Autor Thema: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!  (Gelesen 54743 mal)

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #15 am: 16.10.2012 14:13 Uhr »
Sensationell oder? Ich sag ja, die legen nach und nach alles offen...

Hier noch ein "kurzes" Statement meinerseits:

Ich komme aus einer sehr großen Familie. Wir sind sieben Kinder (Die Kozminski- Geschwister waren auch zu siebt, Pessa, Helen, Isaac, Matilda, Bertha, Woolf und Aaron. Pessa wurde nur drei Jahre alt). Ich habe 5 ältere Schwestern. Meine älteste Schwester ist 17 Jahre älter als ich und 18 Jahre älter als mein ein Jahr jüngerer Bruder. Eine meiner Schwestern ist leicht behindert, da gab es Komplikationen während der Geburt. Ich bin quasi der Woolf Abrahams meiner Geschwister und Nein, mein Bruder hat nichts mit Jack the Ripper gemeinsam. Sein Interesse an diesem Fall liegt ungefähr zwischen 0 und einem kräftigen Schluck lauwarmen Wassers. Meine Mutter lebt Gott sei Dank noch, Vater weilt nicht mehr unter uns. Meine Mutter hat noch eine Schwester, beide haben unterschiedliche Väter. Mein Vater hat bzw. hatte noch neun Geschwister. Sie waren fünf Schwestern, fünf Brüder. Einer seiner Brüder, einer meiner Onkels hatte z.B. zwölf Kinder. Zehn in einer Ehe, zwei mit einer anderen Frau. Ich bin 12-mal Onkel und selber Vater eines Sohnes. Meine Cousinen und Cousins, egal welche Grades, sind mir nicht alle bekannt. Diese Familie verstreut sich auf dem ehemaligen Gebiet der DDR, Westdeutschland, Australien sowie USA. Die Eltern meines Vaters stammen aus Polen. In dem Ort wo ich aufwuchs, wohnten bzw. wohnen alle Verwandte dicht beieinander. Der Vater meines Vaters, also Opa, heiratete die Mutter meiner Mutter, also Oma. Meine Eltern sind Stiefgeschwister aber nicht blutsverwandt. Einer meiner Neffen heiratete die Stieftochter meines Bruders, die Tochter aus erster Ehe seiner jetzigen Frau. Auch wir haben in unserer Familie so manches Geheimnis, das niemand ahnt und viele auch gar nicht wissen wollen. Genau wie Woolf Abrahams, war ich gezwungen oft in meinem Leben den Wohnsitz oder gar den Ort zu wechseln. Jetzt, mit 40 Jahren, ist Schluss damit. In meiner Familie triffst Du alles an, von Asozialen über den Normalo bis zu sehr gut Gebildeten. In solchen Familien- Konstellationen ist alles, aber auch alles möglich. Ich kann mich in Großfamilien, wie die der Kozminskis, sehr gut hineinversetzen und bin gut im Bilde über die Rollen, welche die einzelnen Figuren darin spielen bzw. spielen müssen. Ich weiß es aus erster Hand. Meine Erfahrungen sind auch der Grund, warum ich mich so sehr für Aaron Kozminski und Co. interessiere. Es ist ein Grund, nicht der einzige.

Aaron Kozminski´s Probleme fingen 1885 an und dürften sich Jahr für Jahr verschlimmert haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für alle Angehörigen immer schwieriger wurde, mit ihm zusammenzuleben. Sei es nun für Woolf und die seinen, Isaac oder Matilda. Vielleicht auch für Jacob Cohen. Nicht nur im Zusammenleben, sondern auch im Arbeitsleben dürfte es von Jahr zu Jahr schlimmer geworden sein. Solch ein Mensch mit einer derartigen Erkrankung, dürfte von niedrigem Selbstwertgefühl, extremen Minderwertigkeitskomplexen und Angst gepeinigt gewesen sein. Ein normales soziales Leben scheint mir abwegig also dürfte ihn seine Familie durchgeschleppt haben. Vielleicht half er mal in der Schneiderei aus, bei Morris und Matilda als Hilfsschuhmacher, bei Jacob als Schlachtergehilfe. Vielleicht wollte er einmal so etwas wie Arzt werden und landete bei einem Friseur. In diesen Familien gab es Kinder und Frauen. Kinder wollen geschützt werden, mit Frauen konnte Aaron, falls er der Ripper gewesen war, ohnehin nicht. Mutter und Schwestern dürften ein Greul für ihn gewesen sein. Nun entwickeln sich, neben seiner Erkrankung, auch seine schon in Kinder- und Jugendtagen entstandenen Gewalt- und Verstümmelungsfantasien. Sie gehen Hand in Hand mit seiner sexuellen Entwicklung und was für uns Sex ist, bedeutet für ihn Verstümmeln. Natürlich bedingen sich diese Dinge einander. Aber es kommt der Tag, da können die Familienmitglieder sein Verhalten kaum noch ertragen. Masturbation, zusammenhangloses Gerede, sein reges Innenleben, welches kaum eine halbwegs brauchbare Kommunikation zulässt. Weltvorstellungen, die weit von der Realität entfernt sind, Verfolgungswahn, welcher Mitmensch hält das aus?

Bevor ein Serienkiller, egal welcher Art, wirklich anfängt zu morden, gibt es immer ein letztes, entscheidendes Ereignis oder mehrere Ereignisse. Im Falle von Aaron könnte dies bedeuten, dass er Anfang 1888 zu spüren anfing, dass seine Familie ihn nicht mehr wollte, jedenfalls nicht so, wie er war. Das seine Arbeitskraft nichts mehr nützte, dass er immer mehr zum Nichtsnutz wurde, dass gerade die Frauen in der Familie, in seiner Umgebung begannen, ihn total und vollkommen abzulehnen. Vorher war da schon nicht viel. Auch seine Brüder könnten, seine ohnehin missliche Lage, durch diese und jene Taten verschlimmert haben. Irgendwann holt er sich nun auch noch eine Geschlechtskrankheit. Das Fass fängt an überzulaufen.

Oftmals ist solche Art von Täter, bevor sie anfingen zu morden, mit der Psychiatrie in Berührung gekommen. Zwischen Emma Smith und der Tat an Tabram, kann ich mir durchaus vorstellen, dass der Ripper einige Zeit stationär untergebracht worden war. Also Sommer 1888. Im Falle von Aaron Kozminski, hätte dies schon für besondere Verzweiflung in der Familie Kozminski stehen können.

Nun wohnen und arbeiten Woolf, seine Frau und Kinder, in der Providence Street. Aaron ist mit dabei. Matilda, Isaac und Jacob helfen wo sie können, Woolf kommt, wohlmöglich auch wegen des Ballastes Aaron nicht wirklich auf die Beine. Vielleicht schieben sie Aaron hin- und her, vielleicht leben Woolf, seine Frau und die Kinder aber auch nach Feierabend oder an den Wochenenden bei den Geschwistern, vielleicht ist es eine Mischung aus beiden. Alle befinden sich ja nur wenige Straßen voneinander entfernt. Und vielleicht ließen sie Aaron schon im Juli/ August die ersten Male an Feiertagen oder Wochenenden alleine in der Providence Street. Vielleicht bemerken sie nach der DoubleEvent- Nacht: “Moment! Bei uns um die Ecke schlug der Ripper zu und auch noch im Mitre Square, wir haben hier blutige Kleidung“, die sie vielleicht zufällig fanden. Der Mord nahe ihrer Wohnung ließ sie nach dem rechten schauen. “George Yard, Buck´s Row, Hanbury Street, Berner Street und Mitre Square, jedes Mal waren wir nicht daheim und Aaron war alleine“. Jetzt stellen sie (die Polizei) uns und Aaron dumme Fragen. Der Familienrat muss tagen. Woolf seine Frau und die Kinder bleiben ab Oktober bei den Verwandten, Woolf führt zunächst das Geschäft weiter, wohnt permanent da, beobachtet Aaron. Seine Frau findet manchmal den Mut mitzuhelfen. Es ist eine Extremsituation. Aaron verhält sich die nächsten Wochen unauffällig. Als Woolf wieder einmal Aaron alleine lässt, ist es die Todesnacht von Kelly. Vielleicht haben er, Isaac und Jacob, Aaron nach dieser Nacht irgendwo hingebracht. War schon einmal vor Kelly der Fokus auf Aaron gefallen, dann wäre die Polizei noch einmal zu ihm hin. Anderson behauptete ja, Jack the Ripper wäre in einer Anstalt vom jüdischen Zeugen identifiziert worden. Wurde er aus dieser entlassen, nach Hause, dann hätte die MET ihn von der Providence Street in das Seaside Home bringen können, wo möglicherweise der City PC wartete. Als Aaron von dort zurückgebracht wird, ist Woolf auch erst einmal weg. Manchester käme schon in Frage, schließlich zog er da ja auch alsbald mit Frau und Kinder hin. Cox hätte nun, Aaron alleine im Haus des Bruders observieren können. Wie erwähnt, wollte er das drei Monate getan haben. Macnaghten ´s “ungefähr um März 1889“ käme da schon hin. Die Überwachung und Absicherung durch die Polizei endet, die Familie rückt wieder auf den Plan und sie weisen Aaron erneut irgendwo ein. Wer weiß wie Familie und Polizei interagierten. Anderson hatte ja angeblich einen Informanten, einen weiblichen…


« Letzte Änderung: 16.10.2012 18:06 Uhr von Lestrade »
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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #16 am: 16.10.2012 14:35 Uhr »
Kurzes Update mit Selbstzitat: Auf der diesjährigen Jack-the-Ripper-Konferenz in York präsentierte Rob House zwei Fotos von Mathilda Kosminski und ihrem Mann Morris Lubnowski. Das eine zeigt sie als junges Paar, das andere zu einem späteren Zeitpunkt, eventuell um den Zeitpunkt von Aarons Einweisung nach Colney Hatch. Auf Bitten der Nachfahren der Kosminskis dürfen diese Bilder aber (derzeit) keinem größeren Publikum offenbart werden.

Dann können wir uns schon mal auch David Lubnowski in´s Gedächtnis zurückrufen. Er war ja der Sohn von Golda´s Bruder, Aaron´s Mutter, also sein Cousin.

http://forum.casebook.org/showthread.php?t=29&page=6

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #17 am: 18.10.2012 14:32 Uhr »
Robert House schrieb im Casebook:

"Gary Ridgeway is the example I always cite. The police strongly suspected Ridgeway for over a decade, but lacked evidence to bring charges until the finally processed the DNA evidence in 2001. I say strongly suspected, but I think some members of the police would have said they "knew" Ridgeway was the killer, even though they lacked evidence to convict him.

RH"


Ich finde es interessant, wie auch in der Neuzeit, weit nach den Rippermorden, die Schwierigkeit da ist bzw. war, Serienkiller zur Strecke zu bringen, von deren Schuld man als Polizeibeamter überzeugt ist, es aber an Beweisen fehlt und wie die diese Art von Täter mehrmals in Berührung mit der Polizei kommen kann, ohne überführt werden zu können.

Green River Killer:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gary_Ridgway

Yorkshire Ripper:

http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_William_Sutcliffe

Beide Täter schlugen genauso hohe Wellen, wie es Jack the Ripper tat und immer noch tut.

Sagar´s "ohne Zweifel der Mörder", Cox sein "er stand in Verbindung zu diesen Morden", Anderson´s Überzeugung wer der Ripper gewesen war und nicht zuletzt Swanson seine Identifizierung(en) und die Sicherheit, dass der Verdächtige "hängen würde", scheinen mir in diesem Zusammenhang besonders wertvoll.

"Überführung mangels Beweisen unmöglich" war auch bei Ridgway und Sutcliffe ein großes Thema. Mir scheint es da einen großen Unterschied zwischen einem Beweis und einem Beweis zu geben.
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Damien

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #18 am: 18.10.2012 22:17 Uhr »
Zitat Lestrade:
"Ich finde es interessant, wie auch in der Neuzeit, weit nach den Rippermorden, die Schwierigkeit da ist bzw. war, Serienkiller zur Strecke zu bringen, von deren Schuld man als Polizeibeamter überzeugt ist, es aber an Beweisen fehlt und wie die diese Art von Täter mehrmals in Berührung mit der Polizei kommen kann, ohne überführt werden zu können."

Vielleicht hatte man bei Kozminski Angst vor politischen Unruhen, wenn eine Inhaftierung bezüglich der Morde öffentlich wurde ohne "kernige" Beweise. Gerade der Fall Pizer und die vermutliche Entfernung des Graffitos aus politischen Gründen zeigte ja, wie explosiv die Stimmung diesbezüglich war.


Offline Lestrade

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #19 am: 19.10.2012 13:26 Uhr »
Hallo Damien,

Ich bin mir da gar nicht mehr so sicher, ob es aufgrund der “politischen“ Situation zu einer solchen Zurückhaltung gekommen wäre, wie wir sie uns immer vorstellen. Natürlich gab es die Erfahrungen mit John Pizer und der Goulston Street aber hätte es am Ende tatsächlich deswegen eine Verschleierung geben können? Swanson meinte, sein Verdächtiger hätte gehangen. D.h. er wäre verurteilt worden und zwar öffentlich und mit den vorhandenen, gesetzlichen Bedingungen. Der Engländer ist konsequent und hätte dies auch durchgezogen. Man hätte nur hoffen können, dass alles so glimpflich wie nur möglich in der Bevölkerung zwischen Juden und Nicht-Juden abläuft. Ohne blaue Flecken wäre da aber niemand herausgekommen.

Aber auch noch nach den Vorfällen mit Pizer und dem GSG gab es solche Dinge wie folgt:

Joseph Isaacs, 30jähriger polnischer Jude wurde an der Drury Lane von Detective Sergeant Record, H Division festgenommen. Record wurde später bei den Mordfällen Alice Mackenzie und Frances Coles stark eingebunden. Er war als MET Beamter tief im Gebiet (Drury Lane) der City Police unterwegs.

Times (London)
7 December 1888

“THE WHITECHAPEL MURDERS
A news agency states that the police yesterday made a singular arrest, which was reported to be in connexion with the Whitechapel murders. It appears that during the afternoon a man, described as a Polish Jew, was arrested near Drury Lane, but for what offence is not exactly clear. The man, who is of short stature, with a black moustache, was taken to the Bow street Police station, where he was detained for a time. In the meantime a telegraphic communication was forwarded to Leman street Police Station, which is the headquarters of the Whitechapel division, requesting the attendance of one of the inspectors. Detective Inspector Aberline immediately proceeded to Bow street, and subsequently brought away the prisoner in a cab, which was strongly escorted. The man, who is well known to the local force of police and detectives, is stated to have been absent from the neighbourhood of Whitechapel lately.”

Abberline: “Keep this quiet- we have got the right man at last. This is a big thing!”

Aaron Davis Cohen, ein weiterer polnischer Jude, wurde kurze später des Tages, am 07.Dezember 1888, vom PC J. Patrick 91H aufgegriffen. Er könnte noch die Zelle mit Joseph Isaacs geteilt haben. Der Name wurde dann in David Cohen geändert. Dieser Name und die Namensänderung finde ich, gerade zu diesem Zeitpunkt, sehr bemerkenswert. Ein Irrer auf freien Fuss, ein Aaron Davis Cohen, war schon vorher aufgefallen und wenn wir uns vor Augen halten, das Aaron Kozminski  sein Cousin (welcher Grad ist das eigentlich?) Jacob Cohen, nicht nur mit Aaron´s Bruder Woolf Abrahams Geschäfte machte, sondern auch mit einem Mann Namens Davies, hätte sich Aaron Kozminski durchaus zu dieser Zeit, des Doppelnamens Davis Cohen bedienen können. Nur PC J. Patrick´s Mann, wäre dann nicht dieser gesuchte Cohen gewesen, sondern ein anderer, den man dann als David Cohen bezeichnet hätte. Dem wohl typischen Namen für unbekannte Personen. Er war 23 Jahre alt, genau wie Aaron Kozminski. Er hatte braune Haare, einen braunen Bart und braune Augen.

Am 28 Dezember 1888, also 3 Wochen nach dem Vorfällen mit Joseph Isaacs und David Cohen, wird ein Mann verhaftet (PC 177A Wraight), welcher der Beschreibung von Hutchinson´s Astrakhan- Mann entspricht, der 20jährige Joseph Denny. Die Beschreibung von Hutchinson war ja “jüdisch“, “fremdländisch“.

Im ersten Fall sehen wir ganz deutlich, dass es da wenig Zurückhaltung gab. Und dabei sollten wir beachten, dass es eine Tatsache war, dass Abberline durchaus gut mit dem jüdischen Teil der Bevölkerung konnte. Sein Abschied, nicht lange danach, wäre ein Beispiel dafür.
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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #20 am: 19.10.2012 15:12 Uhr »
Bei dem Schaden, den die (zumindest nach außen hin) erfolglose Ermittlung im Ripper-Fall an Scotland Yard angerichtet hat, hätten die es sich niemals nehmen lassen, einen Erfolg aus Angst vor möglichen Unruhen zu verheimlichen. Es hätte ja schon gereicht, den Namen des Verdächtigen nicht zu veröffentlichen. Ich weiß, so etwas war/ist schwer, weil irgendetwas immer durchsickert (keine Anspiele auf andere Verdächtige!), aber es hätte wahrscheinlich gereicht, um allzu schlimme Ausschreitungen zu vermeiden.
Andererseits hätte natürlich die Verlautbarung einer Verhaftung ohne zwingende Beweise dem Yard weiteren Schaden zugefügt, zumal die Öffentlichkeit spätestens nach dem Blutsonntag 1887 sehr empfindlich gegenüber einer vermeintlichen "Polizeiwillkür" war.
Man sieht, wie man es auch macht, man kann es nicht allen recht machen. Manche Dinge ändern sich eben nie!

P.S. Ich weiß nicht, ob man den Fall Ridgway mit Sutcliffe vergleichen kann. Ridgway war bereits seit Mitte der 80er einer der Hauptverdächtigen. Sutcliffe war dagegen nur einer von vielen, gegen die es Verdachtsmomente gab (Rotlichtbesucher; arbeitet bei Firma, von der die 5-Pfund-Note stammen könnte,...). Letztlich fiel Sutcliffe dann bei einer Routinekontrolle auf.
Aber Ridgway ist sicherlich ein sehr guter Vergleich zu Kosminski. Man müsste mal nach alten Dokumentationen über den Green-River-Killer suchen (vor der Verhaftung Ridgways). Vielleicht gibt es da auch Polizeioffizielle, die sagen, sie haben einen Mann, von dem sie sicher sind, dass er der Täter sei, sie es aber nicht beweisen können.

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #21 am: 19.10.2012 15:51 Uhr »
"Ich finde es interessant, wie auch in der Neuzeit, weit nach den Rippermorden, die Schwierigkeit da ist bzw. war, Serienkiller zur Strecke zu bringen, von deren Schuld man als Polizeibeamter überzeugt ist, es aber an Beweisen fehlt (Ridgway) und wie die diese Art von Täter mehrmals in Berührung mit der Polizei kommen kann, ohne überführt werden zu können (Sutcliffe)."

Ich habe mich mal selber zitiert und kurz ergänzt. Ridgway sollte hierbei nicht mit Sutcliffe verglichen werden, sondern es sollte herausgestellt werden, das Ridgway ein Typ war, von dem m a n es w u s s t e und Sutcliffe ein Typ, den man öfters a n t r a f, ohne vielleicht so überzeugt zu sein, wie von einem Typ ala Ridgway. Beide Varianten hätte im Jack the Ripper- Fall, gerade durch die Arbeit zweier Polizeieinheiten, oder sogar noch der Bürgerwehr (und deren Detektiven ala Le Grand) sichtbar geworden sein können.

Was würdest Du eigentlich von folgender Variante halten?

Man kam, laut Cox, dem Killer nach dem Miller´s Court auf die Spur (evtl. durch den PC vom Mitre Square) und observierte ihn danach (eben Cox seine genannten drei Monate). Und eben durch diese (erste) Identifikation plus dem Wissen der eigenen Familie und der Verdächtigung von Aaron Kozminski (durch die Polizei) der Ripper zu sein, kam es zur Ende der Serie. Zeitraum Ende 1888- Anfang 1889.
Dann Ende 1890, Aaron Kozminski ging es ja wirklich dreckig, ist er wieder in einer privaten Einrichtung. Die MET haben plötzlich, nach zwei Jahren, einen neuen Zeugen. Kozminski wird in ein Seaside Home gebracht und dort (zum zweiten Male) "identifiziert". Das Resultat kennen wir alle. Man informiert jedoch erneut die City Police über einen dringenden Tatverdacht Kozminskis und aufgrund des offiziellen Zeugen Nr.1, dem Mitre Square PC, rückt nun erneut die City Police, diesmal durch Sagar, in die Observationen auf. Damit würde dann auch Swanson´s Bemerkungen besser passen. Bis auf den Tod des Verdächtigen.
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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #22 am: 19.10.2012 18:19 Uhr »
Ah, okay, sorry, da war ich wohl etwas unaufmerksam.

Was würdest Du eigentlich von folgender Variante halten?

Man kam, laut Cox, dem Killer nach dem Miller´s Court auf die Spur (evtl. durch den PC vom Mitre Square) und observierte ihn danach (eben Cox seine genannten drei Monate).

Möglich, so es denn den PC am Mitre Square gab. Jedenfalls ist es möglich, dass die Observierung direkt nach dem Miller's Court begann.

Und eben durch diese (erste) Identifikation plus dem Wissen der eigenen Familie und der Verdächtigung von Aaron Kozminski (durch die Polizei) der Ripper zu sein, kam es zur Ende der Serie. Zeitraum Ende 1888- Anfang 1889.

Dazu müsste sich Kosminski der Observierung bewusst gewesen sein, was nach Cox' Bericht ja durchaus möglich ist, denkt man an die beschriebene Episode der Verfolgung durch Whitechapel. Glaubt McNaghton käme dann im März (oder ab März) 1889 ein Aufenthalt in einer Anstalt oder einer Pflegeeinrichtung.

Dann Ende 1890, Aaron Kozminski ging es ja wirklich dreckig, ist er wieder in einer privaten Einrichtung. Die MET haben plötzlich, nach zwei Jahren, einen neuen Zeugen. Kozminski wird in ein Seaside Home gebracht und dort (zum zweiten Male) "identifiziert".

Was meinst Du mit der privaten Einrichtung? Im Juli 1890 war er drei Tage im Arbeitshaus, dann wieder im Februar 1891 im Krankenhaus bzw. später in Colney Hatch; dazwischen ist mir jetzt nichts bekannt. Oder meinst Du damit privat bei einem der Geschwister?
Wer aber soll der neue Zeuge sein?
Ich grüble derzeit, ob es sich bei Andersons Zeugen nicht um einen Zeugen handelt, der Kosminski zufällig auf der Straße wiedererkannt hat. Beispiel Lawende: Beim Inquest sagt er, er könnte den Mann wohl kaum wiedererkennen. Monate später - als er wieder einmal im East End unterwegs war - sieht er ihn zufällig auf der Straße und irgendetwas in ihm macht Klick; eine Geste, ein Habitus, irgendetwas erkennt er wieder.

Das Resultat kennen wir alle. Man informiert jedoch erneut die City Police über einen dringenden Tatverdacht Kozminskis und aufgrund des offiziellen Zeugen Nr.1, dem Mitre Square PC, rückt nun erneut die City Police, diesmal durch Sagar, in die Observationen auf. Damit würde dann auch Swanson´s Bemerkungen besser passen. Bis auf den Tod des Verdächtigen.

Obigem Beispiel folgend würde auch hier die City Police anrücken. Aber wer immer jetzt Zeuge war, so in etwa ist es möglich, und das meiste was die Kosminski-Drei über Kosminski erzählt haben würde passen.

Was mir bislang noch nie aufgefallen ist: in der Swanson-Marginalie
because the suspect was also a Jew and also because his evidence would convict the suspect, and witness would be the means of murderer being hanged which he did not wish to be left on his mind. D.S.S
sind die Worte also a Jew unterstrichen. Ich weiß jetzt aber nicht, ob man da etwas hinein interpretieren soll.

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #23 am: 19.10.2012 20:17 Uhr »
Danke für deine Antwort!

Es gab ja einen Unterschied zwischen "privaten" und "staatlichen" Einrichtungen also Anstalten etc. Wir finden in diesem Fall auch die Bezeichnungen "private asylum" oder nur "Asylum". Private Einrichtungen oder Einrichtungen mit eher privaten Charakter habe ich hier, dann und wann schon, benannt oder beschrieben. Privatklinik halt. Colney Hatch war eine staatliche Einrichtung. Eine Privatklinik konnte damals vielleicht der Polizei eher die Tür vor die Nase zuknallen als es in Colney Hatch möglich war. Möglicherweise könnte genau das, nämlich die endgültige Einlieferung in Colney Hatch, das Ziel der Polizei gewesen sein, nachdem alles andere gescheitert gewesen war. Er, Kozminzki, war endlich in "staatlicher Hand". Das soll aber nicht heißen, dass man vorher nicht ganz normal in ein Krankenhaus musste, eine Art Notaufnahme oder eine Art "Überweisung" von einem Arzt benötigte, bevor man irgendwo eingeliefert werden konnte. Seine Familie bemerkte vielleicht im Frühjahr 1891, dass er ein Pflegefall für den Rest seines Lebens geworden war. Er lebte ja immerhin noch bis 1919. Die Kohle, für die Pflege für ihn durchgehend für 28 Jahre bezahlen zu müssen, war vielleicht nicht gerade im Budget der Familie vorgesehen. Vielleicht haben sie ihn dann eben doch lieber Anfang 1891 an den "Staat ausgeliefert". 

Anderson in seinen Memoiren über den Täter:

"...he and his people were certain low-class Polish Jews"
"In saying that he was a Polish Jew I am merely stating a definitely ascertained fact"

Anderson über den Zeugen:

"I will merely add that the only person who had ever had a good view of the murderer unhesitatingly identified the suspect the instant he was confronted with him ; but he refused to give evidence against him."

Swanson gibt den Grund an, warum der Zeuge den Schwanz einzog:

"...because the suspect was also a Jew and also because his evidence would convict the suspect, and witness would be the means of murderer being hanged which he did not wish to be left on his mind...

Ansonsten hätten sie den Täter an den Galgen geliefert. Das war der, ihr "Beweis", der ihnen flöten ging. Ansonsten wäre Jack the Ripper heute kein Thema mehr. Bei Anderson muss das besonders bitter aufgestoßen sein. Vielleicht konnte er das nie verstehen, der Anderson, im Gegensatz zu Swanson. Vielleicht war der Zeuge in Anderson´s Augen gar nicht so "jüdisch".Vielleicht sah er das nur als Ausrede für Feigheit an. Aber Swanson wusste, er, der Zeuge, war wirklich Jude. Vielleicht ein Engländer oder Ire, der in eine jüdische Familie eingeheiratet hatte. Was weiß ich?

Ich habe hier mal das Beispiel Thomas Ede/ William Eade angesprochen. Meines Wissens, könnte Ede gar einmal Ex- Constable gewesen sein und zwar für beide Polizeieinheiten. Ich fand dann noch einen Thomas Ede in Verbindung mit einem Seaside Home an England´s eher südlicher Küste, der passen könnte. Es soll jetzt nur mal als Beispiel herhalten. Aber wenn man mit dem PC vom Mitre Square, mit Zeugen aus der Berner Street (Marshall soll als gutes Beispiel herhalten)  und einem Typen wie Ede, der Aufgrund seiner Beobachtungen schon allein die Tatorte Buck´s Row und Hanbury Street verbinden konnte, Kozminski belasten hätte können, wäre es übel für ihn ausgesehen. Ich schweife ab, Du erkennst aber vielleicht was ich meine... Der Zeuge "bekam ja erst später mit", das der Verdächtige auch Jude war. Die Frage die sich mir dabei aufdrängt lautet: Wer sah denn hier nun Jüdisch aus und wer nicht?

Ja, wo gräbt man nach 2 Jahren einen Zeugen aus? Ede, Zeuge in zwei der Fällen, Nichols und Chapman, wurde am Ende von der Anhörung ausgeschlossen, weil geklärt wurde, wem er sah, nämlich einen weiteren Irren auf Freigang, Henry James. War es wirklich so? Man sollte meinen Ja. Wie gesagt, Ede soll hier nur als ein "Szenario" gelten.

Natürlich kann sich schlicht und einfach ein Zeuge nach dieser Zeit gemeldet haben, weil sein Gewissen ihn bedrückte, die Polizei jemanden verhört haben, der in einem völlig anderen Zusammenhang darüber sprach oder deine Variante, dass ihn jemand nach dieser Zeit ganz einfach wiedererkannte. Z.B. beim Einkaufen von Wurst- und Fleischwaren.
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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #24 am: 19.10.2012 21:32 Uhr »
Das möchte ich noch nachliefern,

Isaac Abrahams, Census 1901 und Aufzeichnungen seiner Einbürgerung:

1901
171 Cable Street
Isaac Abrahams, Head, M, 49, Tailor [Employer; At home], b. Poland (Naturalised British Subject)
Betsy do, Wife, M, 51, b. do BS
Mark do, Son, 28, Tailor [Worker], b. London Mile End New Town
Woolf do, Son, 22, Tailor-machiner [Worker], b. Whitechapel
Rachel do, Daur, 17, b. Stepney
[RG 13/309, f. 142, p. 1]

cgp100
11th March 2007, 10:01 PM
Memorial
Isaac Abrahams of 171 Cable Street St Georges in the East in the County of London
... a subject of the Emperor of Russia having been born at Klodorer Koliski in the Empire of Russia on the Third day of May 1852 and being the son of Joseph & Golder Abrahams who were both subjects of the Emperor of Russia ...
resides at 171 Cable St St Georges in the East in the County of London and is of the age of 48 years and is a Tailor.
... a Married man and has one child under age residing with him viz.
Rachel - 17 years of age
... settled place of business is at 171 Cable Street St Georges in the East in the county of London
That your Memorialist has for five years within the period of the eight years last past resided within the United Kingdom, vizt. [standard form]
From October 20th 1893 to present time at 171 Cable Street St Georges in the East in the county of London
7 years 2 months
[Signed] I. Abrahams [very shaky]

Sureties
Walter Belcher 40 Tillman Street St Georges East London Estate Agent ([has known him] 8 years)
George Leeder Licensed Victualler of 56 Cannon Street Road London East (10 years)
Henry Whiting Laundryman of 108 St George Street St Georges East London (9 years)
and John Gibbs Builder of 229-231 Cable Street St Georges East London (7 years)
[All signed] 265 Gresham House Old Broad Street in the City of London 16 January 1901
Before Ernest [Smith] A commissioner for oaths.

CID Report
Isaac Abrahams Tailor
The declaration of residence have [sic] been enquired into and the sureties are respectable persons householders and British born subjects.
I have seen the applicant who is a respectable man he states he has resided in this country for the past 30 years, intends to remain permanently and wishes to enjoy the rights and priveleges [sic] of a British subject.
The sureties speak well of applicant as a respectable man and I see no reason to doubt their statements.
Ernest Baxter [?]P S
D. S. Swanson Superintendent
Cover sheet dated 19th February 1901 and signed R. Anderson.

7 June 1901. Isaac Abrahams
Agent Mr J. Cantor 211, Old Ford Road, E.
Certif Regd & returned 19 June '01

[HO 144/617/B35582]

Der Bruder des "Hauptverdächtigen" Aaron Kozminski, Isaac Abrahams, wird hier durch Swanson und Anderson "begleitet". Isaac Abrahams "as a respectable man" und sein Bruder der vermeintliche "Jack the Ripper". Isaac Abrahams war das ganz sicherlich. Aber wie eng die Dinge im Leben manchmal nebeneinander liegen, erstaunlich. Wie sehr war Swanson und Anderson das hier bewußt? War Isaac Abrahams ihnen als der Bruder von Kosminski überhaupt bekannt? An dieser Stelle hätten sie doch gut klären können, wie das Schicksal von Aaron Kozminski wirklich ausgegangen ist.  
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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #25 am: 23.10.2012 15:02 Uhr »
Was mir die letzten Tage immer wieder durch den Kopf ging, ist die Frage nach einem möglichen Zeugen, von dem wir gar nichts wissen.

Aufgrund der neuen Erkenntnisse oder Wahrscheinlichkeiten, so z.B. mit Jacob Cohen, verändern bzw. verfestigen sich bestimmte Sichtweisen bei diesem und jenem. Falls er, Cohen, mit Davies und W. Abrahams nicht nur in einem Gewerbe tätig gewesen war, sondern auch in anderen, wie z.B. in dem der Butcher, dann bekommt DC Robert Sagar (City Police) seine Aussage durchaus viel mehr Gewicht im Falle Aaron Kozminski:

“We had good reason to suspect a man who worked in Butchers´Row, Aldgate“
 
“There was no doubt that this man was insane- and after a time his friends thought it advisable to have him removed to a private asylum. After he was removed, there were no more Ripper atrocities.”


Jacob Cohen (einer von “his friends“, ein Cousin?) lieferte Aaron Kozminski ein. Das Aaron Kozminski im Februar 1891 ohne Zweifel “verrückt“ gewesen war, ist dokumentiert worden.

Nehmen wir Robert Anderson (MET)´s Worte (aus dem Blackwood Magazine):

“I will only add that when the individual whom we suspected was caged in an asylum, the only person who had ever had a good view of the murderer at once identified him, but when he learned that the suspect was a fellow-Jew he declined to swear to him."

Wurde Aaron Kozminski tatsächlich aus seiner Anstalt entfernt, um an einer Identifizierung im “Seaside Home” teilzunehmen? Warum auch immer ausgerechnet dahin…

Da wir aber durch Swanson (MET) wissen, dass Kozminski noch einmal für eine “very short time“ daheim gewesen war, würde die dichte Zeitspanne zwischen Sagar´s “private asylum“ und einer "Her Majesty's pleasure," (also Colney Hatch oder Broadmoor Asylum) nur sehr kurz bleiben und Sagar vielleicht nur im seinem “private asylum“ “verweilen“ lassen. Was Sagar selbst alles zu den Ripper- Gräueltaten zählte, wissen wir auch nicht. Swanson schrieb zum “Seaside Home“ sent by us und nicht taken, letzteres wäre mehr Beamtenenglisch gewesen als ersteres.

Aber wenn, war das alles Anfang 1891 und dann hätte diese Identifizierung, ca. 2 Jahre nach den Kanonischen Fünf stattgefunden. Und wenn ich überlege, dass Cox (City Police) schon kurz nach den K5 an Aaron Kozminski dran war, vielleicht durch den PC vom Mitre Square, in einer Art “ersten Identifizierung“, dann macht es auch durchaus Sinn:

“We had many people under observation while the murders were being perpetrated, but it was not until the discovery of the body of Mary Kelly had been made that we seemed to get upon the trail.”

“It was not easy to forget that already one of them had taken place at the very moment when one of our smartest colleagues was passing the top of the dimly lit street.”


Aaron Kozminski wäre nach den K5 Ende 1888/ Anfang 1889 zumindest für drei Monate überwacht worden. Vielleicht wurde er das auch immer wieder in der Folgezeit, wenn er nicht gerade irgendwie (privat) eingesperrt gewesen war. Er wäre dann auch noch einmal, laut Swanson (MET), mit Sicherheit kurz vor Colney Hatch (Ende 1890/1891) erneut observiert worden.  Sagar´s “after a time“, klingt jetzt nicht wie Swanson´s “very short time“ aber auch nicht wie eine Ewigkeit. In dieser Theorie, hätten Lawende, Schwartz und Co. (Winter 1888/89), wohl garantiert Kozminski zu Gesicht bekommen. Erkannt hätte ihn dann erst einmal nur der PC vom Mitre Square, falls es ihn tatsächlich gab.

Wo bekommt man nun, knapp über zwei Jahre später, einen neuen Zeugen her?

Im Winter 1890/1891 wurden die Taten von Thomas Hayne Cutbush (lebte in Kennington) mit den “Taten“ von John Edwin Colocott (lebte in Lambeth) bekannt und auch miteinander vermischt, obwohl Cutbush weitaus “gefährlicher“ war. Lambeth und Kennington lagen in London nebeneinander. Es überschnitt sich zu jener Zeit mit den Aktivitäten, die sich um Aaron Kozminski drehten. Was, wenn sich im Laufe dieser Ermittlungen ein gänzlich neuer Zeuge auftat?

20 Januar 1891:

“Charles Myers, furniture dealer, of 130, Clapham-road, said that in consequence of a communication which he had from a sergeant of police he kept watch, and on the evening of January 20 he saw defendant outside his shop.”

Myers konnte irgendwann Colocott aufgreifen und dieser wurde durch den PC 67W festgenommen.

Diese Art von Beispiel meine ich. Hier wird jemand (Myers) durch einen Sergeant angeregt aktiv mitzuhelfen. Vielleicht traut er sich dann endlich, wann und wo auch immer, mit der Polizei über die Dinge zu reden, die er im Herbst 1888 erlebt hat, die er bezeugt hat. Wir wissen nicht, wer alles noch zur Tatzeit durch die Berner Street oder durch die Duke Street ging und auch nicht befragt werden konnte, weil er 5-6km weit weg von Whitechapel wohnte.

Wir wissen ja auch, dass Macnaghten (MET) 1894 sein Memorandum schrieb, weil Thomas Hayne Cutbush beschuldigt wurde, der Ripper gewesen zu sein. Sein Onkel, Superindentent Charles H. Cutbush, war bekanntlich auch ein Beamter der MET. Cutbush und Colocott sind aber untrennbar miteinander verbunden. Dabei spielt ein Mann eine Rolle, der sich am 20. Januar 1891 urplötzlich auftat, Charles Myers. Zwischen dem 20. Januar 1891 und dem 4. Februar 1891 (Aaron´s Einweisung in das Krankenhaus) liegen nur 2 Wochen, eine very short time.

Über den 7. Februar 1891, dem Tag von Aaron Kozminski´s Einlieferung nach Colney Hatch, lesen wir folgendes:

Centralia Enterprise and Tribune (Wisconsin) dated 14 march 1891

“HAD A MANIA FOR BLOOD
Juvenile Jack the Ripper Sent to a London Asylum

London, Feb. 7.
A companion fiend to Jack the Ripper, only on a somewhat lesser scale, was sent to Broadmoor insane asylum today, there to be confined during what is known as "Her Majesty's pleasure," and which practically means life. His name is Edward Colocitt, and he is the young son of a wealthy jeweler of this city. Some time ago the police authorities commenced to receive numnerous complaints from young women in the western suburbs to the effect that while out after dark they were approached by a younf man who came suddenly up behind them, and stabbed them in the back with a sharp instrument about the thickness of an awl. Extra detectives were put on duty in the districts from which the complaint came, but for some time without result. A couple of weeks ago, however, a furniture dealer noticed Collocitt standing behind a couple of young ladies in a suspicious manner, and determined to watch him. Suddenly he made a step forward, and gave one of the young women three stabs with his right hand in the back. Then he took to his heels, but was followed by Myers, the man in question, and arrested. After the fact of his incarceration was made known nineteen women identidied him as their assailant. Six of these gave evidence in court, and the doctors testified that all of them had one or more clean cut, punctured wounds on portions of their anatomy immediately below the hip joint, and which had evidently been made by a very pointed awl. A weapon of this kind was thrown away by Collocitt while he was being pursued. It was testified that the total number of his victims was over sixty. The jury promptly found him guilty, but, on account of his wealthy connections, the plea that he was of weak intellect had its effect, and instead of going to the penitentiary he ws committed to the lunatic asylum. One feature of his mania consisted of his selecting as victims plump young girls between the age of 14 and 18.”


Dabei immer beachten, Colocott und Cutbush wurden miteinander vermischt! Beide waren, wie Aaron Kozminski, Mitte 20.

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #26 am: 24.10.2012 18:36 Uhr »
Ich fand noch eine Begebenheit, die es wert ist hier erwähnt zu werden. Und zwar in der Beziehung Jacob Cohen und Manchester, wo ja später auch Woolf Abrahams und Familie hinzog. Es handelt sich um einen Brief, den Major Smith, Commissioner, City of London Police, bekam:

“Three or four days after the murder in Mitre Square, a letter addressed to me by name…”

"You're not on the right scent at all," he said ; "the man you want is not in London, he's in Manchester.”

Auch sind einige recherchierte Daten zu einem Charles Myers (siehe letztes Posting) sehr interessant, wie ich finde. Dazu aber ein andermal mehr.

Beste Grüße, Lestrade.
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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #27 am: 24.10.2012 20:11 Uhr »
Du weisst, ich bin kein Fan von Mr. K....aber Respekt für deine Arbeit hier, Lestrade!  :good:

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #28 am: 02.01.2013 20:51 Uhr »
Robert House ist ja im Besitz einer Photographie, die Matilda und Morris Lubnowski zeigen. Es handelt sich um die Schwester und den Schwager und auch gleichzeitig um einen Cousin von Aaron Kozminski. Ich hoffe, dass Rob es schafft uns dieses Foto alsbald (und zwar in 2013) zeigen zu können.

Vorab möchte ich uns die Verwandtschaftsverhältnisse zurück ins Gedächtnis rufen:

Matilda Lubnowski (geborene Malke Kozminski) war eine Schwester von Aaron Mordke Kozminski. Insgesamt waren es sieben Geschwister. Ihre Mutter Golda Kozminski war eine gebürtige Lubnowski. Ihr Neffe Morris Lubnowski (geborener Mosiek Lubnowski) war der Sohn ihres Bruders Josek Lubnowski. Die Tochter Matilda heiratete also ihren Cousin Morris. Beide zeigt nun dieses Bild.

Wie dicht die familiären Strukturen waren, sehen wir neuerdings auch bei den Nachforschungen zu Jacob Cohen, Aaron Kozminskis letztem Kümmerer. Denn ein weiterer Bruder von Matilda und Aaron war Woolf Abrahams (geboren als Wolek Kozminski) und er heiratete Betsy Kozminski (geboren als Brucha Kozminski). Sie war die Schwester von eben jenen Jacob Cohen (geboren als Jacob Kozminski). Die Ehefrau Betsy und ihr Bruder Jacob waren gleichzeitig auch Cousine und Cousin (diesmal 2.Grades) von Woolf Abrahams. In diesem Falle kam der Einfluss von der väterlichen Seite, denn der Vater der sieben Kozminski Geschwister war Abram Josef Kozminski. Dessen Bruder Mosiek Kozminski war der Vater von Kasriel Szlama Kozminski, der seinerseits der Vater von Betsy und Jacob Kozminski gewesen war, also deren Opa.

Golda Kozminski, die Mutter der sieben Kozminski Geschwister, hatte als gebürtige Lubnowski einen direkten Cousin mit Namen David Lubnowski (später nannte er sich nur David Lubin). Von ihm ist bereits eine Fotografie bekannt.

Diese engen verwandtschaftlichen Beziehungen können uns, in Form jenes Fotos, einiges über das mögliche Erscheinungsbild von Aaron Kozminski erzählen, sie müssen es aber nicht. Jedoch gibt es dabei eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, höher als bei anderen Konstellationen, die mir interessant erscheint. Ich wäre da mehr auf Details fokussiert und würde dabei weniger etwas Offensichtliches erwarten. Dies könnte gerade bei Fotos, die nicht benannt (oder noch gar nicht bekannt) sind, besonders hilfreich sein bzw. werden.

Beste Grüße,
Lestrade.
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Offline Lestrade

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Re: Aaron Kozminski, 25 Providence Street!
« Antwort #29 am: 05.01.2013 23:00 Uhr »
Hier mal noch das Foto bzw. die Fotos von David Lubin:

(einen polnischen Juden stellt man sich sicherlich anders vor)
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