Hallo !
Als bekennender Anhänger des Täterprofilings und der Tatortanalyse möchte ich hier mal einen kleinen Mosaikstein dieses ziemlich komplexen Gebietes vorstellen. Wie gesagt, es ist nur ein ganz kleines Stückchen, das bei der Erstellung einer Analyse Verwendung finden kann und immerhin auch schon zu expliziten Erfolgen geführt hat („Railway Rapist“). Ich denke nicht im Entferntesten daran, so den Wohnort des Rippers ermitteln zu können, aber vielleicht gibt dieser Beitrag ein wenig Stoff zum Diskutieren und Grübeln. Das würde mich freuen. Meine Quellen sind Hoffmann/Musolff- Fallanalyse und Täterprofil, Fink-immer wieder töten.
Geographisches Täterprofil
Der britische Psychologieprofessor und Profiling – Forscher David Canter und seine Kollegen der Universitäten Liverpool und Guildford haben sich in zahlreichen Studien mit dem Zusammenhang zwischen Tatort und dem Tatverhalten beschäftigt.
Als erster Anhaltspunkt diente ihnen die Hypothese, daß Menschen prinzipiell bevorzugt in ihren vertrauten Gegenden agieren. Dies ist ein vielfach bestätigter Leitsatz aus der Psychologie (kognitive Landkarten), die sich mit der subjektiven Wahrnehmung des Raumes beschäftigt. Etliche Untersuchungen zeigen, daß auch Kriminelle ihre Taten oftmals in einer Umgebung begehen, die ihnen von ihrer Lebensgeschichte her vertraut ist. Wenn wahrscheinlich auch nicht für alle Deliktarten gültig, fand diese Hypothese doch u. a. bei Stichproben von Sexualtätern Bestätigung. Canter und seine Gruppe erstellten daraufhin ein prototypisches Schema für das räumliche Verhalten von Serientätern.
Zu Beginn der Tatserie werden demnach die Täter relativ nahe an ihrer Basis (dies kann ihre Wohnung sein, möglicherweise aber auch die des Partners oder die Arbeitsstelle; diese Orte werden auch als „Ankerpunkte“ bezeichnet) Verbrechen begehen, da sie nach der Tat das Bedürfnis haben schnell wieder an einen sicheren Ort zu gelangen. (m.A.: Deshalb wird von vielen Experten der erste Tatort einer Serie auch als der wichtigste für die Ermittler angesehen.) Dabei halten sie jedoch zumeist einen Sicherheitsabstand („kriminalitätsfreie Zone“, auch „Pufferzone“) zu ihrer Basis ein, um zu vermeiden, daß sie von einer Person aus ihrem alltäglichen Umfeld erkannt werden können. Jetzt folgt die „Komfortzone“, in der sich der Täter sicher fühlt, da er sich hier gut auskennt ( Wenn er seine Wohnung verläßt und zu seiner Arbeit geht, benutzt er eigentlich immer wieder die selben Straßen und entlang dieser Strecke auch die selben Geschäfte und Örtlichkeiten.) Mit dem Fortschreiten der Serie erweitert sich der kriminelle Aktionsradius der Täter, denn sie gewinnen an Sicherheit und Selbstvertrauen. Bisher waren ihre Überfälle ohne Konsequenzen geblieben, so wagen sie es, in immer größeren Abständen von ihrer Basis zu operieren. Allerdings muß einschränkend hinzugefügt werden, daß Canters Schema bei weitem nicht für alle sexuell motivierten Serientäter gültig ist. Oftmals entsprechen deren geographische Tatmuster eben nicht einer sich immer mehr erweiternden Kreisfigur, sondern die Tatorte erscheinen weitaus zufälliger und willkürlicher gestreut. Zudem erfaßt Canters Modellvorstellung offenbar nur einen Ausschnitt des räumlichen Handelns von Serientätern. So ist beispielsweise gelegentlich zu beobachten, daß Sexualtäter zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Tatserie zu früheren, nahe an ihrem Wohnort liegenden Tatorten zurückkehren, um neue Überfälle zu begehen.
Ein gröberes, dafür aber zuverlässigeres Modell für die Bestimmung des Wohnortes von Serientätern liefert Canter mit seiner Kreis-Hypothese:
Die Kernannahme hierbei ist simpel. Definiert man bei einer Tatserie die beiden am weitesten auseinander liegenden Tatorte als Endpunkte des Durchmessers eines Kreises (m.A.: in unserem Fall also Buck`s Row und Mitre Square), so soll der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb dieses Kreises leben. Diese These fand allerdings nur in europäischen Ländern Bestätigung ( Zu den USA besteht durch kulturelle Unterschiede, andere Besiedlungsdichte, Infrastruktur und dem verschiedenartigen Gebrauch von Verkehrsmitteln eine Differenz.); bei Stichproben in England lebten immerhin 87% der Täter innerhalb der vorhergesagten Region, in Deutschland noch 73%.
Aus diesen Erkenntnissen heraus, leiten Canter und Kollegen die sogenannte Abstandshypothese ab. Demnach besteht ein Zusammenhang zwischen den Abständen der Tatorte zueinander und den Abständen der Tatorte zum Wohnort des Deliquenten. Das Gebiet, in dem der Serientäter wahrscheinlich lebt, läßt sich so mit den statistischen Mitteln der Regressionsrechnung weiter präzisieren. Dadurch kann ebenfalls eine Prognose über die Größe der sogenannten Sicherheitszone erstellt werden, die der Täter zu seinem Wohnort einhält, um nicht erkannt zu werden. Canter und seine Mitarbeiter entwickelten nach eigenen Angaben ein Computerprogramm, welches durch Anwendung von mathematischen Modellen bei konkreten Ermittlungen den wahrscheinlichen Wohnort des Täters eingrenzen und so vorhersagen kann.
Wie bereits angedeutet, greifen die Canter-Hypothesen nicht in allen Fällen. Es gibt bsw. Gruppen von Serientätern, die mehr oder weniger zielstrebig bestimmte Gebiete ansteuern. Hier ist der Wohnort nicht Zentrum sternförmig gestreuter Tatorte, sondern der Täter pendelt sozusagen zwischen der Gegend, in der er lebt und dem Gebiet, in dem er seine Taten begeht. Zum einen können diese Tatorte dem unbekannten Verbrecher von seiner Biographie her vertraut sein, etwa weil er früher einmal in der Gegend gelebt hatte, das Tatumfeld gut kennt und sich deshalb sicher fühlt. Vor allem scheint es sich bei pendelnden Tätern um Personen zu handeln, die ihre Opfer nach speziellen Merkmalen aussuchen, indem sie bsw. nur Prostituierte überfallen. (m.A.: Läßt das auch den umgekehrten Schluß zu, nämlich, daß Prostituiertenmörder hauptsächlich zwischen Tat- und Wohnort pendeln?) Das geographische Verhalten solcher Täter wird augenscheinlich von dieser Präferenz geleitet, da sie darauf angewiesen sind, Gebiete aufzusuchen, in denen sich Personen aufhalten, die ihrem Opferschema entsprechen.
Zum Thema geographische Profilerstellung schreibt bsw. der von mir schon anderweitig zitierte Peter Fink : „Kriminalität, wie jede menschliche Handlung, hat ihre geographische Logik; sie geschieht nicht zufällig. Diese geographische Logik, die die Auswahl der Tatorte und der Opfer betrifft, unterscheiden sich nicht allzu sehr von den Entscheidungen, die Menschen treffen, wenn sie bsw. einen Supermarkt aussuchen, um ihre Einkäufe zu tätigen. Auf diese Logik baut das geographische Profiling auf.“
Der Grundgedanke des geographisches Profiling basiert auf kriminalistischen und kriminologischen Erfahrungen über die Art und Weise, wie Verbrecher von ihren Wohn-, Aufenthaltsorten oder Arbeitsplätzen an ihre späteren Tatorte gelangen und dem Versuch, diese gewonnenen Erkenntnisse und Informationen umzukehren, wenn zunächst nur die Tatorte bekannt sind. Geographisches Profiling ist demnach eine Idee, die auf die Umkehrung einer anderen Idee aufbaut.
Meines Erachtens ist es wichtig, daß stetig empirische Studien durchgeführt werden, um auch auf diesem (für mich) äußerst interessanten Gebiet weiter Erfolge erzielen zu können.
Gruß Stordfield