Seit fast 120 Jahren wird versucht, die grauenvollen Morde aufzuklären, die 1888 London erschütterten. Karsten Flohr über die neusten Recherchen und den Mann, der ihn neun Wochen fünf Frauen massakrierte
WAR JACK THE RIPPER EIN DEUTSCHER?
"Jede Gesichte hat verborgene Details" - "Jack the Rupper war eines der Themen bei Galileo Mystery, auf die ich mich am meisten gefreut habe. Natürlich wurde über diesen Serienmörder schon viel geforscht und geschrieben. Aber jede Geschichte hat verborgene Details, die unbemerkt bleiben. Zum Beispiel bei einem der fünf Verdächtigen: dem so genannten Elefantenmenschen. Im Royal Hospital in London liegen seine Original-Krankenunterlagen bis zum heutigen Tag. Wir sind hingefahren und konnten sie einsehen. Aus den Daten und Fakten der Unterlagen haben wir ein spannendes Experiment abgeleitet, das letztendlich dessen Unschuld beweist. Und so betrachteten wir die fünf Hauptverdächtigen nach dem Ausschlussverfahren, bis nur noch zwei übrig geblieben sind - und von denen kommt nach menschlichem Ermessen nur einer infrage." - Aiman Abdallah, Moderartor Galileo Mystery
Richmond, USA 2007: Wenn Patricia Cornwell (51), Amerikanerin, Millionärin und Krimiautorin, in ihrem Haus in Virginia im Wohnzimmer sitzt, fällt ihr Blick auf ein teures Gemälde. Es stammt von einem Impressionisten, sie hat es vor sechs Jahren erstanden. Es ist ein Selbstporträt des deutschen Künstlers Walter Sickert (1860 bis 1942), der in London lebte und malte. Patricia Cornwell: "Wenn ich das Bild ansehe, sage ich manchmal zu ihm: Du entkommst mir nicht."
London, 1888. Die Stadt erstickte in Enge, Dreck und Armut. Ein Fünftel der 5,6 Millionen Einwohner war arbeits- und obdachlos. Verwahrloste Frauen und Kinder verkauften auf offener Straße ihre Körper für ein paar Pennies. Ein Penny reichte, um die Nacht im Common Lodging House verbringen zu dürfen, im Stehen schlafend, an eine Wäscheleine gelehnt. Am Morgen mussten sie wieder raus in die engen Gassen des Armenviertels Whitechapel, hoffend auf einen Schluck Gin, der den Tag erträglicher macht. Denn ihr Leben war die Hölle.
Aber es wurde noch schlimmer. Am 31. August 1888 begann die Zeit, die als "Autumn of Terror" in die Geschichte Londons eingehen wird. Zwei Monate, in denen ein Mann erst die Stadt und dann das ganze Land in Todesangst versetzte: Jack the Ripper, wie er sich selbst nannte, der Frauen im Dunkel der Nacht auflauerte, ihnen die Kehlen durchschnitt, sie verstümmelte und ausweidete, der in seinen Bekennerschreiben sagte, er werde dem Elend ein Ende machen.
Der Rock der Frau war hochgeschoben
Charles Andrew Cross verließ seine Wohnung in der Doveton Street 22 am Morgen des 31. August gegen 3.20 Uhr und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Kurz darauf gesellte sich sein Freund Robert Paul dazu. Sie gingen die Buck's Row entlang, als sie im Schummerlicht der Straßenlaterne eine Wagenplane liegen sahen. Als sie näher traten, erkannten sie, dass die Plane eine Frau war. Die Kleiner waren bis zum Bauch hochgeschoben, ihre Haube lag neben ihr auf dem Kopfsteinpflaster. Die Männer berührten ihre Hände. Sie waren eiskalt. Sie bedeckten die Beine der leblosen Frau und rannten los, um einen Police Constable zu suchen.
Mary Ann Nichols (42), so hieß die Tote, hatte einen Bluterguss am rechten Unterkiefer und einen Riss in der Zunge. Der Hals wies zwei tiefe Einschnitte auf, der eine zehn Zentimeter lang, der andere zwanzig. Sie hatte Schnitte quer über den Unterleib, Stiche im Intimbereich. Wie viel sie davon bei Bewusstsein erlitt, kann die Obduktion nicht feststellen. Auch nicht, ob es einen Kampf gab. Es ist nur klar, dass alles sehr schnell gegangen sein muss. Niemand in der Nachbarschaft hat etwas gehört. Viele jedoch haben Mary Ann am Abend zuvor noch gesehen, wie sie in den Pubs mit Freiern sprach, wie sie mit ihnen auf dern Hinterhof ging, wie sie zurückkam und sich von ihrem Lohn Gin kaufte.
Ganz ähnlich war es eine Woche später. Als der Arbeiter John Davis um 5.55 Uhr die Pension in der Hanbury Street 29 verließ, in der er wohnte, fand er Annie Chapman (47) im Hinterhof. Sie lagf auf dem Rücken, die linke Hand auf der linken Brust, die Beine gespreizt. Ihre Kleider waren bis zu den Knien hochgeschoben, die Kehle so tief durchgeschnitten, dass sich der Kopf fast vom Körper löste. Der Täter hatte den Unterleib aufgeschnitten, Organe entnommen und neben die linke Schulter gelegt. John Davis stürzt erst einmal zurück in sein Zimmer, trinkt ein Glas Brandy und holt dann den Constable.
Scotland Yard ahnte schon nach dem ersten Mord, dass dies erst der Anfang war. Ein Brief, der erste von 400, die mit "Jack the Ripper" unterzeichnet waren, erreichte die Polizei am nächsten Tag: "Ich muss etwas mehr haben. Ich will mehr Blut bei der Arbeit." Die Öffentlichkeit erfuhr die Wahrheit erst nach dem zweiten Mord, nach Annies Tod. Bis zum 9. November tötete der "Ripper" drei weitere Frauen, von Mal zu Mal brutaler. Mary Jane Kelly (25), das letzte Opfer der "kanonischen Fünf", war kaum mehr zu identifizieren. Alle fünf Frauen waren Prostituierte, Alkoholikerinnen, obdachlos, in Whitechapel gestrandet. Die Zeitungen entfesselten eine Orgie an Horrorgeschichten samt grausigen Zeichnungen, veröffentlichten Details, die Scotland Yard ihnen bereitwillig zur Verfügung stellte. Lediglich die Fotos, die im Leichenschauhaus entstanden, wurden nicht freigegeben. London kannte nur noch ein Thema: "Jack the Ripper"
Ende des ersten Streichs, doch der zweite folgt sogleich :-) Un momento, per favore...