in eine County Asylum - Colney Hatch - überstellt.
Grüße -CB
Empfohlene Lektüre (ich weiß nicht, ob das Zeug noch erhältlich ist, aber jede Uni-Bibliothek sollte sie haben, und wenn nicht, dann Fernleihe):
Peter Bartlett (1999):
The Poor Law of Lunacy: The Administration of Pauper Lunatics in Mid-nineteenth Century England. Leonard D. Smith Cure (1999?):
Comfort and Safe Custody: Public Lunatic Asylums in Early Nineteenth-century England.David Wright (2001):
Mental Disability in Victorian England: The Earlswood Asylum 1847-1901 (Oxford Historical Monographs)Zu Workhouses gibt es sogar eine gute Website:
http://users.ox.ac.uk/~peter/workhouse/