Autor Thema: Warum diese Entstellungen im Gesicht?  (Gelesen 139899 mal)

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Offline Lestrade

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #225 am: 20.12.2011 21:16 Uhr »
Hallo Isdrasil,

da kann ich beinahe absolut mit dir mitgehen.

Wollte ich mit Und hier denke ich, kommt der altbekannte Unterschied mit den anderen Opfern in Frage. schon mal anklingen lassen.

Grüße, Lestrade.
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Offline Isdrasil

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #226 am: 21.12.2011 12:09 Uhr »
Hi Lestrade und  :Laie_99:

Es geht ja auch schon mit der ganz einfachen Tatsache los, dass der Täter Kelly nunmal in ihrem intimsten Umfeld, nämlich ihrer Wohnung, erlebt hat. Das alleine reicht, um bei der Tatausführung ein paar persönliche Aspekte zu begünstigen.
Man kann davon ausgehen, dass den anderen Taten nur ein kleines Pläuschchen von Kunde zu Prostituierter vorweg ging. Bei Kelly war das ganz anders - man ging zusammen in eine Wohnung, möglicherweise entstand sogar so etwas wie "Romantik", wenn man das so nennen mag...also nicht unbedingt die schnelle "ich kehr dir in einer dunklen Gasse den Rücken zu"-Nummer. Möglicherweise erinnerte dies den Täter an frühere Beziehungen oder Enttäuschungen. Möglicherweise wollte er mit Kelly wirklich nur den Beischlaf, möglicherweise versagte er.
Der ganze Kellymord an sich bildet eine einzige Ausnahme, und genau deswegen kann man ihn meiner Meinung nach trotz der andersartigen Verletzungen des Opfers dem Ripper zuordnen. Auch die Umstände bestimmen die Tat. Der Täter ist manchmal zu Teilen nur eine Marionette, die den Mechanismen der Tatvorzeit gehorcht.

Interessant finde ich die Frage, weshalb Kelly überhaupt ein Ripperopfer hätte werden sollen (gesetz dem Fall). Was meint ihr dazu? Wieso kam es dazu, dass der Täter plötzlich ein attraktives Opfer wählte?

Grüße, Isdrasil

Offline Lestrade

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #227 am: 21.12.2011 12:21 Uhr »
Deine Postings regen zum weiteren Nachdenken an...

Ich selber denke, dass der Täter in erster Linie ein Zufallstäter gewesen war. Keiner, der nur an Wochenenden oder zu Feiertagen unterwegs war, sondern auch innerhalb normaler Tage. Aber diese Wochenenden oder Feiertage brauchte er für seinen speziellen Modus Operandi. Da hatte er "mehr" Zeit und mehr "Raum". An anderen Tagen begnügte er sich wohl mit Bedrohungen und "normaler Gewalt", könnte ich mit vorstellen.

Dass er Opfer kannte, wird mir m.E. zu sehr ausgeschlossen. Ich würde es eher akzeptieren, wenn die Taten auf ganz London verteilt gewesen wären. Wir haben es aber nur mit einem winzigen Teil an Gegend zu tun. Und für jemanden, der Nacht für Nacht unterwegs war, auf kleinem Raum, der dürfte Opfer oder spätere Opfer, hier und da schon einmal begegnet sein. Inwieweit man "gekannt" definieren sollte, überlasse ich jedem selber.

Eine Quelle, ich kann sie jetzt nicht benennen, sagte über einen Verdächtigen aus, dass er niemals einen bestimmten Radius verliess und das innerhalb vieler Jahre.

Mit Sicherheit hatte der Täter eine ausgereifte Fantasie, was seine Tötungs- und Verstümmelungsabsichten betraf. Dazu muss man extrem gestört sein. Da wo er lebte, sollte sein Traumata immer und immer wieder angeregt worden sein. Besonders in den Tatnächten. Sprich also Prostitution, Alkohol, Gewalt, Hetze, aufwiegelnde Gespräche,Armut, Schmutz, Gestank und Unterversorgung in jeglicher Hinsicht. Wurde er in solchen Nächten "allein gelassen", hätte ihn nichts mehr von seinen kranken Fantasien abgehalten. Ich denke, dieser Mann wußte schon, dass er sehr krank war.

Hätte man ihn aus diesen Bedingungen herausgenommen, wäre die Wahrscheinlichkeit zu morden sicherlich gesunken, was aber nicht heißt, dass er damit aufgehört hätte. Ein Aufenthalt in einer Anstalt hätte diesen Mann hin- und wieder auch "gut getan".

Der Drang, abgeschieden seine Taten zu begehen sehe ich auch von Anfang an. Zählt man Tabram dazu (Indoor), dann war das Tor neben Nichols "leider" verschlossen, Chapman und Stride lagen in Höfen, Eddowes wieder vor einem Zaun in der dunkelsten Ecke. Über Emma Smith wissen wir zu wenig.

Kelly war nun eine Prostituierte, die einen eigenen Raum hatte. Sie war vom Leben, vom Alkohol und der Prostitution noch nicht so gezeichnet. Ihr Körper ließ sich besser verkaufen als der von den anderen Opfern. Aber auch sie hätte in 10-15 Jahren so ausgesehen, wie Tabram, Nichols, Chapman, Stride oder Eddowes.

Das Ziel des Rippers war die vollkommende Zerstörung eines Frauenköpers, hauptsächlich wohl der einer Prostituierten. Eines Körpers, der so war wie der von Nichols, Chapman, Stride oder Eddowes. Aber vielleicht auch eines Körpers, der so irgendwann werden würde (Kelly). Wir kennen aber eben nicht die Fanatsie des Rippers und können nur spekulieren. Das Alter der Opfer dürfte schon eine große Rolle gespielt haben und er sah vielleicht in seiner Fanatsie eine Möglichkeit, das "fehlende Alter" zu "kaschieren". Ich weiß es nicht...

So ein Täter lernt natürlich, von Mal zu Mal. Kelly war sicherlich die Endfantasie dieses Mannes. Der Druck, erwischt zu werden, erkannt zu werden oder gar schon befragt oder verdächtig worden zu sein, trieb in möglicherweise auch zur Eile und erhöhter Sicherheit. Das Risiko was er sich jedesmal aussetzte, war ihm, wenn auch im Nachhinein, sicherlich annähernd bewußt. Jeder jagte ihn.

Ich warne davor, solche Dinge schwarz- weiss zu betrachten. Eine Fanatsie ist eine Fantasie und ganz sicher nicht ganz so eine feste Größe, wie wir manchmal glauben.

Aber seine Endfantasie, mit einer Prostituierten an einem sicheren Ort, in einem sicheren Raum, alleine zu sein war schwer umzusetzen. Bordell ging nicht, seine eigenen vier Wände muss er auch ausgeschlossen haben, "normale" Frauen daheim auch, da blieben ersteinmal nur dunkle Ecken, Hinterhöfe etc. Die Chance, dass ihn eine Prostituierte mit Heim nahm, dürfte gering gewesen sein. So oft kam das eben nicht vor. Aber steter Tropfen höhlt den Stein...

Aber sollte der Ripper, nachdem er wirklich einige Male enormes Glück hatte (Können war das nicht!), ein weiteres Mal dieses Glück in Anspruch genommen haben? Eine Prostituierte mit einer eigenen Wohnung in einem Hinterhof einfach so zu treffen? Einen richtigen Fehler hat der Ripper schon in der Berner Street begangen. Zu früh, zu viel Betrieb zu jener Uhrzeit. Hätte sich das so relativieren dürfen?

Ich denke, dass er angefangen haben könnte, spezieller nach so einer Prostituierten Ausschau zu halten. Diesen eigene Räumlichkeit als Priorität zu setzen. Andere Dinge (wie das z.B. das Alter) hinten anzustellen.

Kelly ist natürlich voller Geheimnisse Isdrasil, da stimme ich dir zu. Die ordentlich zusammengelegten Kleider etc., war Sie es selber oder war es das Werk des Täters? Überfiel er sie mit einem Einbruch oder nahm Sie ihn mit heim? War es ein Überfall an der Tür?  Wußte er, dass er nur durch das kaputte Fenster greifen brauchte? Kannte er Sie? Traf er sie vorher in der Nacht? War er früher in der Nacht schon daheim bei ihr? Oder hatte er einfach nur das Glück, dass ihm endlich solch ein Opfer über den Weg lief? Soviel Glück ist mir auch für den Täter zu viel. Wahrscheinlich war es so, intuitiv würde ich sagen, er hatte sich eher "erkundigt". Aber seine Opfer mehrmals oder wenigstens zweimal in der Nacht angetroffen zu haben, ist das so auszuschließen? Betrachtet man bestimmte Berichte, falls sie denn stimmen, hat Nichols ihren späteren Mörder nicht schon zwei Stunden vorher getroffen? Ist Stride nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zwei- oder mehrmals von einem Mann angesprochen worden? Kannte Stride diesen Mann nicht gar recht gut oder konnte ihn zumindestens einordnen? Hatten Eddowes und Kelly tatsächllch einen Mann gekannt, den sie diese Taten zutrauten?

Trotzalledem, Jack the Ripper war, auch wenn man hier und da Zugeständnisse machen muss, ein Gelegenheitskiller.
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Offline Lestrade

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #228 am: 21.12.2011 12:26 Uhr »
Hi Isdrasil!

Habe erst gepostet und dann deinen Beitrag gelesen.

Ja, ein Szenario, wie ich es mir auch vorstellen könnte.

Vielleicht hatten alle Opfer etwas gemeinsam, außer den üblichen Gemeinsamkeiten, was wir noch garnicht bemerkt haben oder garnicht erkennen können, weil nur der Täter es so sah.

Was meinst Du dazu?
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Offline Isdrasil

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #229 am: 22.12.2011 12:22 Uhr »
Hi

Ja, kann ich mir auch vorstellen. Könnte etwas sein, was man im Verhalten, im Charakter oder in der Körpersprache der Opfer suchen müsste...
Leider können wir das am wenigsten nachprüfen.

Ich finde interessant, dass Du der Meinung bist, der Ripper hätte schon länger in einem Raum morden wollen, denn das ist genau entgegengesetzt meiner Meinung  ;)
Ich glaube immer noch, im Mord an Kelly Stress ablesen zu können, und immer noch finde ich diesen Wechsel von einer gewissen zielgerichteten Professionalität hin zu einem regelrechten Gemetzel bemerkenswert. Ich denke nicht, dass es daran lag, weil der Täter mehr Zeit hatte. Eddowes, Chapman, Nicholls - alles Morde, die auf mich einen abgeschlossenen Eindruck machen. Hier war ein Täter am Werk, der ganz einfach "fertig" mit der Ausführung war. Es gibt keine Verletzung, die - wie soll ich sagen? - unvollendet erscheint. Nun kann man sagen, der Täter hätte die Beats der Polizei gekannt, aber andererseits gab es in Nähe der Tatorte keine Uhr, und ich mag mir keinen Täter mit Taschenuhr vorstellen. Er hatte also aufgehört, als es ihm sein Bauchgefühl sagte, als er den Punkt für richtig empfand. Und ich glaube nicht, dass er die Taten unbefriedigt verliess.
Deswegen denke ich ganz persönlich, dass der Ripper bei Kelly eher in die Situation gedrängt wurde - möglicherweise gefiel es ihm, auch mal eine attraktive Prostituierte an der Angel zu haben. Doch dann ging es in die Wohnung von Kelly. Ungewohnt. Dann auch noch ein relativ beengter Raum in einer Sackgasse. Denke nicht, dass ihm das gefiel. Ich halte den Täter für einen Freiluftmörder aus Leidenschaft. Der Gedanke an die Passanten, die die Opfer entdecken, dürfte ihm Spaß bereitet haben. Der Ripper wird versucht haben, den Abend "normal" ausklingen zu lassen, war hin und hergerissen zwischen seiner Mordlust und diesem unbehaglichen Gefühl in dieser Situation. Und dann, durch irgendeinen bestimmten Auslöser, rastete er doch aus - der Outbreak. Geprägt von Stress, Raserei, Wut. Dazu noch die angesprochene persönliche Atmosphäre. Der ganze Abend war einfach nicht so gelaufen wie er das wollte. Und Kontrolle ging ihm über alles.

Mir geht leider gerade die Zeit aus (dumme kurze Mittagspause  :mad:), und ich würde gerne noch auf mehrere Punkte von Dir eingehen...aber wir haben ja alle Zeit der Welt.  ;)

Grüße, Isdrasil

PS: Wie denkt eigentlich der Rest darüber? Wollte der Ripper überhaupt so ein Opfer wie Kelly? Gefiel ihm die Situation (Persönlichkeit, Innenraum)? Was meint ihr?

Offline Lestrade

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #230 am: 22.12.2011 14:41 Uhr »
Soweit liegen wir garnicht auseinander Isdrasil:

Aber seine Endfantasie, mit einer Prostituierten an einem sicheren Ort, in einem sicheren Raum

Der Drang, abgeschieden seine Taten zu begehen sehe ich auch von Anfang an.  (Den Drang... eigentlich)

Ich meinte damit nicht speziell ein Zimmer, so etwas gehört aber natürlich mit dazu. Letztendlich ergab es sich aber so tatsächlich.

Serientäter lernen dazu. Von Tat zu Tat. Durch ihre "Erfolge" werden sie selbstbewußter, sicherer, probieren noch mehr aus. Aus einem Serientäter wird ein routinierterer, erfahrenerer Mörder.

Er hatte also aufgehört, als es ihm sein Bauchgefühl sagte, als er den Punkt für richtig empfand.

Hier war ein Täter am Werk, der ganz einfach "fertig" mit der Ausführung war. Es gibt keine Verletzung, die - wie soll ich sagen? - unvollendet erscheint.

Ja, richtig. Stride dürfte die Ausnahme gewesen sein. Nichols, Chapman und natürlich Eddowes könnten in der Tat für ihn "ausreichend" gewesen sein. Ungefähr wußte er ja, was er erwarten konnte, von den Orten und an Zeit versteht sich.

Wie soll ich dir das am besten erklären:

Nimm einen durchschnittlichen Menschen. Er fängt irgendwo als Helfer an. Er arbeitet sich vor, bis er ein gleichwertiger Arbeiter ist, wie eine Fachkraft eben. Das motiviert ihn, er erarbeitet sich eine Stelle als Vorarbeiter. Da läuft es so gut, dass er eine Abteilung leiten darf. Zum Schluß gehört er zu den obersten Chefs. Aber war im Unterbewußtsein nicht genau das sein eigentliches Ziel? Träumte er da nicht schon als jugendlicher/junger Mensch von? Konnte er sich das überhaupt jemals so bewußt machen? Wußte er, dass seine Fantasie, sein Traum, tatsächlich für ihn machbar war? Oder spürte er das erst nach und nach?

Ähnlich, wenn auch auf eine kranke, gestörte und von fehlenden positiven Gefühlen inspirierte Art und Weise, könnte das auch der Ripper erlebt haben.

Er fängt an Tiere zu quälen, er ergötzt sich daran Frauen zu bedrohen, ihre Angst dabei zu sehen. Er wendet erste körperliche Gewalt an. Beginnt zu würgen. Irgendwann ist ein Messer o.ä. mit im Spiel. Seine Macht über Frauen beginnt zu wachsen. Er könnte jemanden wie Emma Smith verletzt haben, auch auf diese Art und Weise. Dies könnte noch eine unbeholfene Art sein, tatsächlich auch töten zu wollen. Aber er wird letztendlich ihren Tod schon mitbekommen haben. Bei jemanden wie Tabram würde ich aber noch eher auf negativen Stress setzen als im Vergleich zu Kelly. Wenn, wäre das wohl die unbefriedigenste Tat gewesen. So richtig war er da noch nicht im morden drin. Hört sich schrecklich an oder? Vielleicht hat er sich aber hier, an dieser Stelle einen Job oder auch Nebenjob gesucht, wo er "üben" konnte. Als Schlachterhelfer z.B. Nichols würde dann das allererste Mal zeigen, auf was er es wirklich abgesehen hat. Auf Verstümmelung, Zerstörung alles fraulichen, erst symbolisch dann aber auf die gänzliche Frau bezogen. Beinhaltet m. E. einen Fetisch was Organe angeht, so widerlich es auch klingen mag, aber Verstümmelung und solche Dinge, gehen wohl Hand in Hand. Und so erweiterte es sich von Chapman über Eddowes zu Kelly.

Kelly wäre praktisch die Chefposition, dieses oben erwähnten, durchschnittlichen Menschen gewesen. Irgendwo auf ihrem Weg, haben beide gemerkt was möglich wäre. Wo und wann auch immer. Davon könnten sie geträumt haben, inwieweit bewußt oder unbewußt, sei dahingestellt. Ich glaube nicht, dass des Ripper´s Schicksal, als es die entscheidene Wende nahm, ihn glauben ließ, seine Fantasie könnte Wirklichkeit werden. Das ergab sich dann halt, lapidar gesagt. Genau wie die Helferstelle meines imaginären Beispiels, eine Chefposition wurde. Geträumt ja, geglaubt nicht.

Ich hoffe, du kannst mein Beispiel verstehen.
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Offline Isdrasil

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #231 am: 22.12.2011 17:24 Uhr »
Hi Lestrade

Ich verstehe deine Beispiel sehr gut, hast es ja auch anschaulich beschrieben. Und natürlich wachsen in jedem von uns mit jeder weiteren Stufe der Entwicklung weitere Gedanken, die zu Träumen und Fantasien werden und auf die Verwirklichung warten. Ich glaube, das kann man auf beinahe jeden Lebensbereich beziehen...ich muss allerdings bei diesem Beispiel auch an das sogenannte "Peter-Prinzip" aus der Betriebswirtschaft denken. Es besagt, dass in den oberen Etagen der Firmenhierachie wesentlich mehr unqualifizierte und unglückliche Menschen zu finden sind als in den Unteren. Denn: Ein Mensch wird solange befördert, bis seine Fähigkeiten nicht mehr zur nächsten Beförderung ausreichen oder er von sich aus keine Beförderung anstrebt. Stillstand ist die Folge, in der Betriebswirtschaft geistig und innovativ, denn es fehlt ganz einfach an Motivation.
Und ich frage mich, ob wir im Hinblick auf diesen Mechanismus nicht einen bedeutenden Fehler machen: Wir setzen gesteigerte Brutalität mit größerer Befriedigung gleich. Muss ja auch so sein - der Täter ist ein Monster, ein Unmensch. Je bestialischer es zugeht, umso mehr muss es ihm ja gefallen. Aber ist das wirklich so? Was ist, wenn es dem Täter gar nicht um diese brutale Wut geht, die bei Kelly zu finden ist? Was ist, wenn Kelly nur ein "Ausrutscher" war - nicht die Krönung, nicht die ultimative Befriedigung, sondern eher ein ernüchterndes Erlebnis für den Täter? Wenn diese Wüterei nur etwas damit zu tun, dass der Täter gefrustet war?
Ich bin noch am Überlegen. Aber wenn mich derzeit jemand frage würde, welcher der kanonischen Fünf meiner Meinung nach der perfekte Mord für den Täter war, ich würde sagen: Eddowes. Ohne zu zögern...(und schon wieder eine neue Frage für die nächste Umfrage  ;))

Grüße, Isdrasil

Offline Lestrade

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #232 am: 22.12.2011 20:03 Uhr »
Ich finde das sehr, sehr interessant was du da eben geschrieben hast Isdrasil! Mit Eddowes würde ich dir sogar zustimmen. Intuitiv denke ich eigentlich genauso. Überhaupt sind alle deine Ausführungen gerade besonders interessant.

Ich fühle mich zwar nicht sicher, wenn ich von einigen meiner gefestigten Vorstellungen abschweife aber ich kann mich ja mal darauf einlassen.

Es gab auch meinerseits die Überlegungen, ob der Täter bei Kelly nicht vollkommen ungeplant soviel Zeit hatte und letztendlich die Verteilung dieser unglücklichen, so bedauernswerten Frau im ganzen Raum, am Ende eher aus "Langweile" geschehen sein könnte. Etwas, mit was er g a r n i c h t gerechnet hatte. Statt zu gehen und Sie so zurückzulassen, wie Eddowes, blieb er einfach. Dies würde sogar meine These, eines wirklich unorganisierten, speziell geisteskranken Täters unterstützen. Er stoplerte quasi in diese Situation, ohne wirklich damit gerechnet zu haben. So wie Du Eddowes als der perfekte Mord für den Täter war siehst, so sehe ich auf eine Art, manchmal auch Kelly als "unnötig überverstümmelt" an. Dies würde die These der vollkommenen Zerstörung einer Frau widerlegen. Genug Zeit dafür hatte er ja eigentlich. Natürlich würden wir nicht wissen können, was ER darunter verstanden hatte aber war er vielleicht schon gar "fertig" mit seinem Opfer, so wie er Eddowes zurückgelassen hatte? Eben dein wenn Kelly nur ein "Ausrutscher" war ?

Für mich interessant ist, ob nun in deine oder meine Richtung tendierend, dass, wenn der Täter so ausrutschte, er in einem sehr schlimme geistigen Zustand abgetrifftet sein könnte, der auch anderen nicht verborgen geblieben wäre.

Tolle Anregungen.

Gruß.

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Stordfield

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #233 am: 22.12.2011 21:39 Uhr »
Hallo ihr Zwei!

Ich war eigentlich schon immer der Meinung, dass der Kelly- Mord nicht unbedingt eine exzessive Steigerung der Brutalität sein muss, sondern, dass besondere Umstände (z. B. anderes Opfer- Schema, andere Tatort- Situation) ihn und seine Phantasien in eine unerwartete, nicht berechenbare Situation brachten. Alles war hier plötzlich anders, nur der Drang war der gleiche. Könnte es nicht sein, dass er "überfordert" war, dadurch das erste Mal völlig die Kontrolle verlor?

Gruß Stordfield

Offline Anirahtak

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #234 am: 23.12.2011 01:36 Uhr »
Zitat von: Isdrasil
...
 
PS: Wie denkt eigentlich der Rest darüber? Wollte der Ripper überhaupt so ein Opfer wie Kelly? Gefiel ihm die Situation (Persönlichkeit, Innenraum)? Was meint ihr?
Ich meine, Kelly wurde nicht wegen ihres Alters oder ihres Äußeren zum Opfer, sondern wegen ihres Zimmers. Dazu muss man dann natürlich auch der Meinung sein, dass Stride ebenfalls Ripper-Opfer war. Nach dem Doppel-Mord, als er darüber geschlafen hatte und adrenalinmäßig wieder "runtergekommen" war, leuchtete ihm ein, dass allzuviel Übermut Eigengefährdung mit sich bringt. Leider konnte ich bislang nicht in Erfahrung bringen, wie üblich es war, dass Prostituierte eigene Zimmer hatten, in denen sie arbeiten konnten. Kelly war schon im Rückstand mit der Miete und ich gehe mal davon aus, diese Arbeitssituation war für Prostituierte eher die Ausnahme. Eine eher große Ausnahme. Sie kam ja auch erst durch ihren Lebensgefährten dazu und als der weg war, kam sie mit der Miete in Schwierigkeiten. Insofern wäre es zusätzlich ein großer Zufuall, dass er sich mit geändertem Opfer-Schema auch noch eines mit Zimmer ausgesucht hätte. Genau umgekehrt wird für mich ein Schuh daraus: Der Ausgangspunkt war ihr eigenes Zimmer, er hat bei der Opferauswahl die Eigengefährdung stärker berücksichtigt als zuvor und da es nur sehr wenige potenzielle Opfer mit eigenem Zimmer gab, wird es ihm relativ gleich gewesen sein, ob er sein übliches Opfer-Schema präzise einhalten kann. (Alter und Aussehen könnten ihm übrigens auch zuvor schon nebensächlich gewesen sein - Hauptsache eine Frau. Und am leichtesten erreichbar waren ältere, möglichst betrunkene Prostituierte, die bei ihrer Freierauswahl selbst nicht mehr allzu wählerisch sein konnten.)

Dass zwischen ihm und Kelly irgendwelche Romantik aufgekommen wäre, bezweifle ich. Sie brauchte dringend Geld und ging anschaffen, fertig. Aber es ist natürlich richtig, dass er durch den Aufenthalt in ihrem persönlichen Bereich mehr von ihr als Person wahrnehmen musste. Soweit ich weiß, ist das Serienmördern unangenehm, weil es sich hemmend auswirkt, wenn das "Objekt" zur Person wird. Das wiederum könnte Wut ausgelöst haben. Ansonsten sehe ich es ähnlich wie Stordfield. Der anfängliche Vorteil zu den vorherigen Tatorten, nicht möglichst schnell abhauen zu müssen, könnte nach einer Weile in Überforderung gemündet sein.
« Letzte Änderung: 23.12.2011 01:47 Uhr von Anirahtak »

Offline Shadow Ghost

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #235 am: 23.12.2011 08:40 Uhr »
Ich denke auch, dass Kelly wegen ihres Zimmers ein bevorzugtes Opfer war. Auf der Straße zu morden, dürfte dem Täter einfach zu "Heiß" geworden sein, da sich spätestens nach dem Doppelmord die Aufmerksamkeit der Bevölkerung und der Polizei deutlich erhöht haben dürfte.
Ein entscheidender Unterschied dürfte demnach gewesen sein, dass der Mörder bei Kelly erstmals halbwegs brauchbare Lichtverhältnisse gehabt haben dürfte. Ich nehme an, dass er dabei zum ersten Mal das Gesicht seines Opfers nach der Tötung bewußt wahrgenommen hat. Und ich denke, darin liegt der Schlüssel zu den extremen Verstümmelungen des Gesichts. Ich bin kein Mediziner, doch ich vermute, dass nach der Tötung die Muskeln entspannen, und Kellys Gesicht dadurch einen eher "friedlichen" Eindruck gemacht hat. Dies könnte einen Täter wie Jack the Ripper provoziert haben, ging es ihm doch wahrscheinlich auch darum, "Angst und Schrecken" zu verbreiten. Ein friedlicher Gesichtsausdruck seines Opfers passte da nicht zu seinem Drehbuch, in dem er ein angstverzerrtes Gesicht erwartet haben dürfte. Darüber erbost, kam es zu den Verstümmelungen. Aber - wie immer - ist das nur eine Vermutung.

Viele Grüße,
Shadow Ghost

Offline Isdrasil

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #236 am: 23.12.2011 12:59 Uhr »
Hi

Ich muss sagen, da merkt man wieder mal, was diesen Fall zu kompliziert und damit auch interessant macht: Jede unserer Meinung klingt ganz einfach in sich logisch und schlüssig, und jede unserer Meinungen bringt andere Aspekte und Möglichkeiten zum Vorschein. Verzwickt, aber ich mag das!  ;)

Ich versuche mal kurz, einen gemeinsamen Nenner unserer Ansichten zu finden. Hoffe, es gelingt mir.
Wenn man unsere Posts so durchliest, sei es nun Lestrades "Langeweile", Stordfields und Anirahtaks "Überforderung", Shadow Ghosts "Suche nach Sicherheit" oder mein "Stress", eine Sache haben sie alle gemeinsam: Es geht um negative Gefühle, um das Problem jedes Serientäters - nach einer gewissen Zeit macht das Gefühl der Gottgleichheit und das Machtgefühl anderen Gefühlen Platz, Angst vor dem Erwischtwerden, dem Ende, Angst vor Unvorhergesehenem. Die Performance verliert ihre Sicherheit. Und ich glaube, ganz egal wie es jeder Einzelne von uns begründen mag, dass dies der große Unterschied bei Kelly ist. Wir alle spüren, dass der Täter hier aus welchem Grund auch immer in seiner Sicherheit erschüttert war. Shadow Ghosts Aspekt mit dem "friedlichen Gesicht" fand ich hier auch sehr bemerkenswert. Kelly scheint aus der Reihe getanzt zu haben, durch neue Tatumstände, andere Umstände im East End etc. Für den Täter war dies sozusagen der erste "neue Mord", der erste Mord einer andersartigen Performance. Ob man nun meint, es habe ihm gefallen oder nicht, diese Tat ist jedenfalls für den Täter neues Gebiet, und dies wirkt sich auf seine Sicherheit aus - egal, ob er nun etwas souveräner damit umgeht oder nicht. Das ist unser Nenner - korrigiert mich, wenn ich mich täusche...oder wenn es eurer Meinung nach diesen Nenner gar nicht gibt...und natürlich kann sich jeder von uns auch eine andere Begründung vorstellen...also ist die Sache mit den gemeinsamen Nenner eh überflüssig. Ach, keine Ahnung...

 :blum1:

Grüße, Isdrasil

Southwark

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #237 am: 23.12.2011 21:06 Uhr »
Abgesehen vom Gesicht irritieren mich seit jeher die Verstümmelung der Beine.
Warum wurde der Oberschenkel bis zum Knochen "freigelegt" ?

Gab es solche Verstümmelungen der Beine eigentlich auch bei anderen Serientätern ?

Offline Isdrasil

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #238 am: 26.12.2011 21:04 Uhr »
Hi Southwark!

Die Verstümmelung der Beine ist wirklich eine wesentlich kompliziertere Sache. Muss auch sagen, dass mir aus dem Gedächtnis kein Serientäter einfällt, der die Beine derart entstellte.
Ein Abtrennen der Beine ja, aber das Abschälen des Fleisches von den Knochen? Das kenne ich persönlich jetzt nur aus Fällen von Kannibalismus, bei denen das Opfer aber jeweils zuhause beim Täter sein Ende fand.

Grüße, Isdrasil

Stordfield

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Re: Warum diese Entstellungen im Gesicht?
« Antwort #239 am: 27.12.2011 17:52 Uhr »
Hallo!

Speziell im Kelly- Fall scheint mir Kannibalismus nicht ganz abwegig zu sein.

Gruß Stordfield