Autor Thema: Intelligenzblatt für die Stadt Bern  (Gelesen 34414 mal)

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Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« am: 17.09.2011 01:02 Uhr »
Für unser Zeitungsarchiv, diesmal aus der Schweiz.
Das Berner Intelligenzblatt zeichnet sich durch eine (für mich) überraschend umfassende Darstellung der Whitechapel Morde aus. Unter anderem finden sich ein alternativer Nachfolger für Sir Charles Warren und ein (für mich) unbekannter Verdächtiger. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Ausgabe in der Regel vier Seiten hatte, von denen zwei mit Annoncen und Bekanntmachungen voll waren.

http://intelligenzblatt.unibe.ch/

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #1 am: 17.09.2011 01:03 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
28 September 1888
Bezüglich der neulichen Morde an prostituirten Frauenzimmern im Ostende Londons lautet das Gutachten der Aerzte, das ihnen allerdings nur unter Widerstreben abgerungen werden konnte, dahin, daß dieselben lediglich von einem sehr geschickten und gewandten Anatomen verübt worden sein können, da die Zerlegung und Ausweidung der Leichen nach allen Regeln der Kunst mit einer wirklich bewundernswerthen Sicherheit und Accuratesse ausgeführt ist. Trotz dem so gewonnenen starken Anhaltspunkt für die Entdeckung des Thäters ist letztere noch nicht erfolgt; die Sammlung für Belohnung des Entdeckers des gesuchten Unmenschen ergab bisher 300 Pfd. Strl (= 7500 Fr.)

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #2 am: 17.09.2011 01:04 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
Mittwoch, 3 Oktober 1888
In der Nacht von Samstag zum Sonntag sind abermals zwei Morde an weiblichen Personen in London verübt worden, und zwar unter genau denselben Einzelumständen, wie die bisherigen Morde in Whitechapel. Die schon vorher hochgehende Erregung der Bevölkerung hat sich infolge dessen aufs äußerste gesteigert. Im Laufe des Sonntags wurden mehrere Versammlungen abgehalten, in denen sich der heftigste Tadel über die Polizei ergoß wegen ihrer Unfähigkeit, sowohl weitere solche Verbrechen zu verhindern, als den Thäter zu eruiren. Der Minister des Innern, Matthews, und der Chef der Londoner Polizei, Oberst Warren, wurden öffentlich aufgefordert, von ihren Posten, die sie nicht entsprechend ausfüllten, zurückzutreten.

London, den 2. Oktober. Die Aufregung in London über das Verbrechen von Whitechapel wächst. Es werden öffentliche Subskriptionen veranstaltet, um den zu belohnen, welcher den Mörder anzeigt.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #3 am: 17.09.2011 01:04 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
6 Oktober 1888
Man hat wegen der Whitechapel-Morde in London schon eine größere Anzahl von Individuen verhaftet gehabt, mußte sie aber immer wieder loslassen, da sich keine genügenden Verdachtsgründe ergaben. Der wahre Thäter wird durch solche Umstände immer frecher und schreibt unter dem Namen "Jack, der Aufschlitzer" Briefe an die Polizei, in denen er sich seiner Thaten rühmt und einzelne Angaben über die nächsten zu verübenden Morde macht, welche sich in der That auch bei den beiden letzten Fällen bestätigt fanden. Der Unwille gegen den Minister des Innern, Matthews, der es nicht einmal für nothwendig hält, unter den derzeitigen Verhältnissen nach London zu kommen, sondern von seinem Landgute aus dekretirt, daß auf die Entdecker des Mörders von Regierungswegen keine Belohnung zu setzen sei, wird immer stärker und macht sich in stürmischen Versammlungen und heftigen Zeitungsartikeln Luft.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #4 am: 17.09.2011 01:04 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
Mittwoch, 10 Oktober 1888
Gestern endlich glaubt man des Scheusals habhaft geworden zu sein, das einige Wochen lang den Schrecken von Whitechapel gebildet hat. In der Frühe verhaftete man ein Individuum unter dem Verdachte, die zahlreichen Morde begangen zu haben; dasselbe leistete der Verhaftung einen verzweifelten Widerstand. Die übrigen unter dem gleichen Verdachte gefänglich eingezogenen Personen sind freigelassen worden bis auf einen, der sich selbst der betreffenden Verbrechen beschuldigt. Dieses Selbstbekenntnisses halber muß man ihn vorläufig noch festhalten, obgleich man als ziemlich sicher annimmt, daß er an einer Hallucination leide. Eigentlich kann er der Mörder gar nicht sein, dann nach seiner Verhaftung ist wieder ein Brief von "Jack, dem Aufschlitzer" eingegangen, von diesem mysteriösen Briefschreiber aber ist man bekanntlich überzeugt, daß er der wahre Mörder sei.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #5 am: 17.09.2011 01:05 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
12 Oktober 1888
Die Erwartung, nun endlich den Whitechapel-Mörder zu haben, hat sich also hinsichtlich der letzten Verhaftung wieder nicht bestätigt. Sir Charles Warren, der Chef der Londoner Polizei, hat nun angeordnet, daß, wenn sich wieder einer solche Blutthat ereignen sollte, der Leichnam nicht aufgehoben, sondern an Ort und Stelle dem Spürsinn von sofort herbeigeführten Bluthunden ausgesetzt werden soll, welche dann von dort aus die Spur des Mörders verfolgen würden.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #6 am: 17.09.2011 01:05 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
Montag, 22 Oktober 1888
Die Anwendung von Bluthunden in Whitechapel hat zu der Entdeckung eines abgetrennten Beines eines der ermordeten Opfer geführt, den Mörder aber hat man noch nicht. Die Polizei ist durch den relativen Erfolg so ermuthigt, daß sie die Versuche mit Bluthunden eifrig fortsetzen wird, doch ihr Renommee beim Publikum wiederherzustellen, ist ihr nicht geglückt und wird ihr voraussichtlich nicht glücken. Noch jetzt sind täglich alle Zeitungen voll von Klagen über die verfehlte Organisation der Polizei, die aus der Statistik sich ergebenden mangelhaften Resultate ihrer Thätigkeit (z.B. wurden zu den 76 Mordthaten, die voriges Jahr in London und Umgebung vorgefallen sind, nur in 16 Fällen Personen entdeckt, die man deßhalb vor Gericht stellen konnte, und von diesen führte in 8 Fällen das Verfahren zu einer Verurtheilung) und über die Unfähigkeit ihres Chefs, des Obersten Sir Charles Warren, der wohl ein tapferer und frommer Kriegsmann und ein überzeugungstreuer konservativer Politiker, aber kein Polizeigenie ist. Sofort nach dem Wiederzusammentritt des Parlaments wird einer der Londoner Deputierten die Absetzung von Sir Charles beantragen und dabei dürfte es auch ein paar Püsse(?) für den Minister des Innern, Matthews, absetzen, der seinen Untergebenen für das Polizeifach in allen Stücken gedeckt und seine Maßnahmen gebilligt hat.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #7 am: 17.09.2011 01:06 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
31 Oktober 1888
Es geht das Gerücht, ein Geheimpolizist habe schottischen Behörden sehr werthvolle Mittheilungen in der Angelegenheit der Whitechapelmorde gemacht; auch soll eine sehr wichtige Verhaftung vorgenommen sein.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #8 am: 17.09.2011 01:07 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
11 November 1888
Aus dem Auslande
Großbritannien. Nachdem einige Wochen verstrichen waren, in denen sich das Publikum von dem Entsetzen über die grausigen Blutthaten im Ostende von London erholen konnte, und nachdem schon eine gewisse Sicherheit in den Gemüthern Platz gegriffen hatte, daß das Treiben jenes wahnwitzigen Menschenschlächters vorüber sei, ist gestern Morgen der Schrecken wieder aufs höchste gestiegen durch Auffindung eines weiteren Opfers des Whitechapeler Frauenmörders, denn daß man es wieder mit einer That desselben Verbrechers zu thun habe, der schon die bisher ermordet aufgefundenen Dirnen umgebracht hat, geht unzweifelhaft aus den Umständen und der grausamen Methode des Mords und der Verstümmelung hervor, welche mit denen der früheren Fällen vollständig übereinstimmen. Gefunden wurde die Unglückliche in einem Zimmer des Quartiers Spital Fields, welches nicht in Whitechapel liegt. Gleich nach der Entdeckung führte die Polizei Bluthunde zur Stelle, um durch dieselben die Spur des Mörders aufsuchen zu lassen. Ob dies zu einem Resultat geführt habe, ist noch nicht gemeldet.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #9 am: 17.09.2011 01:07 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
14 November 1888
Großbritannien. Der letzte Mord eines prostituirten Mädchens im Ostende Londons ist noch fürchterlicher als die früheren, was die Zerfleischung des Leichnams der Unglücklichen betrifft. Zu einer Entdeckung des Mörders hat man wiederum nicht gelangen können. Man hat jetzt sogar dazu gegriffen, einem etwaigen Complicen des Mörders, außer wenn er der eigentliche Anstifter des Mordes sein sollte, die Gnade der Königin öffentlich zu versprechen, wenn er seinen Genossen verrathen wolle, aber auch dieß hat nichts gefruchtet. Ein Erfolg ist bisher gezeitigt worden: Sir Charles Warren hat endlich seinen Posten als Chef der Londoner Polizei verlassen. Motivirt wird sein Demissionsgesuch durch einen Tadel, den ihm der Minister des Innern ertheilt hat wegen eines von ihm in einer Revue veröffentlichten Artikels. Man wird aber wohl nicht fehl gehen, wenn man den Rücktritt Warrens in direkte Verbindung mit den resultatlosen Bemühungen der Polizei zur Entdeckung der Whitechapelmörders bringt.
Telegramme
- London, 13. November. Im Unterhause wurde die durch den Minister des Innern bewirkte Anzeige von der Demission des Polizeichefs Warren mit Beifallrufen aufgenommen.
Die Regierung ist davon zurückgekommen, Belohnungen auf die Entdeckung des Whitechapelmörders auszusetzen.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #10 am: 17.09.2011 01:09 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
15 November 1888
Die Londoner Polizei behauptet, das genaue Signalement "Jacks, des Aufschlitzers" zu besitzen, dessen Blutgier letzten Samstag nun schon das siebente Menschenleben zum Opfer gefallen ist. Was die öffentliche Verkündung dieses Faktums, wenn es wahr sein sollte, für Vortheile bei der Entdeckung des Mörders gewähren soll, bleibt unerfindlich; sie macht vielmehr den Eindruck einer hohlen Renommisterei - Zum Nachfolger Sir Charles Warrens wird wahrscheinlich M. Howard Vincent ernannt werden. Der "Daily Telegraph" verlangt, daß auch der Minister des Innern, Matthews, gehen müsste. Das wäre nur verdient. Denn die Nachgiebigkeit des Ministers hat es dem Londoner Polizeichef möglich gemacht, seine militärischen Ideen im Londoner Polizeikorps so zu verwirklichen, daß dessen Nützlichkeit als Mittel zur Entdeckung des Verbrechens gänzlich vernichtet ist. Ob jedoch Lord Salisbury zu einer Veränderung im Kabinet seine Zustimmung geben wird, ist mindestens fraglich, denn im Bewußtsein des brüchigen Materials, aus dem seine Majorität besteht, hütet er sich, durch Nachgiebigkeit an ein volkstümliches Verlangen die Schwäche seiner Stellung zu verrathen.


Weiß irgendjemand mehr über diesen M. Howard Vincent, der hier als Nachfolger von Warren ins Gespräch gebracht wird. Ich habe noch nie von ihm gehört.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #11 am: 17.09.2011 01:10 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
Freitag, 23 November 1888
In der Nacht von vorgestern auf gestern hat "Jack der Aufschlitzer" sich an sein achtes Opfer gemacht, ist aber nicht zur Vollendung des Verbrechens gelangt. Dasselbe wurde begangen in einem Zimmer der George-street, Vorstadt Spitalfields. Die Weibsperson bemerkte es jedoch, als der Mörder das Messer zum Schnitt durch ihren Hals ansetzte, und schrie laut um Hülfe. Daher sah sich der Mörder genöthigt, zu fliehen, bevor er seinem Opfer den Garaus gemacht hatte. Dasselbe lebt noch, wenn auch mit einem tiefen Schnitt im Halse, und es wird nun alles darauf ankommen, die Person am Leben zu erhalten, um von ihr Aussagen zu bekommen, an der Hand deren man jetzt wohl eher auf Erfolg in der Entdeckung des Scheusals rechnen kann.
Telegramme
London, 22. Nov. Entgegen der allgemeinen Erwartung hat sich herausgestellt, daß das gestrige Verbrechen in keinerlei Beziehung zu den Whitechapler Morden steht.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #12 am: 17.09.2011 01:10 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
Montag, 17 Dezember 1888
Alle Bemühungen der Polizei, den Verüber der jüngsten, gräßlichen Frauenmorde in Whitechapel (London) zu entdecken, sind bis jetzt erfolglos geblieben. Die Polizei hofft indessen, durch äußerste Wachsamkeit zum Mindersten eine Wiederholung der Verbrechen zu verhindern.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #13 am: 17.09.2011 01:10 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
19 Dezember 1888
Ein grausamer Scherz wurde in London ausgeführt. Eine junge Dame bemerkte auf ihrem Heimwege einen Mann, der ihr auf dem Fuß nachfolgte. Sie stieg in einen Miethwagen und befahl dem Kutscher, nach ihres Vaters Wohnung zu fahren. Beim Aussteigen fuhr ein anderer Miethwagen heran, derselbe Mann sprang heraus, trat auf das Mädchen zu und raunte ihr ins Ohr: "Das ist Ihre erste Warnung; ich bin Jack, der Aufschlitzer." Das zum Tode erschreckte Mädchen hatte nur die Kraft, den Thürklopfer in Bewegung zu setzen und fiel in eine Ohnmacht. Ihr Vater benachrichtigte sofort die Polizei; auf deren Rath hin ging sie häufig mit einem Detektiv aus, aber der geheimnißvolle Fremde zeigte sich nie. Sie hatte die Angelegenheit beinahe vergessen, als sie kürzlich zu einem Ball in Aldershot eingeladen wurde. Sie ließ ihren Pelzmantel im Ankleidezimmer. Nach dem Ball wollte sie dieses Kleidungsstück wieder umlegen, aber zu ihrem Entsetzen fand sie darin mit einer Stecknadel befestigt einen Zettel mit den Worten: "Das ist die zweite und letzte Warnung. Ich bin Jack, der Aufschlitzer." Die junge Dame bekam einen hysterischen Anfall und wurde wahnsinnig.

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Re: Intelligenzblatt für die Stadt Bern
« Antwort #14 am: 17.09.2011 01:11 Uhr »
Berner Intelligenzblatt
28 Dezember 1888
Im östlichen Stadtbezirk von London wurde eine Frauensperson erdrosselt aufgefunden; sie gehörte der Klasse jener Unglücklichen an, unter denen der Mörder von Whitechapel seine Opfer sucht. Eine Zeugin behauptet, die Unglückliche kaum zwei Stunden, bevor ihre Leiche aufgefunden wurde, in Gesellschaft von zwei Männern gesehen zu haben. Der Mord ist in geheimnisvolles Dunkel gehüllt und der Thäter scheint spurlos verschwunden zu sein. Man glaubt, daß man es hier mit einer neuen Unthat des Frauenmörders von Whitechapel zu thun hat.