Hi
Ja, der Aspekt der Dunkelheit ist nicht zu vernachlässigen. Und bei der Frage, ob der Ripper eher haptisch fixiert war, fällt mir der Serienmörder Frank Gust ein:
"An das Gefühl, das ich hatte, als ich die Eingeweide des Tieres betastete, fand ich so einen Gefallen, dass ich es immer wieder fühlen wollte."
"Das Gefühl beim Berühren von Eingeweiden ist schwer zu beschreiben. Es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Geborgenheit, war aber um Vielfaches stärker. So eine überintime Bindung."(Stephan Harbort, "Ich liebte ein Bestie", S.228 f.)
An diesen Beispielen, die so vom Täter selbst wieder gegeben wurden, ist eindeutig zu sehen, dass es einen anderen Bezug zu einem Mord gibt: Das Fühlen. Das Riechen. Das Schmecken. Auch das Hören. Man darf nicht vergessen, dass ein Täter mit allen fünf Sinnen bei der Tat anwesend ist (sofern er unter keinen Beeinträchtigungen der Sinne leidet). Daraus ergibt sich, dass man eigentlich gar nicht so recht beurteilen kann, was den Täter nun genau am meisten erregte - war es beim Ripper auch das Fühlen? War es wie bei Peter Kürten auch das Hören des sprudelnden Blutes, das Röcheln des Opfers? War es das Schmecken, kostete er von dem Blut? Man kann nur erahnen, um was es dem Täter wirklich ging.
Ein Hinweis ist tatsächlich die bereits erwähnte Dunkelheit.
Und bei diesem Aspekt ergibt sich eine weitere Frage nach den anatomischen Kenntnissen des Täters. Er muss gewusst haben, was er da genau gemacht hat. Seine Veranlagung war wohl wirklich eher dem Fühlen zugewandt sein, doch die Entfernung der Organe in dieser Dunkelheit setzen eine gewisse Kenntnis voraus. Da kommt für mich persönlich mein favorisierter Täter ins Spiel: Der Metzger. Ein Metzgergehilfe. Ein Schlachter.
Er weiß um Anatomie, und - ganz wichtig: Er hatte die Gelegenheit, seine Neigungen zu erkennen und zu üben. Er würde wissen, was er genau wolle und wie er dazu komme. Im Prinzip werden diese Punkte aber auch von anderen Individuen erfüllt. Frank Gust zum Beispiel war kein Metzger. Er arbeitete nie in einer Metzgerei. Er war reiner Autoditakt. Übte an Meerschweinchen und Haustieren. Alles ist möglich.
Und nun kehre ich wieder zurück zu Kelly - ich glaube nicht, dass diese Tat einem gefühlsmässig veranlagtem Täter entspricht. Es fehlt in meinen Augen diese "zelebrierte" Ausführung der Tat. Die Genauigkeit, die der Täter sogar in der Dunkelheit aufzeigte. Plötzlich ist die Rede von "slashes". Von einem Hacken. Plötzlich scheint der Täter in Rage zu verfallen.
Und daher denke ich, dass der Täter durch die Innenraumsituation Stress verspürte. Ich glaube nicht, dass dies seinen Veranlagungen entgegen kam. Fragt mich nicht, wieso. Ich sehe aber beim Kellymord eher einen irritierten und verwirrten Täter. Ich sehe die Züge des Rippers, jedoch so, als würde er aus irgendeinem Grund Wut verspüren. Eine Möglichkeit stellt für mich der Innenraum dar, die Sackgasse, die Millers Court darstellte. Der Täter war es gewohnt, unter freiem Hmmel zu morden. Er war es gewohnt, zu fühlen. Nun war er in einem Raum, Licht brannte vermutlich. Er sah - und musste im Hinterkopf haben, dass man ihn auch sehen konnte, von außen. Und dass er nicht so einfach flüchten konnte. Vielleicht hat er öfters die Tat unterbrochen und lief an das Fenster, hinterließ die ominösen Blutspuren an der Scheibe. Und vielleicht liess er diese Wut an seinem Opfer aus. Möglich, dass er nicht befriedigt die Tat hinterliess, sondern genau das Gegenteil. Wir dürfen gesteigerte Gewalt nicht mit größerer Befriedigung gleichsetzen. Ist meine Meinung. Es geht doch am Ende um das, was der Täter möchte. Nicht um das "Ultimum".
Und deshalb denke ich, er wäre wieder auf die Straße gegangen. Seine Taten hätten eine Steigerung erfahren, eventuell mehr Gesichtverletzungen wie bei Eddowes. Aber sie wären keine so ausufernde Orgie mehr geworden wie bei Kelly. Die Professionalität wäre wieder ins Spiel gekommen und Kelly hätte eine große Sonderstellung inne. Die Straße gehörte zu seiner Fantasie, der Ripper war ein Freiraum-Täter.
Jedenfalls - glaube ich das im Moment
Raisons Frage ist auch interessant: Kam er zurück? Holte er sich den fehlenden visuellen Kick nachträglich in der Masse der Schaulustigen, sofern möglich? Chapman und Eddowes waren wohl schon abtransportiert, als es hell wurde. Aber bei Chapman und Kelly konnte man bestimmt zumindest einen Blick auf den Karren, mit dem sie abtransportiert wurden, werfen.
Grüße, Isdrasil