Ich kann im offiziellen Memorandum von Macnaughten höchstens erkennen, dass er Dinge weglies.
Eben, und zwar die Dinge, über die er sich nicht sicher war.
Ein wenig hinbiegen würde ich bei ihm aber nicht ausschließen, warum würde er sonst Druitt und Ostrog darin überhaupt erwähnen? Warum nahm er diese schwachen Verdächtigen mit in seine Liste?
Er schreibt ja selbst, dass dies nur drei Verdächtige sein sollen, die wahrscheinlicher als Cutbush wären. Schwache Verdächtige waren in Sir Melvilles Augen wohl alle drei, da
no shadow of a proof could be thrown on any one.Druitt war schwul und spielte zu einer Tatzeit Cricket, Ostrog war damals garnicht im Lande. Irgendeiner von Macnaughten´s Leute drückte mit Druitt mal die Schulbank und schwups, erscheint dieser als Nummer 1 Hauptverdächtiger. Und schon damals war Druitt "komisch". Das nenne ich hinkonstruieren. Was für ein Zufall.
Druitt spielte nie zu einer Tatzeit Cricket! Worauf Du anspielst, ist, dass Druitt am 8. September 1888, wenige Stunden nachdem Annie Chapman in der Hanbury Street ermordet worden war, ein Cricket-Spiel hatte. Zeitlich hätte Druitt das sogar schaffen können, nur ist dieser Ablauf eben unwahrscheinlich. Aber das ist eben etwas anderes als die Aussage, Druitt hätte zur Tatzeit Cricket gespielt. Das mag jetzt kleinkariert erscheinen, geht aber nicht gegen Dich, Lestrade, sondern soll nur Verwirrung bei unseren Mitlesern vermeiden.
Wer letztlich die Quelle für Sir Melvilles
private info war, ist bis heute nicht geklärt.
Ja, dass sieht nach ernsthafter Polizeiarbeit aus... mal abgesehen von in Bildern gerahmten Dokumenten des Falles, die in Macnaghten´s Familie an den Wänden hingen...
Sir Melville vorzuwerfen, dass seine Nachfahren nach seinem Tod irgendwelche Dokumente an den Wänden haben, finde ich nicht sonderlich fair. Ich nehme an, Du spielst auf die Aussage an, die Philip Loftus von Sir Melvilles Enkel Gerald Meville Donner berichtet, der sich ihm gegenüber 1950 brüstete, einen Original-Ripperbrief an der Wand zu haben.
Von Sir Melville ist mir lediglich bekannt dass er eine Sammlung von
mug-shots und
Jack the Ripper victim photos under lock and key in his office hatte. Das berichten zumindest Griffith und Adam über ihn, und ich finde dies für einen Polizisten nicht so ungewöhnlich.
Viele Ripperologen unterstützen die Theorie, dass der PC vom Mitre Square, ein Zeuge vom Mitre Square war. Dürfte ja allgemein bekannt sein. Egal ob PC oder "normaler" Zeuge, so ganz ohne jemanden der nichts sah, ist es wohl auch nicht gewesen. Laut Cox von der City Police, war aber sogar ein Kollege dicht dran... Wenn, dann irrt sich Macnaughten oder er war falsch informiert. Das es einen Zeugen gab (egal welcher Art), wissen wir ja...
Es ist richtig, dass es Menschen gibt, die die Theorie vom Mitre Square PC unterstützen. Auch ich bin gerne bereit, zu diskutieren, ob dies nun PC Harvey oder PC Watkins oder vielleicht ein dritter war. Aber nach unserem Kenntnisstand ist diese Geschichte eben nicht mehr als eine Vermutung, ein Gerücht, dass es einen Polizisten gegeben haben könnte, der Zeuge gewesen sein könnte.
Es ist auch richtig, dass Inspector Cox einen Vorfall beschreibt, der dies zu stützen scheint:
It was not easy to forget that already one of them had taken place at the very moment when one of our smartest colleagues was passing the top of the dimly lit street. Allerdings sei hier angemerkt, dass nichts von einem Platz (Mitre Square) erwähnt wird, sondern von einer schlecht beleuchteten Straße. Der Zusammenhang zu Mitre Square wird nur dadurch hergestellt, dass Cox bei der City Police war, und Mitre Square der einzige Tatort in der City war, und dass Cox nur einen anderen City PC als
colleague bezeichnen würde. Ob dies so ist, oder ob er nicht auch einen MET Polizisten als
colleague bezeichnen würde, kann ich nicht endgültig beurteilen, aber in letzterem Fall würden auch die Tatorte im MET Bereich in Frage kommen.
Aber es ist wohl leicht zu erkennen, dass wir selbst heute nicht genau sagen können, ob es diesen City PC am Mitre Square gab oder nicht. Warum also sollte Sir Melville damals mehr gewußt haben? Sein Zugang zu den Akten der City Police dürfte - zumindest zum Zeitpunkt des Memorandums - doch eher eingeschränkt gewesen sein. Also mag er Gerüchte gekannt haben, mehr aber auch nicht.
Griffiths wurde von Anderson und Macnaughten empfangen. So oder so hatte er Informationen aus erster Hand. Inwieweit dort auch nichts neues zu erfahren ist, kann ja jeder selber nachlesen. Griffiths schrieb bereits 1895 über Anderson´s Theorie wegen eines Mannes aus dieser Dreier-Liste. Da nannte sich Griffths Alfred Aylmer.
Auch hier möchte ich etwas pingelig sein, damit Mitleser nicht verwirrt werden. Griffith - als Alfred Aylmer - beschrieb Andersons "Polish Jew"-Verdächtigen. Dieser wurde später von Swanson als "Kosminski" identifiziert. Bis zur Entdeckung der Swanson-Marginalia hat aber kaum einer (wenn überhaupt einer) der Ripper-Experten Andersons Verdächtige mit dem "Kosminski" aus dem Memorandum gleichgesetzt. Dies wurde erst durch die Swanson-Marginalia möglich. Selbst Griffith erfuhr erst - wie ich bereits dargelegt habe - erst nach 1896 vom Memorandum und den drei Verdächtigen. Ob Anderson vom Memorandum wußte, weiß ich nicht. Es ist aber auf jeden Fall gewagt, zu behaupten, Griffith hätte bereits 1895 über einen Mann aus der Dreier-Liste geschrieben. Er hat über Andersons Verdächtigen geschrieben, und soweit ich weiß, war die erste Identifikation von Andersons Verdächtigen mit "Kosminski" aus dem Memorandum erst 1987 geschehen, als die Swanson-Marginalia veröffentlicht wurde.
Ob Griffith diese Gleichsetzung irgendwann schon gelungen war, kann ich nicht sagen, aber 1895 tat er das noch nicht, da er erst 1896 vom Memorandum erfahren hat.
Griffiths tendierte zu Macnaughten´s Theorie. Aber egal, wie fähig jeder war, über diese Memorandum-Geschichte erfahren wir viel über den Fall, über die Verdächtigen, über Beamte und andere Menschen.
Wir erfahren sicherlich durch die Rohfassungen etwas über die beteiligten Personen, das will und wollte ich nie in Abrede stellen. Wenn es jedoch um die Verdächtigen geht, also um die einzigen Menschen, die nur passiv mit dem Memorandum zu tun hatten, dann kann ich eben nicht zustimmen. Über die Verdächtigen erfahren wir (bestenfalls) nur durch die offizielle Fassung etwas. Wie Du selbst schreibst, Lestrade, sind die Angaben in der Aberconway-Version über Druitt falsch. Was also sollen wir daraus über den Verdächtigen lernen?
Macnaughten bekam den Auftrag, so ein Ding zu schreiben. Er tat es, nicht der Swanson, nicht Anderson.
Ich vermute mal, dass dies einfach in Macnaghtens Zuständigkeit lag. Ob er dazu einen Auftrag bekam, oder einfach vermutete, dass die Artikelserie in
The Sun eine Anfrage bei Scotland Yard hervorrufen könnte, und er einfach gewappnet sein wollte, ist wohl ein Thema für sich.
Damals dürfte es sicherlich für einige intern wichtig gewesen sein und möglicherweise auch aufschlußreich. Heute wissen wir, dass diese Memorandum wichtige Hinweise gibt aber die Verdächtigenliste Nonsens ist.
Das wundert mich jetzt aber, Lestrade. Du als alter Kosminski-Anhänger? Wäre doch toll, wenn man noch herausfinden würde, dass Kosminski im März 1889 schon einmal in einem Asylum gewesen wäre.
Ich habe hier den Link zur Original Aberconway- Version hineingesetzt. Später noch den Link zur Original Scotland Yard Version. Wir haben die Donner- Version angesprochen und sogar noch eine Version, welche die Meinung von Griffiths wiedergibt. Drei Mal haben wir es nun schwarz auf weiss. Einmal die mündlichen Aussagen überliefert bekommen.
Was da alles drin steht, steht eben so drin.
Finde ich gut, dass Du die Links hier rein gestellt haben, schon allein wegen dieses Threads.
Ich will die ganze Zeit eigentlich nur darauf hinweisen, was eine allgemeine Gefahr in der Ripperologie ist, nämlich "mündliche Überlieferungen" oder "halbgare Aussagen" als Fakten zu nehmen. Und eben solche "halbgaren Aussagen" sind eben manche Stellen in den Rohfassungen des Memorandums. Und diese "halbgaren Aussagen" sind eben einfach daran zu erkennen, dass sie in der Endfassung nicht mehr erscheinen, weil eben Sir Melville seine Bedenken bekommen haben mag. Von daher kann man sich durchaus auf dünnes Eis wagen und den City PC vom Mitre Square diskutieren (haben wir hier auch schon in einer schönen Diskussion gemacht), aber wir müssen uns eben bewußt bleiben, dass wir damit ins Land der Spekulation gehen, und wir dürfen es nicht als Fakt bezeichnen. Vieles was in der offiziellen Fassung des Memorandums steht mag vielleicht auch "halbgar" sein, das will ich gar nicht bestreiten (Kosminski im Asylum 1889), aber umso mehr gilt dieses eben für Behauptungen, die in der Rohfassung auftauchen, in der Endfassung aber nicht mehr.