Wir schreiben das Jahr 1888...
Vom goldenen viktorianischen Zeitalter rieselt das Blattgold herunter, und das heftig. Dank BP - Britischer Präpotenz - hat man es ziemlich überzeugend geschafft, den wirtschaftlichen Aufschwung der ersten Jahrhunderthälfte nachhaltig zu vergeigen, das Land hängt in einer tiefen Rezession fest. Das Bevölkerungswachstum ist nur mehr als explosiv zu bezeichnen, das Warum ist bis heute ein Rätsel. Die Kolonialpolitik muss herbe Rückschläge in Kauf nehmen, in Nordafrika wird die glorreiche britische Armee von Aufständischen schwer gezüchtigt.
Die soziale Situation gleicht einem Pulverfass mit brennender Lunte, der Funke wird allerdings entgegen aller Prognosen von Marx und Engels die Sprengladung nie erreichen. Die Lage der arbeitenden Bevölkerung ist katastrophal. 30% leben knapp über dem Existenzminimum, weitere 30% kämpfen um das tägliche Überleben. Arbeitskraft ist, dank der massiven Überbevölkerung, eine sehr billige Ware, um die Ernährung einer Familie sicher zu stellen müssen selbst Kleinkinder körperlich extrem belastende Tätigkeiten ausüben, die Lebenserwartung in dieser sozialen Schicht ist entsprechend. Der Adel pflegt die Tradition, das Bürgertum huldigt einer Art spießigem Biedermeier. Geistig sucht man Wege aus dieser verkrampften Stimmung auszubrechen, es ist kein Zufall dass Jekyll und Hyde in dieser Zeit entsteht und Stoker an seinen Horrorgeschichten schreibt.
Und hier kommt Jack the Ripper ins Spiel.
Ich behaupte nun nicht dass die Morde eine literarische Erfindung seien, aber die Aufmerksamkeit und das mediale Design, das man den Taten verpasste, entsprach zu 100% dem Zeitgeist. Die Zeitungen, die über die Taten berichteten, verkauften sich wie die warmen Semmeln, die Menschen, die nicht in den Elendsvierteln dahinvegetieren mussten, liebten wohl die angenehme Gänsehaut.
Abgesehen von den Gewalttaten und den Tötungsdelikten, die an sich schon niemanden mehr aufregten, die Leute in den Elendsvierteln müssen ja auch an natürlichen Ursachen gestorben sein wie die Fliegen. Die erst junge Polizei hatte die Situation überhaupt nicht mehr im Griff, die extrem fehlerhaften Statistiken zeigen nur, dass die Geschehnisse eigentlich niemanden interessierten.
In der Zeit der K5 Morde starben wahrscheinlich in Whitechapel hunderte Menschen an Unterernährung oder auf Grund der hygienischen Bedingungen oder fehlender medizinischer Versorgung. Aber man hatte IHN gefunden, den Schuldigen, den Mutanten. Man konnte alle Aufmerksamkeit auf ihn fokussieren, die Polizei konnte ihre Unfähigkeit hinter ihm verstecken und Menschen, die vielleicht am nächsten Tag dem Hungertod preisgegeben waren, regten sich über Jack the Ripper auf. Kein wirklich originelles Phänomen, in anderen Ländern und zu anderen Zeiten erfüllten die Räuber Grasel, Babinski, Karasek oder der "Dienstbotenmörder" Hugo Schenk eine vergleichbare Aufgabe.
Fazit: Die Rippermorde waren in keiner Weise das singuläre Ereignis als das sie dargestellt wurden und werden. Sie geschahen in einem Umfeld aus Not, Tod und Gewalt. Der Mörder und die Opfer existierten, keine Frage, aber Jack the Ripper ist ein Produkt der Medien.
Grüße