Und mal wieder was von mir. Ein wenig unpassend so vor der Weihnachtszeit...aber vielleicht ja doch passend zu kalten Winternächten
Viel "Spaß"!
Die Quelle des BösenKalt waren die Fliesen. So kalt. Ab und zu hörte man das Schlurfen von Schuhen oder ein leises Klicken, wenn jemand die Tür überprüft. Seit wann war er hier drin? Er hatte versucht die Tage und Nächte zu zählen, aber hier gab es nur ein kleines, verdrecktes Etwas dass ein Fenster darstellen sollte. Er konnte irgendwann nicht mehr wirklich erkennen wann Tag und wann Nacht war. Dazu das Summen des Lichts. Dann wieder klackende Geräusche, wenn ihm eine Masse vorgesetzt wurde die seinen Magen zwar füllte aber wie Pappe schmeckte.
Er schlief schlecht...die Einsamkeit war kaum zu ertragen, er hatte ja nicht einmal Alkohol um diese Leere zu betäuben. Seine Pritsche war hart und ungemütlich. Der Stuhl und der kleine Beistelltisch waren morsch und wirkten als wären sie schnell und sehr amateurhaft zusammengebaut worden. Nichts an diesem Ort war freundlich, warm oder menschlich. Es war ein lebensfeindlicher Ort, ein kalter Ort, ein toter Ort. Aber so sollte es wohl sein. So musste es sein...dass musste die Strafe für ein Monster wie ihn sein.
Als er diese Frauen tötete verspürte er etwas...er hatte es nie wirklich einordnen können. Lust? Befriedigung? Rache? Wahn? Irgendetwas. Irgendetwas machte irgendetwas mit ihm. Und dieses Etwas tat es genau dann, wenn er mit seinem Messer das Fleisch dieser Frauen auseinanderschnitt. Die Brutalität seiner Taten...war sie ihm bewußt? Er hatte die Bilder im Kopf und manchmal reagierte sein Körper wenn diese Bilder kamen. Er zitterte vor Erregung oder bekam einfach Heißhunger....Hunger auf einen weiteren Mord.
Aber das war Geschichte. Hier würde er nie wieder herauskommen.
An jenem Tag, er glaubte dass es Abend war, kamen die Bilder sehr deutlich. Er hatte gerade seine Mahlzeit zu sich genommen als es soweit war.
Die Bilder kamen wirr und zufällig. Keine Reihenfolge. Kein logischer Film mit genauem zeitlichen Ablauf.
Ein Bild von einer Prostituierten die er geschändet und getötet hatte. Dann ein Bild aus seiner Schulzeit. Dann das Bild seiner kleinen Schwester die er stolz in seinen Armen hielt, als sie gerade geboren war. Dann Blutflecken und Gedärme eines seiner Opfer. Dann das Gesicht seiner Mutter, als sie einen ihrer Wutanfälle hatte.
Die Bilder kamen wie Schläge mit einem Hammer. Und sie trafen. Jeder einzelne Schlag traf. Aber er spürte nichts.
Er empfand nichts als er die Bilder seiner Opfer sah. Als er sah wie er sich über sie beugte. Er fühlte nichts als er das Bild seiner Festnahme sah. Als sie ihn anklagten und in diese Anstalt steckten. Weil er versucht hatte eine Frau zu schänden und wahrscheinlich zu töten. Einmal war er unvorsichtig gewesen. Früher hatte er sich über dieses Bild geärgert….jetzt spürte er nichts.
Er schloß die Augen. Das tat er immer wenn die Bilder in großer Flut kamen. Er spürte etwas warmes an seiner Wange. Dann sah er das Bild seiner Mutter die ihm mit voller Wucht und der geschlossenen Faust ins Gesicht schlug. Er spürte etwas an seinem Bein, einen brennenden Schmerz und sah das Bild seiner kleinen Schwester die ihn auf Befehl ihrer Mutter mit einem geknoteten Strick verprügelte, weil ihr großer Bruder sie nackt gesehen hat. Dass es ein Unfall war und er nur zufällig das Zimmer betrat als seine kleine Schwester sich umzog glaubte ihm damals keiner.
„Männer sind ekelhafte Schweine“ pflegte seine Mutter zu sagen. „Bestrafe ihn, bestraf deinen Bruder…diesen Haufen Dreck“. Seine Schwester war gerade einmal 16 Jahre alt und er war 21…aber sie prügelte ihn wie ein Kind, während Mutter einfach dastand und lachte.
All diese Bilder waren da, als wären sie gerade passiert, als stünde er davor. Als erlebe er das alles noch einmal. Aber er spürte nichts. Er spürte den Schmerz als Schmerz, er spürte das Brennen, die Wärme. Aber sonst nichts. Da war einfach nur Leere. Und er begann sich zu wundern.
Seine Hand streifte eine kalte Fliese. Die Bilder gingen und wurden zu blutend roten Bildern. Zu Bildern des Todes. Als er mit seinen Händen die noch warmen Brüste einer Frau anfasste, die er gerade geschlachtet hatte. Als er die langsam erkaltenden Lippen befingerte und seinem Opfer dann mit voller Wucht das Messer in den Bauch rammte. Er spürte die Wärme der Innereien an seinem Arm. Er spürte das Pulsieren der Adern, kurz bevor er eines seiner Opfer erwürgte. Er spürte die Nackenhaare eines anderen Opfers, als ihr klar wurde dass sie sterben würde.
Er spürte all das. Aber er fühlte nichts. Es blieb die Leere in ihm.
Seine Hände wanderten über die kalten Fliesen. Manchmal fühlten sie sich feucht an. So wie es nach Schimmel, Kot und Urin stank war das wohl auch kein Wunder. An den Gestank konnte man sich gewöhnen. An den Gedanken an diesem Ort zu leben eigentlich nicht. Aber immer wieder sagten ihm seine Bilder dass er hier richtig war….oder zumindest dass dies das Ende seiner Geschichte wäre. Das logische Ende.
Ein Bild kam ihm in den Sinn:
Das Gesicht eines freundlichen, alten Mannes. Er wohnte eine zeitlang in der Nähe seiner Familie. Manchmal gab der alte Mann ihm etwas Kleingeld oder etwas zu essen. Er war auch einer der armen Leute…aber er war immer freundlich und hilfsbereit. Einmal hatte der Mann ihn getröstet als er weinend an einer Straßenecke saß. „Weißt du,“ hatte der Mann gesagt „alles geht seinen Weg. Das Wasser fließt aus der Quelle in den Fluß und vom Fluß ins Meer. Niemand wird das ändern können. Das ist der Weg des Wassers. Und so haben auch wir alle unseren Weg bis ans Ende zu gehen, so schwer er auch ist.“
Er erinnerte sich an die Worte noch sehr gut. Er hatte aufgehört zu weinen und sehr lange über diese Worte nachgedacht. Aber das war alles lange her. Und auch dieses Bild tat nichts mit ihm. Die Leere blieb weiterhin.
Die Bilder kamen jetzt in kürzeren Abständen. Seine Schwester. Seine gehässige Mutter. Seine Opfer. Gedärme. Blut. Das Gesicht eines fröhlichen Jungen den er als sich selbst erkannte, aber den Zeitpunkt nicht mehr kannte. Ein Messer. Das Geräusch zerreißenden Fleisches. Blut. Leichen. Knochen. Leere, tote Augen. Seine Mutter die ihn auslachte. Seine Schwester die ihn bespuckte. Die Bilder kamen schneller und heftiger. Immer schneller, immer heftiger. Aber er fühlte nichts!
Hatte er je gefühlt? Wann hatte er aufgehört zu fühlen? Wann war die Leere gekommen? War sie nicht immer schon da? Waren all diese Gefühle…der Hass, die Wut, der Exzess, die Erregung…war das alles nur Schein? Waren diese Gefühle nur das Echo in einer leeren Hülle? Das Echo des Nichts? Wo waren seine Quelle und sein Flussbett? Und wo das Meer? Hier?
Das letzte Bild dass er sah war ein merkwürdiges. Er sah eines seiner Opfer. Aber es waren nicht ihre Augen. Es waren wissende Augen. Alte Augen. Weise Augen. Und sie wirkten warm und freundlich. Und er musste an einen Bach denken, nicht an die schmutzige Themse. Nein an einen kleinen Bach der über eine grüne Wiese floß.
Und dann fühlte er etwas. Nur den Bruchteil einer Sekunde spürte er etwas. Etwas kleines dass die Leere in ihm komplett füllte. Er spürte das Zerreißen seines Herzens. Ein Gefühl dass er so nicht kannte….oder nie kennen wollte?! Und er spürte etwas warmes sein Gesicht hinunterlaufen. Das war das Letzte was er fühlte.
Als man ihn am nächsten Morgen fand, war die Träne bereits getrocknet. Die Pfleger fanden nur die Hülle eines Verrückten. Eines Wahnsinnigen der keine Verwandten hatte. Als Todesursache würde man Herzversagen angeben.
Man würde seine Leiche wahrscheinlich verbrennen oder einfach irgendwo verscharren.
Irgendwo an einem ruhigen Ort vielleicht. An einem Bach womöglich. Auf einer Wiese.
Und viel Wasser würde von der Quelle, durch den Bach, ins Meer fließen. Und irgendwo würde ein alter Mann erzählen dass alles seinen Weg geht…wie das Wasser. Das alles seinen Ursprung, seine Quelle hat…wie das Wasser.
Aber niemand würde wissen dass an jenem Bach, an jener Quelle, ein brutaler Mörder liegt. Niemand würde ahnen dass dort das Herz von Jack the Ripper vergraben ist.