Autor Thema: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!  (Gelesen 79952 mal)

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #90 am: 21.09.2016 13:25 Uhr »
Hallo Lestrade!

Also haben wir es wieder mit einer Straße zu tun, wo einfach durchgezählt wurde - ich hätte auch erst in den Firemaps suchen sollen, die sind einfach am Besten.


Zitat
Matilda und Morris Lubnowski wohnten genau gegenüber von Isaac Abrahams in der Nummer 16. Eine der Adressen hätte der Observationspunkt sein können. Erinnere dich an bestimmte Presseberichte bzw. an die Crawford Letter bzw. Halifax Letter worin ein Angehöriger/ Angehörige bzw. Schwester darauf hinwies, dass ihr naher Verwandter der Ripper sein könnte. In der Theorie von Rob House (er ist der Kozminski Fachmann schlecht hin), heißt es, dass die Polizei von Matilda aus, das Haus von Isaac Abrahams observiert hatte.

Das wäre natürlich eine elegante Erklärung, wenn die Polizei durch die Schwester nach der Messerattacke informiert worden wäre und dann von Räumen der Familie selber aus hätte observieren können.
Hat aber ebenfalls ein paar Haken, diese Theorie:
Wenn die Polizei bei Aarons eigener Familie saß, müssen die sich ja regelmäßig über den Weg gelaufen sein, das hätte bei dem Verdächtigen doch alle Alarmglocken schrillen lassen. Außerdem hätte Cox es wohl erwähnt, wenn sie bei der Familie selber untergekommen wären und die Familie ihnen quasi geholfen hätte - ist ja nicht der Normalfall einer Observation.
Darüber hinaus frage ich mich, ob die in den kleinen Häusern überhaupt Platz für weitere Personen hatten - da wurde ja von der ganzen Familie gelebt und zugleich mit den Mitarbeitern gearbeitet.
Und wie das wohl bei den anderen Schneidern angekommen wäre, wenn die Familie angebliche "Factory Inspectors" zu ihrer Überwachung beherbergt hätten...


Zitat
Ich persönlich wurde in den letzten Jahren etwas skeptischer, halte das aber immer noch für eine sehr gute Idee. Vor einiger Zeit fragte ich Rob House einmal, ob er immer noch an dieser Theorie festhalte, was er bejahte. Immerhin zogen Matilda und Isaac nach der Einweisung von Aaron dort weg.
Persönlich sehe ich den Shop in meiner Theorie nördlich der High Street, also von Middlesex Street an weiter in die östliche Richtung.

Erscheint mir persönlich auch plausibler, dass es da einen anderen Shop gab. Wie ich bereits angemerkt hatte:
Wenn man tatsächlich Schneider observiert und dabei bemerkt wird, erzählt man nicht als Ausrede, man würde Schneider beobachten, sonst könnte das den Observierten warnen. Sinnvoller erscheint es mir hingegen, die eigentliche Zielgruppe in vermeintlicher Sicherheit zu wiegen, indem man auf die Gruppe daneben als angebliches Ziel verweist.
Zudem deutet Cox Hinweis, dass sie regelmäßig als Kunden im Shop auftraten, weniger auf Schneider hin, als auf ein Geschäft für alltägliche Einkäufe. Cox schrieb: "We had the use of a house opposite the shop of the man we suspected, and, disguised, of course, we frequently stopped across in the role of customers." Etwas essen mussten die Polizisten zum Beispiel sowieso, daher erscheint eine Metzgerei plausibel, oder irgendwein anderer Shop für alltägliche Einkäufe, aber ob sie Spesen für regelmäßige Schneiderarbeiten bekommen hätten...


MfG, Arthur Dent

Du hast mich überredet! Ich kopiere die Antwort hier mit rein:

Mahlzeit!

Du hast einen wichtigen Hinweis gegeben, die Attacke auf die eigene Schwester. Am morgen des 22 November 1888, nicht mal einen Tag nach Annie Farmer, gab es einen Messerangriff auf eine Frau nahe Brick Lane. Der Verdächtige wurde dann nördlich in dieser Straße nahe Hanbury Street von der Polizei gestellt. Cox sprach davon, dass man nach Kelly auf seine Spur kam. Und auch hier wieder, denke an bestimmte Presseberichte als auch an die Crawford und Halifax Letter. Den Crawford Brief hatte Anderson in seinen Unterlagen aufbewahrt. Hier hat vermutlich eher eine Frau Hilfe gesucht. Vielleicht schon vor der Messerattacke, wenn wir jetzt mal bei Aaron Kozminski bleiben. Hat Aaron Kozminski seine Schwester Matilda Lubnowski mit dem Messer bedroht, wir wissen zwar nicht wann aber nehmen wir mal dieses Datum vom November 1888, dann gibt es gute Erklärungen, warum Cox und die seinen, den Lubnowski Shop genutzt haben könnten.

Ein guter Grund ist Angst. Den vermeintlichen Jack the Ripper in seiner eigenen jüdischen Familie zu haben, muss damals als Vorstellung der Horror gewesen sein. Du musst aktiv werden, bevor alles noch schlimmer wird. Aaron Kozminski hätte sicherlich nicht mehr in das Haus der Lubnowskis gedurft. In solchen Momenten ist auch Platz in der kleinsten Hütte. Hier ging es um viel mehr als um irgendwelchen Befindlichkeiten. Hier ging es um Leben oder Tod, um Überleben und eine gesicherte Zukunft.

Was Du vielleicht nicht weißt, zu der Zeit der Morde wurde viel im "Sweating System" u.a. der Schneider ermittelt. Das erste Treffen gab es politisch gesehen im März 1888, der Endbericht muss so nach einem Jahr veröffentlicht worden sein (ich schreibe jetzt nur aus der Erinnerung). Einer der Mitglieder des Kommittees war der Earl of Crawford, James Ludovic Lindsay. Du erkennst jetzt sicherlich den Zusammenhang zur Crawford Letter bei Anderson. Dieses Kommittee hatte seine Ermittler und als diese gaben sich offensichtlich Cox und Co aus, obwohl sie Polizisten waren. Als Cox und Kollegen auftauchten, waren die Schneider auf gewisse Art und Weise schon an deren Arbeit gewöhnt, wenn auch nicht glücklich damit. Das West End ließ immer mehr im East End produzieren und die Greenfield Street Location war eine der Produktionsstandorte dort. Ich glaube, es war dann auch im März 1889, dass die Schneider mit einer Demo mobil machten. Es ging von der Berner Street bis zur Duke Street.

Desweiteren gab es von Frau Kuer in der Batty Street, bezüglich blutiger Wäsche nach dem Double Event, einen weiteren wichtigen Hinweis. Die Wäsche gehörte angeblich einem Schneider aus der Umgebung, der für ein West End Haus produzierte. Das könnte Isaac Abrahams gewesen sein. Falls Aaron Kozminski der Verdächtige war, hätte die Familie schon voller Sorge gewesen sein können, gerade auch dann, wenn gegen ihn wegen der blutigen Wäsche ermittelt wurde. Bezüglich eines der Presseberichte, wonach ein Angehöriger einer Familie bezüglich eines Mitgliedes der selben in Sorge war, könnte noch vor der Klärung zur Herkunft der blutigen Kleidung veröffentlicht worden sein. Wenn die besorgte Person dann selber noch angegriffen worden wäre, dann wäre das für diese Familie eine riesige Katastrophe gewesen. Ich stelle mir das wirklich grausam vor. Ein Kompromiss hätte gelautet haben können, dass die Polizei ihn nicht mehr aus den Augen lässt. Dabei hätte die Familie geholfen haben können. Auch in der Hoffnung, dass sich der Ripper als jemand anderes am Ende rausstellen würde. Der Verdächtige, wenn den der psychisch schwerkranke Aaron Kozminski, hätte doch garnicht mitbekommen, wenn Cox aus dem Shop seiner Schwester gegangen wäre. Cox wartete ja... wir kennen seine Schilderungen diesbezüglich... was da bei seiner Schwester abging, hätte er überhaupt nicht gewusst, gerada auch dann, wenn ihm der Zutritt verwährt worden ist. Die Straße war lang, die Polizei achtete sicherlich darauf, dass man verschiedene Punkte in der Greenfield Street nutzte, um die Ermittlungen durchzuführen. Jeder Schneider wurde zu der Zeit vom Kommittee unter die Lupe genommen. Vielleicht quartierte man sich auch per "rechtlichen Beschluss" im Lubnowski Shop ein. Offiziell hätten diese dafür garnichts gekonnt. Außerdem, so Cox, freundeten sich die Beamten nach und nach mit ihnen an. Es wurde gesellig. Warum Cox und die City Police Kosminski übernahmen, könnte auch daran liegen, dass er vielleicht von City Beamten gestellt wurde, auch wenn die Brick Lane nicht zu ihrem Bereich gehörte. Aber sie durften ja auch die Bewohner des Goulston Street Wohnhauses nach dem Mord an Eddowes befragen. Außer dieser Mord, fanden alle Morde außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches statt, ihre Kräfte hatten sicherlich die MET Beamten und deren Polizisten unterstützt.

Lestrade.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #91 am: 21.09.2016 13:47 Uhr »
Zitat
6 Tacobs Aaron, butcher

Könnte das Aaron Jacobs heißen? Aaron Kozminski hatte im Dezember 1889 eine Anhörung wegen eines Hundes. Er sagte, der Hund gehöre zu Jacobs. Der war ja Butcher wie sein Cousin Jacob Cohen. Gestellt wurde er auf dem Gebiet der City Police in Cheapside. Ich erinnere an den Butchers Row Verdächtigen. One of "His friends" (Sagar), hätte ja dieser Aaron (J)Tacobs sein können. Da würde ich gerne nachforschen...

Stimmt: im Post Office London Directory 1895 steht da "6 Jacobs, Aaron, butcher"!
Siehe Page 249:
http://cdm16445.contentdm.oclc.org/cdm/compoundobject/collection/p16445coll4/id/8845/rec/79

Solche Fehler treten öfter beim automatischen Einscannen mit einer OCR von einem schlechten gedruckten Original auf - kannst du in den eingescannten Post Office Directories unter obigen Link immer wieder sehen.


Da hätten wir hier eine weitere spannende Facette - nicht nur, was die Hundegeschichte angeht.

Ich denke an die Geschichte nach dem Mord an Frances Coles (13. Februar 1891), als sich Verdächtigungen wie im Automn of Terror mit den Gerüchten um "Lether Apron" verbreiteten unter den Bewohnern des Eastends, doch diesmal sollte laut Mundpropaganda ein gewisser jüdischer Metzger namens "Jacobs" (!) der Mörder gewesen sein.

Benjamin Leeson in "Lost London: The Memoirs of an East End Detective" (1934):
"... a story circulated that the Ripper was a butcher, who wore blue overalls and a leather apron, and an English Jew named Jacobs, a perfectly harmless man, somehow attracted suspicion to himself. Possibly because, working in a slaughter house, he always wore a leather apron. People would point Jacobs out in the street as a suspected man, and more than once he had to run for it. I myself was often obliged to take him to the police station for protection. The thing so preyed on the poor fellow's mind that it finally caused him to lose his reason."   

Das würde passen wie die Faust aufs Auge: Die Leute bemerkten Observationen bei ihnen in der Straße, Gerüchte gingen um, wer da beobachtet wird... Ein Aaron steht unter Observation und ein Jacob - und da beim Ripper viele an einen Metzger denken...

Ich finde, unsere anfängliche Rumspinnerei mit der Verwechslung von zwei Anstaltsinsassen erhält immer plausiblere Züge:

Zwei unter Beobachtung stehende jüdische Verdächtige landen schließlich im Irrenhaus.
Der eine heißt Aaron Kosminski, hat Familienangehörige namens Abrahams und Metzger-Verwandschaft namens Jacob und einen Metzger-Nachbarn namens Aaron Jacobs.
Der andere ist Metzger, heißt Jacob, hat eine Frau geborene Abrahams und einen Metzger-Nachbarn namens Aaron Krotoski.
Zu den Namens-Verwirrungen kommen dann noch die Adress-Verwirrungen durch die Umstrukturierung der Straße und die Umzüge der Familien hinzu...

Und schließlich kommt dann in den Erinnerungen von Macnaghten und Swanson dabei heraus, der Verdächtige Kosminski wäre schon bald in der Anstalt verstorben, obwohl er noch lebte und es Jacob Levy war, der bereits 1891 starb...
Unglücklicherweise erwähnte Macnaghten später in seinem Memorandum am 23. Februar 1894 den Verdächtigen Kosminski namentlich - vermutlich im Irrglauben, der Betroffene sei bereits wie Druitt gestorben und es daher nicht mehr schlimm.
Aber weil Kosminski doch noch lebte, wurde er danach sicherheitshalber am 19. April 1894 von Colney Hatch nach Laevesden überführt...


MfG, Arthur Dent
« Letzte Änderung: 21.09.2016 16:35 Uhr von Arthur Dent 2 »

Offline Arthur Dent 2

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #92 am: 21.09.2016 16:33 Uhr »
Hallo Lestrade!

Zitat
Hat Aaron Kozminski seine Schwester Matilda Lubnowski mit dem Messer bedroht, wir wissen zwar nicht wann aber nehmen wir mal dieses Datum vom November 1888, dann gibt es gute Erklärungen, warum Cox und die seinen, den Lubnowski Shop genutzt haben könnten.

Ein guter Grund ist Angst. Den vermeintlichen Jack the Ripper in seiner eigenen jüdischen Familie zu haben, muss damals als Vorstellung der Horror gewesen sein. Du musst aktiv werden, bevor alles noch schlimmer wird. Aaron Kozminski hätte sicherlich nicht mehr in das Haus der Lubnowskis gedurft. In solchen Momenten ist auch Platz in der kleinsten Hütte. Hier ging es um viel mehr als um irgendwelchen Befindlichkeiten. Hier ging es um Leben oder Tod, um Überleben und eine gesicherte Zukunft.

Das erscheint mir durchaus schlüssig - ich zögere nur deshalb, dem uneingeschränkt zuzustimmen, weil mir in so einem Falle als erstes einfiele, den gefährlichen Verrückten so schnell wie möglich in eine Anstalt einzuweisen. Wieso sollten Verwandte und Polizei ihn noch so lange in der Straße unter Beobachtung halten? Das kostet Zeit, Geld, Nerven. Wenn der Angriff bzw. die Bedrohung schon stattgefunden hätte, dann hätte man ja bereits einen guten Grund für die Einweisung gehabt. Wieso das Risiko eingehen, dass er entwicht und noch mal etwas "anstellt"? Das wäre für die Familie und die Polizei gleichermaßen katastrophal gewesen.


Zitat
Was Du vielleicht nicht weißt, zu der Zeit der Morde wurde viel im "Sweating System" u.a. der Schneider ermittelt. Das erste Treffen gab es politisch gesehen im März 1888, der Endbericht muss so nach einem Jahr veröffentlicht worden sein (ich schreibe jetzt nur aus der Erinnerung). Einer der Mitglieder des Kommittees war der Earl of Crawford, James Ludovic Lindsay. Du erkennst jetzt sicherlich den Zusammenhang zur Crawford Letter bei Anderson. Dieses Kommittee hatte seine Ermittler und als diese gaben sich offensichtlich Cox und Co aus, obwohl sie Polizisten waren. Als Cox und Kollegen auftauchten, waren die Schneider auf gewisse Art und Weise schon an deren Arbeit gewöhnt, wenn auch nicht glücklich damit. Das West End ließ immer mehr im East End produzieren und die Greenfield Street Location war eine der Produktionsstandorte dort. Ich glaube, es war dann auch im März 1889, dass die Schneider mit einer Demo mobil machten.

Diese Hintergründe kannte ich in der Tat noch nicht. Das macht die Cover-Story natürlich naheliegend und absolut glaubwürdig. Und wenn sowieso jeder längst wusste, dass die Schneider überprüft wurden, mussten sie nicht einmal auf heimlich machen, sondern konnten ganz offen mit dieser Cover-Story hausieren gehen, ohne dass es beim Observierten Verdacht erregte.


Zitat
Außerdem, so Cox, freundeten sich die Beamten nach und nach mit ihnen an. Es wurde gesellig.

Stimmt. Wir hatten ja bereits die These aufgestellt, dass sie auf bestechlich machten, mit ihnen rauchten und tranken, um ihr Vertrauen zu gewinnen und von der eigentlichen Aufgabe abzulenken.

Wie gesagt, das einzige, was mir noch etwas "Zahnweh" bereitet ist der Umstand, dass man sich entschloss zu warten und zu beobachten, statt einen bereits nachgewiesenen Übergriff zu nutzen, ihn in eine Anstalt zu sperren. Das kann ja nur den Grund gehabt haben, dass man ihn "red handed" erwischen wollte. Das wäre dann zwar vielleicht noch im Sinne der Polizei gewesen, da sie den Fall sauber hätte abschließen können - jedoch nicht im Sinne der Familie. Und wenn das schiefgegangen wäre, hätte das üble Folgen gehabt.


MfG, Arthur Dent

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #93 am: 21.09.2016 20:08 Uhr »
Hi Arthur,

Zu der Butcher Geschichte nach Coles:

Kurz vor dem Mord landete Aaron Kozminski in Colney Hatch. Möglicherweise fiel den Leuten nach dem Mord an Coles dann auf, dass dieser Mann nicht mehr zu sehen ist. Vielleicht gab es Gerüchte über ihn... das würde natürlich den Link zu Sagar´s Butchers Row Suspect herstellen...

Macnaghten sprach ja nicht vom Ableben Kosminskis. Er sagte im Memorandum, dass er glaube, er sei immer noch in jener Anstalt, in der er um den März 1889 eingeliefert wurde. Sims seinerseits sprach davon, dass der "Polish Jew" noch lange nach Ende der Mordserie am Leben war und sogar zeitweise auf freiem Fuß. Es macht aber im Bezug zu Swanson Sinn, dass es da mehrere Verdächtige gab, die wichtig waren und einer davon starb... eben aber nicht Kosminski, dem er das dann zuordnete... Bereits 1895 sagte Swanson, dass er glaube, dass der mögliche Ripper bereits verstorben sei... Spannend ist, dass 1901 Swanson als auch Anderson die entsprechenden Einbürgerungspapiere für seinen Bruder Isaac Abrahams unterschrieben... auch da müsste an Swanson vorbeigegangen sein, dass Aaron Kozminski noch immer am Leben ist...

Ich kann mir gut vorstellen, dass nach einigen Monaten Observation, eine Veränderung erforderlich war. Wie lange wollten Cox und Co. diese Nummer in ein- und derselben Straße durchziehen? Wie lange wollten sie den Lubnowskis auf den Nerv gehen? Bei dem Verdacht waren vielleicht Familie und Polizei der einheligen Meinung, ihn woanders zu beschäftigen. Eine Umsiedlung aus "privaten und polizeitaktischen Gründen" wäre doch in so einem Falle nicht ganz unlogisch. Nachdem Cox aus der Greenfield Street abzog, dauerte es möglicherweise nicht lange und Kosminski landete in der Butchers Row unter den Augen von Sagar. Er muss ja dort nicht lange gearbeitet haben und wurde dann mit Hilfe "von Freunden" in eine Anstalt eingewiesen. Für so etwas muss man vielleicht auch Beziehungen gehabt haben, wie mit einem Jacob Cohen oder dem "mutmaßlichen" Aaron Jacobs.

Die Polizei konnte ja nicht ohne Beweise oder Gründen Kosminski einweisen, gerade auch dann, wenn er einer familiären Betreuung unterlag. Anderson sagte ja auch, dass seine Sippe ihn nicht ausliefern wollte. Ich persönlich halte es für möglich, dass sie ihn doch noch auslieferten, nämlich nach der ID im Seaside Home, wenn vielleicht auch nicht gleich. Da war ein Zeuge und auch wenn der zurückzog, er hätte es sich ja wieder überlegen können. Ein Kompromiss, um zu gewährleisten, dass er nie wieder einen Tag in Freiheit verbringen darf. Eine mögliche Privatunterbringung durch die Familie in einer Anstalt (Surrey?), bedeutete ja immer nur eine temporäre Wegsperrsituation.

Falls es Matilda war, welche er versuchte zu attackieren, war das vielleicht ein Mordversuch? Den eigenen Bruder in einem Verfahren anklagen, just zu dieser Zeit? Wir finden nichts weiter über jene Attacke am Morgen des 22 November 1888. Eine Möglichkeit wäre, dass Opfer und Täter verwandt waren und es deshalb zu keiner Anklage kam. Spekulation...

Dazu kommt das eigene Rechtsempfinden der jüdischen Bevölkerung. Ein Mörder, so meine ich mich zu erinnern, muss von zwei Zeugen identifiziert werden. Gegen Kosminski gab es nie wirklich rechtliche Beweise aber sicherlich eine Menge Indizien. Der Mann, der ihn an den Galgen bringen konnte, verweigert sich im Seaside Home. Wir wissen ja auch nicht, wie Kosminski war. Ein Häufchen Elend vielleicht, harmlos wirkend, Familienmitglieder lieben sich in den meisten Fällen einander. Was hätten wir getan, wenn unser Bruder einem derartigen Verdacht ausgesetzt gewesen wäre, wenn wir wüssten, dass er psychisch schwer und unheilbar krank ist? Wir würden zumindest Zeit gewinnen wollen, die Hoffnung stirbt zuletzt. Was denken Nachbarn, wenn der Bruder plötzlich nicht mehr da ist und zeitgleich die Mordserie endet? Welche Rolle spielte Rabbi Israel Lubnowski, der Schwager von Matilda? Wir betrachten so etwas natürlich stets aus der Sicht des nicht Betroffenen. Aber wie handeln Betroffene in Wirklichkeit? Ich denke, dass Familie und Polizei "zusammenarbeiteten", auch zum Schutze vor weiteren Morden. Sie ließen ihn nicht aus den Augen, wenn er auf freiem Fuß war und erfuhren es sofort, wenn er entlassen wurde.

Es wurde ja sehr ruhig nach dem Kelly Mord. Irgendetwas wie in der beschriebene Art, könnte danach stattgefunden haben. Das würde auch erklären, warum man erst so spät genaueres von Anderson, Swanson, Cox und Sagar erfuhr.

Soweit meine Gedanken dazu (im letzten Post hatte ich vergessen, dass, als man die blutige Wäsche fand, sich Woolf Abrahams aus der Providence Street/ Berner Street verabschiedete)

Lestrade.
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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #94 am: 21.09.2016 20:30 Uhr »
P.S.: Half die Familie der Polizei, hätte es die Absprache gegeben haben können, dass, falls er erwischt wird, er zunächst an einen sicheren Ort gebracht wird, so, wie vielleicht auch im Falle der Seaside Home ID. Vielleicht wäre die Familie, nach einer erfolgreichen ID, umgesiedelt worden, andere Stadt möglicherweise. Woolf zog ja auch nach Manchester (und später wieder zurück, Jacob Cohen war aus Manchester). Nötig geworden ist das dann aber nicht. Es ging ja nach Aaron Kozminski´s Einweisung nur in die nahe Gegend für die Geschwister. Eine stark abgeschwächte Variante im Gegensatz zum Worste Case Scenario.
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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #95 am: 22.09.2016 13:52 Uhr »
Hallo zusammen, hallo Lestrade!


Ich hatte vor beträchtlicher Zeit mal mit einer Zusammenfassung über Kozminski angefangen - die könnte als Basis für eine aktualisierte Kozminski-These aus einem Guss dienen.


Ich stelle sie mal hier ein - mit der Bitte um Ergänzung noch fehlender Facetten bzw. Korrektur von Irrtümern.


MfG, Arthur Dent

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #96 am: 22.09.2016 14:09 Uhr »
Jack the Ripper - Tatverdächtiger Aaron Kosminski


Im Fall der Ripper-Morde wurde ein Kosminski sowohl von Polizeichef Macnaghten als auch vom leitenden Ermittler Swanson als Hauptverdächtiger genannt - jedoch verzichteten beide auf die Angabe seines Vornamens, so dass zunächst unklar war, welchen "Kosminski" sie meinten.
Chief Constable Sir Melville Macnaghten stellte Kosminski als einen der drei Hauptverdächtigen in seinem am 23. Februar 1894 verfassten offiziellen polizieiinternen Memorandum vor (das allerdings erst 1959 öffentlich bekannt wurde). Und Chief Inspektor Swanson notierte in seinem persönlichen Exemplar von Assistant Commissioner Robert Andersons Memoiren zu dem Verdächtigen, den die Polizei überwachte und der schließlich in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wurde: "Dieser Verdächtige war Kosminski."
Durch die Recherche des Ripperologen Martin Fido wurde 1987 in den Unterlagen des "Colney Hatch Lunatic Asylum" schließlich ein Aaron Kosminski gefunden.

Bevor die o.g. Quellen mit dem Namen Kosminski gefunden wurden, waren lediglich allgemeine Informationen über einen polnischen Juden als Verdächtigen öffentlich bekannt. So schrieb Major Arthur G.F. Griffiths in seiner Reihe "Mysteries of Police and Crime" 1898 ohne Namensnennung von "a Polish Jew, a known lunatic who was at large in the district of Whitechapel at the time of the murders and who (...) was confined to an asylum" (Mysteries of Police and Crime, by Arthur G.F. Griffiths, 1898, vol. 1, London: Cassell).
Darüber hinaus schrieb der Londoner Journalist George Sims über den "Polish Jew suspect" und gab weitere Details zu dem Verdächtigen bekannt, darunter die Information, dass er zeitweise in einem polnischen Hospital gearbeitet habe (Lloyd’s Weekly News, 22. September 1907).
Erst mit der Veröffentlichung von Macnaghtens Memo und dem Fund der Swanson-Marginalien konnte eine Verbindung des "Polish Jew suspect" mit dem Namen Kosminski vorgenommen werden, und Ripperologen begannen Aaron Kosminskis Leben zu rekonstruieren.


1865: Aaron Kosminskis Geburt
Aaron Kosminski wurde in Osteuropa, entweder in Russland oder dem vom Zarenreich annektierten Polen, geboren - höchstwahrscheinlich als Aron Mordke Kozminski am 11. September 1865 in Kłodawa, Kongresspolen.

Mit seiner Herkunft erfüllt Kosminski einen wesentlichen Aspekt in den frühesten öffentlichen Beschreibungen des Verdächtigen im Ripper-Fall von Griffith und Sims, die beide in unmittelbaren Kontakt zur Führungsebene der Polizei standen, und von einem polnischen Juden sprachen.


1881/1882: Emigration nach London
Vermutlich um den antisemitischen Pogromen in Osteuropa zu entgehen, emigrierte Aarons Familie mit dem jungen Mann über Deutschland nach London ins Eastend.

Wann genau er seine Heimat verließ, ist unklar. Der Ripperologe Robert House: "It is not clear exactly when Aaron and his extended family left the Pale. It was certainly after 1880, and before 1882. I would argue that the pogroms in March 1881 caused the Kosminskis to decide to emigrate west. This was the case for hundreds of thousands of Jews who decided to emigrate west after the pogroms." http://www.casebook.org/dissertations/robhouse-kosminski.html


Nähe zu den Opfern

Soweit bekannt, wohnte Aaron bei seinen Verwandten, die in der Zeit der Morde bis zu Aarons Einweisung in die psychiatrische Anstalt "Colney Hatch Lunatic Asylum" am 7. Februar 1891 im Eastend von London lebten, nicht weit von den Tatorten entfernt:
Bruder Isaac Abrahams: Juni 1886 – Mai 1891 Greenfield Street 74.
Schwester Matilda und Schwager Morris Lubnowski: Dezember 1885 – Februar/März 1891 Greenfield Street 16.
Bruder Woolf Abrahams: Mitte 1887 bis Oktober / November 1888 Providence Street 25, vor März 1889 bis nach Mai 1889 Yalford Street 34 (gegenüber der Greenfield Street), im Sommer 1890 dann Sion Square 3 / Mulberry Street - diese Heimatadresse wird auch für Aaron bei seiner vorübergehenden Einlieferung ins "Mile End Old Town Workhouse" am 12. Juli 1890 angegeben. 

Damit wohnte die Familie zur Zeit der Morde innerhalb der Comfort Zone des Rippers. Sowohl für die zeitgenössischen als auch die modernen Ermittler war JTR mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Einheimischer mit guter Ortskenntnis, was es ihm ermöglichte, sich schnell und unauffällig zu bewegen und die Polizeistreifen zu meiden, um bei seinen Taten und auf der Flucht nicht erwischt zu werden und relativ schnell von der Straße zu verschwinden.

Robert House schreibt in seinem geographischen Profil:
"First, it is interesting to note that 3 of the murder sites are almost precisely equidistant from Sion Square: Buck's Row, Hanbury Street, and Dorset Street. Eddowes murder occurred about 1/4 mile further out. Also note that the Berner Street site and George Yard are also almost equidistant from the center of the circle. The Tabram site, however is closest. This is also significant as the FBI reports in Warren et al 1995 that the first attack in a serial homicide was likely to occur closest to the offender's home." http://www.casebook.org/dissertations/robhouse-kosminski.html

Interessant sind auch die Umzugsaktivitäten der Familie:
Woolf Abrahams zog irgendwann im Zeitraum des Double Event von der Providence Street (wenige Meter vom Stride-Tatort entfernt) in die Yalford Street, wahrscheinlich sogar kurz danach. Er nahm jedenfalls nach dem Double Event seine Tochter von der Schule in der Berner Street und meldete sie an einer anderen an. Schließlich zog er erneut um in den Sion Square 3 (vielleicht gab es dazwischen auch noch vorübergehend eine andere Unterkunft).
Die Geschwister Isaac und Matilda zogen 1891 aus der Greenfield Street weg, kurz nachdem Aaron am 7. Februar 1891 in die psychiatrische Anstalt "Colney Hatch Lunatic Asylum" eingeliefert worden war.
Diese zeitliche Folge der Ereignisse lässt einen Zusammenhang mit Aaron plausibel erscheinen.


Fachliche Kenntnisse im Umgang mit Klingen
In den Akten der Nervenheilanstalt wird als Beruf von Kosminski Haarschneider angegeben, seine Brüder Woolf und Isaac waren Schneider, sein Schwager Morris Lubnowski Stiefelmacher und sein Verwandter Jacob Cohen sogar Metzger. Darüber hinaus soll der "Polish Jew Suspect" als Jugendlicher laut dem Journalisten George Sims in Polen vorübergehend in einem Hospital gearbeitet haben - als was ist allerdings unklar.

Damit hätte Aaron Erfahrung in dem Umgang mit Klingen (Scheren, Messern) gehabt und könnte möglicherweise auch etwas von medizinischen Eingriffen mitbekommen haben. Darüber hinaus hatte er mit Jacob Cohen einen Metzger als Verwandten, und seine Familie hatte vermutlich auch Bekannte im Eastend, die Metzger waren.


Ausgeprägte psychische Probleme
Bereits 1885 wurde Kosminski dem Ripperologen Donald Rumbelow zufolge das erste Mal als psychisch krank diagnostiziert (so steht es auch in dem Aufnahmeformular der psychiatrischen Anstalt "Colney Hatch Lunatic Asylum" von 1891). Dies soll sich in Halluzinationen und paranoiden Wahnvorstellungen geäußert haben, und hatte zur Folge, dass Aaron schließlich bis zu seiner Einweisung in die Psychiatrie keiner geregelten Arbeit mehr nachging.

Ein Auslöser könnte gewesen sein, dass er als Jugendlicher Zeuge der Pogrome geworden war. Robert House: "So assuming Aaron was still in the Pale in March 1881, he would have witnessed these violent attacks in person. This would have had a severly damaging effect on Aaron, both psychologically and emotionally. It is likely that he witnessed violent acts, destruction of property, and possibly even murder and rape."

Aber auf Aaron Kosminski trafen laut Ripperologe Robert House noch mehrere zusätzliche Faktoren zu, die von Fallanalysten überdurchschnittlich häufig in der Jugend von Serienmördern zu finden sind und eine entsprechende psychopathologische Entwicklung befördern.
Typisch für das Profil eines Sexualmörders sind nach dem Buch "Sexual Homicide, Patterns and Motives" der Profiler Robert K. Resseler, Ann W. Burgess, and John E. Douglas folgende Erfahrungen während der Kindheit und Jugend:
- Fehlen eines stabilen Zuhauses und sozialen Umfelds, häufiges Umziehen
- Fehlender Vater / wechselnde Bezugspersonen
- Anhaltende Erfahrungen von Feindseligkeit / Ablehnung
- Erfahrungen sexueller Gewalt
- Zwanghaftes Masturbieren
- Unstetige Arbeitsverhältnisse
Der allgegenwärtige Antisemitismus und die Pogrome (dabei möglicherweise auch Fälle sexualisierter Gewalt), das Auswandern und ständige Umziehen der Familie, seine Geschwister als Ersatzeltern, die den schwierigen Jungen untereinander hin und her schoben, möglicherweise obsessive Selbstbefriedigung (laut Macnaghten) und seine Unfähigkeit, geregelter Arbeit nachzugehen - damit treffen wesentliche Gefährdungsaspekte bei Aaron zu und er erfüllt die meisten Risikofaktoren im Profil eines künftigen Serienmörders.
Ein einziges Hauptmerkmal fehlt: Über eine frühe Delinquenz Aarons ist bisher nichts bekannt.
 

Die Mordserie

Dienstag, 7. August 1888: Martha Tabram im George Yard
Tabram wurde im Treppenhaus des George Yard Buildings 37 vermutlich das erste Opfer von JTR.
Tabram war auf einer Kneipentour mit ihrer Bekannten Mary Ann Connely ("Pearly Poll") und zwei Soldaten. Gegen 0 Uhr trennten sich die Pärchen um Sex zu haben, Connely ging mit dem Corporal zur Angel Alley, und Tabram verschwand mit dem Private in den George Yard.
Gegen 1.40 Uhr stieg das Ehepaar Elizabeth und Joseph Mahoney das Treppenhaus zu ihrem Zimmer hinauf und sah nichts. Auch als Elizabeth Mahoney es kurz darauf wieder durchquerte, um in einem Shop in der Thrawl Street etwas zu Essen zu kaufen, lag Tabram noch nicht da.
Tabram wurde mit einem Stich ins Herz getötet und mit insgesamt 39 Messerstichen in Brust und vor allem Unterleib traktiert. Sie lag auf dem Rücken, ihre Kleider waren hochgeschoben und ihre Beine gespreizt, ebenso wie bei den kanonischen Ripper-Opfern.
Gefunden wurde die Leiche auf dem Absatz des ersten Stocks gegen 4.45 Uhr durch Bewohner John Saunders Reeves, nachdem bereits Bewohner Alfred George Crow gegen 3.30 Uhr Tabram für einen schlafenden Obdachlosen gehalten hatte. Damit muss die Tatzeit zwischen 1.45 Uhr und 3.30 Uhr liegen. Reeves suchte eine Polizeistreife und fand Constable Thomas Barrett auf seiner Runde.

Der Soldat dürfte wohl der Letzte gewesen sein, der Tabram lebend gesehen hat, konnte aber weder von "Pearly Poll" noch von Constable Barrett bei Gegenüberstellungen identifiziert werden, obwohl letzterer auf seiner Streife durch die Wentworth Street gegen 2 Uhr einen Private der Grenadier Guard am Nordende des George Yard stehen sah und ihn ansprach. Der Private sagte dem Polizisten, er warte auf einen Kameraden, der mit einem Mädchen unterwegs sei, darauf ging Barrett weiter seine Streife, bis er drei Stunden später von Reeves zum Tatort gerufen wurde.
Der unbekannte Soldat könnte also den Mord verübt haben, dennoch war er aber wahrscheinlich nicht der Täter: Rund zwei Stunden für Sex mit einer älteren, unattraktiven Prostituierten an einem öffentlich zugänglichen Ort erscheint doch ein ziemlich langer Zeitraum. Wenn sie so lange im Treppenhaus von Nr. 37 gewesen wären, wäre wohl auch das Ehepaar Mahoney oder ein anderer Bewohner auf beide gestoßen.
Zudem hätte ein blutbefleckter Mörder wohl kaum in unmittelbarer Nähe des Tatorts auf seinen Kameraden gewartet und so entspannt auf Polizist Barrett reagiert. Barrett jedenfalls kam nichts an ihm und seinem Verhalten verdächtig vor.
Wahrscheinlicher ist, dass sich Tabram nach 1.45 Uhr noch mit einen anderen Mann - eben dem Ripper - in den George Yard zurückgezogen hat.

Erkenntnissen der modernen Kriminologie zufolge stammt das erste Opfer eines Serientäters oft aus seinem näheren räumlichen Umfeld.
Tabrams letzte bekannte Adresse war Satchell's Lodging House in der George Street, und die Kneipentour endete vor den George Yard Buildings.
Die Adressen von Aaron Kosminski, Sion Square 3 / Mulberry Street (falls er 1888 schon dort wohnte), und seiner Familie in der Greenfield Street 16 und 74 liegen nur rund 200 bzw. 300 Meter oder etwa 2-4 Minuten Fußweg von beiden Orten entfernt.


Freitag, 31. August 1888: Marie Ann Nichols in der Buck's Row

Nichols übernachtete zuletzt im White House Nachtasyl in der Flower and Dean Street 56.
Gegen 2.30 Uhr wurde Nichols zuletzt lebend gesehen von ihrer Bekannten Emily Holland an der Ecke Osborn Street / Whitechapel High Street, fast einen Kilometer vom Tatort entfernt, bevor sie betrunken auf der Whitechapel Road weiter Richtung Osten wankte.
Bis ca. 3.20 Uhr kamen nacheinander die Polizisten Neil, Thain und Kirby auf ihren Runden durch die Buck's Row, ohne etwas Verdächtiges zu sehen.
Gegen 3.45 Uhr fanden dann Charles Andrew Cross und Robert Paul auf ihrem Weg zur Arbeit die Leiche von Nichols vor einem verschlossenen Tor (vermutlich hatte der Täter vergeblich versucht, mit ihr in den Hof zu gelangen). Die Tatzeit muss also zwischen 3.20 Uhr und 3.45 Uhr betragen.

Cross war als erster und allein am Tatort, bis Paul kurz darauf dazustieß. Somit könnte Cross der Täter gewesen sein, zumal die Informationen zu seinen Zeitangaben nicht stimmen können: Er gehe gewöhnlich gegen 3.30 Uhr von zuhause los, sagte er aus, habe diesmal aber sogar zehn Minuten früher das Haus verlassen. Von seiner Adresse in der Doveton Street bis zum Tatort brauchte man aber gerade mal 10 Minuten - es fehlt eine ganze Viertelstunde. Zudem liegen alle Tatorte JTRs auf den Wegen zwischen der Wohnung von Cross, seiner Arbeit als Fleisch-Auslieferer in der Broad Street und dem Wohnort seiner Mutter in der Berner Street.
Allerdings hätte Cross, als er die Schritte von Paul hörte, einfach nach Westen verschwinden können, ohne erkannt zu werden, statt auf ihn zu warten: Es sind rund 100 Meter vom östlichen Ende der Buck's Row bis zum Tatort und es war noch dunkel. Bis zu den Querstraßen im Westen als Fluchtwege sind es nur wenige Meter. Stattdessen wartete er auf Paul, wies ihn erst auf den am Straßenrand liegenden Körper hin und ging mit Paul einen Polizisten suchen.
Außerdem lebte er noch mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Morde als unbescholtener und gesunder Bürger weiter. Daher war Cross wohl eher nicht der Ripper.   

Die Ecke Osborn Street / Whitechapel High Street ist nur rund 100 Meter von Kosminskis Adresse Sion Square 3 / Mulberry Street bzw. 200 Meter von der Adresse seiner Familie in der Greenfield Street entfernt. Darüber hinaus ging Nichols nach Osten, kam also direkt an den Einmündungen auf die Hauptstraße vorbei, die Kosminski genutzt hätte.
Der Tatort Buck's Row ist nur etwa 400 bis 500 Meter oder 5-7 Minuten Fußweg von beiden Adressen entfernt.

Interessant ist, dass sich laut den Polizeiakten und in der Presse (5. bis 10. September) schon nach diesem Mord ein Gerücht bildete und umging, ein gewisser "Leather Apron" solle der Täter gewesen sein. Nach dem Chapman-Mord (s.u.) geriet dann der aus Polen stammende jüdische Schuhmacher John Pizer vorübergehend unter Verdacht, der diesen Spitznamen getragen haben soll.
Parallelen zu Kosminski sind vorhanden: auch er war ein polnisch-stämmiger Jude, und sein Schwager Morris Lubnowski war Bootmaker. Der keiner regelmäßigen Arbeit nachgehende Aaron könnte zeitweise für seinen Schwager tätig gewesen sein.


Samstag, 8. September 1888: Annie Chapman in der Hanbury Street

Chapman verbrachte ihre letzten Nächte in der Crossingham's-Unterkunft in der Dorset Street 35.
Gegen 1.50 Uhr verließ sie das Asyl Richtung Norden in die Brushfield Street.
Gegen 5.30 Uhr am frühen Morgen wurde Chapman zum letzten Mal lebend gesehen, und zwar von der Zeugin Elizabeth Long. Unmittelbar vor dem Tatort in der Hanbury Street 29 nur etwa 300 Meter vom Asyl entfernt soll sie laut Longs Aussage mit einem Freier gesprochen haben: "Willst du?" - "Ja."
Long beschreibt den Verdächtigen wie folgt: Knapp 40 Jahre alt, etwas größer als Chapman, dunkler Mantel und tief ins Gesicht gezogener dunkler Hut, fremdländisches Aussehen.
Etwa zur selben Zeit geht Albert Cadosch aus dem Nachbarhaus Nr. 27 in seinen Hinterhof zur Toilette, als er danach ins Haus zurück will, hört er vom Hof nebenan zunächst ein leises "No" und wenige Minuten später bei seinem Aufbruch zur Arbeit etwas gegen den Zaun stoßen.
Gegen 6 Uhr wurde Chapmans Leiche im Hinterhof vom Bewohner John Davies entdeckt.
Die Tatzeit liegt also zwischen 5.30 Uhr und 6 Uhr, und die Zeugin Long hat damit wohl den Ripper bei Chapman gesehen.

Laut Zeugenaussagen der Anwohner soll einige Zeit vor dem Mord auch schon ein Unbekannter im Hinterhof genächtigt haben. Dies könnte einfach ein Obdachloser gewesen sein, der nichts mit der Tat zu tun hatte - oder es war der nachts umherstreifende Ripper, der so einen guten Ort für seine nächste Tat gefunden hatte. Kosminski soll in seinem geistigen Verfall durch die Straßen gestrichen sein und könnte auch in Hinterhöfen genächtigt haben.

Da die Tatzeit bereits nahe der beginnenden Morgendämmerung und dem wieder einsetzenden "Berufsverkehr" in den Straßen liegt, hatte JTR nicht viel Zeit, aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, bevor es richtig hell wurde.
War Kosminski der Ripper: Der Tatort ist rund 700-800 Meter oder etwa 8-10 Minuten Fußweg von den Wohnadressen seiner Familie entfernt.
Was nicht zu passen scheint, ist das von Zeugin Long geschätzte Alter des Verdächtigen: Kosminski war erst 23 Jahre. Aber vielleicht sah er durch die drei Jahre Krankheit älter aus. Zu den Verdächtigen, die von den Zeugen zuletzt bei den Ripper-Opfern gesehen wurden, gab es jedenfalls stark differierende Altersangaben von etwa 30 bis rund 40 Jahre.


Sonntag, 30. September 1888: Nacht des Double Event
Mord an Elizabeth Stride in der Berner Street 40/42, etwa 45 Minuten später an Catherine Eddowes auf dem Mitre Square.

Stride übernachtete bis zu ihrem Tod im Armenasyl in der Flower and Dean Street.
Zwischen 0.35 und 0.45 Uhr sahen mehrere Zeugen (Polizist William Smith, Anwohner James Brown, Zeuge Israel Schwartz) Stride mit einem Mann in der Nähe des Berner Street Clubs. Beschrieben wird er übereinstimmend als knapp 1,70 groß, etwa 30 Jahre alt, heller Teint, Schnauzbart, dunkler Mantel und Schirmmütze. Polizist Smith bemerkte zudem ein Päckchen in seiner Hand.
Der aus Norden von der Commercial Road vorbeikommende Israel Schwartz will sogar eine Auseinandersetzung wahrgenommen haben, weswegen er schnell weitergegangen sei, sagte er später der Polizei. Der Mann habe die Frau am Tor zum Dutfields Yard zu Boden geworfen, die Frau habe kurz aufgeschrien. Als er zurückgeblickt habe, sei gerade ein anderer Mann mit einer Pfeife aus dem nahen Pub gekommen und es habe eine kurze verbale Auseinandersetzung mit dem Verdächtigen gegeben, bis der Verdächtige "Lipski" gerufen habe. Da sei der andere auf Schwartz zugegangen und Schwartz sei aus Angst weggelaufen.
Gegen 1 Uhr dann wurde Strides Leiche vom Verwalter des Clubs, Louis Diemschütz, im Torweg des Dutfield Yard neben dem Club gefunden. Im Gegensatz zu den anderen Opfern wurde ihr nur die Kehle durchgeschnitten, aber offenbar wegen der Störung durch die Zeugen keine Verstümmelungen des Unterleibs mehr vorgenommen.

Als plausibelste Interpretation dieser Szene scheinen Schwartz und der Mann mit der Pfeife mitten in den Angriff des Rippers hineingeplatzt zu sein. Weil Schwartz schon auf der Flucht war, als der Pfeifenraucher auf die Straße kam, tat der Mörder offenbar so, als sei er ein unschuldiger Helfer und konnte den anderen Mann mit dem Ausruf "Lipski" davon überzeugen, dass der nach Süden flüchtende Schwartz der Angreifer gewesen sei, so dass "Pipeman" die Verfolgung von Schwartz aufnahm (leider konnte "Pipeman" nie identifiziert werden).
Lipski war ein Jude aus der Parallelstraße Batty Street, der 1887 wegen Mordes verurteilt worden war - und sein Name war in antisemitischen Kreisen zum Schimpfwort gegen Juden im allgemeinen und zum Synonym für Mörder im speziellen geworden.
Indem der Mörder den einen Zeugen so auf den anderen hetzte, konnte er vom Tatort (vermutlich über die Passage zur Batty Street - s.u.) schließlich nach Norden in die Commercial Road fliehen.
Er wollte angesichts der Beinahe-Entlarvung mit ziemlicher Sicherheit zuerst zu seinem Versteck zurück - und dies führte ihn Richtung Norden.

War Aaron Kosminski der Ripper, so könnte sein Ziel Sion Square 3 / Mulberry Street, oder die Adresse seiner Familie in der Greenfield Street gewesen sein, nur rund 200 oder 300 Meter bzw. 3-4 Minuten Fußweg nach Norden.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sein Bruder Woolf Abrahams Anfang der 1880er neben dem Dutfields Yard gewohnt hatte, so dass Aaron den Hinterhof gut gekannt haben könnte, auch als Platz für Schäferstündchen mit Prostituierten. Ebenso dürfte Aaron die Geschichte des Lipski-Mordes gekannt haben.

Da JTR sein eigentliches Ziel - die Verstümmelung - bei Stride nicht mehr umsetzen konnte, suchte er jedenfalls, als er sich wieder sicher fühlte, schließlich ein weiteres Opfer.


Eddowes
und ihr Mann John Kelly lebten überwiegend im Armenhaus "Cooney's" in der Flower und Dean Street 55.
Gegen 1 Uhr wurde Eddowes aus der Ausnüchterungszelle der Polizeistation Bishopsgate Street entlassen und ging Richtung Süden, höchstwahrscheinlich die Houndsditch entlang zurück zur Aldgate High Street, wo sie den frühen Abend verbracht hatte.
Gegen 1.30 Uhr checkte Constable Edward Watkins auf Streife den Mitre Square, ohne etwas Verdächtiges festzustellen.
Etwa um diese Zeit verließen Joseph Lawende, Harry Harris und Joseph Hyam Levy den Imperial Club, Duke Street, schräg gegenüber der Church Passage zum Mitre Square, und sahen einen Mann und eine Frau am Eingang der Passage in einem leisen Gespräch.
Der Zeuge Lawende beschrieb den Mann wie folgt: Etwa 30 Jahre alt, knapp 1,70 Meter groß, blasser Teint, heller Schnauzbart, durchschnittlicher Körperbau, graue Jacke, graue Stoffkappe und rötliches Halstuch, sah wie ein Seemann aus (wobei aber Seemänner selten "blassen Teint" haben).
Gegen 1.35 Uhr ging Constable James Harvey durch die Church Passage und schaute in den dunklen Mitre Square, sah jedoch nichts und kehrte auf seine Runde zurück.
Gegen 1.45 Uhr kam Constable Edward Watkins von der anderen Seite (Mitre Street) wieder durch den Hauptzugang in den Mitre Square und entdeckte beim Herumleuchten mit seiner Lampe die tote Eddowes in einer dunklen Ecke liegen.
Laut Inspector Robert Sagar von der City Police soll ein Polizist kurz zuvor gesehen haben, wie ein Mann aus der Mitre Street in östliche Richtung verschwand. Aufgrund der Sichtung dieses Mannes liefen anschließend Polizisten durch Gravel Lane und Stoney Lane, um Hinweise auf den Fluchtweg des Mörders zu finden - dieser Weg führt in die Middlesex Street und weiter in die Goulston Street.
Einer davon war Detective Constable Daniel Halse, der mit zwei Kollegen gegen 1.55 Uhr an der Ecke Houndsditch bei St. Botolph's Church stand und aufgrund der Alarmierung in den Mitre Square kam. Nachdem Halse Instruktionen zur Befragung der Anwohner gegeben hatte, eilte er zuerst in die Middlesex Street und, weil er dort niemanden sah, weiter in die Wentworth Street, wo er zwei Passanten überprüfte. Gegen 2.20 Uhr checkte er die Goulston Street, um nach vergeblicher Suche zum Mitre Square zurückzukehren.
Gegen 2.55 Uhr schließlich fand Constable Alfred Long auf seiner Runde ein Stück der blutigen Schürze von Eddowes im Hauseingang der Wentworth Dwellings 108-119, Goulston Street. Darüber an der Wand stand mit Kreide der Satz: "Die Juden sind die Menschen, die nicht grundlos beschuldigt werden." Long zufolge soll die Schürze auf seiner vorherigen Runde gegen 2.25 Uhr noch nicht dort gelegen haben. Ob das antisemitische Graffiti zuvor schon da gewesen war, wusste er nicht.

Die Strecke zwischen Berner Street und Mitre Square beträgt auf direktem Weg rund 1000 Meter oder etwa 12-15 Minuten Fußweg.
War Kosminski der Ripper, hätte er damit vor dem Eddowes-Mord sogar einen Zwischenstopp zuhause einlegen können.
Die Strecke vom Mitre Square zur Goulston Street beträgt nur rund 500 Meter oder 6-7 Minuten.
Entweder haben die Polizisten Halse und Long die Schürze gegen 2.25 Uhr übersehen, oder JTR hat sich zeitweise in einer Zuflucht versteckt, bevor er sie ablegte. Ein Umweg von rund einer dreiviertel Stunde durch die Straßen voller alarmierter Polizisten ist eher unwahrscheinlich - daher dürfte die Rückzugsmöglichkeit des Rippers in unmittelbarer Nähe gewesen sein.
Falls Kosminski der Ripper war: Der Fluchtweg führt in Richtung von Aarons Heimatadressen. Die Strecke bis zur Adresse Sion Square 3 / Mulberry Street beträgt etwa 1000 Meter, die Adresse seiner Familie in der Greenfield Street etwa 1100 Meter.
Aber vielleicht hatte Kosminski auch eine andere, nähere Rückzugsmöglichkeit...


Der Batty Street-Zwischenfall
Nach dem Stride-Mord entdeckte in der Batty Street 22 die Vermieterin und Wäscherin Mrs. Kuer in einem Wäschestapel, der ihr von einem Kunden abgegeben worden war, ein blutiges Hemd.  Das Haus war vom Tatort in der Berner Street unmittelbar über eine schmale Passage schräg gegenüber der Einfahrt zum Dutfields Yard durch die Hinterhöfe zu erreichen.
"The police then called on Mrs. Kuer and took possession of the shirt and set up surveillance on the house for when the man returned. The matter was considered of considerable importance by Inspector Reid, Inspector Abberline and other senior officers.
The man returned on Saturday, 13 October, and was promptly taken into custody where he was held for about 36 hours until the morning of the 15th. The blood was explained by a friend who got it on the shirt while cutting his corn. It obviously took quite a while to satisfy the police, but eventually they believed the incident had an innocent explanation."
http://forum.casebook.org/showthread.php?p=339051

Der Vorfall bleibt mysteriös: Die Polizei hielt ihn für verdächtig genug, um den Kunden immerhin 36 Stunden lang festzuhalten und zu verhören. Leider ist nicht bekannt, wer dieser Kunde war.
Es besteht die Möglichkeit, dass es ein Familienangehöriger Aarons war, der die Wäsche abgab, da die Familienangehörigen nur rund 100 Meter (Providence Street) bzw. 200 Meter (Greenfield Street) von Mrs. Kuer weg wohnten.


Polizei-Razzia im Oktober:
Die Polizei führte in den folgenden Wochen (3.-18. Oktober) in der Umgebung des Mitre Square und der Berner Street Haus-zu-Haus-Befragungen durch. Der stellvertretende Polizeipräsident Robert Anderson schrieb, dass man alle Männer des Viertels überprüft habe, die den Zeugenaussagen entsprachen und sich blutbefleckter Kleidung entledigen konnten.

Interessanterweise folgte nach dem Double Event die längste Pause zwischen den Ripper-Morden von fast sechs Wochen. Ursache dafür könnte der Ermittlungsdruck durch die Behörden gewesen sein, was für die Annahme spricht, dass die Polizei durch ihre Ermittlungen dem Ripper näher kam, so dass er vorerst pausieren musste, bis die polizeilichen Aktivitäten in seinem Umfeld wieder zurückgingen. Möglich ist auch, dass die Angehörigen von JTR zum ersten Mal Verdacht schöpften und nun begannen, ihn intensiver zu beaufsichtigen.

Da Aarons Brüder Woolf und Isaac Schneider waren, gab es in der Familie wahrscheinlich immer genug Kleidungsstücke zum Wechseln. Und wenn Aaron sich in schlechten Phasen seiner zunehmenden psychischen Erkrankung sowieso öfter mal gehen ließ, dürfte er wohl auch regelmäßig frische Kleidung gebraucht und bekommen haben, so dass Aaron als Ripper anfangs nur wenig Probleme mit dem Ersetzen blutverschmierter Sachen gehabt haben dürfte, ohne dass es besonders auffiel - zumindest bis zum Batty Street-Zwischenfall mit dem Fund des blutigen Shirts  bei Mrs. Kuer.


Freitag, 9. November 1888: Mord an Mary Jane Kelly im Miller's Court
Kelly verließ in ihrer letzten Nacht mehrmals ihr Zimmer im Miller's Court, Dorset Street 26, und kehrte mit verschiedenen Freiern wieder dorthin zurück, nachdem sie den frühen Abend mit ihrem Exfreund Joseph Barnett verbracht hatte.
Gegen 23.45 Uhr sah ihre Nachbarin Mary Ann Cox, wie Kelly mit einem Kunden auf ihr Zimmer ging. Zwischen 0.30 Uhr und 1 Uhr hörten Cox und Nachbarin Catherine Picket sie singen.
Ihre Nachbarin Elisabeth Prater kehrte gegen ein Uhr zurück, wartete erst 20 Minuten vor dem Eingang zum Court auf ihren Freund und ging, als er nicht kam, noch für zehn Minuten in McCarthys Laden nebenan. Gegen 1.30 Uhr stieg sie die Treppen zu ihrem Zimmer direkt über Kellys hinauf, ohne dort Licht zu sehen oder etwas zu hören, und ging zu Bett.
Der Zeuge George Hutchinson, ein Bewohner des Victoria Home in der Commercial Street, ging am 12. November zur Polizei und sagte aus, dass er seine Bekannte Mary Jane Kelly am 9. November gegen 2 Uhr in der Commercial Street getroffen habe.
Kurz darauf sei sie mit einem Kunden an ihm vorbei zurück auf ihr Zimmer gegangen. Weil der Mann sein Gesicht vor ihm habe verbergen wollen, sei er beiden gefolgt und habe rund eine dreiviertel Stunde den Hof beobachtet, jedoch ohne etwas Verdächtiges wahrzunehmen. Gegen 3 Uhr sei er schließlich gegangen.
Hutchinson beschrieb den Mann als etwa Mitte 30, knapp 1,70 Meter groß, blasser Teint, dunkle Augen und Haare, dünner gezwirbelter Schnurrbart, jüdisches Erscheinungsbild, mürrisches Aussehen, dunkler Mantel, dunkler Hut, kleines Päckchen in seiner Hand.
Sarah Lewis, die gegen 2.30 Uhr zu ihrer Bekannten Mrs. Keyler im Miller's Court ging, um dort zu übernachten, sah gegenüber dem Hofeingang einen Mann stehen - dabei handelte es sich vermutlich um Hutchinson.
Zwischen 3.15 Uhr und 3.45 Uhr hörten sowohl Lewis wie auch Elizabeth Prater einen leisen, unterdrückten Schrei vom Hof her: "Mord!"
Gegen 6.15 Uhr hörte Nachbarin Marie Ann Cox Schritte im Hof und sah dort einen Mann Mitte 30 mit dunkler Kleidung (schränkt jedoch ein, es könnte auch ein Polizist gewesen sein).
Gegen 7.30 Uhr klopfte Nachbarin Catherine Picket an Kellys Tür, um sich einen Schal zu leihen, aber nichts regte sich.
Gegen 10.45 Uhr wurde Kellys Leiche von Hausverwalter Thomas Bowyer entdeckt, der die Miete eintreiben sollte.

Theoretisch könnte Hutchinson der Täter gewesen sein, der nach dem Verschwinden des Kunden gegen 3 Uhr selbst zu Kelly ging - nur: warum hätte er dann bei der Polizei auftauchen und sich mit dem Geständnis seines "Stalkings" verdächtig machen sollen? Inspektor Abberline hielt ihn für glaubwürdig.
Plausibel wäre aber, dass der von Hutchinson beschriebene Kunde nach 3 Uhr ging - und dass erst der nächste Besucher Kellys der Ripper war. Dann wäre Hutchinsons Beschreibung unbrauchbar.
Bemerkenswert ist jedoch, dass Hutchinson aussagte, er glaube denselben Mann später noch einmal gesehen zu haben, und zwar am 11. November in der Petticoat Lane / Middlesex Street - wo es viele Schneider und den Straßenmarkt für Bekleidung gab. Aarons Brüder waren Schneider, so dass es durchaus möglich ist, dass es Kosminski war, den er dort gesehen hat.
Auch die auffällig höherwertige Bekleidung des Kelly-Kunden, die Hutchinson beschrieb, ließe sich mit dem Schneiderhandwerk von Kosminskis Familie erklären.

Merkwürdig war nach den Coroner-Untersuchungen zum Double-Event auch die Anhörung im Fall Kelly: Sie wurde im Distrikt Shoreditch vom dort zuständigen Richter vorgenommen und nicht in Whitechapel, mit der seltsamen Begründung, zuständig sei der Ort der Aufbahrung, nicht der Tatort. Sie wurde bereits am 12. November eröffnet, mit sich nicht zuständig fühlenden Geschworenen, in hohem Tempo durchgepeitscht und schon am selben Tag wieder abgeschlossen. Richter Roderick Macdonald sagte: "Wenn die Geschworenen allein zu der Todesursache zu einem Ergebnis kommen, so ist das alles, was sie zu tun haben."
Zeugen oder Beweismittel zur Strafverfolgung sollten nicht weiter öffentlich thematisiert werden - wahrscheinlich aus ermittlungstaktischen Gründen, weil man einen Tatverdächtigen nicht warnen wollte, während er unter Beobachtung stand, um ihn auf frischer Tat stellen zu können.
In H. L. Adam's Serie "The People on Scotland Yard and its Secrets" von 1912 zitiert der Autor Assistant Commissioner Anderson: "Sir Robert Anderson has assured the writer that the assassin was well known to the police, but unfortunately, in the absence of sufficient legal evidence to justify an arrest, they were unable to take him. It was a case of moral versus legal proof. The only chance the police had, apparently, was to take the miscreant red-handed…"


"Butcher's Row Suspect"
Nach dem Kelly-Mord begann die City Police laut den Aussagen verschiedener Polizisten damit, mehrere Monate lang einen Tatverdächtigen in dem "Butcher's Row" genannten Abschnitt der Aldgate High Street zu observieren.

In Zeitungsinterviews sagte Robert Sagar von der City Police Jahre später, dass man nach dem Kelly-Mord einen Verdächtigen unter Beobachtung gestellt habe, der in der Butcher's Row arbeite und von dem man annehme, dass er der Ripper sei, und dass dieser Mann letztendlich von seinen Leuten in ein Irrenhaus eingeliefert worden sei.
Auch Detective Inspector Henry Cox von der City Police erzählte Jahre später in einem Zeitungsartikel (Thomson’s Weekly News, 1. December 1906) von Observationen, jedoch ohne einen Zeitraum zu nennen oder Ortsangaben zu machen.
Cox: "The man we suspected was about five feet six inches in height, with short, black, curly hair, and he had a habit of taking late walks abroad. He occupied several shops in the East End, but from time to time he became insane, and was forced to spend a portion of his time in an asylum in Surrey. (...) While the Whitechapel murders were being perpetrated his place of business was in a certain street, and after the last murder I was on duty in this street for nearly three months."

Dass der Verdächtige an verschiedenen Adressen zu finden war (es ist nicht ganz klar, ob Cox mit "occupy" nun "bewohnte" meinte oder ob er in den Shops "beschäftigt" war), passt zur Geschichte Kosminskis: Seine Familie hatte mehrere Adressen und Shops, und sie zogen in der Zeit der Ermittlungen auch um.

Mögliche Verbindung Aaron Kosminskis zur Butcher's Row: Sein Verwandter Jacob Cohen war ein erfolgreicher Metzger und Geschäftsmann aus Manchester, der für rund zwei Jahre in einer geschäftlichen Angelegenheit in London wohnte: Er gründete 1890 die Firma "Davies, Cohen & Company" in der Carter Lane 51, St. Pauls (City of London), wo er gemeinsam mit Thomas Coughtrey Davies und Aarons Bruder Woolf Abrahams Mäntel herstellte und verkaufte. Interessanterweise wurde die Firma im Juli 1891, wenige Monate nach Aarons dauerhafter Einweisung in Colney Hatch, wieder aufgelöst.

Interessant daran ist, was Detective Inspector Henry Cox über die Verschleierungstaktik der polizeilichen Überwachungsarbeit schrieb, die der jüdischen Gemeinde nicht verborgen blieb: "We told them we were factory inspectors looking for tailors and capmakers who employed boys and girls under age, and pointing out the evils accruing from the sweaters' system asked them to co-operate with us in destroying it."
Dies könnte zu Aaron als Ripper-Verdächtigen passen, dessen Brüder Schneider in der von zahlreichen Schneidern bewohnten Greenfield Street waren, und dessen Verwandter Cohen wahrscheinlich Verbindungen in die Butcher's Row hatte. Vielleicht hatte Jacob Cohen Mitverantwortung für Aaron übernommen und/oder ihm vielleicht eine einfache Tätigkeit in der Butcher's Row besorgt, so dass er dadurch unter Aufsicht stand.
Für diese Interpretation spricht auch der Zwischenfall mit dem Hund im Dezember 1889 und die Tatsache, dass es Cohen war, der Aaron schließlich 1891 ins Mile End Workhouse brachte, von wo es weiter in die Irrenanstalt ging (s.u.).

Über Kosminski ist leider nur bekannt, dass er in Colney Hatch eingeliefert wurde, es gibt bisher keine Hinweise auf eine vorübergehende Unterbringung in Surrey. Jedoch wäre es plausibel, dass sich zunächst seine Angehörigen um ihn kümmerten, bis sich sein Zustand so weit verschlechterte, dass er für sie nicht mehr zu bewältigen war (möglicherweise entzog er sich ihrer Aufsicht und tötete Alice McKenzie), worauf sie ihn unter falschem Namen in ein privates Sanatorium steckten, bevor er von der Polizei entdeckt und identifiziert wurde.
Auch eine Verwechslung der Kliniken oder mit einem anderen Ripper-Verdächtigen wäre möglich.


Mittwoch, 17. Juli 1889: Mord an Alice McKenzie in der Castle Alley

Police Constable Walter Andrews entdeckte gegen 0:50 Uhr in der Castle Alley den leblosen Körper von Alice McKenzie, etwa eine halbe Stunde, nachdem er das letzte Mal auf seiner Runde dort gewesen war. Zeugen der Tat gab es keine. Ihre linke Halsschlagader war durchtrennt, ihr Rock war hochgeschoben und der Unterleib mit einem Messer traktiert worden, allerdings waren die Verletzungen eher oberflächlich.

Die Polizisten und die untersuchenden Ärzte waren uneinig darüber, ob es sich um ein weiteres Ripper-Opfer handelte. Einiges passte ins Schema: McKenzie übernachtete in einem Armenhaus, war rund 40 Jahre alt, Prostituierte und Trinkerin - und wurde im Zentrum von JTRs Aktivitäten getötet. Allerdings wurde ein anderes Messer benutzt, und vermutlich war dieser Täter anders als JTR Linkshänder. Zudem wurde sie nicht gewürgt, es gab keinen vollständigen Kehlenschnitt, die Wunden waren nicht so tief und der Unterleib war nicht ausgeweidet.
Der Täter hätte wahrscheinlich durchaus genug Zeit für weiterreichende Verstümmelungen gehabt, denn er war wohl diesmal nicht gestört worden. Indiz dafür: Obwohl es kurz geregnet hatte, war der Gehweg unter McKenzies Körper trocken, was bedeutet, dass sie wohl schon vor dem Schauer getötet wurde und somit einige Zeit unentdeckt dagelegen hatte. Möglicherweise war es ein Nachahmungstäter, der dem Ripper diesen Mord in die Schuhe schieben wollte.
Falls es doch JTR war, deutet alles darauf hin, dass er nicht mehr auf der Höhe seiner physischen und/oder psychischen Kräfte war.
Auch der große zeitliche Abstand zu den übrigen Taten fällt auf: JTR hatte eine sehr kurze Abkühlphase, so dass längere Pausen wohl nur durch widrige Umstände wie Krankheit,  Einweisung oder Überwachung durch Familie und/oder Polizei zu erklären sind.
Die Adressen von Aaron Kosminski, Sion Square 3 / Mulberry Street (falls er 1888 schon dort wohnte), und seiner Familie in der Greenfield Street liegen nur rund 400 bzw. 500 Meter oder etwa 5-6 Minuten Fußweg von der Castle Alley entfernt.


Dezember 1889: Der Hunde-Zwischenfall
Im Dezember 1889 stand Aaron Kosminski vor einer behördlichen Anhörung. Er sollte ein Bußgeld bezahlen, weil er einen Hund ohne Maulkorb mit sich geführt hatte. Er sagte aus, dass er manchmal unter dem Namen seines Bruders "Abrahams" unterwegs sei, und dass der Hund einem "Jacobs" gehöre: "I goes by the name of Abrahams sometimes, because Kosminski is hard to spell… I cannot pay, the dog belongs to Jacobs, it is not mine…"

Mit Jacobs meinte er vermutlich seinen Verwandten Jacob Cohen oder vielleicht einen Nachbarn, den Butcher Aaron Jacobs. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nach dem Mord an Frances Coles im Februar 1891 im East End ein Gerücht die Runde machte, der Mörder sei ein jüdischer Butcher namens "Jacobs".
Benjamin Leeson schrieb in "Lost London: The Memoirs of an East End Detective" (1934):
"... a story circulated that the Ripper was a butcher, who wore blue overalls and a leather apron, and an English Jew named Jacobs, a perfectly harmless man, somehow attracted suspicion to himself. Possibly because, working in a slaughter house, he always wore a leather apron. People would point Jacobs out in the street as a suspected man, and more than once he had to run for it. I myself was often obliged to take him to the police station for protection. The thing so preyed on the poor fellow's mind that it finally caused him to lose his reason."
Wenn Aaron öfter die Namen seiner Verwandten als Alias benutzte, könnte dies die Ermittlungen der Polizei behindert und zu manchen der bekannten Unstimmigkeiten geführt haben, weil dadurch einige Verbindungen nicht gleich aufgedeckt werden konnten.


12. Juli 1890: Vorübergehende Einweisung ins Krankenhaus
Aaron Kosminski wurde von seinem Schwager Woolf Abrahams aus der Providence Street zur Behandlung in das "Mile End Old Town Workhouse" Krankenhaus eingewiesen. Aus dem Aufnahmeregister geht hervor, dass er schon seit mindestens zwei Jahren als geisteskrank galt.
Als seine Wohnadresse wurde Sion Square 3 / Mulberry Street bei seinem Bruder Woolf, und sein Beruf als Haarschneider angegeben.
Schon drei Tage später wurde er wieder entlassen und in die Obhut seines Schwagers Morris Lubnowski, wohnhaft Greenfield Street 16, übergeben.

Interessant ist, dass eine zweijährige psychiatrische Vorgeschichte angegeben wird: Dies deutet darauf hin, dass Kosminski bereits 1888/1889 in einer Anstalt gewesen sein könnte.
Die Polizei soll jedenfalls laut einem Pressebericht alle privaten Sanatorien auf der Suche nach dem Ripper überprüft haben:
"The Dublin Express London correspondent on Thursday gave as the latest police theory concerning the Whitechapel murderer, that he has fallen under the strong suspicion of his near relatives, who to avert a terribly family disgrace, may have placed him out of harm's way in safe keeping. As showing that there is a certain amount of credence attached to this story, detectives have recently visited all the registered private lunatic asylums, and made full inquiries as to the inmates recently admitted."
War Kosminski der Ripper, würde dies den Zeitraum bis zu seiner offiziellen Einweisung nach Colney Hatch 1891 erklären.


4. Februar 1891: Endgültige Einweisung in die Psychiatrie

Nach der Bedrohung seiner Schwester mit einem Messer wurde Kosminski erneut in das "Mile End Old Town Workhouse" Krankenhaus eingewiesen, und von dort aus am 7. Februar weiter in die psychiatrische Anstalt "Colney Hatch Lunatic Asylum" verlegt.
Sein Verwandter, der Metzger Jacob Cohen, gab folgende Beschreibung über Kosminski ab: "Er läuft durch die Straßen und hebt Brotkrümel aus dem Rinnstein auf um diese zu essen. Er trinkt Wasser aus der Tränke und weigert sich Essen aus den Händen von Leuten anzunehmen. Er hob ein Messer auf und bedrohte damit seine Schwester sie umzubringen. Er ist sehr dreckig und weigert sich, zu waschen. Er versuchte in all den Jahren kein einziges Mal Arbeit zu finden."
Das Einweisungsformular weist ihn als bereits "seit sechs Jahren irrsinnig" aus. Weiterführende Notizen in seiner Akte: "Er behauptet, dass er von einer inneren Stimme gelenkt werde und die Aufenthaltsorte aller Menschen kenne."
In den medizinischen Unterlagen steht auch: "he is guided and his movements altogether controlled by an instinct that informs his mind" und "he refuses food because he is told to do so". Er hatte also akustische Halluzinationen und hörte befehlende Stimmen, die ihn zu seinen Taten zwangen - dies wird laut der forensischen Psychiatrie immer wieder von wahnkranken Mördern erzählt.
Während seines Aufenthalts in den psychiatrischen Einrichtungen wurde Aaron Kosminski zwar als harmlos angesehen. Laut Ripperologe Donald Rumbelow wurde er aber zweimal gewalttätig: Er soll einen Pfleger mit einem Stuhl beworfen und einmal gar eine Krankenschwester mit einem Messer bedroht haben.

Dass Aaron Frauen mit einem Messer bedrohte und behauptete, von einer inneren Stimme gelenkt zu werden, ist ein gutes Indiz für eine mögliche Täterschaft.
Der Journalist George Sims schrieb über den Ripper-Fall:
"He was a Polish Jew of curious habits and strange disposition, who was the sole occupant of certain premises in Whitechapel after night-fall. This man was in the district during the whole period of the Whitechapel Murders, and soon after they ceased certain facts came to light which showed it was quite possible that he might have been the Ripper. He had at one time been employed in a hospital in Poland. He was known to be a lunatic at the time of the murders, and some-time afterwards he betrayed such undoubted signs of homicidal mania that he was sent to a lunatic asylum."
Dies passt auf Kosminski. Sims schrieb auch:
"A curious story has got out here that if true explains the long rest which Jack the Ripper has been taking from his diabolical work in the Whitechapel district, London. A lady from this city visiting a distinguished official in London, states in a letter written to friends here that the Ripper has been under arrest in the London metropolis for some time. He is a medical student and was arrested on the strength of information given by his own sister.
The authorities, the letter states, have kept the matter a strict secret in order to work up the case against the prisoner, and they are said to have a very complete chain of evidence."
Auch diese Aussage würde gut auf Kosminski passen, der ja offenbar vor allem wegen des Angriffs auf seine Schwester eingeliefert wurde.


Freitag, 13. Februar 1891: Mord an Frances Coles in Swallow Gardens
Gegen 1:45 Uhr traf eine Bekannte, die Prostituierte Ellen Callagher, in der Commercial Street auf Coles. Sie liefen gemeinsam Richtung Minories und begegneten einen "brutalen Mann mit einer Baskenmütze", an den Callagher sich als einen früheren Kunden erinnerte. Sie will Coles gewarnt haben, dass der Mann ihr vor einiger Zeit ein blaues Auge geschlagen habe, und sie solle sich nicht mit ihm abgeben. Coles befolgte den Rat ihrer Freundin allerdings nicht und unterbreitete dem Mann ein Angebot, worauf die beiden ohne Callagher in Richtung Minories gingen.
Carmen Friday und die Brüder Knapton gingen kurz nach 2 Uhr morgens durch die Eisenbahn-Unterführung Swallow Gardens. Sie sahen eine Frau und einen Mann, die an der Ecke der Royal Mint Street standen. Gegen 2:15 Uhr entdeckte Police Constable Ernest Thompson auf seiner Runde unter der Eisenbahnbrücke die Prostituierte Frances Coles mit durchschnittener Kehle.
Verdächtigungen wie im Automn of Terror mit den Gerüchten um "Lether Apron" verbreiteten sich unter den Bewohnern des Eastends, diesmal sollte laut Mundpropaganda ein gewisser "Jacobs" (!) der Mörder gewesen sein (s.o.). Die Justiz klagte später Coles gewalttätigen Freund Thomas Sadler an, der jedoch freigesprochen wurde, weil er ein Alibi hatte.

Coles war auch eine Prostituierte, der die Kehle aufgeschlitzt wurde, allerdings wurde sie nicht zuvor gewürgt, sondern einfach zu Boden gerissen, das Messer soll ebenfalls ein anderes gewesen sein - der obduzierende Dr. Phillips hielt jedenfalls JTR nicht für den Täter.
Interessant ist allerdings, dass in gewissen Teilen der Bevölkerung der Name "Jacobs" die Runde machte, was doch sehr nach "Jacob" klingt. Der Metzger Jacob Cohen war eben jener Verwandte von Aaron Kosminski, der Aaron in der Woche vor dem Mord in die Anstalt einlieferte.
Auch hatte Kosminski beim Hunde-Zwischenfall gesagt, dass das Tier einem "Jacobs" gehöre (s.o.). Könnte hier ein Verdacht an die Öffentlichkeit durchgesickert sein, der sich nach dem Stille-Post-Prinzip verselbständigt hat?


1892: Ermittlungs-Ende
Die Akte Jack the Ripper wird von der Polizei offiziell geschlossen.

Dies passt zeitlich gut zu Kosminskis Einlieferung: War Aaron der Ripper-Hauptverdächtige, so konnte der Fall ad acta gelegt werden, nachdem klar war, dass er die Psychiatrie nie mehr verlassen würde.


23. Februar 1894: Das Macnaghten-Memorandum
Chief Constable Sir Melville Macnaghten verfasst sein polizeiinternes Memorandum, indem Kosmiski als einer der drei Hauptverdächtigen genannt wird:
"Kosminiski war ein polnischer Jude und Einwohner in Whitechapel. Dieser Mann verfiel dem Wahnsinn, da er sich über viele Jahre hinweg dem Laster der Selbstbefriedigung hingegeben hatte. Er hatte einen großen Hass auf Frauen, besonders auf Prostituierte und hatte starke mörderische Neigungen. Er wurde etwa im März 1889 in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Es gab viele Sachverhalte in Verbindung mit diesem Mann, die ihn zu einem überzeugenden Verdächtigen machten."

Dass ein Teenager durch Selbstbefriedigung irrsinnig würde, ist zwar überholter Aberglaube - jedoch weiß die forensische Psychiatrie, dass es manchmal umgekehrt ist: So gilt zwanghafte Masturbation als ein Symptom von mangelnder Impulskontrolle und sexueller Obsession bei einer psychischen Erkrankung.
Über eine (vorübergehende) Einweisung Aaron Kosminskis im März 1889 ist jedoch leider nichts bekannt, er kam erst im Februar 1891 nach Colney Hatch.
Allerdings betonte Macnaghten, dass es "viele Sachverhalte" gäbe, die den Verdacht gegen Kosminski begründeten.


19. April 1894: Überführung nach Laevesden 

Kosminski wurde aus der psychiatrischen Anstalt "Colney Hatch" nach Laevesden, einem Heim für "ältere Schwachsinnige", gebracht und wurde dort als "chronisch harmlos geisteskrank und als Idiot oder geistesschwach" in der Kartei geführt. In Aufzeichnungen wird über ihn berichtet: "Hat den Bezug zur Realität komplett verloren. Kann sich nicht mehr an sein Alter erinnern und wie lange er schon in dem Heim wohnt. Hat Halluzinationen, sieht Erscheinungen und hört Stimmen. Zeitweilig verhält er sich sehr stur. Er ist unordentlich, aber sauber. Er arbeitet nicht". In diesem Heim verbrachte er die nächsten 25 Jahre bis zu seinem Lebensende.

Interessant ist die zeitliche Nähe zu Macnaghtens Memorandum: Könnte die Verlegung von Kosminski von Colney Hatch nach Leavasden vielleicht eine Folge der Erwähnung in dem Memorandum im Februar gewesen sein, vielleicht aus Sorge um ein mögliches Durchsickern des Inhalts an die Öffentlichkeit?


24. März 1919: Kosminskis Tod
Ab Anfang 1919 verschlechterte sich Aaron Kosminskis Gesundheitszustand drastisch, bis er dann am 24. März in Laevesden starb.


Fazit

Die Theorie, dass JTR ein psychisch kranker jüdischer Haarschneider war, der im Irrenhaus endete, erklärt den ansonsten merkwürdigen Schluss im Ripper-Fall: Nach dem Ende der Mordserie laufen die Ermittlungen angeblich ergebnislos aus, die Akte wird geschlossen - aber Jahre später erklären hochrangige Polizisten in ihren Memoiren oder Zeitungsartikeln, der Ripper wäre eigentlich identifiziert worden.

Nach dem Mord an Mary Ann Nichols verdichteten sich im Eastend schnell Gerüchte, dass die Morde von einem Juden mit dem Spitznamen "Leather Apron" verübt worden sein sollten, was so auch in den Zeitungen verbreitet wurde und schon zu ersten antisemitischen Aufwallungen und Kundgebungen führte.
Superintendent Thomas Arnold ordnete daher nach dem Double Event mit Erlaubnis von Polizeichef Charles Warren an, das Goulston Street Graffiti auf der Stelle zu entfernen, explizit aus dem Grund, um mögliche Pogrome gegen Juden zu verhindern. In seinem Bericht vom 9. November 1888 schreibt Arnold: "Ich bitte darum berichten zu dürfen, dass am Morgen des 30. September, dem Letzten, meine Aufmerksamkeit auf eine Aufschrift an der Wand des Eingangs zu Behausungen in der Goulston Street 108, Whitechapel gerichtet wurde, welche aus folgenden Worten bestand: 'Die Juwes sind [nicht] die Menschen, die nicht grundlos beschuldigt werden'.
Ich wusste, dass aufgrund der Verdächtigung eines Juden namens John Pizer, genannt ‚Leather Apron‘, der beschuldigt wurde, den kürzlich in der Hanbury Street verübten Mord begangen zu haben, ein starkes Gefühl gegen die Juden im Allgemeinen aufkam. Da das Gebäude, auf dem sich die Aufschrift befand, mitten in der Lokalität liegt, die hauptsächlich von dieser Religions-gemeinschaft bewohnt wird, war ich besorgt darüber, dass wenn die Aufschrift verbleibt, diese für einen Aufstand verantwortlich sein könnte. Daher habe ich erwogen, dass es wünschenswert sei, sie aufgrund der Tatsache zu entfernen, dass sie sich an einer Stelle befand, die gut von den Menschen einsehbar war, die dort hinein- und hinausgehen."

Falls man den Ripper tatsächlich durch einen Zeugen als einen verrückt gewordenen jüdischen Haarschneider identifizierte, hätte die Bekanntgabe demnach zu schrecklichen Übergriffen bis hin zum Pogrom gegen die jüdische Gemeinde in Whitechapel im Allgemeinen und seine Familie im Besonderen führen können. Denn an die Eröffnung eines Prozesses wäre schon wegen des Gesundheitszustands des Tatverdächtigen nicht zu denken gewesen. Und selbst wenn: Ob die dünnen Beweismittel für eine Verurteilung ausreichend gewesen wären, darf bezweifelt werden - ein Freispruch aus Mangel an Beweisen wäre aber verheerend gewesen.
Wegen der sowieso schon explosiven sozialen Lage, einem weitverbreiteten Antisemitismus und der aufgestauten Wut durch den Ripper-Terror wäre wohl zu erwarten gewesen, dass viele Menschen dann ihre Aggressionen an Sündenböcken ausgelassen hätten.
Die Behörden könnten daher zu dem Schluss gekommen sein, es sei angesichts der explosiven Situation im Eastend sicherer, den todkranken Irren stillschweigend in einer Anstalt verrotten zu lassen und lieber weiter zähneknirschend vor der Öffentlichkeit wie Versager in diesem Fall dazustehen, als eine Katastrophe im Viertel zu riskieren.



Hier noch der Link zum geographischen Profil Kosminkis von Robert House:
http://www.casebook.org/images/robhouse_fig4.gif

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #97 am: 22.09.2016 17:28 Uhr »
Hallo zusammen, hallo Lestrade!


Ich hatte vor beträchtlicher Zeit mal mit einer Zusammenfassung über Kozminski angefangen - die könnte als Basis für eine aktualisierte Kozminski-These aus einem Guss dienen.


Ich stelle sie mal hier ein - mit der Bitte um Ergänzung noch fehlender Facetten bzw. Korrektur von Irrtümern.


MfG, Arthur Dent

Du hast eine Ausdauer wie ein Athlet, Arthur!

Erneut Danke für deine Arbeit. Wie Du weißt, bin ich zeitlich sehr knapp momentan.

Daher nur ganz kurz:

Das Datum seiner Geburt ist absolut richtig. Laut Geburtsurkunde geboren am 11. September 1865 in Klodawa, damals gerade Russland.

Der verlinkte Artikel von Rob House ist älter, da ist noch Betsy als Schwester drin, obwohl sie seine Cousine war.

Eltern: Abram Josef Kozminski und Golda Lubnowski (ihr Bruder Josek war der Vater von Morris Lubnowski)
 
Kinder:
 
Pessa 1845-1848
Helen Singer geb.1848
Isaac Abrahams 1851-1920 heiratete Bertha Cohen ca. 1850-1914
Matilda Lubnowski 1854-1939 heiratete Morris Lubnowski 1857-1918
Bertha Held geb. 1857
Woolf Abrahams 1860-1944 heiratete Betsy Kosminski ca. 1856-1912 (Bruder war Jacob Cohen)
Aaron Kozminski 1865-1919
 
Der Vater starb 1874 (geb. 1820/22) und die Mutter 1912 (geb. 1820/21)
 
Mutter Golda erschien aber keinesfalls vor dem Census 1891. Sie muss später nach London gekommen sein.
Ihr Vater war ein Butcher.

1871 zog Isaac mit Bertha nach England
Ende der 70er zogen Matilda und Morris nach Deutschland. Um 1880 wurde ihr erstes Kind dort geboren.

Laut Unterlagen, lebte Aaron bei Woolf und Betsy. Sie verließen Polen um 1881 via Deutschland, sammelten wohl nur Matilda und Co. ein und gingen nach England. Eine der ersten Adresse wurde auch die 38 Berner Street in 1882, genau neben dem jüdischen Klub und dem Dutfields Yard. Ca. 1882 zog es auch Jacob Cohen, Butcher, nach England. Er kam aus Südafrika.

Woolf´s Adressen in London:

Juni 1881-Dezember 1886 58, 74, 64 and 62. (Auch eine 12 wurde angegeben, Pressebericht Einbruch bei Woolf 1886).

Dazwischen dann 1882, Berner Street.

Irgendwann nach Juli 1887 ging es erneut Richtung Berner Street, in die 25 Providence Street. Mitte Oktober 1888, nach dem Double Event, nahm die Familie ihre Tochter Rebecca von der Berner Street Schule.

Vor März 1889 ist dann Woolf in der 34 Yalford Street zu finden. Da sollte er aber nicht lange geblieben sein.

1890 dann Sion Square.

1901 findet man Woolf in Manchester.

Es ist klar, dass Woolf einmal direkt am Tatort Dutfields Yard gelebt hat und einmal nur wenige Meter davon entfernt.

Isaac lebte vor der 74 Greenfield Street, also vor Juni 1886, an verschiedenen Adressen in der Fieldgate Street, 3A und 13.

1891 dann in der 63 New Street, Mile End. Danach 171 Cable Street, glaube ab 1893, danach Whitechapel Road. Ich bin mir nicht sicher, glaube aber, dass Woolf nach seiner Rückkehr aus Manchester auch in der Cable Street lebte. Müsste ich noch genauer nachsehen.

Matilda Lubnowski nach der Ankunft in London, 10 und 5 Plumbers Row. Yalford Street lag zwischen Greenfield Street und Plumbers Row. Vor der 16 Greenfield Street ab Dezember 1885 lebten sie in 32 Yalford Street (Woolf später 34 Yalford Street). Israel Lubnowski, ihr Schwager, lebte 1891 in 6 Yalford Street. Offensichtlich wohnte dieser 1887 in 23 Batty Gardens, hinter dem Dutfields Yard/ Club im Prinzip. Das fand man anhand einer Krankenakte für eine Tochter von ihm.

1901 finden wir die Lubnowskis dann in 64 Wellesley Street, Mile End.

Zu Aaron Kozminski: Macnaghten´s "war der einzige Anwesende in bestimmten Einrichtungen nach Einbruch der Nacht" als auch Cox´s "Insasse verschiedener Shops im East End" (falls er denn Kosminski meinte), lassen genug Raum für Spekulationen, wo er denn überall agiert haben könnte.

Cox sprach aber gleichzeitig von einer bestimmte Straße, in der der Verdächtige während der Morde beschäftigt war. Nachts schien dieser aber auch häufiger unterwegs gewesen zu sein. Alles spricht für einen Hauptshop. Hatte er Nebenshops zu bearbeiten, wir wissen nicht wo, ändert das vielleicht auch etwas das geographische Profil.

Zu Jacob Cohen:

Er wurde am 6. April 1850 in Grzegorzew als Jacob Kozminski geboren. Eltern Kasriel Szlama und Ryfka Kozminski. Er hatte eine Schwester, Betsy. Sie heiratete Woolf Abrahams. Jacob ging nach Südafrika und kam 1882 nach England, Manchester, Wohnsitz 35 Edward Street. Sein Wohnsitz 1883 war die 22 York Street, die spätere Cheetham Hill Road. Er unterhielt dort, gemeinsam mit dem deutschstämmigen Herman Plotzker, eine Metzgerei. Ab 1884 führte Jacob Cohen diese Metzgerei wohl ganz alleine und wohl auch recht erfolgreich.

Eine Anzeige aus dieser Zeit (Jewish Chronicle vom 6. Februar 1885) lautete folgendermaßen:

WANTED, a respectable first-class
WORSHT & SAUSAGE MAKER.
Liberal wages will be paid. For more par-
Ticulars apply to 22, York Street, Chatham,
Manchester. Applications till 20th
February.

 
Aaron´s Vater war, wie erwähnt, Abram Josef Kozminski. Dessen viel älterer Bruder war der Opa von Jacob Cohen.

1891 war Jacob Cohen immer noch Metzger in der 22 York Street in Manchester.

Aber er war eben auch mit der Firma Davies, Cohen, and Company in London aktiv.

1894 wurde er eingebürgert, 1898 gab er sein Metzgergeschäft auf.

Er widmete sich noch anderen Tätigkeiten. Spekulierte mit Aktien und agierte als Textilkaufmann.

1905 zog es die Familie nach Südafrika zurück. Um diese Zeit gab es eben auch die Berichte über Cox und Sagar. Sagar sagte, sein Verdächtiger machte nach Australien und starb dort. Jacob Cohen, der nach aus Südafrika kam und dort auch wieder hinging, war bei Aaron Kozminski´s Einweisung 1891 dabei. Vielleicht verwechselte Sagar Australien mit Südafrika... Spekulation...

Wir können sagen, dass der Opa von Aaron Kozminski, der Vater seiner Mutter Golda, Wolek mit Namen, Butcher in Polen war. Aaron´s Vater Abram Josef Kozminski hatte einen Neffen, dessen Sohn auch Butcher wurde, Jacob Cohen eben. Nicht nur, dass es in der Familie das Schneiderhandwerk gab, nein, man war auch, wenn auch nicht im gleichen Stile, mit dem Butcher Geschäft verbunden. Beide City Beamte, Sagar als auch Cox, lassen es sehr wahrscheinlich erscheinen, dass sie es mit einem Butcher und auch mit jemanden zu tun hatten, der Schneidern zugeordnet werden kann. Zu Jacob Cohen vermute ich, dass er zwischen Manchester und London pendelte um Geschäfte mit Woolf Abrahams zu machen, welcher ja dann auch nach Manchester zog. Und das auch um die Zeit der Ripper Morde (siehe Firma Cohen/ Woolf/ Davies).

Beste Grüße, Lestrade.

 
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #98 am: 25.02.2017 18:01 Uhr »
Hallo zusammen!


Eine Überlegung über mögliche Zusammenhänge zwischen Kosminski und dem Butcher "Jacobs":

Im Dezember 1889 stand Aaron Kosminski vor einer behördlichen Anhörung. Er sollte ein Bußgeld bezahlen, weil er einen Hund ohne Maulkorb mit sich geführt hatte. Er sagte aus, dass er manchmal unter dem Namen seines Bruders "Abrahams" unterwegs sei, und dass der Hund einem "Jacobs" gehöre: "I goes by the name of Abrahams sometimes, because Kosminski is hard to spell… I cannot pay, the dog belongs to Jacobs, it is not mine…"
Mit Jacobs meinte er vermutlich seinen Verwandten Jacob Cohen oder vielleicht einen Nachbarn, den Butcher Aaron Jacobs, Greenfield Street 6. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass nach dem Mord an Frances Coles im Februar 1891 im East End ein Gerücht die Runde machte, der Mörder sei ein jüdischer Butcher namens "Jacobs".
Benjamin Leeson schrieb in "Lost London: The Memoirs of an East End Detective" (1934):
"... a story circulated that the Ripper was a butcher, who wore blue overalls and a leather apron, and an English Jew named Jacobs, a perfectly harmless man, somehow attracted suspicion to himself. Possibly because, working in a slaughter house, he always wore a leather apron. People would point Jacobs out in the street as a suspected man, and more than once he had to run for it. I myself was often obliged to take him to the police station for protection. The thing so preyed on the poor fellow's mind that it finally caused him to lose his reason."
Wenn Aaron öfter andere Namen als Alias benutzte, könnte dies die Ermittlungen der Polizei behindert und zu manchen der bekannten Unstimmigkeiten geführt haben.

Könnte es vielleicht sein, dass der arme Kerl, den Leeson meinte, ebenjener Nachbar Jacobs aus der Greenfield Street war?
Und dass die Überwachung eines Verdächtigen - zum Beispiel die Überwachung von Kosminski - von einigen Leuten, die die Observation bemerkten, irrtümlicherweise für eine Überwachung des Butchers Jacobs hielten?

Ich weiß, den Erzählungen von Leeson ist mit Vorsicht zu begegnen, da er sich bei einigem nachweislich geeirrt hatte - aber diese Puzzlestücke könnten doch wohl passen, oder?

Und weiß man etwas darüber, ob der Jacobs aus der Greenfield Street auch tatsächlich in der Klapse landete?

Oder könnte es so sein, dass Leeson unseren Butcher Jacob Levy meinte - den er für unschuldig hielt?


MfG, Arthur Dent

Offline Lestrade

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #99 am: 25.02.2017 18:54 Uhr »
Hallo Arthur!

Aaron Kozminski´s Bruder, Woolf Abrahams, führte eine kleine Firma mit Jacob Cohen und einem Davies in der Carter Lane. Im Sommer 1891 wurde sie aufgelöst. Bei der Anhörung erfahren wir, wo Aaron mit dem Hund lief, in Cheapside. Die lag nur ein paar Minuten zu Fuss von der Carter Lane entfernt. Rob House meint, dass es eigentlich heißen sollte, der Hund, "It is Jacob´s" und das er ein Wachhund für die Räumlichkeiten in der Carter Lane war und eben Jacob Cohen gehört haben könnte. Immerhin wurde dieser Jacob Cohen ja als einer der Informanten genannt, als Aaron Kozminski nach Colney Hatch eingeliefert wurde. Wir wissen auch, dass dieser Jacob Cohen ein Butcher war und wohl auch ein recht erfolgreicher. Sagar erzählt uns wiederum, dass die Freunde seines Verdächtigen in der Butchers Row es für ratsam hielten, diesen Mann in eine private Anstalt zu bringen. Es wäre also denkbar, dass dieser Jacob Cohen als Butcher eben Freunde oder Geschäftspartner in der Butchers Row hatte und Aaron dort versuchte unterzubringen, gerade dann, wenn dieser nicht für das eigene Unternehmen nützlich war. Jacob Cohen gab ja auch an, dass Aaron Kozminski seit Jahren nicht mehr arbeitete. Das heißt aber nicht, dass sie, als Angehörige oder Freunde, versuchten ihn in Arbeit zu kriegen. Einer der Versuche hätte ein Job in der Butchers Row gewesen sein können. Seit Jahren hättet auch bedeutet haben können: ca. 2 Jahre nicht gearbeitet. Leeson hätte eben auch erfahren haben können, dass es eben ein Mann war, der von Jacob zum arbeiten geschickt worden war, ohne dessen wirklichen Namen zu kennen. Also, dass er hörte, dass Jacob´s Mann jener Butcher war. Bei einer Persönlichkeit wie Aaron Kozminski, müssen wir ja auch annehmen, dass er eben mit seinem blauen Arbeitskittel und seiner Lederschürze durch die Gegen lief, ohne aber nur einen Finger bei seinem Schlachter zu rühren, ein Grund, warum diese und weitere Angestellte dann auch dachten, es wäre besser ihn einzuweisen. Die Schilderungen, dass Aaron Kozminski durch die Straßen ging, Wasser aus dem Hähnen dort trank und Brotkrümmel auflas, könnten sich auch ereignet haben, als er eben als vermeintlicher Schlachter, mit seinen Utensilien, verwirrt durch die Straßen irrte.

Das wäre meine Erklärung im Falle von Kosminski.

Lestrade.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #100 am: 26.02.2017 12:11 Uhr »
Hallo Lestrade!

Das mit dem Genitiv-S hatte ich mit auch schon gedacht, daher ja die Alternative Jacob Cohen. Kosminski war ja kein Muttersprachler, da wird sein Englisch auch aufgrund seiner psychischen Erkrankung wohl etwas holprig gewesen sein.

Der Kernpunkt meiner Überlegungen geht aber dahin, wie es zu gewissen Unstimmigkeiten in den Aussagen über den Hauptverdächtigen hätte kommen können.

Wir hatten ja mal diese Überlegung, dass diese Häufung von gleichen bzw. ähnlichen Namen, die sich die Einwanderer gaben, und ihre ganzen familiären und sozialen Verflechtungen, bei der Polizei zu Verwechslungen geführt haben könnten. Und seit wir wissen, dass diese Leute nicht nur öfter umzogen, sondern auch noch genau in dieser Zeit in einigen Straßen die Adressen reformiert wurden, um bestimmte historisch gewachsene Unstimmigkeiten zu korrigieren - da denke ich, waren gewisse Irrtümer und Verwechslungen zu erwarten.

Wenn wir davon ausgehen, dass auf der Polizei-Liste der Verdächtigen, die ja auch alle Metzger überprüfte, sowohl Kosminski stand - sei es nun wegen Bezug zum Metzger-Milieu durch Schwager Jacob Cohen oder aus welchen Gründen auch immer - und dazu auf der Liste natürlich die Metzger Jacob Cohen, Aaron Jacobs, Jacob Levy und sein Nachbar Aaron Krotoski - und dann auch noch mehrere davon zeitweise beobachtet wurden, dann kann man sich das Durcheinander in den Erinnerungen der Polizisten gut vorstellen, die sie Jahre später selbst zu Papier brachten oder den Schreibern erzählten.

So könnte z.B. auch Leeson Kosminski mit einem Jacob(s) verwechselt haben - oder Aaron Jacobs mit Jacob Levy o.ä. Von zweien aus diesem Kuddelmuddel wissen wir ja, dass sie tatsächlich in eine Anstalt kamen. Oh, und natürlich Aaron Davis Cohen nicht zu vergessen...
Und wenn Leeson in dem Punkt nicht irrte, dass jener Verdächtige schließlich seinen Verstand verlor, könnte das einer dieser gewesen sein.
Leeson nannte ihn zwar "einen völlig harmlosen Mann" - aber Levy und Kosminski galten ja auch lange zwar als problematisch, aber nicht gefährlich für andere (bis wir dann in den Anstaltsakten Dinge zu lesen bekamen, die nicht mehr so harmlos klingen).


MfG, Arthur Dent




 


« Letzte Änderung: 26.02.2017 12:24 Uhr von Arthur Dent 2 »

Offline Lestrade

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #101 am: 26.02.2017 15:55 Uhr »
Grüß dich, Arthur!

Bei der Neubetrachtung der Quellen und das tun wir ja, gilt es auch, eventuelle oder mögliche Verwechslungen aufzudecken. Es sollte klar sein, dass fast alle dieser Quellen nie ganz akkurat sind. Bei einer Aussage, wie die von Lady Anderson mit dem Hinweis auf einer Anstalt in Kent, Stone, halte ich es durchaus für möglich, dass dies auf jemand anderen hindeutet, als auf den Verdächtigen, den eigentlich ihr Mann meinte. Hier sehe ich eine Möglichkeit, dass Jacob Levy unter den Verdächtigen gelistet worden sein könnte. Eine andere Verwechslung, könnte es zwischen David Cohen und Aaron Kozminski gegeben haben.

Die Angaben, die wir von den Andersons, Swanson, Macnaghten, Sims und Griffiths haben, halte ich persönlich für nur wenig “fehlerbelastet“, es ist möglich, dass Männer wie David Cohen (Swanson) und Jacob Levy (Lady A.), hierbei mit Aaron Kozminski vermischt wurden. Die Angaben von Cox und Sagar zählen natürlich dazu, dazu gleich mehr.

Ich glaube weniger, dass Männer wie Aaron Jacobs oder Aaron Krotoski dabei eine Rolle spielten. Ich habe mir mal einige Butcher notiert, die damals ebenfalls durch diese Gegend liefen, Baleham, Taylor und Paul wurden als Geisteskranke deklariert. Der Butcher Isenschmid fiel der Polizei auch einmal auf und wurde verdächtigt. Was ich sagen will ist, dass die Polizei sicherlich ganz klar ein Auge auf geisteskranke Schlachter geworfen hatte und diese auch allgemein über einen längeren Zeitraum auf ihren Zetteln hatten, so wohlmöglich auch Jacob Levy. Falls zwei von ihnen hoch oben auf den Zetteln standen, kann es natürlich auch zu Verwechslungen gekommen sein, vielleicht auch nur minimal. Diese Verwechslungen passieren dann eher Beamten, die erst nach der Mordserie Zugang zum Fall fanden oder unterrangingen Beamten. Auch auf höherer Ebene wird das passiert sein können und ist es auch, wie ich meine aber eine größere Gefahr bestand da für die erste erwähnte Gruppe.

Leesons Schlachter, der Jacobs genannt wurde, wird jemand gewesen sein, der eine Rolle spielte. Sollte ich mich entscheiden, wer dabei gemeint war, zwischen Jacob Levy und Aaron Kozminski, welcher ja nie direkt als Butcher bezeichnet wurde, würde ich wegen den Umständen auf letzteren setzen. Warum, erkläre ich gleich. Wenn Leesons Mann ein geisteskranker Schlachter war, dann kann Leeson, trotz eigener Aktivität in dem Falle, nie seinen wirklichen Namen erfahren haben müssen. Erstens sind solche Menschen oft nicht mehr in der Lage zu kommunizieren bzw. auf Fragen zu antworten, zweitens haben sie oft jemanden, der sich kümmert und drittens, dass er als Verdächtiger einer ganz anderen Behandlung unterlag, der auch Leeson nie ganz gewahr wurde. Das könnte heißen, er kannte einen Mann, den man im Auge behalten hatte und der zu einem Jacob gehörte, welcher vielleicht sogar eine gewisse Kooperation zeigte. Weiterhin kommt dazu, dass Aaron Kozminski auch den Namen Aaron Abrahams nutzte und vielleicht tat er auch das mit dem Namen Aaron Cohen, aufgrund seiner Familienmitgliedes Jacob Cohen oder auch, weil seine Schwester Matilda Lubnowski ebenfalls den Zusatz “Cohen“ für sich in Anspruch nahm. Ich halte es für gut möglich, dass es da wirklich Konfusionen mit Aaron Kozminski Namen gab, wie hieß er denn nun wirklich? Kozminski, Abrahams oder Cohen. Vielleicht wurde er dabei für einige einfach “Jacobs“ und für andere eben nur “Kosminski“. Das alles und auch das was ich gleich noch schreibe, wirkt für viele vielleicht etwas zerbrechlich, was ich auch nachvollziehen kann aber ich würde es als Möglichkeiten schon irgendwie oder ähnlich in Betracht ziehen.

Warum eher Aaron Kozminski und nicht Jacob Levy im Falle von Leeson?

Wir wissen, dass es vor Aaron Kozminski´s Einweisung nach Colney Hatch eine Observation in der Greenfield Street gab, “seiner“ Adresse. Involviert in dem Falle, Cox und Sagar. In dieser Angelegenheit nutzte die Polizei einen Informanten aus dieser Straße, Joseph Tragheim, ein Jude. Er soll Coxs Informant im Ripper Fall gewesen sein. Tragheim´s Adresse als auch die Adresse von Cox´s Informant sind identisch und sie lag unmittelbar an den Adressen dort von Matilda und dem anderen Bruder Isaac. Zu jener Zeit, im Dezember 1890, hatte Sagar auch eine Observationsjob in der Butchers Row. Cox, den wir eigentlich, zumindest zunächst, kurz nach Kelly als Observator sehen, könnte hier erneut, vielleicht in einer anderen Position, eine Rolle spielen. Er sagte ja, dass sein Verdächtiger bestimmte Zeiten in einer Anstalt in Surrey verbrachte. Via Sims wissen wir, dass Kosminski immer wieder mal auf freiem Fuß war. Ein weiterer Punkt, warum es sich bei dem Mann von Cox und Kosminski gehandelt haben könnte. Swanson von der MET bestätigt uns ja auch, dass Kosminski von der City Police überwacht wurde. Dazu gehörten eben auch Cox und Sagar. Aber als das alles standfand, war Jacob Levy bereits in der Anstalt und die Gerüchte über Jacobs machten nach Coles und somit nach Aaron´s Einweisung die Runde. Ich denke, dass es wenigstens zwei Locations gab, die die Polizei im Falle von Aaron Kozminski observierte, Greenfield Street und Butchers Row.

Es ist möglich, dass Aaron Kozminski aufhörte zu arbeiten, in der Zeit, als ihn Cox das erste Mal observierte. Danach verbrachte er immer wieder viel Zeit in einer Anstalt. Zwischendurch, wenn er auf freiem Fuß war, versuchte die Familie ihn wieder in die Arbeitswelt zu integrieren, was jedoch misslang. Wie es zum Friseur bei Aaron kam, weiß ich nicht. Vielleicht war das tatsächlich sein Beruf während der Mordserie, denn Cox sprach von einem wohl recht kleinen Shop und das könnte ein Friseurladen gewesen sein. Vielleicht in den Räumlichkeiten seines Bruders oder seiner Schwester in der Greenfield Street. Oder aber, man versuchte ihm diesen Beruf während seiner Zeiten in Surrey anzueignen. Wir wissen allerdings auch, dass er keinen Finger mehr in Colney Hatch oder Leavesden rührte. In Surrey könnte das aber anders gewesen sein.

Weiterhin müssen wir beachten, dass die Eltern von Aarons Mutter Golda Schlachter waren und diesen Beruf auch seinen Cousin Jacob Cohen eigen war. Und eben dieser Cohen war ein Informant bei der Einweisung von Aaron Kozminski im Februar 1891. Dazu kommt, dass Sagar eben im Dezember 1890 in der Butchers Row Dienst schob und uns für diese Zeit eben Leeson eine Butcher namens Jacobs beschert. Sagar gibt an, dass sein Mann hoffungslos verloren war und Lesson hielt ihn wohl ebenfalls für jemanden, der den Verstand verloren hatte und deswegen wohl auch nicht mehr gefährlich war. Vielleicht tat er ihm einfach nur leid, was ich sogar verstehen kann, denn ein Mensch, mit einer derartig schweren Geisteserkrankung ist doch nur noch ein Häufchen Elend. Wer mehr über ihn wusste, der sah es vielleicht etwas anders, was aber nicht bedeutet, dass ihr Mitgefühl abhanden gekommen war.

Es mag für viele nahezu unglaublich sein, dass dieses arme Würstchen von einem Mann names Aaron Kozminski in 1891, dieser furchtbare Serienkiller war, den man heute noch als Jack the Ripper bezeichnet. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass dies der Fall war.

Profiler John Douglas war bestürzt, als man einen ähnlichen Serienkiller, Richard Trenton Chase, zum Tode verurteilen wollte und es auch tat (Chase nahm sich dann allerdings das Leben). Ich denke, diese Personen, seien sie als Menschen oder als Killer noch so selten, mit ihren meisten Anteilen in einer Parallelwelt leben und sie nicht in der Lage sind, sich gegen diese grausame Erkrankung und das meine ich komplex, wehren zu können. Ich vermute, Jack the Ripper konnte nichts dagegen tun, gegen das was er tat. In dieser Welt gab es kein Nein. Er muss nahezu vollständig unzurechnungsfähig gewesen sein. Beschreibt Leeson mit “Jacobs“ Aaron Kozminski und lernte ihn wirklich kennen, dann kann ich verstehen, warum er ihn harmlos hielt oder es ihm wünschte, harmlos zu sein.

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Offline CRoW

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #102 am: 14.09.2017 13:07 Uhr »
War es nicht so das er erst 2 Jahre Später in die Anstalt eingewiesen wurde.?
Was hat er denn die 2 Jahre gemacht? Ein Serienmörder würde doch nicht 2 Jahre nix mehr tun oder??

mfg

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #103 am: 14.09.2017 15:11 Uhr »
Hallo Crow!

Das ist ein Thema, was schon seit vielen Jahren diskutiert wird. Es lässt sich sehr kompakt beschreiben und wie bei so vielen in diesem Fall, bleibt sehr viel Raum für Spekulationen und Möglichkeiten. Ich will jetzt gar nicht ganz speziell alles wiederholen oder zitieren usw. Für dich sollte es lohnenswert sein, die Aaron Kozminski Fäden hier im Forum nachzulesen, das gleiche gilt für die Fäden bezüglich Jacob Levy, Cox oder Sagar usw.

Wie ich es betrachte, wie es könnte gewesen sein, in meinen Theorien und Hypothesen, gebe ich hier gerne noch einmal in kleiner Form wieder.

Niemals wurde der Name Aaron Kozminski erwähnt. Man sprach von einem Kosminski als überzeugenden Verdächtigen, als Jack the Ripper. Das sind Angaben, wie wir sie via Anderson, Swanson und Macnaghten erfahren haben. Andere Beamte, wie Cox oder Sagar, nennen keinen Namen. Für mich besteht klar die Möglichkeit, dass auch diese Beamten über Kosminski sprachen. Warum, kannst du in den empfohlenen Fäden nachlesen. Bemerkenswert dabei ist, dass ein Teil der Aaron Kozminski Familie einst am Dutfields Yard in der Berner Street lebte, sehr wahrscheinlich Aaron selber. Sein Bruder mit Familie verließ nach dem Double Event auch eine angrenzende Straße, in der er seinerzeit lebte. Angaben, die zu Kosminski gemacht wurden, passen zu Aaron Kozminski, so seine Einweisung nach Colney Hatch. Und obwohl Swanson angibt, dass sein Kosminski nach kurzer Zeit in Colney Hatch starb, was eben jener Aaron Kozminski nicht tat, sollte man dennoch stark in Betracht ziehen, dass Aaron Kozminski eben jener Kosminski war. Der Grund für Swansons Bemerkung, kann vielfältiger Natur sein. Darüber haben wir auch oft gesprochen. Es könnte im Nachhinein zu Verwechslungen mit David (Aaron Davis) gekommen sein, der tatsächlich in Colney Hatch starb. Das wäre eine Möglichkeit. Eine weitere könnte eine simple Annahme der Ärzte gewesen sein, die in ihrer Prognose den möglichen Tod, nach Monaten, in Betracht zogen. So, wie es eben auch bei jenem David Cohen gewesen sein könnte. Im Falle von Aaron Kozminski traf das dann eben nicht ein. Es ist noch nicht allzu lange her, da habe ich tatsächlich darüber gelesen. Ärzte bescheinigten durchaus solchen mental gestörten Personen eine nicht mehr hohe Lebenserwartung. Sicherlich ist das Swanson Statement eine wichtige Angabe, sollte aber nicht zwangsläufig Aaron Kozminski vom Radar nehmen. Auf der anderen Seite gibt es selbstverständlich die Möglichkeit, dass jemand anderer dieser Kosminski gewesen sein könnte. Scott Nelson als auch Martin Fido bevorzugen den bereits erwähnten David Cohen. Über Scott ist bekannt, dass er mit einer Familie in Kontakt war, die hinter dem Dutfields Yard lebte und die einst Kosminskis waren. Jedoch wissen wir, falls richtig wiedergegeben, dass Kosminski immer wieder Zeiten unter seinesgleichen verbrachte, obwohl er auch Insasse einer Anstalt war… nach den Morden… dies schließt David Cohen aus. Auch die Information, dass Kosminski ca. März 1889 in eine Anstalt kam, passt nicht zu ihm. Aber eben diese Dinge, dass beschriebene In- and out in einer Anstalt, der Zeitpunkt des Märzes 1889, könnten deine Frage beantworten, warum keine weitere Morde mehr stattfanden. War Aaron Kozminski jener Kosminski, dann war er im Dezember 1889 wieder auf freiem Fuß (er musste vor einer Anhörung erscheinen), nachdem er im März noch eingeliefert worden war. Cox beschreibt eine monatelange Observation eines Verdächtigen, nach dem Mord an Kelly. Dies könnte gut mit dem März 1889 Datum korrespondieren.

Wenn man diesem Aaron Kozminski nicht habhaft werden konnte, dann könnten zumindest Observationen und Aufenthalte in Anstalten, seine Mordserie beendet haben und zwar über zwei Jahre lang. Solange, bis er in eine öffentliche Anstalt kam, Colney Hatch. Die Anstalt bzw. Anstalten vorher, könnten privater Natur gewesen sein. Ich würde noch nicht einmal ausschließen, dass Aaron Kozminski bereits während der Mordserie, nach dem Double Event, als einer von vielen in das Visier der Polizei geraten war. Was ich damit sagen will ist, dass Aaron Kozminski einen längeren Prozess als Tatverdächtiger unterlegen war. Erst als jemand, oben auf der Liste mit ein paar anderen, dann aufgrund bestimmter Umstände und Indizien als Hauptverdächtiger, bis hinzu jemanden, der zweifelsfrei von einem Zeugen identifiziert wurde (auch wenn letzteres Fehlschlug). Nicht, dass die Umstände oder Indizien nicht überzeugend gewesen waren, hier handelte die Polizei eben, wie die Polizei eben handelt, man versucht eine eindeutige Überführung, bis man das Ergebnis mitteilt. Das war durch die, für die Polizei, tragische ID im Seaside Home nicht möglich gewesen. Ich bin überzeugt, dass diese ID erst 1,5 Jahre nach der Serie später möglich war. Hätte es damals bereits den DNA Beweis gegeben, wäre ein Zeuge nicht nötig gewesen. Die “many circs“, die Macnaghten beschreibt, waren sicherlich eine Reihe von Indizien und Umstände, die den Verdächtigen Kosminski belasteten. Dazu könnten vielleicht der PC vom Mitre Square gehört haben oder auch andere Zeugen. Der PC konnte ihn nur vage beschreiben, keine eindeutige Identifizierung, das  zählte auch damals nicht vor Gericht. Andere Zeugen, die ihn vielleicht in den Straßen der Tatorte sahen, um die Tatzeitenpunkte herum, können ihn einfach dort nur gesehen haben, nichts weiter, auch das hat nicht den hohen Stellenwert. Vielleicht gehörte dazu auch blutige Wäsche, die ihm zugeordnet werden konnte. Aber was war das Wert, wenn er eine eigene Verletzung vorzeigen konnte? Mit den Zeugen ist das eh so eine Sache. Lawende und Schwartz waren gute Zeugen, Hutchinson auch, wenn er denn den Ripper tatsächlich sah. Mrs. Long sollte man auch nicht vergessen, auch wenn sie, wie der PC vom Mitre Square, nicht das Gesicht des Mannes sah. Dazu noch der Zeuge in der Church Lane zwischen dem Mord an Stride und Eddowes. Lawende, vielleicht der beste Zeuge, sagte selber, er wäre nicht sicher, ob er diesen Mann wiedererkennen würde. Viele bevorzugen Lawende und Schwartz als Zeugen im Seaside Home. Das ist erst einmal verständlich, auch für mich. Doch sehe ich den späteren Termin der ID im Seaside Home, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass einer von beiden erst so spät einen bereits Hauptverdächtigen zu Gesicht bekam. Aber nichts ist unmöglich…

Ich persönlich denke, dass die Begegnung mit dem Seaside Home Zeugen und Kosminski eine sehr nahe gewesen war. An einem Tatort, schauten sie sich gegenseitig klar ins Gesicht… und erkannten sich dann beide später eindeutig wieder. Dieser Zeuge muss Kosminski nicht mit einem Opfer gesehen oder gar einen Mord beobachtet haben. In der Swanson Familie gibt es die Geschichte, dass der Ermittler Swanson sagte, dass ihnen nur ein Zeuge hätte helfen können, der über die Bewegungen des Verdächtigen genaue Auskunft geben konnte. Das war ganz sicherlich der Seaside Home Zeuge und ich bevorzuge dabei den Millers Court. Auf welche Art und Weise und auch warum es solange dauerte den Zeugen aufzutreiben, da kann ich ebenfalls nur spekulieren. Macnaghten sagte, dass niemand den Ripper sah, außer vielleicht der PC vom Mitre Square. Vielleicht ist das ein Hinweis, dass all diese Personen, Mrs. Long, Schwartz, Lawende als auch die Person aus der Church Lane, nicht in der Lage waren, den Finger auf Kosminski zu zeigen und das der einzige, der PC vom Mitre Square, da schon anders war aber eben auch nicht 100%ig sicher. Vielleicht gehörte der Seaside Home Zeuge auch zu den Zeugen, die Macnaghten in seinem Kreis sah, jedoch unbewusst der tatsächlichen Ereignisse im Seaside Home.

Nun sollte man nicht vergessen, dass Scott Nelsons Kosminski Familie, der Kosminski aus Eileen Luscombes Familie, die von Zena Shine auch für einen anderen Kosminski stehen könnten. Aber bis auf Aaron Kozminski ist kein weiterer Kosminski in Colney Hatch zu finden. Selbst wenn man davon ausgeht, nicht unter diesem Namen eingeliefert worden zu sein. Da passt einfach nichts. David Cohen wäre ein guter Kandidat. Doch wie erwähnte, darf man auch bei ihm heftig zweifeln.

Aaron Kozminski könnte aufgehört haben zu morden, weil er lange unter Observationen stand, weil er, aufgrund seines Zustandes oder der Angst seiner Familie, zeitweise außerhalb von London in eine Anstalt untergebracht worden war, solange, bis er nach Colney Hatch kam. 

Ich würde nicht davon ausgehen, dass Aaron Kozminski über zwei Jahre nach dem letzten Mord der K5, viel Zeit in Whitechapel und Umgebung verbracht hat. Sei er nun der Ripper gewesen oder nicht.

Beste Grüße,

Lestrade.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline CRoW

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Re: Aaron Kozminski- Neubetrachtung der Quellen!
« Antwort #104 am: 19.09.2017 12:50 Uhr »
Hi und erstmal vielen dank für die Zusammenfassung, ok das ergibt sinn. Das er es nicht riskieren konnte wenn er nun Obsaviert wurde.

Könnte man nicht die Briefe mit Aaron Handschrift vergleichen würde wenn sowas möglich ist??

mfg