Autor Thema: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?  (Gelesen 30070 mal)

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Offline Shadow Ghost

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Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« am: 09.03.2011 23:03 Uhr »
Aaron Kosminski wurde unter anderem wegen der Aussage von Jacob Cohen ins Colney Hatch Lunatic Asylum überstellt. Dieser hatte ausgesagt: he goes about the streets and picks up bits of bread out of the gutter and eats them, he drinks water from the tap & he refuses food at the hands of others.

Im casebook habe ich heute eine interessante Zeile gefunden, nämlich
This one [gemeint ist The Victorian Underworld in The Victorian Period: Authentic First Person Accounts of Beggars, Thieves and Prostitutes, by Henry Mayhew] is essential, Phil. One of the things I learned from this book is that eating out of the gutter was a "popular" way of begging...i.e. that people passing would take pity etc etc and stop the person. Interesting if only for the idea that perhaps the "insane" suspect wasn't necessarily insane for gutter brunching. (siehe http://forum.casebook.org/showthread.php?t=5478)

War Aaron Kosminski also vielleicht gar nicht so geistig entrückt, wie man zunächst annehmen würde, sondern einfach nur ein gerissener Bettler mit einer besonders Mitleid erregenden Masche?

Ich habe daraufhin einmal ein bisschen in Henry Meyhews London Labour and the London Poor gestöbert und im Volume I eine interessante Stelle gefunden, in der ein alter Messerschmied über sein Leben erzählt, unter anderem über seine ersten Jahre, nachdem er nach London gekommen war: and while I was there I sought about for work, but could not get any; when all was gone, I was turned out into the streets, and walked about for two days and two nights, without a bed, or a bit to eat, unless what I picked out of the gutter, and eat like a dog -- orange-peel and old cabbage-stumps, indeed anything I could find.

Also eine weitere Möglichkeit, warum Menschen Nahrung aus der Gosse zu sich nahmen, schlicht und einfach Armut.

Also ich muss jetzt erstmal gründlich über den guten Aaron nachdenken.

Viele Grüße,
Shadow Ghost

Larkin

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #1 am: 10.03.2011 15:32 Uhr »
Hallo Shadow Ghost!
Interessanter Beitrag!
Hab vorher nicht gewusst, dass das Fischen vom Essensresten aus Rinnsteinen üblich war. Ich hab bislang immer gedacht, dass das wirklich was mit seiner Geisteskrankheit zu tun hatte....

Zitat
War Aaron Kosminski also vielleicht gar nicht so geistig entrückt, wie man zunächst annehmen würde, sondern einfach nur ein gerissener Bettler mit einer besonders Mitleid erregenden Masche?
Naja gerissen...ich weiß nicht. Ich finds nicht sonderlich gerissen im East-End betteln zu gehen, wo doch die meisten Leute dort selbst hart arbeiten mussten um noch so über die Runden zu kommen oder selbst Arbeitlose
wie Kosminski waren... Vielleicht war das ja aber auch keine gerissene Bettel-Masche und Aaron suchte einfach nur nach Essen ohne sich um seine Umgebung und andere Menschen zu kümmern.Irgendwo war ja auch mal die Rede davon, dass Kosminski keine Nahrung von jemand anderen annahm...erinnert mich irgendwie an Verfolgungswahn. Vielleicht wollte Kosminski also gar nichts von anderen annehmen, da er glaubte, dass diese ihm schaden wollten.

Ich bin aber schon davon überzeugt, dass Kosminski, auch wenn die Futtersuche im Rinnstein der letzte Ausweg vorm Verhungern war, trotzdem verrückt war. Wenn man sich die Beschreibung über ihn durchliest, die von der Irrenanstalt in Laevesden angefertigt wurde, dann lässt das keinen anderen Schluss zu. Dort wird ja unter anderem berichtet, dass Kosminski den Bezug zur Realität komplett verloren hatte und nichtmal mehr wusste wie alt er war. Außerdem hatte er ja auch Halluz und hörte Stimmen...

Liebe Grüße
Larkin




Offline Shadow Ghost

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #2 am: 10.03.2011 16:15 Uhr »
Ich will sicher nicht ausschließen, dass Kosminski geisteskrank war, aber noch ein paar Gedanken.

Hätte er Nahrung von anderen angenommen, hätte er ja nichts mehr aus der Gosse zu nehmen brauchen, bzw. können, weil dies ja die edlen Spender dann als Masch durchschaut hätten.Wäre dies nun aber seine Bettel-Masche gewesen, wäre er damit auch um seine "Einnahmequelle" beraubt gewesen. Ob Betteln im East End nun sinnvoll war oder nicht, ist vielleicht ein anderes Thema (Stichwort: Slumming von wohlhabenden West End-Bewohnern; nicht alle im East End waren bettelarm oder nur Tagelöhner). Außerdem ist mir nicht bekannt, wo er sich Nahrung von der Straße suchte, ob im East End oder anderswo, wobei meine Vorstellung schon das East End wahrscheinlicher macht weil ich mir den Rest von London einfach sauberer vorstelle.

Zu seinen Wahnvorstellungen möchte ich gerne einmal in die Runde fragen, ob jemand weiß, wann diese nachweislich begannen. Ist etwas darüber bekannt, ob er sie schon vor seiner Einweisung hatte? Sollte dem nämlich nicht so sein, so bliebe immer noch die Möglichkeit, dass er einfach auf verrückt gemacht hat, um in der Heilanstalt bleiben zu können. Letztlich hätte er die Wahl gehabt, zwischen einem Leben in Armut und womöglich mit Bettelei in Freiheit und einem Leben mit drei Mahlzeiten am Tag und einer Unterkunft in der Anstalt.

Viele Grüße,
Shadow Ghost

Stordfield

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #3 am: 10.03.2011 20:39 Uhr »
Hallo!

Ob das Eingesperrtsein in einer psychiatrischen Anstalt, noch dazu in der damaligen Zeit, tatsächlich dem Vegetieren im East End vorzuziehen war, wage ich leicht anzuzweifeln. Außerdem glaube ich nicht, dass man nur deshalb eingeliefert wurde, weil man sich von Abfällen ernährte. Bestimmt gehörte zu einer dortigen Einweisung etwas mehr dazu.

Gruß Stordfield

Offline Lestrade

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #4 am: 10.03.2011 22:15 Uhr »
Bei den Einweisungen von Aaron Kosminski in Colney Hatch (Feb.1891) und im Leavesden Asylum (Apr.1894) gab man jeweils das Lebensjahr an in dem er sich befand. Erreicht hat er dieses Alter erst immer vollständig im September jener Jahre. Eine vorherige Behandlung wird angegeben für den Juli 1890 im Mile End Old Town Workhouse. Die Dauer der vorhandenen Zustandes wird mit 6 Monaten angegeben (bezogen wohlmöglich auf den Krankenhausaufenthalt in 1890) dann aber in 6 Jahre geändert. Aus dem erst unbekannten Grund dafür wird dann plötzlich auch Self- abuse genannt.
Bei der ersten Einweisung 1890 in´s Workhouse nennt man 3 Sion Square als Adresse. Hier lebte sein Schwager Woolfe Abrahams und Aaron´s Schwester Betsy. In Colney Hatch 1891 gibt man dann 16 Greenfield Street an, die Adresse eines anderen Schwagers, Morris Lubnowski, der mit Aaron´s Schwester Matilda verheiratet war. Als nächster Verwandter wird jedoch Wolf Kosminski (8 Lion Square, wir können aber davon ausgehen, das es 3 Sion´s Square heißen sollte) als Bruder angegeben. Gemeint war da aber wohl wieder Woolfe Abrahams. Ausgeschlossen ist natürlich nicht, dass zu jener Zeit sein wirklicher Bruder Issac in der Greenfield Street gewohnt haben könnte. Da kein bisher genannter Familienangehöriger bei der Einweisung in Colney Hatch dabei war, sondern ein Jacob Cohen aus 51 Carter Lane die Angaben machte, würde ich nun vermuten, dass sich der Messerangriff auf eine Schwester im Sion Square (Betsy) ereignete und Aaron Kosminski daraufhin ersteinmal in den Haushalt der andere Schwester (Matilda) in die Greenfield Street gebracht wurde, woher ihn dann dieser Jacob Cohen nach Colney Hatch bzw. erst in´s Workhouse (?) brachte.
Der Haushalt im Sion Square erscheint für mich daher mehr der Hauptwohnsitz Aaron Kosminskis gewesen zu sein. Issac Kosminski befand sich mit aller Wahrscheinlichkeit schon viel früher in England bzw. London als der Rest der Familie, so etwas distanziert für gewöhnlich vor familären Problemen. So könnte die "Pflege" um Aaron Kosminski eher von seiner Schwester Betsy ausgegangen sein mit teilweiser Unterstützung durch Matilda. Kam vielleicht auch darauf an, wo bzw. bei wem die Mutter dieser Geschwister zu jener Zeit lebte.

Was stellte man in Colney Hatch (unter Beobachtung) fest?
Wahnsinn! Irre, griesgrämig und schweigsam. Er schien offenbar an alles Irre zu glauben und ließ sich davon auch nicht abbringen. Er ließ sich von seinen Instinkten führen. Wird gerne in Anführungszeichen geschrieben, dieses "Instinct". Dazu gehörten wohl auch bestimmte Abneigungen wie gegen Baden oder die Aufnahme von Essen. Dieser "Wahnsinn" blieb, er wurde chronisch also manifestierte sich. Er sprach etwas deutsch oder jüdisch.Verrückt und ohne das Erkennen von Zusammenhängen ging es weiter nach Leavesden.

Leavesden?
Er kam an als chronisch Verwirrter. Er hatte Hallusz und hörte Stimmen. In den letzten Jahren hat er dann offenbar alles vergessen.

Nehmen wir noch den Vorfall aus dem Dezember 1889 mit dem Hund, bei dem noch ein "Bruder" (Woolfe, Morris, Issac, letzterer änderte seinen Zunamen tatsächlich in Abrahams)
mit dabei war. Da konnte sich Aaron Kosminski noch halbwegs äußern.

Meine Meinung:

An was Aaron Kosminski auch immer gelitten haben sollte, es sollte sich mit Beginn des Erwachsenwerdens langsam aber eindeutig gezeigt haben. Offenbar wurde diese Erkrankung von Jahr zu Jahr schlimmer. 1894 war er mehr oder weniger bereits schwachsinnig und bis zu seinem Ende ging wohl alles verloren.

1888, also um seinen 23. Geburtstag herum, konnte er sicherlich noch etwas mehr als mit Hunden spazieren gehen. Wieviel, das kann wohl niemand beantworten.
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Offline Shadow Ghost

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #5 am: 10.03.2011 23:13 Uhr »
Hallo!

Ob das Eingesperrtsein in einer psychiatrischen Anstalt, noch dazu in der damaligen Zeit, tatsächlich dem Vegetieren im East End vorzuziehen war, wage ich leicht anzuzweifeln. Außerdem glaube ich nicht, dass man nur deshalb eingeliefert wurde, weil man sich von Abfällen ernährte. Bestimmt gehörte zu einer dortigen Einweisung etwas mehr dazu.

Gruß Stordfield

Ob nun das tägliche Dahinvegetieren im East End oder die Zustände in den damaligen Anstalten schlimmer waren, vermag ich nicht zu beurteilen. Wie schnell man aber damals eingewiesen werden konnte, zeigt diese Geschichte:

Newcastle Weekly Courant
Saturday, 12 January 1889

A “JACK THE RIPPER” STORY
Some time ago a young girl, named Martha McMurrin, of Mullabrack, when in bed was much terrified at seeing standing at the bedside a person dressed as a man, brandishing a weapon, and crying out “I am Jack the Ripper.” The girl never mentally recovers from the shock, and on Wednesday the police found it necessary to take the poor creature into custody. After being medically examined she was pronounced a dangerous lunatic, and removed to Downpatrick Asylum. The perpetrator of the “joke” proved to be a female friend of the unfortunate girl.

KvN

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #6 am: 12.03.2011 08:48 Uhr »
Morgen!

Interessante Diskussion!
Wie schon andernorts erwähnt finde ich vor allem Kosminskis Halbwertszeit in der Klapse beachtenswert. Normalerweise wirken sich solche Wahnvorstellungen ja deutlich auf die Lebenserwartung aus, wenn die Ernährung und die Hygiene massiv darunter zu leiden beginnen. Und die Lebensumstände in einem Guglhupf damals waren sicher auch nicht die gesündesten...
@Lestrade: Du hast doch immer wieder etwas Neues (zumindest für mich) zu bieten. Kosminski wurde von Jacob Cohen in die Geschlossene abgeliefert? Das ist aber höchst spannend! Da man es damals mit den Schwager/Bruder Differenzierungen nicht so genau nahm (Abrahams) hätten wir hier ja eine weit direktere Kosminski/Cohen Verwechslungsmöglichkeit als beim Kaminski/Kosminski/Cohen Mysterium.

Grüße

Offline Lestrade

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #7 am: 12.03.2011 11:27 Uhr »
Hallo Kurt!

Jacob Cohen sollte zumindest bei Aaron Kosminski´s Einweisung diese Angaben gemacht haben. Möglich, dass von ihm auch der "Grund", Self abuse genannt wurde. Er soll mit einem Davies und einen Woolf Abrahams ein Geschäft geführt haben. Dieser Abrahams wird wohl der besagte Schwager Kosminskis gewesen sein. Außerdem haben wohl in den Familienzweig Lubnowski, Cohens eingeheiratet. Aber das bald erscheinende Buch über dieses "Prime Suspect" wird uns genauer aufklären...

Aber folgendes Kurt:

Was fällt dir auf, wenn du Aaron Kosminski´s Angaben in den Anstalten mit den Behauptungen über "Kosminski" vergleichst? Vorrausgesetzt sie sind ein.- und dieselbe Person (was wahrscheinlich auch so war). Was erkennst du da über seine "geistige Haltung"? Ich finde das sehr wichtig.

Grüße, Lestrade.
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KvN

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #8 am: 13.03.2011 08:20 Uhr »
Meine Meinung über seine geistige Haltung? Hmmm...Ich tendiere stark zu der Ansicht dass da was nicht zusammenpasst. Die Art seiner Wahnvorstellungen, das Fehlen jeglicher Aggression, irgendwie muss er sich in der Klapse recht gut angepasst haben. Er nahm keine Nahrung aus der Hand anderer Menschen an...Und? Wurde er dann jahrzehntelang parenteral ernährt? Und noch einmal: Der Hundevorfall. In seinen belegten Aussagen ist keine Spur von paranoider Schizophrenie zu erkennen.
Irgendwie hält das alles einer logischen Betrachtung nicht stand...Wie siehst du das?

Grüße

P.S. Natürlich wäre die Meinung der gesamten geschätzten Kollegenschaft gefragt!

Offline Lestrade

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #9 am: 13.03.2011 10:10 Uhr »
Guten Morgen! Bin etwas knapp in der Zeit...

Vorweg:

Anirahtak´s Buchempfehlung würde ich folgen.  Psychische Beurteilungen sind für Laien immer schwierig. Die meisten kennen sich nicht mal selber bzw. können sich selbst nicht verstehen bzw. einschätzen. Wie dann überhaupt andere einschätzen oder beurteilen? Am besten, man fängt bei sich selber an...

Aaron Kosminski hatte ein sehr gestörtes Selbstbildnis. Meiner Meinung hielt er sich mehr für ein Tier oder zumindest für jemanden mit hohen Anteilen "animalischer Natur". Dazu passt einfach sein Verhalten. Sein Verhältnis zu Mitmenschen oder seine Gefühle gegenüber diese Mitmenschen, dürften ebenfalls sehr gestört gewesen sein.

Ich will jetzt nicht tiefer gehen, dies würde den Rahmen hier bei weitem sprengen aber jemand wie Aaron Kosminski oder auch jemand wie Aaron Davis Cohen dürften, wenn sie nicht selber der Ripper waren, diesem sehr ähnlich gewesen sein.

Allen einen schönen Sonntag,

Lestrade.
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Offline Anirahtak

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #10 am: 14.03.2011 10:52 Uhr »
Hallo,

@ Lestrade

Das Buch ist auf jeden Fall interessant, allerdings war es nicht mein Anliegen, dass ihr euch selbst psychopathologisiert. ;)

Selbst wenn er gefährlich gewesen wäre, erscheint mir Aaron Kosminski nicht wie jemand, der genügend Selbstdisziplin aufbringen konnte, um unerwischt mehrere Morde auf offener Straße zu begehen. Auf der hiesigen Hauptseite heißt es aus den Aufzeichnungen der Anstalt: "Er hatte Halluzinationen, sah Erscheinungen und hörte Stimmen." Da muss man nicht unbedingt Psychiater sein, um Schizophrenie zu vermuten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so jemand während der Positivsymptomatik jedesmal bis zum Wochenende abwartet, um loszuziehen. Er würde es auf der Stelle tun.

Der Ripper ist immer rechtzeitig abgehauen, um nicht erwischt zu werden. Halte ich bei jemandem in der Wahnphase für nahezu unmöglich, schon gar nicht mehrmals hintereinander. Für sehr wahrscheinlich halte ich es, dass er, im akuten Wahn, unmittelbar nach den Morden dem nächstbesten Passanten von seiner "gelungenen" Tat berichtet, was der Ripper offenkundig nicht tat.

Ein Problem Schizophrener während des Schubs ist es nämlich, dass sie es nahezu nicht schaffen, sich zu verstellen. Dies wiederum ist eine Eigenschaft, die ich beim Ripper ganz klar verorte. Diese Unfähigkeit sich zu verstellen, ist für das Umfeld Schizophrener hochgradig anstrengend (das kann ich aus eigener Anschauung bestätigen). Sie berichten jedem, der es nicht hören will, aus ihrer Wahnwelt und es ist extrem schwierig "angemessen" darauf zu reagieren. Weiter heißt es, er habe sich geweigert, sich zu waschen und auf Arbeitssuche zu gehen. Also weitere Belastung für die Familie. Von daher erstaunt es mich ganz und gar nicht, dass Kosminski irgendwann eingeliefert wurde.

Soweit ich das überblicke, besteht der einzige Hinweis auf Kosminskis vermeintliche Gefährlichkeit in der Aussage Cohens, dieser habe seine Schwester mit einem Messer bedroht. In der Anstalt selbst wurde er als ungefährlich eingestuft. Dazu kam mir bei der Gedanke, dass man bei Einlieferung die Vorgeschichte ein wenig dramatisiert hat, um ihn auch wirklich von der Backe zu kriegen.

Der übliche Disclaimer: Das sind alles nur meine Vermutungen und niemand muss sie für sich übernehmen usw. usf. ;)

Schöne Grüße






Offline Lestrade

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #11 am: 14.03.2011 18:03 Uhr »
Hallo Anirahtak!

Mir fehlt im Moment wirklich die Zeit, sorry.

Medical Man in Colney Hatch:

" ...he says (Kosminski) that he knows the movements of all mankind..."

"Kosminski" soll niemals seinen Wohnbereich verlassen haben, die Quelle muss ich euch (vorerst) schuldig bleiben, schaue aber in den zahlreichen Büchern noch einmal nach. Dabei dürfte es sich um Whitechapel selber gehandelt haben.

Angenommen er war Jack the Ripper, hätte er es als sein "Jagdrevier" betrachten können. Er war "verwildert" und hätte seinen ganzen Focus auf diesen Bereich richten können. Er (der Täter) handelte ja auch schließlich direkt zwischen den Beats der PCs (und da verweise ich auf das obige Zitat). Seine Sinne könnten ausgerichtet gewesen sein, wie bei einem jagenden Tier, das dann erst einmal mit seinen jeweiligen Trophäen allein verschwindet. Das er geplaudert hätte, direkt nach einer Tat, wenn er umittelbar "verhört" worden wäre, glaube ich auch. Ich denke, dies ist hier allgemein bekannt, dass der Genuss von Alkohol bestimmte Tendenzen bei ihm (den Täter) förderte. Dafür hätte er an Wochenenden oder Feiertagen mehr Zeit haben können als Alltags.

Zusätzlich verweise ich aber auch auf deinen letzten Satz.

Beste Grüße.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Mort

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #12 am: 16.03.2011 00:48 Uhr »
Müssen sich denn geisteskrank und gerissen im Grunde zwangsläufig völlig ausschließen? Stellt man sich bei den Taten von Jack the Ripper bei denen es ohnehin für den Täter sehr brenzlig war noch dazu vor dass er in diesen Situationen einen Schub hatte und das Risiko erwischt zu werden noch viel grösser für ihn war, dann kann man eigentlich nur noch von wirklichem Glück sprechen. Es muss dann wirklich mit dem Teufel zugegangen sein, sollte er in diesen doch stressigen Situationen bei dem ihm die Zeit im Nacken saß auch noch völlig neben der Kappe gewesen sein. Andernfalls wäre es ja auch denkbar dass ihm die Stimmen die er hörte sagten er solle vornehmlich an den Wochenenden zuschlagen. Klingt jetzt für manche womöglich etwas weit hergeholt aber möglich wäre es wohl trotzdem. Was den Krankheitsverlauf bei Kosminski betrifft so wird er ja für seine Umwelt eher als harmlos beschrieben was allerdings auch nicht hundertprozentig sicher ist. Mag sein dass seine Aggressionen nicht so ausgeprägt waren wie bei einem anderen Verdächtigen aus seinem Konfessionskreis der mir im Bezug auf Aggressionen dabei in den Sinn kommt. Jener war nämlich auch geisteskrank aber mit etwas anderem Krankheitsbild und deutlich ausgeprägteren Aggressionen und der mir deshalb noch viel gefährlicher für sein Umfeld vorkommt. Wenn zugleich auch deswegen mit Sicherheit noch unkontrollierter wenn er seine fünf Minuten hatte...

Offline Lestrade

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #13 am: 16.03.2011 08:07 Uhr »
Geisteskrank, gerissen und natürlich auch arm, schließen sich nicht aus. Wie auch immer die Erkrankungen und deren Ablauf im Laufe von Jahren bei Aaron Kosminski genau aussahen, wissen wir nicht.

Übrigens: Bei der ersten Einlieferung im Juli 1890 in´s Workhouse wurde angegeben, dass er bereits 2 Jahre Insane war. Also bereits 1888. In Colney Hatch gab man dann 6 Jahre an, wo, wie bereits erwähnt, aus den 6 Monaten, 6 Jahre gemacht wurden. Also dürfte er damit schon 1884/85 aufgefallen sein. In Leavesden 1894 wurde dann eine Mrs. Kosminski als Mutter und nächste Verwandte angegeben. Es dürfte sich um Golda Kosminski gehandelt haben, die zu der Zeit in der New Street, bei ihrer Tochter Matilda und ihrem Schwiegersohn Morris, gelebt hatte.

In einem anderen Faden habe ich bereits erwähnt, dass er während einer Sitzung in einer Anstalt, auf einen Mann, mit einem Stuhl bewaffnet, losging. Plötzlich, so wie wohl auch bei einer seiner Schwestern mit dem Messer. Er neigte also nicht nur einmal aus heiteren Himmel mit Gewalt. Das macht ihn für mich nicht harmlos.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Anirahtak

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Re: Geisteskrank - oder gerissen? Oder arm?
« Antwort #14 am: 16.03.2011 08:21 Uhr »
Müssen sich denn geisteskrank und gerissen im Grunde zwangsläufig völlig ausschließen?
Absolut nicht. Schizophrene sind von ihrer "Grundstruktur" her, die sie mitbringen bevor sie erkranken und nachdem sie evtl. wieder gesunden, in der Regel auch nicht dümmer als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Nur meine ich, dass die Art "Geisteskrankheit"/Erkrankung Kosminskis, nämlich Schizophrenie, es unmöglich macht, mehrere Morde auf offener Straße zu begehen und nicht dabei erwischt zu werden oder sich selbst zu verraten. Dies bedingt durch die oben genannten Beschwerden, die Schizophrenie mit sich bringt. Schon beim Vorlauf spricht mE einiges dagegen. Auf der hiesigen Hauptseite heißt es:

"Hätte Kosminksi, der ein schäbiges, ungepflegtes Äußeres hatte, sich nicht wusch und im Dreck auf der Straße lebte, tatsächlich eine Prostituierte überzeugen können mit ihm zu kommen?"

Noch viel weniger kann ich mir vorstellen, dass eine Prostituierte mit einem im Wahn befindlichen Schizophrenen mitkäme. Schon gar nicht, nachdem der Begriff "Jack the Ripper" bereits die Runde gemacht hatte. Schizophrene sind nicht zwangsläufig gefährlich, aber ihr Schub-Verhalten wirkt auf andere befremdlich über unheimlich bis beängstigend.

Zitat
Stellt man sich bei den Taten von Jack the Ripper bei denen es ohnehin für den Täter sehr brenzlig war noch dazu vor dass er in diesen Situationen einen Schub hatte und das Risiko erwischt zu werden noch viel grösser für ihn war, dann kann man eigentlich nur noch von wirklichem Glück sprechen. Es muss dann wirklich mit dem Teufel zugegangen sein, sollte er in diesen doch stressigen Situationen bei dem ihm die Zeit im Nacken saß auch noch völlig neben der Kappe gewesen sein.
Genau. Bei JTR (wie ich ihn mir vorstelle) war für ihn schon viel Glück dabei, fraglos. Aber ich gehe gleichfalls davon aus, dass er während der Tat in einer Art Multitasking auch die ganze Zeit am Horchen war, ob sich jemand nähert und dass dies ebenfalls zu seinem rechtzeitigen Entkommen beigetragen hat. Im Gegensatz dazu sind bei Schizophrenie ja gerade die Sinne durch das Wahnerleben beeinträchtigt. Weiterhin die Selbstdisziplin, ggfs. mitten im Tun aufzuhören und abzuhauen. Das ist mir bei jemandem wie Kosminski unvorstellbar.

Zitat
Andernfalls wäre es ja auch denkbar dass ihm die Stimmen die er hörte sagten er solle vornehmlich an den Wochenenden zuschlagen. Klingt jetzt für manche womöglich etwas weit hergeholt aber möglich wäre es wohl trotzdem.
Nun ja, die Grundannahmen, auf denen Wahn basiert, sind zwar falsch und irreal (bspw. jemand fühlt sich von Geheimdiensten verfolgt), im weiteren Aufbau folgen sie -abstrakt betrachtet- aber durchaus einer nachvollziehbaren Logik. Nun kennen wir Kosminskis Wahnideen leider nicht konkret (aus seiner Weigerung, Essen von anderen anzunehmen, schließe ich allerdings, dass er fürchtete vergiftet zu werden). Aber man könnte sich natürlich mit dem Advocatus Diaboli zusammensetzen und überlegen, weshalb seine Stimmen Wochenenden bevorzugt haben könnten :pardon: wenn wir schon mögliches herbeiholen.

Zitat
Was den Krankheitsverlauf bei Kosminski betrifft so wird er ja für seine Umwelt eher als harmlos beschrieben was allerdings auch nicht hundertprozentig sicher ist. Mag sein dass seine Aggressionen nicht so ausgeprägt waren wie bei einem anderen Verdächtigen aus seinem Konfessionskreis der mir im Bezug auf Aggressionen dabei in den Sinn kommt. Jener war nämlich auch geisteskrank aber mit etwas anderem Krankheitsbild und deutlich ausgeprägteren Aggressionen und der mir deshalb noch viel gefährlicher für sein Umfeld vorkommt. Wenn zugleich auch deswegen mit Sicherheit noch unkontrollierter wenn er seine fünf Minuten hatte...
Ich weiß zwar nicht, wen du meinst, aber bei der Gelegenheit will ich nochmal klarstellen, dass ich JTR keinesfalls für geistig gesund halte. Nur eben auf einer anderen Weise "krank" als Kosminski. Beim Ripper verorte ich eine Störung, die in der Persönlichkeit verankert war, während Kosminski unabhängig von seiner Persönlichkeit erkrankt war. Schizophrene verfügen trotz allem über Empathie, diese spreche ich dem Ripper ab.