Hallo Lestrade, alter Jäger!
Für mich ist es nicht einfach meine Gedanken zu sortieren. Aufgrund dieser Aussage verstehe ich Dein Beharren auf Kosminski noch besser. Auch wenn hier sein Name nicht genannt wird, ein möglicher Kreis infrage kommender Personen für diesen beschatteten Mann sollte sehr sehr klein gewesen sein. Statt einer zusammenhängenden Antwort (die sicher verwirrend ausfallen würde) versuche ich mich besser, auf das eine oder andere im einzelnen.
Das Eingangszitat ist kein einfaches Englisch, aber dennoch verständlich. Persönlich würde ich “passing the top of the dimly lit street” so interpretieren, dass dieser nicht genannte Beamte zum Zeitpunkt eines der Morde am anderen Ende der schlecht beleuchteten Straße patrouillierte.
Der genaue Zeitpunkt ist leider nicht zu interpretieren. (tippen würde ich dabei auf den Mord im Mitre Square).
Der Kern des Berichts ist, laut Cox war zumindest eine Abteilung des Polizeiapparats davon überzeugt,
der Mörder kam aus dem East End selbst.
Es geht zu guter Letzt auch um die Person des Ex-Beamten seiner Majestät, seiner Glaubwürdigkeit und auch um “Kamerad Zufall”. Zu letzterem später.
Unterlag Cox nicht auch 15 Jahren zurück liegenden Vorfällen gegenüber nach wie vor der Schweigepflicht? Oder durften pensionierte Beamte – siehe auch Major Smith – später aus dem Nähkästchen plaudern?
Ich will im nicht unterstellen, aus welchen Motiven auch immer (Geldnot, Wichtigtuerei) gegenüber Journalisten etwas erfunden zu haben. In diesem Zusammenhang wäre es doch schon interessant zu erfahren, wie es zu seinem Artikel kam. Ging er aus freien Stücken in die Redaktion (“Eh Leute, ich habe eine spannende Geschichte für Euch!”) oder wurde er von Journalisten (vielleicht auf Hinweis eines Dritten) angesprochen?
Seine Wortwahl ist eher die der realistischen Darstellung eines Geschehens, finde ich.
Außerdem bietet er keine Lösung an, nennt keinen Namen, scheint einzig von Erlebtem zu berichten. Das wertet seine Geschichte auf.
Als Motiv benennt Cox „Frauenhass“. Das darf nicht verwundern, denn damals hat sicher noch keiner über die vielen Möglichkeiten sexueller Perversion Bescheid gewusst, bzw. sie nicht zu hinterfragen getraut.
Den Täter sieht er aufgrund seiner Opferwahl als Mitglied der untersten Schicht, aus der eben auch die ermordeten Frauen stammten.
Ich stimme aber nicht ganz damit überein, dass der Mörder sich anderenfalls Opfer aus dem West End gesucht hätte. Die besseren Gegenden waren - zum Schutz gegen das „Gesindel“ von der Polizei gut kontrolliert. Die Menschen lebten dort nicht so beengt nebeneinander, man kannte im Regelfall seinen Nachbarn, viele Häuser hatten Personal usw. Wer nicht (pünktlich) nach Hause kam, wurde vermisst. In den besseren Viertel herrschte ein ganz anderes Sozialverhalten, es wäre schwer gewesen, selbst Hausangestellte zu überfallen. Im übervölkerten East End, wo jeder erst mal an sich selbst zuerst dachte, waren Frauen an jeder Ecke und zu jeder Tages-und Nachtzeit zu finden. Sie „lagen auf der Straße“, oftmals sogar im wortwörtlichen Sinne.
“He occupied several shops in the East End” – soll das bedeuten zur gleichen Zeit?
Dann hätte Cox vermutlich “owned” oder “ran” benutzt, aus ihm also einen Geschäftsinhaber gemacht.
Hier sieht es mehr danach aus, dass er einfach keine feste Adresse hatte.
Er und seine Kollegen waren sich sicher, dass der Mann etwas mit den Morden zu tun hatte. Das ist natürlich subjektiv, da kein Beweis dafür genannt werden kann.
“We knew well that they had no intention of helping us. Every man was as bad as another. “
Er und seine Kollegen waren anscheinend mit Vorurteilen behaftet, teilten vielleicht sogar den latenten Antisemitismus dieser Zeit -
“I am sure they never once suspected that we were police detectives on the trail of the mysterious murderer; otherwise they would not have discussed the crimes with us as openly as they did.”
Zu diesen Zeilen und jenen davor frage ich mich, ob hier die negativen (enttäuschenden) Erfahrungen der Polizei mit dem jüdischen Zeugen Schwartz einfließen. Die Geschichte halt, dass ein jüdischer Zeuge einen Verdächtigen nicht identifizierte, weil er in ihm einen Glaubensbruder erkannte.
“We had the use of a house
opposite the shop of the man” – also
doch ein Ladenbesitzer?
Der Beobachtete ging eines Abends in Richtung Lehman Street, danach Richtung St George.
“As I passed the woman she laughed and shouted something after me, which, however, I did not catch.” Klingt fast, als hätte die Frau ihn gewarnt, dass er verfolgt wurde. Vielleicht erkannte die Frau Cox wieder, ohne, dass er sich ihrer erinnerte?
“In the end he brought me, tired, weary, and nerve-strung, back to the street he had left where he disappeared
into his own house.” – Also
doch Ladenbesitzer?
„It is indeed very strange that as soon as this madman was put under observation, the mysterious crimes ceased“
Der Schweizer Schriftsteller Dürrenmatt beschrieb in seinem Buch “Das Versprechen” sehr eindringlich, wie sehr der Zufall die Arbeit eines Kriminalbeamten beeinflussen kann.
Vermutlich kennen viele von Euch diesen Roman. Er wurde einst mit Heinz Rühmann unter dem Titel “Es geschah am helllichten Tag” verfilmt. So unterhaltsam der Film auch ist, mit dem Buch hat er herzlich wenig gemeinsam.
Wer das Buch nicht kennt: ganz ganz kurz.
In einem Schweizer Kanton werden mehrere Mädchen brutal ermordet. Einem Kommissar gelingt es mit mit Fleiß und einem nicht wissenden Mädchen als Lockvogel dem Mörder anzulocken.
Der Mörder (der von dem Kind als Zauberer betrachtet wird) versprach dem Mädchen wieder zu kommen. Die Polizei legt sich auf die Lauer. Der Mann kommt nicht zurück. Auch in den nächsten Tagen nicht. Die Polizei gibt auf und glaubt, der Kommissar hätte sich geirrt. Dieser jedoch gibt nicht klein bei (er ist kurz vorher auch pensioniert worden) und bleibt “auf der Lauer”, Tag um Tag, Monat für Monat....
Jahre später taucht sein ehemaliger Vorgesetzter zusammen mit einem Schriftsteller bei ihm auf – die beiden hatten vorher über den Zufall in der Kriminalarbeit diskutiert. Der ehemalige Kommissar ist immer noch “auf der Lauer”, besessen und verblödet. Sein Vorgesetzter hatte ihn schon vor langer Zeit darüber informiert, dass der Mörder nicht mehr kommen kann, weil nicht mehr am Leben, aber das konnte den Ex-Kommissar nicht mehr umstimmen. Er wartete weiterhin. Der Vorgesetzte erzählt nun dem Schriftsteller wie es war.
Vor einiger Zeit wurde er ans Sterbebett einer alten Dame gerufen, die ihm beichtete, dass ihr verstorbener Mann der Kindermörder war. Die beiden hatten keine Kinder und so wollte sie alles los werden, bevor sie starb. Ihr Mann war an jenem Tag, den der Kommissar vorher gesehen hatte tatsächlich auf der Fahrt dorthin. Die Dame wusste von seinen Morden und das er “es tun musste”.
Doch er verunglückte auf dem Weg zu dem Mädchen tödlich mit dem Auto. Der ehemalige Kommissar hatte völlig Recht. Nur der Zufall verhinderte, dass er den Mörder überführen konnte.
Bin gespannt auf die Antworten meiner „Kollegen und Kolleginnen“!