Hi.
Guter Punkt! Interessante Diskussion! Natürlich kann und muss man in diesem Fall alles regelmäßig hinterfragen, deshalb ist es mal sehr gut sich auszutauschen, warum man persönlich von der einen oder anderen Sache (zumindest temporär) überzeugter ist, als von anderen. Bezüglich dieser konkreten Fragen nehme ich jetzt mal eine meiner Karten her und blende ein paar bestimmte Ebenen ein....
Ad 1: Warum K5? Territorial betrachtet ist es ziemlich egal, ob man auch Millwood, Smith, Tabram, Stride, Kelly (da im gleichen Parish wie der Chapmanmord angesiedelt, allerdings ein Fall, aus dem man andere Rückschlüsse ziehen könnte) oder sogar McKenzie demselben Täter zuordnet. Das Terrain des Rippers ändert sich dadurch kaum. Der Grund dafür ist die logischste Basis, nämlich die Tatorte der Fälle Nichols, Chapman und Eddowes, jener Fälle also, die auch von der Vorgehensweise des Täters am ähnlichsten zu sein scheinen. Ich persönlich würde daher eigentlich von den K3 ausgehen, deren Todesumstände tatsächlich auf die Spur des Rippers führen könnten, schließe aber alle anderen diesbezüglich natürlich keinesfalls aus.
Ad 2: Die K5 als Prostituierte? Es sind u.a. die belegbaren (! , d.h. die, die von Personen bezeugt wurden, welche die Opfer tatsächlich kannten) Bewegungen der Opfer (bei Kelly hängt das allerdings auch davon ab, ob man Hutchinson Glauben schenkt) und die vorgegebenen stadtbaulichen, infrastrukturellen, gemeindebedingten, zeitlichen und subjektiv kognitiv erfahrbaren und aufgrund empirischer Studien annehmbaren Gründe, die auf Prostitution bei den Opfern in den jeweiligen Tatnächten, und dadurch auch auf Prostituierte als Zielgruppe des Täters hindeuten. Der Grund, warum die Prostituierten damals nur selten wegen Prostitution selbst von der Polizei aufgegriffen wurden hat damit zu tun, dass sie jene Orte, die dafür geeignet waren umkreisten – in jedem Fall der kanonischen 5 (wie auch bei Smith, Connelly und Tabram) lässt sich ein solcher ausmachen, St. Botolph´s ist ja sogar legendär dafür. Dass die Prostituierten, und dadurch auch der Ripper, einfach nur irgendwo an verkehrsreicheren Straßen entlang liefen ist unrichtig – jeder Mensch denkt in kognitiven Landmarken. Gegen eine gewisse ´Mary Jane Kelly´ gibt es zudem zumindest eine Anzeige wegen ´Trunkenheit und Ordnungswidrigkeit´ (19. September 1888), ebenso bei Eddowes am Tag ihrer Ermordung, wie wir ja wissen. Wie wir ferner wissen, nutzten die Opfer aber eben auch einige andere Möglichkeiten, um Geld zu erlangen: Das reicht vom simplen Betteln über Blumen verkaufen, über Hopfen ernten und Häkeln bis hin zum verpfänden ihres Eigentums. Sie gingen der Prostitution also wohl in erster Linie nur dann nach, wenn es gar nicht mehr anders ging – wie scheinbar in den Mordnächten. So war wohl auch das Risiko für Geschlechtskrankheiten oder Schwangerschaften von vornherein geringer, zudem gab es da ja scheinbar eine Menge anderer Tricks.
Ad 3: Der Wohnort des Rippers? Ich habe einmal versucht, die kognitiven (London-)Karten (mental maps) der einzelnen Opfer zu rekonstruieren, um dadurch auf die des Täters schließen zu können. Das Ergebnis wäre für hier wohl zu voluminös, da müsste ich eine Menge Karten und eventuell auch Fotografien hier reinstellen und erklären – es deckt sich aber letztendlich in etwa mit den bekannten Geoprofilings, in die ja scheinbar auch kognitive Aspekte miteinbezogen wurden. Aber mal soviel: Der Täter lieferte nicht nur Informationen über die Orte, an denen er zuschlug, sondern auch über die Orte, an denen er dies nicht tat. Wer der Meinung ist, dass der Täter die Morde von außerhalb des East Ends beging (noch dazu in einer Gegend, die er nicht wirklich kannte), müsste eigentlich ein gutes Argument parat haben, warum der Mörder zum Beispiel nicht (auch) in Shoreditch, Bethnal Green oder Limehouse zu Werke schritt. Besonders interessant wäre aber eine Antwort auf die Frage, warum der Täter Mile End New Town und dessen unmittelbare Umgebung komplett ausließ – das Gebiet, das sich unabhängig davon, ob man Tabram oder Nichols als erste Opfer betrachtet, in etwa in der Mitte zwischen dem ersten, dem Ripper zuordenbaren Mord, und dem nächsten befand, das Gebiet, das unabhängig davon, ob man Stride als Opfer betrachtet oder nicht, bis ins Zentrum der Morde ´ragt´, ein Gebiet, das sich für Prostitution allein schon aufgrund des Vorhandenseins von St. Olave (Hanbury Street) und anderer Infrastruktur nicht weniger eignete, als diverse andere Orte, an denen der Ripper definitiv mordete, und das sich vom Mitre Square am direktesten über die Goulston Street erreichen lässt... (Meine Begründung dafür wäre, dass dieser Bereich wahrscheinlich in der Pufferzone des Täters lag.) Zudem müsste u.a. auch begründet werden, warum der Täter in allen (!) Zwischenhimmelsrichtungen rund um Whitechapel tötete (aus stadtplanerischen Gründen trapezförmig (ohne Stride: Dreieck), in der kognitiven Vorstellung des Täters wohl eher in einem (Um-)Kreis oder Rechteck (mit Stride), wozu der Mensch nicht nur in seinem direkten Umfeld generell neigt). Dazu kommt noch die Frage, warum ein auswärts ansässiger Täter, immer wenn er außerhalb von Whitechapel zu Werke schritt (also in fast allen Fällen der K5, außer Nichols, die gerade noch im (nordöstlichsten) Bereich von Whitechapel ermordet wurde), jeweils nur am unmittelbar nächsten für Prostitution geeigneten Ort jenseits der Parishgrenze hätte morden sollen? Ausschließen kann man natürlich nicht, dass der Täter von außerhalb kam, in meinen Augen ist das aufgrund der bisherigen Faktenlage allerdings eben eher unwahrscheinlich.
Grüße,
panopticon