Autor Thema: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold  (Gelesen 7521 mal)

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"The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« am: 06.11.2020 16:39 Uhr »
Hallo allesamt!

Hat jemand hier das Buch "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold gelesen? Ich bin gerade auf eine entsprechende aktuelle Rezension bei SPON gestoßen.
https://www.amazon.de/Five-Untold-Lives-Killed-Ripper/dp/0857524488/ref=sr_1_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85%C5%BD%C3%95%C3%91&dchild=1&keywords=hallie+rubenhold+five&qid=1604677091&s=books&sr=1-1

Rubenhold soll die Lebensgeschichten der kanonischen Fünf weiter recherchiert haben, um sie von dem angeblichen Status „anonymer Opfer“ zu befreien und ihnen auf diese Art „ihre Würde zurückzugeben“.

Was mir bei der Rezension aber übel aufstößt ist die Unterstellung, in der Ripperologie hätte man sich nie ernsthaft für die Biographien der Opfer interessiert und ihnen damit und mit einer unbegründeten Unterstellung von Prostitution ihre Würde genommen. Dass die Ripperologie daran festhalte, die kanonischen Fünf seien alle Gelegenheitsprostituierte gewesen, soll auf frauenfeindliche Vorurteile zurückgehen und angeblich von den historischen Quellen nicht wirklich belegt sein:

"Viele Darstellungen übernahmen die zeitgenössischen Presseberichte: Die Opfer seien Prostituierte und wegen ihres lasterhaften Lebenswandels irgendwie auch selbst schuld.
Die britische Historikerin Hallie Rubenhold möchte diese Sichtweise ändern und den Frauen ihre Würde zurückgeben. In ihrem Buch "The Five" rekonstruiert sie akribisch die Lebensgeschichten der Ermordeten und kommt zu dem Schluss: "Im Fall von dreien der Opfer gibt es keine Beweise, dass sie je der Prostitution nachgegangen sind."
https://www.spiegel.de/geschichte/jack-the-ripper-und-seine-opfer-die-legende-vom-prostituiertenmoerder-a-562c3765-07eb-4a6b-8f0e-3696d5f656c3

Nun ist es schon nicht haltbar, dass die Ripperologie sich nicht ernsthaft für die Biographien der Frauen interessiert habe. Erst recht aber lässt sich m.E. die Behauptung nicht halten, dass man ihnen ihre Würde nehmen wolle, indem man ihnen unbegründet Prostitution unterstelle.

Es gab zu dem Buch auch eine Diskussion unter Ripperologen, die im casebook dokumentiert ist:
https://forum.casebook.org/forum/ripper-media/books/non-fiction/733592-the-five-by-hallie-rubenhold-a-rippercast-roundtable-review

In der Diskussion sagen die Ripperologen, dass sie die Darstellung der Biographien gut fänden, aber Rubenholds Behauptung, dass es für drei der fünf keine Nachweise von Prostitution gäbe, auf einer sehr selektiven Interpretation der Quellen beruhe.
Und vor allem kritisieren sie, dass aus einer sachlichen Beschreibung der damals ja im East End weit verbreiteten Gelegenheitsprostitution aus wirtschaftlicher Not eine angeblich moralische Verdammung der Opfer durch die damalige Polizei und die heutigen Ripperologen gemacht werde – dass also die damalige Polizei wie die heutigen Ripperologen den Opfern dadurch ihre Würde nehmen würden.

Hat jemand das Buch gelesen und was haltet Ihr davon?

MfG, Arthur Dent

Offline Lestrade

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #1 am: 06.11.2020 20:24 Uhr »
Ich habe es nicht gelesen, behalte mir es jedoch noch vor! Ich wurde sehr abgeschreckt, weil es hohe Wellen in der Welt der Ripperologen schlug und irgendwie abgelehnt wurde. Zog mich da sehr, sehr schnell zurück. Aber sagen möchte ich dazu erst etwas, wen ich es selbst gelesen habe.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #2 am: 07.11.2020 14:07 Uhr »
Hallo allesamt!


Im Folgenden mal schnell ein paar kritikwürdige Stellen aus der o.a. SPON-Rezension des Buches von Rubenhold.

Weil ich das Buch selbst nicht kenne, weiß ich nicht, ob die Historikerin das tatsächlich genau so in ihrem Buch dargestellt hat – oder ob das auf dem Mist des Journalisten Martin Pfaffenzeller gewachsen ist, der schreibt:
"Für seine Opfer interessierte sich kaum jemand. Nun hat eine Historikerin die Lebensgeschichten der Frauen erforscht – und Erstaunliches herausgefunden."
https://www.spiegel.de/geschichte/jack-the-ripper-und-seine-opfer-die-legende-vom-prostituiertenmoerder-a-562c3765-07eb-4a6b-8f0e-3696d5f656c3

Über die haltlose Behauptung, die Ripperologie hätte sich nie ernsthaft für die Biographien der Opfer interessiert und Rubenhold wäre da gewissermaßen die erste, brauche ich wohl kein Wort zu verlieren: Jeder, der sich auch nur ein bisschen in das Thema eingelesen hat, der weiß, dass das nicht stimmt, sondern dass hier schon lange vor Rubenhold von Ripperologen sehr viel recherchiert und zusammengetragen worden ist.
Insbesondere, dass den Opfern ihre Würde genommen worden wäre, trifft nicht zu: Vielmehr wurde und wird durchgehend dargestellt, welch schweres Leben diese Frauen hatten und wieviele Schicksalschläge sie ertragen mussten, bevor sie schließlich als Gipfel des persönlichen Unglücks auch noch zu unschuldigen Opfern von JTR wurden.
Der einzige, der hier offensichtlich nicht recherchiert hat, ist der Autor dieses SPON-Artikels.

Weiter schreibt er:
Zitat
"Nichols, die vermutlich an einer Depression litt und trank, hatte auf dem Arbeitsmarkt keine Chance. Zwischenzeitlich wohnte sie mit einem Mann zusammen, weswegen die Zeitungen sie später als Ehebrecherin und Prostituierte darstellen sollten – obwohl Zeugen das Gegenteil aussagten.

Welche Zeugen sollen das gewesen sein? Die mir bekannten polizeilichen Zeugen wie Mitbewohnerin Emily Holland oder der Verwalter des White House Nachtasyls ließen im Gegenteil erkennen, dass sie als Gelegenheitsprostituierte arbeitete, sie hatten keinen Grund zu lügen, und auch die Polizei hatte keinen, ihre Berichte in dieser Hinsicht zu fälschen.
Der Verwalter sagte aus, dass Nichols gegen 1.20 Uhr nachts ankündigte, ihr Übernachtungsgeld verdienen zu gehen, und dass sie betonte, es wohl schnell zusammenzuhaben, denn sie habe ja jetzt diesen schönen neuen Hut. Welche freiberufliche, kurzfristig anzunehmende Auftragsarbeit mitten in der Nacht gab es wohl für eine arme Frau, und für welche wäre wohl ein schöner neuer Hut nützlich gewesen?
Und Emily Holland, die Nichols gegen halb drei in der Whitechapel Road traf, sagte aus, dass die völlig betrunkene Polly geklagt habe, bereits drei Mal ihr Übernachtungsgeld verdient und wieder ausgegeben zu haben: Welche andere Arbeit soll das gewesen sein, die jemand innerhalb einer Stunde drei Mal anfängt und abschließt und dazwischen noch Zeit hat, das Geld wieder zu vertrinken?
Kurz: Jene Behauptung im Artikel ist Humbug.

Ein grundlegendes Missverständnis des SPON-Autors scheint m.E. schon darin zu liegen, dass er nicht verstanden hat, dass diese Frauen keine hauptberuflichen Prostituierten, sondern Gelegenheitsprostituierte waren, die aus akuter Geldnot handelten.

Zitat
„Bald konnte sich Nichols nicht einmal ein Bett in den schäbigen Notunterkünften leisten. In der Nacht auf den 31. August 1888 schlief sie allein und betrunken vor einem Tor in der Buck's Row ein. "Jack the Ripper" schlitzte ihre Kehle auf und zerstach ihren Unterleib."

Wie kommt der Autor zu dieser Behauptung, Nichols sei in der Buck`s Row eingeschlafen? Dafür gibt es erstens keine Zeugen oder sonstige Belege. Zweitens ist es absolut nicht nachvollziehbar. Wieso hätte Nichols sich mitten auf offener Straße zum Schlafen legen sollen – anstatt sich einen Hauseingang oder eine andere geschütztere Stelle zu suchen? Weil sie das dringende Bedürfnis hatte, krank oder ausgeraubt oder belästigt zu werden? Oder weil sie unbedingt Ärger mit einer Polizeistreife haben wollte?
Für die Behauptung, Nichols habe sich einfach mitten auf offener Straße schlafen gelegt, um ihren Rausch auszuschlafen, gibt es keinen Nachweis und sie ergibt auch überhaupt keinen Sinn.

Zitat
"Annie Chapman schlug sich in London durch, indem sie Blumen und Streichhölzer verkaufte – auch bei ihr sollten Ermittler keine Hinweise auf Prostitution finden. Was sie verdiente, gab sie für Alkohol aus. In der Nacht zum 7. September 1888 übernachtete sie in einem Hauseingang in der Hanbury Street. Der "Ripper" schnitt ihre Kehle durch und nahm ihre Eingeweide heraus."

Und das stimmt schon hinten und vorne nicht: Auch Annie Chapman sagte dem Verwalter ihrer Unterkunft kurz vor zwei Uhr nachts, sie werde bald mit dem Übernachtungsgeld zurückkommen – auch hier wieder die Frage: Womit hätte sie mitten in der Nacht kurzfristig dieses Geld noch verdienen können? Es gibt m.W. keinerlei Belege dafür, dass sie mit einem Bauchladen voller Blumen und/oder Streichhölzer losgezogen wäre.
Zudem übernachtete sie nicht in der Hanbury Street 29, und schon gar nicht im Hauseingang: Ihre Leiche wurde vielmehr im Hinterhof gefunden. Und gegen 4.45 Uhr war der Hausbewohner John Richardson noch in diesen Hinterhof gegangen, ohne jemanden zu bemerken – also kann sie dort nicht geschlafen haben.
Außerdem war Chapman noch in den frühen Morgenstunden gegen halb sechs von der Zeugin Elizabeth Long vor dem Haus gesehen und gehört worden, wie ein Mann sie ansprach: „Willst du?“ und sie mit „Ja“ antwortete.
Also: Keine Hinweise dafür, dass sie im Schlaf von JTR überrascht wurde – sondern vielmehr dafür, dass sie sich gegen halb sechs mit einem Freier in den Hinterhof zurückgezogen hat.
Die These von der im Schlaf überraschten Chapman ist völliger Quatsch. Woher hätte JTR wissen sollen, dass da im von draußen uneinsehbaren Hinterhof eine Frau schläft? Und wieso hätte sich Chapman direkt unter die Treppe legen sollen? Damit ein Hausbewohner ihr beim nächtlichen Aufs-Klo-Rennen mitten ins Gesicht tritt?
Diese Aussage im Artikel zeugt nur davon, dass der Autor überhaupt keine Ahnung von den Umständen der Ermordung Chapmans hat.
 
Zitat
"Catherine ging nach London, wo sie schnell einen neuen Partner fand. Mehrere Zeugen sollten aussagen, dass Eddowes nichts mit anderen Männern zu tun hatte und sich nie prostituierte.“

Wer soll das gewesen sein und in welchem Zusammenhang? Dass man so was in bestimmten Zusammenhängen aus guten Gründen abstreitet, ist ja wohl nachvollziehbar. Daher ist diese pauschale Behauptung ohne Konkretisierung des Zusammenhangs völlig wertlos.

Zitat
„In der Nacht zum 30. September 1888 verließ sie um 1 Uhr die Ausnüchterungszelle, in die sie die Polizei nach einem betrunkenen Nachmittag gesperrt hatte. Sie suchte ihren Partner, konnte ihn aber nicht finden und legte sie sich am Mitre Square schlafen. Der Serienmörder schlitzte ihre Kehle durch, schnitt ihren Bauch auf und entfernte die Gebärmutter."

Sie soll ihren Mann gesucht haben? Wieso ist sie dazu dann nicht zuerst mal ins Cooneys in der Flower and Dean Street zurückgekehrt, sondern in die entgegengesetzte Richtung gegangen? Sie hatten sich vor über 11 Stunden getrennt und es war mitten in er Nacht, wieso sollte sie ihn da zuerst in der Nähe des Mitre Square suchen anstatt dort?
Auch hier wieder: Wieso sollte sie sich ausgerechnet Ende September auf dem Mitre Square schlafen legen, anstatt sich einen geschützteren Schlafplatz zu suchen oder gleich die paar hundert Meter in ihre Bleibe zurückzugehen? Wenn sie ihren Mann doch angeblich suchte, kann die Angst vor einer Tracht Prügel nicht der Grund gewesen sein, dass sie nicht dorthin zurück ging. Mal ganz davon abgesehen, dass sie bereits in der Gefängniszelle ihren Rausch ausgeschlafen hatte.
Das ist doch von vorne bis hinten unlogisch und nicht nachvollziehbar.
Viel plausibler ist die Annahme, dass sie erst noch etwas Geld beschaffen wollte, um nach dem ganzen Ärger an diesem Tag ihren Mann dadurch etwas zu besänftigen. Schließlich hatte sie das ja versprochen.
Und wieder werden wichtige Zeugen einfach verschwiegen: Nämlich Polizist Watkins, der erst kurz vor dem Mord den Mitre Square inspiziert hatte ohne dort eine schlafende Frau zu sehen, sowie das Trio Levy, Lawende und Harris, das kurz zuvor Eddowes noch mit einem Mann am Durchgang zum Mitre Square stehen sah.

Zum Schluss nur der Vollständigkeit halber noch ein paar eher nebensächliche Ungenauigkeiten:

Zitat
"Als die Zeitungen im Herbst 1888 von "Jack the Ripper" berichteten, nahm Kelly manchmal befreundete Prostituierte in ihrem Zimmer im Miller's Court auf, damit sie nicht auf der Straße schlafen mussten. In der Nacht auf den 9. November waren weder ihr Partner noch eine Freundin bei ihr. Der Mörder drang in das Zimmer ein, schnitt ihre Kehle durch, zerstach ihr Gesicht und schlitzte den ganzen Körper auf."

Barnett hatte sich am 30. Oktober von Kelly getrennt. Er war zwar an dem Tag am frühen Abend kurz bei ihr zu Besuch, aber er war nicht ihr Partner, sondern ihr Ex.
Und die polizeilichen Zeugen Mary Ann Cox und Hutchinson haben ausgesagt, dass Kelly in dieser Nacht mindestens zwei Mal ihr Zimmer verlassen hatte und mit Freiern dorthin zurückkehrte. Es gibt keinerlei Hinweis dafür, dass JTR heimlich in ihr Zimmer „eingedrungen“ wäre, vielleicht gar, als sie bereits schlief. Es kann angesichts der Zeugen genausogut sein, dass er als Freier von ihr mitgenommen bzw. eingelassen wurde.

Kurz: Zumindest die Rezension auf SPON steckt voller Fehler. Ob der Autor sie nun aus Rubenholds Buch übernommen oder sie selber durch ein schlampiges Zusammenfassen des Buchinhalts und eigene Mutmaßungen fabriziert hat, kann ich bisher nicht abschätzen.


MfG, Arthur Dent

« Letzte Änderung: 07.11.2020 16:18 Uhr von Arthur Dent 2 »

Offline Lestrade

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #3 am: 08.11.2020 16:02 Uhr »
Paul Begg hat im Ripperologist 164 vom Mai 2019 ein, wohlmöglich, sehr passendes Review über "The Five" von Hallie Rubenhold verfasst! Seine Schlußbemerkung:

"I probably don’t need to suggest that you use your 99p to grab a coffee from Greggs".
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Offline Arthur Dent 2

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #4 am: 09.11.2020 15:12 Uhr »
Hi Lestrade!

Ich habe jetzt Beggs Buchrezension im Ripperologist gelesen, und er macht seine Kritik am Buch an ähnlichen Punkten fest wie ich bei meinem Kommentar zur o.a. Rezension - also hat der SPON-Autor den Inhalt scheinbar korrekt wiedergegeben. Danke für den Tipp.

Dabei fiel mir allerdings auf, dass du im Eifer des Gefechts leider in die falsche Spalte geraten bist, was den o.a. Schlusssatz angeht: Der bezieht sich nämlich auf die nachfolgende Buchrezension, nicht auf Rubenholds Buch.
Stattdessen schließt Begg die Besprechung von "The Five" differenziert und sachlich, indem er die Darstellung der Biographien als "excellent job" sehr positiv hervorhebt - und nur das letzte Kapitel mit dem Versuch, den Aspekt der Prostitution aus dem Mordgeschehen zu tilgen, als offenbar "agenda-getrieben" kritisiert.
Der letzte Absatz seiner Rezension lautet:

"Hallie Rubenhold is to be commended for writing
a full-length book about the victims, and she has done
an excellent job of taking all the known facts and
contextualising them. She has brought the women to life
in a way the bare facts can't, the chapters about Elizabeth
Stride's life in Sweden being particularly harrowing, and
Rubenhold has does her very best to present these women
in a sympathetic light. Rubenhold also has an engaging
writing style, her narrative zipping along like that of a
novel, and it is easy to see why under-informed reviewers
praised the book.
Unfortunately, Rubenhold didn't stick to telling the
story ofthese lives. She appears to have used their lives as
a vehicle to drive an agenda of her own that culminated in
a final, angry chapter. Why three ofthese women not being
prostitutes was so important to Rubenhold is something
we can only guess at, but she omitted testimony that
contradicted it, misrepresented sources, edited quotes
so they appear to be saying something they weren't, and
failed to mention witnesses whose actual and potential
evidence was contrary to her conclusions. I would argue
that whatever this is, it isn't history."

Nix für ungut, bin auch schon öfter mal in die falsche Zeile gerutscht. :-)


MfG, Arthur Dent

« Letzte Änderung: 09.11.2020 15:37 Uhr von Arthur Dent 2 »

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #5 am: 09.11.2020 15:27 Uhr »
Danke für die Korrektur, Arthur! Ich erinnerte mich im Nachhinein, dass Paul im Ripperologist zum Buch ein Review verfasst hatte und schaute noch einmal hinein aber habe wohl zu schnell gescrollt und etwas gelesen, was dort überhaupt nicht zugehört. Die 99p haben mich schon stutzig gemacht aber das war es auch. Gott sei Dank hast Du es nachgeprüft.
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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #6 am: 09.11.2020 15:36 Uhr »
@Lestrade:
Kein Problem - kann jedem mal passieren.


@ all:

Um die Kritik am Buch noch mal kurz zusammenzufassen:
Auch ich halte Rubenholds These, dass die Frauen im Schlaf von JTR überrascht wurden, anstatt beim Anbahnen eines Sex-Geschäfts, für nicht haltbar.

Nichols und Chapman waren laut Zeugenaussagen explizit unterwegs, um Geld für ihre Übernachtung aufzutreiben, und auch Eddowes hatte ihrem Mann versprochen, noch Geld zu besorgen. Kelly war in der Nacht mit zwei Freiern gesehen worden.
Chapman, Stride und Eddowes waren unmittelbar vor ihrer Ermordung von Zeugen gesehen worden: alle drei wach und Gesellschaft eines Mannes.
Es gibt keine plausible Erklärung dafür, warum die Frauen sich plötzlich an den Tatorten in Dreck und Nässe usw. hätten schlafen legen und sich dort auch dem Risiko von Belästigung und Beraubung hätten aussetzen sollen - da hätten sich schnell sicherere und bessere Orte finden lassen (im Notfall in einer Ausnüchterungszelle der Polizei). Und vor allem lässt sich nicht vernünftig erklären, warum sich Chapman mit dem Kopf unmittelbar an die unterste Treppenstufe des Hinterhofeingangs oder Stride sich direkt in die Einfahrt zum Yard hätte legen sollen - eine Ecke der Höfe wäre das Logische gewesen, damit keiner auf einen drauf tritt.
Es ist auch extrem unwahrscheinlich, dass JTR alle Opfer so schnell zufälligerweise wenige Minuten nach ihrem Schlafenlegen gefunden haben sollte - insbesondere bei Chapman in einem uneinsehbaren Hinterhof, oder Stride und Eddowes an sehr dunklen Stellen (so dunkel, dass Polizist Watkins Eddowes erst entdeckte, als er mit seiner Lampe die Ecke ausleuchtete, und Diemschütz Stride erst bemerkte, als sein Pferd scheute).
Das mit dem "im Schlaf überrascht" ist m.E. eine unhaltbare These.


MfG, Arthur Dent
« Letzte Änderung: 09.11.2020 16:52 Uhr von Arthur Dent 2 »

Offline Lestrade

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #7 am: 09.11.2020 19:15 Uhr »
Ich habe, es ist noch nicht lange her, einen Artikel (aus der damaligen Zeit) gelesen, wo behauptet wurde, dass der Mann, welcher der (vermutliche) Täter war, garnicht gemordet hätte, wenn er nicht von den Opfern angesprochen worden wäre. Er hätte dies gehasst. Mal abgesehen vom Wahrheitsgehalt, ist dies zwar theoretisch möglich aber wie hoch ist die Chance, dass er nicht oder nie angesprochen worden wäre? Quasi bei Null, denke ich. Ich finde den Artikel jetzt nicht. Meine "gespeicherte" Daten sind mittlerweile so viele, dass ich schon mal etwas außen vor lasse. Ich bin mir zwar nicht sicher, wer die Behauptungen aufstellte aber möglicherweise kam das aus den Polizeikreisen o.ä. Der Artikel besagte weiterhin, dass der verdächtige Mann von seinen Freunden und Familie angehalten wurde, stets den kürzesten Weg vom Arbeits- zum Wohnort zu nehmen und falls in ihm wieder einmal Tötungsabsichten hochkämen, er sich vertrauensvoll an die Seinigen wenden soll, um vorhandene Hilfe anzunehmen. Offenbar soll das auch soweit funktioniert haben.

Ich persönlich habe mir immer gedacht, dass das Angesprochenwerden durch die späteren Opfer, durchaus zur Fantasie des Rippers gehörte. Also das quasi "aktive" Prostituierte für ihn wichtiger waren als "passive". Klingt vielleicht etwas ambivalent, wenn es ihm einerseits die Hasskappe aufsetzte andererseits dies jedoch auch in seiner Tötungsfantasie elementar war. Wir sprechen halt über das Hirn eines Serienkillers.

Ich glaube auch nicht, dass die Opfer Nichols, Chapman, Stride und Eddowes im Schlaf waren, als ihr Mörder zuschlug.

Wäre dies aber bei Tabram, falls ein Ripper Opfer, möglich gewesen? Nicht alles lässt sich sofort bei einem Sereinkiller erfüllen. Wäre er fähig gewesen, am Anfang seiner "Laufbahn", auf eine schlafende Prostituierte einzustechen? Ich kann das ehrlicherweise nicht wirklich klar beantworten. Bei Emma Smith kennen wir nicht das genaue Szenario. Falls auch hier der gleiche Täter, nutzte er die Chance, eine bereits stark beeinträchtigte und möglicherweise hilflose Frau etwas in den Unterleib zu rammen?

Während einer solchen Serie ist es immer wieder mal möglich, vermute ich, dass der Täter etwas von seiner Fantasie abweicht, was möglicherweise den Umständen geschuldet sein kann. Könnte das auch im Falle von Kelly passiert sein? Ich möchte eigentlich nicht irgendwelche Szenarien präsentieren aber auch nicht ausschließen, dass er außerhalb ihres Zimmers, irgendwo im Bereich Dorset Street, von ihr angesprochen wurde ohne direkt danach mit ihr das Zimmer zu betreten. Er könnte ihr auch gefolgt sein und in ihren Raum eingedrungen sein, in dem Moment, als sie am einschlafen war (wie auch immer). Eine Prostituierte mit eigenem Wohnraum, war sicherlich nicht das, was der Ripper erwarten durfte.   

Du schreibst: "Das mit dem "im Schlaf überrascht" ist m.E. eine unhaltbare These". und ich stimme mit Dir überein.

Wenn Hallie Rubenhold das als Modus Operandi/ Handschrift des Täters vermitteln möchte, kann ich das so nicht akzeptieren. Er mag das in einem Falle (Tabram) möglicherweise getan haben aber dann war das nicht die Regel, die Regel, die er eigentlich verfolgte oder verfolgen musste. Das kann nicht für alle Opfer stehen. Hier wird dann eine Möglichkeit zur festen Vorstellung. Und wie gesagt, Kelly bietet ganz andere Umstände. Da sollte man der Sache auch etwas Raum geben aber es war nicht die Regel. Möglicherweise macht ein solcher Täter auch einmal die Ausnahme, wenn er auf einen geschlossenen Raum stoßen kann. Gerade dann, falls es mit dem Ansprechen vorher gut geklappt hatte, siehe Nichols, Chapman, Stride und Eddowes.
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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #8 am: 09.11.2020 23:26 Uhr »
Hi Lestrade!

Ich fürchte, diese Idee mit "im Schlaf überrascht" könnte eine Folge des Bedürfnisses von Rubenhold gewesen sein, den Aspekt der Prostitution irgendwie aus dem Mordgeschehen herauszubekommen.
Sie benötigte irgendeine Erklärung dafür, warum sich ein fremder Mann in diesem verrufenen Viertel mitten in der Nacht in einer dunklen, menschenleeren Gasse einer einsamen Frau nähern konnte, ohne dass diese die Flucht ergriff und/oder zu schreien anfing, um die Anwohner auf sich aufmerksam zu machen.
Alles deutet ja auf Blitzangriffe hin, die jedwede Gegenwehr sowie jede Lautäußerung unmöglich machten - dazu musste JTR den Frauen schon sehr nahe gekommen sein, bevor sie die Gefahr bemerkten, und es für beides zu spät war.
Das Problem ist nun: Neben der naheliegenden Möglichkeit eines Sexgeschäftes - bei dem eine Frau einen fremden Mann an einem einsamen Ort sehr nahe kommen lässt und beide das Bedürfnis haben, dabei nicht von Dritten bemerkt zu werden - bleiben da nicht viele plausible Alternativen. Eine der wenigen halbwegs nachvollziehbaren - jedenfalls wenn man die genauen Tatumstände nicht kennt bzw. sie unter den Tisch fallen lässt - ist da eben die Annahme, dass die Frauen auf die Annäherung von JTR einfach deshalb nicht mit Fluchtversuchen, Gegenwehr, Schreien o.ä. reagierten, weil sie schlicht und einfach nicht bei Bewusstsein waren, sondern schliefen.
Dummerweise passen nur leider die ermittelten Tatumstände überhaupt nicht zu dieser These - mit Ausnahme von Kelly vielleicht, falls JTR beobachten konnte, wie man die Tür durch das zerbrochene Fenster öffnet.

Über eine möglicherweise schlafende  Tabram habe ich mir in diesem Zusammenhang bisher noch keine Gedanken gemacht - müsste noch etwas darüber grübeln.

Deine Überlegungen mit dem Ansprechen finde ich dagegen einen interessante und wesentlich plausiblere These:
Ich glaube, wir hatten bereits früher mal darüber diskutiert, ob JTR seine Opfer womöglich auf diese Art auswählte. Für einen psychotischen Killer könnte das Angesprochenwerden ja so wirken, als hätten ihm damit höhere Mächte oder gar die Betreffende selbst das nächste Opfer "angeboten".


MfG, Arthur Dent


Offline Lestrade

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #9 am: 10.11.2020 00:06 Uhr »
Deinen Worten kann ich mich nur anschließen!

Ich meine auch, wir hätten das schon früher einmal diskutiert.

Die Art und Weise, wie der Ripper es verstanden haben könnte, "angesprochen" zu werden, mag aus unserer Sicht nicht unbedingt logisch klingen. Selbst wenn er irgendwo an der Wasserstelle im Innenhof des Millers Court herumgelungert wäre und gesehen hätte, wie Kelly ihren Raum per Griff durchs Fenster betrat, könnte er dies als eine Art Einladung, einer gewissen Form der Ansprache, verstanden haben können. Ich erinnere mich an Richard Chase, der eine Auswahl traf, indem er nicht verschlossene Türen so interpretierte, dass er dort willkommen sei. Was für ein Irrsinn.

Aber das er grundsätzlich auf der Suche nach schlafenden Frauen war? Nein!

Nun mag die Parallelwelt (und somit Gedankenwelt) in der der Ripper lebte (zumindest zeitweise), für uns schwer vorstellbar sein, sicher scheint jedoch für mich, dass man nicht von einer gewissen verbindlichen bzw. normalen Logik ausgehen sollte. Der letzendlichen Wahl seiner Opfer, ging wahrscheinlich ein enormer Gedankenfluss voraus, den wir, von ihm erklärt, hätten nicht wirklich logisch folgen können. Möglicherweise war der Tatort Hanbury Street, in seiner Vorstellung, der sicherste Ort der Welt. Wir können nur den Kopf darüber schütteln. 

Das alles muss nicht bedeuten, dass dieser Mann 24 Stunden am Tag verrückt war. Betrachtet man die Lebensumstände zu dieser Zeit dort, ist es durchaus möglich, dass der Ripper sich die Fähigkeit aneignen konnte, sich etwas zu kontrollieren. Sich Räume zu verschaffen, um sich seinen Fantasien hinzugeben. Vielleicht war es wirklich jemand, der den Schalter, der sich umlegen ließ, etwas steuern konnte. Die Bezeichnung "sexuell Wahnsinniger", könnte nämlich auch hauptsächlich bedeuten, dass jemand hier nur seine extrem kranken Sexualfantasien ausgelebt hat. Nicht, dass er frei war von anderen Auffälligkeiten aber durchaus noch in der Lage war, doch recht normal auch ein Alltagsleben zu führen.

Auch wenn ich in der letzten Zeit nicht die Zeit wie vorher fand, mich dem JtR Thema zu widmen, brachte das auch einen "Vorteil". Mit einer gewissen Distanz, entwickelt sich bei mir eine etwas veränderte Form der Art und Weise wie der Ripper möglicherweise hätte gelebt haben können. Dazu musste ich nicht alles über Bord werfen. Heute denke ich eher über eine veränderte Konstellation des Ursache/Wirkung Prinzips bei ihm nach.

Wahrscheinlich ist das vollkommen nutzlos aber ich lasse es dennoch einmal zu.
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Offline Stordfield

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #10 am: 10.11.2020 01:20 Uhr »
Hallo, ihr Zwei!

Hier der von euch angesprochene Link:

https://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1066.msg15488/topicseen.html#msg15488

Gruß Stordfield
Du kannst fliehen, wohin Du willst; Du nimmst Dich immer mit.

Offline Lestrade

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #11 am: 10.11.2020 15:00 Uhr »
Hallo Stordfield! Danke.

Arthur und ich (vielleicht auch Du oder andere) haben darüber sicherlich auch in einem "Levy" oder "Kosminski" Faden diskutiert. Bin aber eben noch einmal in deinen geposteten Faden gegangen.

Arthur und meine Wenigkeit, um beim Thema "schlafende Frauen" zu bleiben, sind eher der Meinung, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass der Ripper schlafende Frauen bevorzugt hatte. Nicht, dass es nie passiert wäre aber so etwas war sicherlich nicht das, was er "wollte". Es wäre eine Ausnahme gewesen, wie vielleicht aber Anfang seiner Serie (Tabram) oder dann, wenn die Umstände nichts anderes zugelassen hätten (Kelly?). Typisch oder klassisch sind die Opfer Nichols, Chapman und (Stride) Eddowes, wenn man die Möglichkeiten für ihn "optimal" einschätzt, so wie wir das vermutlich alle immer bisher gemacht haben. Man lief sich über den Weg, sprach sich an und wenn der Ripper dachte, alles passt nun, schlug er zu. Mit Hallie Rubenhold kam nun eben jene Theorie auf aber ich denke, wenn man allein nur Arthur´s Kommentare dazu liest, ist alles erklärt. Wer´s glauben will, soll´s tun und nicht Wenige werden das auch. So dreht sich halt die Welt, zuckelt mal eine Millisekunde und die Sparkasse hat über Weihnachten zu.

Um noch einmal zu Tabram zurückzukehren, vielleicht spielte es sogar eine Rolle, falls sie geschlafen hat, dass es hier nicht zu ersteren, eindeutigeren Verstümmelungen kam, wie wir sie dann später sehen. Wobei natürlich unzählige Messerstiche ja auch eine Form von Verstümmelung bedeuten kann. 

Wie nun wirklich die Kontaktaufnahme zwischen Opfer und Täter stattfand, da muss ich mich auch zurückhalten. Es hängt ja auch davon ab, welchen Tätertyp man erwarten kann bzw. man selber bevorzugt.

Für meinen Teil könnte ich folgendes schildern:

Der Mann, welcher der Ripper war, hatte Angst vor Frauen. Wie das auch immer entstanden sein mag. Sicherlich hat er versucht, diese Angst zu überwinden und vielleicht war eine Frau nicht gleich wie die andere für ihn. Mit seiner Lebensgeschichte fiel er sicherlich in die Kategorie "armes Schwein". Ihm wurde es sicherlich vom Leben verwehrt, aus dieser Problematik herauszukommen. Prostituierte waren für ihn bestimmt die unterste Kategorie einer Frau, im Prinzip Müll. Möglicherweise dachte er, dass diese Prostituierten noch eine Stufe unter ihm standen. Das könnte bedeuten, dass er sich emotional auch wie "der letzte Dreck" fühlte. Und wer weiß, vielleicht gab es dadurch auch eine "innere Verbindung" zwischen ihm und seinen potentiellen Opfern. Eine "normale Frau" könnte für ihn diesbezüglich so weit entfernt gewesen sein, wie die Erde vom Mond. Das könnte somit auch bedeuten, dass er sogar regelmäßig mit ihnen sexuelle Kontakte hatte. Diesen Müll, den er eigentlich auf´s Tiefste verabscheute, zog ihn auch gleichzeitig an. Nicht, um wirklich etwas "normales" mit ihnen zu erleben sondern um letztendlich seine perversen Fantasien auszuleben. Wann er "bereit" dazu war, ist wohl davon abhängig, wann was und mit welcher Dynamik in seinem Leben stattfand. Es kann viele Jahre gedauert haben, bis seine Fantasien reif genug waren. Ich frage mich neuerdings auch, ob es möglich war, dass dieser Mann sogar selbst im Voraus Hilfe gesucht hatte bzw. angebotene Hilfe bereit war anzunehmen. Am Ende war er sicherlich seiner Störung ausgeliefert. Ich denke auch, dass seine Persönlichkeit komplexer war, als ich das manchmal selbst annehme oder annehmen muss. Klar, für mich war er nicht der Hellste aber er könnte genauso gut, nicht völlig ungebildet gewesen sein. Vielleicht sogar ein Typ, der stets versuchte, aus seinen wenigen Möglichkeiten das Beste herauszuholen. Neben dem "armen Schwein", ist es noch ein zweiter Begriff, der mich immer wieder beschäftigt. Es ist die "Neugier". Vielleicht war das sogar eine Art Selbstversuch, seiner Problematik ein Stück näher zu kommen bzw. diese damit zu lösen. Diese Neugierde wären dann meines Erachtens gekoppelt gewesen mit seinen sexuellen Fantasien, die sich so bei ihm, unglücklicherweise, entwickelt hatten. So etwas ist natürlich normal betrachtet, ein vollkommen unverständliches Geschehen für unsereins. Ich verwende deshalb auch gerne den Begriff "Parallelwelt", in die wir gar nicht in der Lage sind einzutauchen, trotzdem hatte diese auch ihre eigenen Gesetze, eben nur außerhalb unserer gewohnten Normen. Auch frage ich mich neuerdings, ob er sich am Ende nicht vor sich selbst erschreckte, vor den furchtbaren Dingen, die er getan hatte. So etwas hängt natürlich auch davon ab, inwieweit jemand wirklich Gut und Böse, Richtig oder Falsch unterscheiden kann. Ein Psychopath ist vielleicht nicht gleich Psychopath. Am Ende bleibt auch die Frage, ob er zurechnungsfähig oder unzurechnungsfähig gewesen war. Ich tendiere eher zum Letzteren aber ich weiß nicht, wo man bei jemanden die Grenze zieht zwischen dem Einschätzen von Gut und Böse, Richtig oder Falsch. Wenn ein Mensch dermaßen von solch unbeschreiblichen sexuellen Neigungen geplagt wird, wie kann er sich davon lösen? Kann ein Mensch, der so etwas macht, noch ein Gewissen haben, sei es noch so klein? Einmal angefangen, konnte er nicht mehr aufhören, vielleicht berauscht davon, dass seine Vorstellungen tatsächlich realisierbar waren. Letzendlich muss ich aber jedoch zugeben, dass es ein Mensch war, der offenbar kein Gewissen besaß. Es ist wahrscheinlich richtig. Aber warum beginne ich dann anders zu denken? Liegt es daran, dass ich die Kenntnisse, die wir heute haben, zu sehr in das Jahr 1888 verlege? Ich glaube, es war Isdrasil, der einmal darauf hinwies, wie ungünstig es vielleicht sein könnte, solch einen Tätertyp aus den Jahren 1888 und 1988 miteinander zu vergleichen. Vielleicht hat er sogar recht und man sollte etwas offener bleiben.

Wurde der Ripper nun eher von den Opfern angesprochen oder sprach er sie eher an? Ich kann mir gut vorstellen, dass es ihm entgegenkam, wenn er angesprochen wurde. Es könnte ihn sogar "beruhigt" haben, wenn die Prostituierten, durch ihr Handeln, sich selbst als Opfer darboten. "Beruhigt" im Sinne von "Nicht verantwortlich sein", gleichzeitig könnte das Angesprochenwerden ordentlich bei ihm getriggert haben. Außerdem zähle ich den Ripper eher zu den schüchternen Vertretern "seiner Zunft", schon Aufgrund seiner Angst vor Frauen. Aber wer weiß, was ein paar Bier bei ihm veränderten. Ich glaube zwar nicht viel aber ausschließen kann ich das ja auch nicht.

Die Schrift am Hauseingang in der Goulston Street, falls vom Ripper verfasst:

War das wohlmöglich ein Hinweis auf frühere Hilferufe? Spekulation vom Feinsten, ich weiß. Aber einmal abgesehen von meinem Vorschlag, was sagt sie uns, falls sie wirklich vom Ripper geschrieben wurde? Welche Rückschlüsse auf seine Persönlichkeit könnten uns offenbart werden?

   
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Offline Stordfield

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #12 am: 30.11.2020 15:55 Uhr »
Hallo!

Um es mal vorweg zu nehmen: Für mich sind die Morde ein deutlicher Ausdruck von Wut, maßloser Wut. Der Ripper, der für mich keiner der genannten Personen, eher jemand wie John Kelly (Catherines Partner), Michael Kidney, Thomas Sadler oder auch "Lederschürze" ist, konnte einfach nicht mehr den Deckel auf dem Dampfkessel halten. In meinen Augen wuchsen da keine Phantasien heran, sondern ein einschneidendes Erlebnis/Ereignis brachte sein ohnehin schon aufbrausendes Temperament zur Explosion. Diese unbändige Rage konnte nicht mehr mit ein paar Schlägen gestillt werden. Jetzt hieß es nur noch zerstören, auslöschen, vernichten. Ich glaube nicht, dass JtR völlig verblödet war, nur im Herbst 1888 hat ihn etwas total aus der, den Umständen geschuldeten, sowieso wackligen Bahn geschleudert. Meiner Meinung nach war es ihm sowas von egal, ob die Opfer schliefen, Handstand machten (sorry) oder ihn sonst wohin führten. Er wollte nur seinen Druck ablassen und danach nicht erwischt werden.
Natürlich weiß ich es nicht, doch ich denke, er litt ab August, oder etwas früher an ungeheuren Seelenqualen. Qualen, die ihn innerlich zerfraßen. Ich sehe nicht unbedingt einen sexuellen Aspekt bei den Taten, eher "Blackouts" durch, für ihn, unkontrollierbare Frustration. Wahrscheinlich ist sein Leben in eine unabänderliche Schieflage geraten, die ihn immer weiter nach unten gleiten ließ, bis er schließlich am Ende der Rutschpartie angekommen war. Hier, völlig am Boden, hatte sein Naturell auch keinen Raum mehr für Empathie. Das einzige Gefühl in ihm bestand in einem Gemisch aus Hoffnungslosigkeit, Angst, Hilflosigkeit, Selbstzweifel und Abscheu vor sich selbst. Dieser Klumpen musste raus!
Also, auf friedlich schlummernde Frauen wird er es bei diesem Gemüts- Chaos sicher nicht ausschließlich abgesehen haben.
Aber, was weiß ich schon...

Gruß Stordfield
« Letzte Änderung: 30.11.2020 16:54 Uhr von Stordfield »
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Offline Lestrade

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #13 am: 30.11.2020 21:03 Uhr »
Hallo Stordfield!

Aber, was weiß ich schon...

So geht es mir, irgendwie, ja auch.

Gruß, Lestrade.
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Offline Stordfield

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Re: "The Five" der Historikerin Hallie Rubenhold
« Antwort #14 am: 30.11.2020 22:04 Uhr »
Nicht so bescheiden, mein Freund.

 :Laie_54:

Schönen Abend noch, Lestrade.

Gruß Stordfield
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