Schizophrenie bedeutet erst einmal nicht Mord und Totschlag. Es bedeutet dies sehr lange nicht und wenn, dann auch nur ganz, ganz selten. Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, eine schwere Krankheit, die so gut wie möglich behandelt wird. Dabei ist jeder Betroffene, genauso wie jeder andere Mensch, ob gesund oder nicht, ganz individuell zu betrachten.
Ca. 800 000 Menschen leiden in Deutschland unter Schizophrenie, egal in welcher Form und egal auf welche Weise. Weltweit sind das viele, viele Millionen Menschen. Sie ist nicht selten und genauso verbreitet wie Rheuma.
Unter Schizophrenie leiden intelligente Menschen und weniger intelligente Menschen, arme und reiche, schöne und hässliche, dicke und dünne, vom Dorf oder aus der Großstadt, Männer und Frauen, Müllmänner und Professoren, Musiker und Maler, sie sind introvertiert und oder extrovertiert, sie alle sind unterschiedlich, niemand gleicht dem anderen… sie müssen sich mit unterschiedlichen Formen der Schizophrenie oder mit Mischformen dieser auseinandersetzen.
Schizophrenie tut einem anderen erst einmal gar nichts und das ist Standard.
Nun gibt es eben auch unter Schizophrenen (wie auch bei Menschen mit anderen Persönlichkeitsstörungen/oder Mischungen dieser Störungen bzw. andere Störungen, Bipolar usw. viele, viele Dinge im Hintergrund und andere Erkrankungen oder Traumata, die man zur Betrachtung der gesamten Persönlichkeit hinzuziehen muss), eben auch Menschen mit Gewalt, Mord- und Verstümmelungsfantasien.
Oder umgekehrt:
Zum Kreis der Menschen mit solchen abartigen Tötungsfantasien gehören eben auch die Schizophrenen. Mit einem ganz normalen Anteil daran. Zu diesem Kreis gehören aber noch einige andere Kategorien.
Psychopathen, Menschen die unter Psychopathie leiden, also einer schweren Form einer Persönlichkeitsstörung, verlieren irgendwann immer mehr den Bezug zur Realität oder leiden unter psychotischen Schüben unterschiedlicher Dauer. Mal kürzer, mal länger. Sie sind alles andere als automatisch Mörder.
Das Team um die Profiler Hazelwood/Douglas, kam 1988 zu dem Schluss, dass Jack the Ripper ein paranoider Schizophrener gewesen war. Dazu kann man auch Mischformen zählen, wie z.B. paranoide/hebephrene Schizophrenie. Sie sahen Aaron Kozminski als den besten Kandidaten an. Als Douglas von David Cohen erfuhr, hielt er ihn für noch wahrscheinlicher. Aber uns sagt das eigentlich auch etwas anderes, nämlich:
Aaron Kozminski und David Cohen waren paranoide Schizophrene, schwerkranke Psychopathen und wirkten unterschiedlich, der eine ruhiger und harmloser (Kozminski), der andere gewalttätiger (Cohen). Aber beide kamen offensichtlich in Frage. Das “ruhiger“ und “harmloser“ hilft Aaron diesbezüglich gar nichts. Und bei David Cohen haben wir das Problem, dass er, aufgrund seiner Adresse, erst 14 Tage im Land war und er somit gar nicht die Serie verübt haben könnte. Er sprach auch kein Wort Englisch. Er könnte auch als Beispiel für einen “tobenden Irren“ gelten, der eben nicht vorsätzlich töten wollte oder Mordfantasien hatte.
Aaron Kozminski verlor, für uns sichtbar, ab Mitte 1890 immer mehr den Bezug zur Realität, 1891-1894 wurde es immer schlimmer, er wurde immer paranoider, hörte Stimmen und sah Dinge, die nicht da waren. Er triftete immer weiter in eine andere Welt, in ein anderes Bewusstsein ab. Er wusste irgendwann nicht mehr wo er und wie alt er war. Nicht umsonst kam er nach Leavesden. Durch seine schwere Krankheit, die geprägt war von einer schweren Form von Schizophrenie und weiß Gott noch was, wurde er ein kompletter Pflegefall. Alleine konnte er damit nicht überleben. Geistig war er gar nicht mehr auf diesem Planeten. Niemand kann diesen Menschen in den Kopf schauen und wir können nicht sagen, wie es dann in seinem Hirn mit eventuellen Mord- und Verstümmelungsfantasien aussah, noch, wie realitätsnah er seine Umwelt mitunter wahrnehmen konnte. Ob er damals hätte noch Morden können?
Man vermutet, dass Aaron Kozminski den Beginn seiner Erkrankung, im Alter von ca. 16 Jahren anfing wahrzunehmen. Also um den Zeitpunkt herum, als er in London ankam. Laut den Angaben der Familie, war er 1891 seit 6 Jahren damit auffällig gewesen. Also um 1885. Da war er 20 Jahre alt. In diesem Alter beginnt sich die Krankheit stärker bemerkbar zu machen und erreicht mit Mitte 20 seinen vorläufigen Höhepunkt. Aaron war 25 Jahre alt, als er in Colney Hatch ankam. Alles danach ist für diese Schwere der Erkrankung damals normal gewesen. So schlimm kann es mit ihm aber noch nicht im Herbst 1888 gewesen sein, als er während der Serie 23 Jahre alt wurde.
Nun hatte Aaron sicherlich mit 16 Jahren gemerkt, was da in ihm losging. Seine sexuelle Entwicklung war da schon voll im Gange und mit Bestimmtheit nicht normal verlaufen. Wie das auch immer aussah, es hätte ihm zu abartigen Fantasien verholfen haben können, die ihn letztendlich zum Ripper gemacht haben könnten. Und das ging irgendwann Hand in Hand mit seiner schizophrenen Erkrankung. Schließlich wuchs er noch ohne Vater auf und mit einer sehr alten Mutter. Sie kam aus einer Schlachterfamilie und wir wissen nicht, was er alles mitmachen musste. War er vor der Übersiedlung nach England tatsächlich in Polen in einem Krankenhaus angestellt, dann sollte das auch seine Gründe gehabt haben.
Und wenn Schizophrene dieser Art morden, dann sieht es eben so aus, wie es uns im Ripper- Fall präsentiert wird. Risikoreich, wenig organisiert, es wird an Ort und Stelle gemordet, keine Anstalten unternommen, die Opfer zu verbergen, es wird grausam verstümmelt, es werden Organe mitgenommen und die Tatorte liegen in der Regel dicht beieinander usw.
Es spielt auch diesbezüglich gar keine Rolle ob Aaron Kozminski der Ripper war, denn der Ripper war auf jeden Fall ein sehr schwerkranker Mann, ein Psychopath, der an einer schweren Persönlichkeitsstörung litt, mit hoher Wahrscheinlichkeit paranoide Schizophrenie. Aber Aaron Kozminski hatte diese Krankheit, er war so, genau wie David Cohen oder Hyam Hyams oder Jacob Levy. Um der Ripper zu sein, muss er aber unter diesen Mord- und Verstümmelungsfantasien gelitten haben.
Wer sich Aaron Kozminski im Herbst 1888 genauso vorstellt wie 1891, der unterliegt einem großen Irrtum. Es spielt keine Rolle dabei, ob er der Ripper war oder nicht aber seine Wahrnehmung, seine Einschätzung der Umwelt, seine noch vorhandenen Fähigkeiten, seine Handlungsfähigkeit, sahen 1888 noch definitiv anders aus als 1891. Nicht, dass seine Körperpflege nicht bereits nachgelassen hätte oder er weniger gegessen hätte oder gar weniger geschlafen, nein, dass alles wäre auch schon vorgekommen aber eben nicht so drastisch wie 1891. Die Krankheit forderte auf diese Art immer mehr ihren Tribut, dass er nun eventuelle Mord- und Verstümmelungsfantasien in die Tat umsetzten wollte, passierte einfach, weil er es so wollte oder dieser Fantasien nicht mehr nachgeben konnte, sei es eben auch durch den Einfluss der Krankheit, in der seine Paranoia die “Schuld“ bei den Prostituierten sah und die Stimmen ihm nun auch befahlen sie zu töten. Aber vielleicht hat er sich das sogar gewünscht, dieses “Alibi“ gebraucht. Diese Dinge nehmen dann ihren Lauf, ein Prozess beginnt, die Dinge gehen Hand in Hand aber die Erkrankung wird dann zur Handschrift des Täters, ohne das er dies selber bemerkt. Und das hier, ist die Handschrift eines schizophrenen Mörders und das kreist dann den Täterkreis erheblich ein. Man muss dann nicht bei den “Gesunden“ suchen, die sind raus.
Seine Erkrankung ist eine ziemlich blöde Schlinge um den Hals bei Aaron Kozminski. Die Ripper Morde waren und gelten noch immer als “Unique“. Das sind sie auch. Und warum ist das so? Weil die Handschrift des Täters auf eine ebenso seltenen Tätertyp hindeutet, einen Typ von Täter, der unter einer schweren Form von Schizophrenie litt. So sieht das aus, wenn man sich die Tatorte, die Opfer, und den Rhythmus anschaut und wie der Täter sonst noch vorgegangen ist.
Ein Schizophrener ist, bevor er ins “Endstadium“ kommt, kein Idiot oder blöd. Und das wird Aaron Kozminski auch noch nicht zwischen Herbst 1888 und Frühjahr 1889 gewesen sein. Der endgültige Prozess des Zerfalls, sollte etwas später eingesetzt haben. Er hätte seinen Zwang stoppen können, in dem Moment, wo er realisiert hätte, tatsächlich verfolgt zu werden. In dem Moment, wo die Familie ihn damit konfrontierte, in dem Moment, wo er sich schon gedanklich am Galgen sah, denn da wäre er gelandet. Und wenn man ihn zusätzlich noch in Anstalten brachte, evtl. des Öfteren, könnte ihm das schon ordentlich die Petersilie verhagelt haben. Mag uns solch ein Mensch noch so skurril vorkommen und wir ihn nicht verstehen können, bedeutet dies noch lange nicht, dass er nicht mit uns mithalten kann, jedenfalls so lange, wie es ihm möglich ist. Ein Schizophrener kann Fähigkeiten haben, die denen des “normalen“ und gesunden Menschen überlegen sind. Er kann, im Vergleich, in seiner Welt durchaus intelligenter sein, als Du und ich in unserer.