Hi.
Da der generelle Geräuschpegel (also jener der generellen Geräuschkulisse) im Miller´s Court damals mit dem in einer ähnlichen heutigen Nachbarschaft nicht vergleichbar ist, ist prinzipiell anzunehmen, dass man neben dem Schrei auch einiges andere hätte hören können, aber der Geräuschpegel hat oftmals letztlich nur einen geringen Einfluss auf die auditive Wahrnehmung und deren subjektiver Verarbeitung und Deutung. Das hängt eben auch jeweils vom ´Hörer´ ab. Es gibt bei auditiver Wahrnehmung gerade auch auf mnemo-perzeptiver, psychomotorischer und semantischer (und nicht nur rein akustisch und baulich bedingter) Ebene derart viele Effekte, dass es ein leichtes ist, auch prinzipiell auffällige Schallereignisse deshalb subjektiv völlig zu ´überhören´ - sogar, wenn sie an sich laut genug sind, oder in einem geeigneten Frequenzbereich liegen, um sich von anderen Geräuschen der allgemeinen Geräuschkulisse klar abzuheben. Die meisten wahrgenommenen Geräusche werden daher auch wieder schlichtweg vergessen und es macht zudem einen extremen Unterschied, ob jemand wie Elisabeth Prater in seinem (ihrem) ´sicheren´, privaten Umfeld Geräusche von ´außen´ kommend wahrnimmt, die für sie selbst keine Bedrohung darstellen, oder ob man sich selbst ´in freier Wildbahn´ befindet, und selbst von der Gefahr, die das Geräusch indiziert, betroffen werden könnte. Zudem sind viele (vor allem niederfrequente) Töne, Klänge & Geräusche gerade in der Stadt schwer näher lokalisierbar, selbst, wenn sie ihre Quelle im selben Gebäude haben (vor allem auch bei verbarrikadierter, geschlossener Tür). (Interessant wäre ja der genaue Aufbau mit den Trennwänden und der Decke zwischen Kellys und Praters Raum sowie dem Aufgang, zumal man ja auch letztlich nicht nur mit den Ohren hört. Zudem kennen wir Praters Position und Kopfhaltung leider nicht...) Prater hätte generell, für den Fall, dass überhaupt etwas hörbar war, schon auch eine dementsprechende Assoziationskette herstellen müssen, um ihre Aufmerksamkeit zu verändern. Den Streit von Kelly und Barnett einige Tage zuvor, bei dem das Fenster kaputtging, hat aber zum Beispiel scheinbar auch niemand als sonderlich ´verdächtig´ empfunden – und es wäre doch stark anzunehmen, dass dieser zumindest von irgendjemandem in der Nachbarschaft gehört wurde. Ein gutes Beispiel für eine bewusste Wahrnehmung ist die von Mary Ann Cox: Sie hat in der Mordnacht Schritte im Hof gehört, allerdings zu spät für jemanden, der zu seiner Arbeit am Markt aufbrach, und trotz ihrer auf üblichen Erfahrungen basierenden Erwartung keine Tür, die sich schloss, wodurch ihr das Gehörte auffälliger erschien und dementsprechend auch im Gedächtnis blieb. Wenn sie also etwas hörte, ging sie damit (ob bewusst oder unterbewusst) scheinbar generell reflektierter um als Prater (die das an sich auch zugab), allerdings hat Cox den ´Murder´-Schrei wohl leider nicht gehört, oder es gab vielleicht (ebenfalls) auch noch eine Art von Verdeckungs-, Auslöschungs- oder Verdrängungseffekt (oder eine Kombination).
Dass die ´Verstümmelungen´ wirklich hörbar waren, würde ich eher bezweifeln. Wenn, dann hätte Prater eben wohl eher das Verschieben von Möbeln wahrnehmen müssen, sofern so eines stattfand. Eventuell, aber unwahrscheinlicher, auch das Feuer im Kamin. Ich denke - wie Damien - auch, dass Prater in jener Nacht als Ohrenzeugin nicht gerade sehr brauchbar war. Im Gegensatz zu ´Diddles´, oder wie hieß ihre Katze noch mal?
Dann wäre da aber noch die Anmerkung, dass der Schrei mit ´schwacher (kraftloser / undeutlicher) Stimme´ erfolgte. Generell könnte ich mir schon vorstellen, dass es in etwa so ablief, wie Damien es beschrieb – womöglich hat der Täter das Laken aber auch schon vor dem Kehlschnitt über Kellys Kopf gezogen, worauf auch die Untersuchung von Dr. Bond hinwies.
Was den Schrei selbst betrifft: Ich habe neulich auch in Zusammenhang mit irgendeinem ganz anderen Fall aus London in einem Buch gelesen, dass eine Frau, die sich von einem Mann bedroht fühlte, dezitiert angab, ´
Murder!´ und nicht ´
Murderer!´ gerufen zu haben. Leider weiß ich gerade nicht in welchem...
Grüße,
panopticon