Hi Arthur,
Ich griff nur deine Ausführungen auf. Sorry, falls das nicht deutlich wurde. Vielleicht habe ich einfach etwas falsch verstanden.
Das heißt, wir können aus den uns vorliegenden Infos zwar schließen, dass z.B. Kosminski und Levy wahnhaft waren - aber nicht, ob JTR wahnhaft war.
Es wäre nur dann eine korrekte Schlussfolgerung, wenn es bei den Taten von JTR selbst deutliche Hinweise auf wahnhafte Aspekte gäbe (was m.E. bisher nicht der Fall ist) - oder wenn die Polizei und wir tatsächlich den Richtigen verdächtigt und ihn als Täter überführt hätten.
Bis dahin gibt es aber auf der einen Seite das Profil von JTR und auf der anderen Seite die einzelnen Profile der Verdächtigen.
Noch einmal konkreter meine Frage:
Im Falle von JTR, wenn er eine Wahnerkrankung hatte, wie wäre sie sichtbar geworden, deiner Meinung nach? Im andere Falle, Richard Chase, der nachweislich Geisteskrank war, welche wahnhaften Aspekte erkennst Du? Für die Profiler ist in vielen Fällen klar, in diesen Beispielen war ein geisteskranker Täter am Werk. Was sehen sie, um zu dieser Einschätzung zu kommen, was du nicht erkennen kannst? "Verhalten spiegelt Persönlichkeit" und aus dem Verhalten von diesen Tätern schlossen die Ermittler ihre Rückschlüsse.
Unterscheidung der Tätermerkmale beim organisierten und desorganisierten Tätertypus (Holmes & Holmes 1996, Hoffmann 2002):
Organisierter Täter
- sozial integriert und kompetent
- häufig berufstätig
- wenn isoliert lebend, dann bewusst & gewollt
- gut strukturierter Alltag
- beziehungserfahren
- lebt häufig in fester Beziehung
Desorganisierter Täter
- Verfügt kaum über soziale Fähigkeiten
- in der Regeln nicht berufstätig
- unbewusst und ungewollt isoliert lebend
- im Alltag unstrukturiert, chaotisch
- beziehungsunerfahren
- lebt allein oder bei den Eltern
(sicherlich gibt es Mischformen)
Woran erkannten die Profiler nun, ob es sich bei JTR und bei Chase um einen desorganisierten Täter handelte?
Warum ordnen sie JTR und Chase Geisteskrankheiten zu?
Warum sind diese Profile recht zuverlässig?
Ein Beispiel:
In einem afrikanischen Bürgerkrieg (ich glaube, es war während des Völkermordes in Ruanda) haben Kämpfer an manchen Kontrollpunkten symbolische Straßensperren aus über den Weg gespannten menschlichen Därmen ihrer Opfer hingehängt. Das ist nicht nur bizarr, sondern von zutiefst verstörender Grausamkeit. Dennoch war der Grund dafür keine Wahnerkrankung der Mörder, sondern eiskaltes Kalkül, um gezielt Angst und Schrecken zu verbreiten, vermutlich noch vermischt mit sadistischer Freude.
Ein anderes Beispiel:
Darüber, ob Ed Gein bei seinen Taten zurechnungsfähig war oder die Taten aus einem Wahn heraus beging, gab es nach seiner Ergreifung keine Einigkeit. Zuerst kam er in die Psychiatrie, dann wurde er doch für zurechnungsfähig erklärt und ihm wurde der Prozess gemacht, später kam er wieder zurück in die Psychiatrie.
Ed Gein hatte durch seine erzreligiöse, ihn isolierende Mutter eine schwere Persönlichkeitsstörung und eine schwere Störung der sexuellen Entwicklung hin zur Nekrophilie, so dass er schließlich nach dem Tod seiner Mutter Leichen ausgrub und unaussprechliche Dinge mit den Leichenteilen anstellte, und als ihm die nicht mehr reichten, begann er selber zu töten, damit er frische Leichen hatte. Aber ob er wahnhaft handelte oder doch zurechnungsfähig war, wurde trotzdem gestritten, obwohl man ihn hatte.
Auch ich persönlich tendiere bei JTR eher zum wahnhaft getriebenen Mörder, es ist bei mir aber mehr ein Bauchgefühl als mit handfesten Argumenten aus den Taten bedingt
Ich weiß nicht, ob die Kämpfer in Ruanda unter Serienkiller laufen, die wir hier besprechen, da bin ich gerade überfragt. Bin mir auch nicht sicher, ob diese Menschen ohne Krieg zu Mördern geworden wären und ich weiß nicht, ob einige von ihnen nicht doch Geisteskrank waren. Wenn diese Menschen aus Rache töten, weil man ihre Lieben derart massakriert hatte, gelten vielleicht andere Gesetze. Da bin ich aber überfragt, müsste ich mich (auch erneut) hineinlesen.
Ed Gein war nicht geisteskrank?
Das ist es ja, dein Bauchgefühl und deine Ausführungen konnte ich nicht wirklich gut einschätzen, muss ich zugeben. Durch mein Nachfragen wollte ich wissen, wo Du gerade stehst, um mich besser hineinversetzen zu können. Vielleicht gehst Du deinem Bauchgefühl noch einmal nach. Also wäre es wirklich sehr höflich von dir, meine Fragen an dich zu beantworten und verzeihe bitte, falls ich da bisher nicht ganz folgen konnte, ich habe es wirklich versucht. Wir sind ja alles nur Menschen.
Ketzerisch Fragen in den Raum zu werfen ist doch vollkommen okay, tue ich ja auch gerade auf andere Weise. Profiler wie Ressler (weilt ja auch nicht mehr unter uns), Douglas, Hazelwood, Richards, Cancrini, Harbort und Canter sowie McCrary oder Müller, um einige zu nennen, sollten für uns Fachleute erster Klasse sein, auf deren Wissen und Erfahrung wir beruhigt bauen können. Das habe ich ja auch getan. Ich konnte selber nichts Neues hinzufügen wie auch, ich habe dazu nicht die Fähigkeiten. Meine, dass Canter neulich auf einer Konferenz von einem Psychopathen ausging aber das tun die anderen ja auch plus die Wahrscheinlichkeit, dass JTR eine Geisteskrankheit gehabt haben könnte.
Viele in ihrer Leidenschaft für JTR gehen gar von einem organisierten Verbrecher aus, halten ihn für einen genialen Verbrecher. Das kann ich nicht nachvollziehen, da ein Mensch von solcher Persönlichkeit kein so hohes Risiko eingegangen wäre, nicht solche einen kleinen Bereich gewählt hätte, er seine Opfer versteckt hätte und sich vielleicht auch andere Opfer gesucht hätte.
Der desorganisierter Täter spiegelt sein Inneres nach außen bei seinen Taten. So ein Mensch kann nicht organisiert vorgehen.
Hazelwood sagte (Prime Suspect, Rob House):
We thought that he fits the description of a disorganized-type serial killer because of the locations where he committed four of the five crimes. They were outdoors- they were on the streets or in a courtyard- a very high-risk crime. In other words, whoever this person was, was oblivious to take the risk. All the bodies were quickly discovered. So there´s not a lot of planning that went into these crimes.
I don´t see how anyone who knows anything at all about violent crime can say that was an organized crime.
The disorganized offender also generally uses a "blitz style attack" and kills suddenly, often from behind, as the Ripper probably did. The study noted that a disorganized offender often "depersonalizes the victim. Specific area of the body may be targeted for extreme brutality. Overkill or excessive assault to the face is often an attempt to dehumanize the victim." In addition, with a disorganized killer, "Any sexually sadistic acts, often in the form of mutilation, are usually performed after death. Laura Richards (Prime Suspect/ Rob House):
... the Ripper is "certainly no Einstein. We know that he´s a risk taker, he´s impulsive, irresponsible, but this is someone who hasn´t been detected, and you can say 80 percent of that´s probably due to chance and luck, and 20 percent may be down to his tactical planning around what he´s done. Ich denke, es ist eher der unorganisierte Tätertyp erkennbar und für Experten sicherlich klar zu erkennen.
Wo ist jedoch der Wahn einzuordnen?
FBI- Profil dazu -unorganisiert- (Pime Suspect/ Rob House):
"low intelligence or low birth-status in the family", who often has an instable work history and is unmarried, either living alone or with parental figures. He is "preoccupied with obsessional and/or primitive thoughts" and "may have developed a well-defined delusional system." He is fearful of people, is often sexually incompetent, and may have sexual aversions.Ich denke, es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen unorganisiert und wahnhaft, dass ist offenbar ein Erfahrungswert.
Wir wissen ja, dass Aaron Kozminski das jüngste von sieben Kindern war. Bei seiner Einweisung in Colney Hatch soll er Jahre nicht gearbeitet haben. Zwischen einer Einweisung ca. März 1889 bis zum Februar 1891 sind das ja schon fast 2 Jahre. Er war nicht verheiratet und lebte wohl meist bei seinem Bruder Woolf und er litt unter Wahnvorstellungen.
Herzliche Grüße,
Lestrade.
P.S.: Jeffrey Dahmer behauptete, dass durch das Essen von Körperteilen, die Opfer in ihm wieder zum Leben erweckt werden würden. Meines Erachtens ist das schon eine recht wahnsinnige Vorstellung und wir wissen alle, dass dies nicht der Fall sein kann. Es mag Grenzfälle geben, erkennen die Experten aber wohl nicht im Falle von JTR, was nicht heißt, dass es vielleicht so ein Grenzfall war. Ich bleibe bei der allgemeinen Einschätzung der Leute, die es wissen sollten.
Was ich auf jeden Fall glaube ist, dass Jack the Ripper seine schlimme Erkrankung recht gut verbergen konnte.