Autor Thema: Jack the Ripper - Pure Fiktion?  (Gelesen 35139 mal)

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Offline Anirahtak

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #30 am: 19.07.2010 23:23 Uhr »
[...] – ich wollte nur auf alle Möglichkeiten hinweisen, egal wie unwahrscheinlich sie sind. ;)
Ja, vielen Dank. Ich finde es auch ripperunabhängig immer sehr interessant, was man damals alles so getrieben hat.

Bei den Jewish Socialists and Freethinkers nehme ich ebenfalls an, dass sie die Religiösen/Orthodoxen weg vom Glauben und hin zur Tat oder auch nur zur gedanklichen Auseinandersetzung mit der Realität bringen wollten.
« Letzte Änderung: 19.07.2010 23:52 Uhr von Anirahtak »

KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #31 am: 20.07.2010 07:13 Uhr »
Hallo Freunde!

Brillante Diskussion! Ich würde allerdings die Fenians nicht so unter "ferner liefen" reihen, schließlich war ihr Verhältnis zu den jüdischen Einwanderern ein sehr gespanntes und das gleich aus mehreren Gründen...Schwer vorstellbar dass die Morde Teil einer Kampagne waren, die einer radikalen machiavellistischen Denkweise entsprang, genauso krank wie ein sexuell motivierter Täter. Doch leider finden wir in der Geschichte zahlreiche Beispiele für solche Vorgehensweisen und dass der Zweck die Mittel heiligt scheint eher der Regelfall als die Ausnahme zu sein.
Die sozialistische Ideologie wurde ja sehr stark von Teilen der jüdischen Gemeinde unterstützt, nicht verwunderlich, waren sie doch eine Gruppe die zumindest untereinander recht solidarisch agierte und im Vergleich zu den Iren auch bereits einen höheren Organisationsgrad aufwies. Pogrome schweißen halt zusammen...Das alles machte sie wohl nicht ganz ungefährlich im Land des "divide and rule". Das "Schächten" der Opfer, pseudorituelle Züge der Taten und immer wieder die Verbindung zu den Juden, für die ein Nachweis allerdings bis heute aussteht. Leather Apron, die Geschichte des jüdischen Verdächtigen und der Gegenüberstellung, trotz brillianter Recherche einiger Forumsteilnehmer (vor allem natürlich Lestrade und panopticon, ich hoffe alle anderen verzeihen mir diese Hervorhebung!) bleibt doch unter dem Strich wenig Substanz.
Fazit: Die Tendenz, die Morde zumindest propagandistisch zu antisemitischer (und damit auch antisozialischer) Diskreditierung zu nützen liegt klar auf dem Tisch, möglicherweise verbirgt sich dahinter auch ein Motiv.
Möglicherweise aber auch nicht...

Grüße

Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #32 am: 20.07.2010 11:17 Uhr »
Hallo KvN!

Natürlich sind die Fenians nicht außer acht zu lassen: Radikale Fenians nutzten in der Tat auch ähnliche Mittel wie der Mörder zu politischen Anschlägen, die aber in ihrem Fall klarerweise in erster Linie gegen England gerichtet waren. Man denke an den Mai 1882, als der damals neu ernannte Chief Secretary for Ireland Lord Frederick Cavendish und der Permanent Undersecretary Thomas Henry Burke mit einer Menge von Stichen mit Chirurgenmessern im Phoenix Park von Dublin brutalst erstochen wurden (http://en.wikipedia.org/wiki/Phoenix_Park_Murders). Verantwortlich für diese Tat waren letztlich die ´Irish National Invincibles´ (http://en.wikipedia.org/wiki/Irish_National_Invincibles), eine radikale Splittergruppe der Irish Republican Brotherhood. In etwa zur Zeit der Morde im East End, vom September 1888 bis November 1889  fand auch gerade die Parnell-Commission mit Bezug darauf statt, bei der sich allerdings letztlich ergab, dass sich die Briefe, in denen Charles Stewart Parnell die Morde gut geheißen haben soll, als Fälschung herausstellten (http://en.wikipedia.org/wiki/Parnell_Commission).

Im East End und gerade im Bereich, wo die Morde stattfanden, wohnten viele Iren gemeinsam mit Juden unter einem Dach oder Tür an Tür, was sicherlich auch zu Spannungen führte, aber generell saßen sie auch wiederum im gleichen Boot und konnten sich auch immer häufiger solidarisieren.

Die politischen und sozialen Entwicklungen gerade vom Bloody Sunday 1887 (http://en.wikipedia.org/wiki/Bloody_Sunday_(1887), über den London Matchgirls Strike 1888 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_matchgirls_strike_of_1888) bis hin zum Londoner Dock Strike 1889 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_Dock_Strike_of_1889) sind auf jeden Fall mitzuberücksichtigen, und in fast allen Publikationen darüber wird ein ´Einschnitt´ in dieser Zeit erwähnt, der den Fokus der Öffentlichkeit etwas verschob - und das waren die Morde von ´Jack the Ripper´.


Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 20.07.2010 11:36 Uhr von panopticon »

KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #33 am: 20.07.2010 13:17 Uhr »
Hab gerade meine message nochmal durchgeschaut, sollte natürlich "antisozialistisch" heissen...Man sollte vor dem 1. Kaffee eben nix schreiben...

Und jetzt stehen wir vor einer schwierigen Frage: Reden wir von einer medialen Verwertung oder von einem Tatmotiv? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen? Die Presse war ja von Anfang an sehr bemüht einen Serienmörder zu kreieren, schon nach Smith und Tabram. Nach dem Bloody Sunday war es für das Königreich nahezu überlebenswichtig, die Aufmerksamkeit von den sozialen Spannungen abzulenken, abgesehen von den anderen Problemen die ich in einem anderen Thread schon aufzählte... 
Nochmal zu den Fenians: Dass das letzte - und spektakulärste - Opfer Irin war (angeblich) ist wohl auch kein Zufall...Aber auch das muss mit Vorsicht genossen werden, wir wissen ja über die tatsächliche Identität von MJK so gut wie nichts.

Grüße

Offline Lestrade

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #34 am: 20.07.2010 13:36 Uhr »
Aus dieser Sicht, muss man MJK aufgrund ihrer irischen Herkunft, ganz besonders betrachten.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #35 am: 20.07.2010 16:36 Uhr »

Im Zuge der Fenian-Debatte mit Bezug auf den ´Jack the Ripper´-Fall rückten in den letzten Jahren schon mehrere Personen ins Rampenlicht. Auch einige Ermittler wie Anderson, Swanson und Monro, vor allem ersterer, können von den Fenians ja aufgrund ihrer Biografie jedenfalls ein Lied singen. Zur Diskussion stand da diesbezüglich, soweit ich informiert bin, auf jeden Fall schon Francis Tumblety und auch zu Joseph Fleming, Mary´s Ex, der ja angeblich 1892 ins Stone Asylum eingeliefert wurde, wollte man schon Connections ziehen. Die ´Kelly Family´ läge da natürlich auch auf der Hand: Niemand davon war scheinbar nach Mary´s Ermordung bei ihrer Beerdigung oder ist bis heute ermittelt (was an sich nicht verwunderlich ist, ´Kelly´ ist schließlich der zweithäufigste Familienname in Irland), ihr Vater suchte aber zu Lebzeiten im East End nach ihr, was Mary wohl erfolgreich zu verhindern suchte, wenn man Barnett´s Ausführungen glaubt. Ihr Bruder Henry besuchte sie wohl einmal. (Beide Infos aus ´the Star´ vom 12. November 1888) Wir kennen außer den beiden, also Mary´s Vater John und ihrem Bruder Henry, genannt ´John´ oder ´Johnto´ (vielleicht von ´John two´?) von den Scots Guards auch keine Namen von ihrer Familie, weder von Mutter und Schwester, noch von den anderen 5  Brüdern. (Insofern finde ich die Geschichte von diesem Jonas – siehe letztens in diesem Faden - ja schon irgendwie interessant...)

Ganz persönlich glaube ich ja nach wie vor eigentlich nicht, dass MJK von jemandem getötet wurde, mit dem sie in irgendeiner Relation stand, aber auszuschließen ist es ja auch wiederum nicht.... und dass sie wohl Irin war, muss man auf jeden Fall zumindest im Hinterkopf behalten.


Grüße,
panopticon

KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #36 am: 21.07.2010 09:55 Uhr »
Bezüglich MJK dreh ich mich im Kreis...Ich komme immer zum selben Punkt: Sie gehört zur Serie, aber die Tat hatte einen anderen Hintergrund, ein anderes Motiv.

Kurzer sidestep zum GSG:
Vor dem Hintergrund einer gezielten Diskriminierung kann sich noch eine andere Interpretation ergeben: Es macht schon Sinn, die Juden zu beschuldigen.

Grüße

Offline Anirahtak

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #37 am: 30.07.2010 22:05 Uhr »
Ich habe nochmal wegen der radikalen Fenians überlegt.

Wollte man nun die Ripper-Taten auf eine politisch motivierte, irische Gruppe "anwenden", stören mich zwei Dinge: Erstens die Opferauswahl. Gab es das jemals, dass politische Gruppen Attentate gezielt auf Zivilisten ausführen? (Ich beantworte mir die Frage gleich selbst, ja. Die RAF und die Landshut. Aber trotzdem erscheint es mir doch einigermaßen abwegig.)

Außerdem die Art und Weise. Soweit ich verstehe, wurde bei den Phoenix-Park-Morden zwar erstochen, aber nicht ausgeweidet. Man könnte einwenden, dass "nur" erstechen nicht weiter aufgefallen wäre bzw. keinen solchen Aufruhr verursacht hätte. Aber andererseits fällt es mir schwer, mir vorzustellen, wie die Fenians tagen und darüber brainstormen, wie man bei den Engländern mal richtig aufmischen könnte und irgendwer kommt dann auf die Idee: "Lasst uns doch Prostituierte ausweiden und ein paar Organe mitnehmen!" - "Ja genau, so machen wir das. Wer meldet sich freiwillig?" Also irgendwie, nee... Findet das irgendjemand vorstellbar? Oder anders gefragt, wie stellt ihr euch den Prozess vor, in dem man auf diesen Einfall gekommen sein könnte?

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass ein Einzelmitglied auf eigene Faust gehandelt hat. Aber dann wäre es für mich schon keine politisch motivierte Tat mehr (auch wenn er selbst das so gesehen haben könnte), sondern ein gestörter Mensch, der zufällig noch Mitglied in einer politischen Gruppe war.

Offline panopticon

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #38 am: 31.07.2010 01:43 Uhr »
Hallo Anirahtak!

Diverse Fenian-Theorien sind zum Teil schon recht ´verzwickt´ und bedürfen zudem doch einiges an Einarbeitung. Sie erscheinen zwar zum Teil natürlich abwegig, sind aber zumindest bei weitem nicht mit Theorien wie der so genannten ´Königlichen Verschwörung´ zu vergleichen, da sie nachweislich auf  damaligen Entwicklungen im Vereinten Königreich basieren.

Fakt ist auf jeden Fall, dass auch damalige radikale Gruppen, darunter eben auch Fenians, gerade was ihre Bomben- und Sprengstoffanschläge in London in den 1880er Jahren betraf, definitiv zivile Opfer in Kauf nahmen, die es dann tatsächlich auch gab, und dass einige ihrer Aktionen auch konkret gegen Scotland Yard selbst gerichtet waren. So als schneller Überblick eignet sich zum Beispiel diese Seite: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_terrorist_incidents_in_London (siehe: 19th century), und hier was Konkretes über die so genannte (Fenian) ´Dynamite campain´ der Jahre 1865 – 1885: http://en.wikipedia.org/wiki/Fenian_Dynamite_Campaign

Die radikalen Fenianterrorgruppen stellten damals, was tatsächliche oder mögliche Anschlagsserien betraf, eines der Hauptprobleme der englischen Polizei dar, und gerade Ermittler wie Anderson und Monro waren in ihrer Biografie mehrfach mit deren Bekämpfung betraut - und Anderson kam sein Engagement gegen die Fenians noch 1910 fast teuer zu stehen – und zwar letztlich eben aufgrund der ´Parnell-Affäre´, die eben 1887 begann und die ab September 1888 von der Parnell Commission untersucht wurde. Genau zu dem Zeitpunkt also, als Scotland Yard eigentlich darauf achten musste, dass radikale Fenians nicht wieder zu Werke schritten, lenkte plötzlich ein irrer Serienkiller im East End, dessen Vorgehensweise nicht gerade auf ein politisches Motiv hindeutete, den Blick von den Fenians doch einigermaßen ab und machte die englische Polizei gerade dadurch, dass sie in diesem Fall letztlich versagte, sogar weltweit lächerlich. Eine  recht interessante Abhandlung darüber, gerade was Anderson, Monro und auch das ´Secret Department´ betrifft, findet sich online zum Beispiel hier: http://www.casebook.org/dissertations/ws-dublincastle.html

Ich persönlich finde die Vorstellung, dass hier eigentlich Fenians zu Werk schritten (im Gegensatz zu anderen politischen Motiven, wie Judenfeindlichkeit!), auch nicht wahrscheinlich, und Dein Argument, dass hier dann wohl zumindest maximal nur eine kleine Gruppe oder gar Einzelperson ´zu Werke schritt´, sehr plausibel. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man so etwas dann ´geplant´ hätte, und dass Fenians gezielt gegen mittellose Frauen vorgegangen wären,...aber ganz auszuschließen ist es eben nicht, und daher sicher mal eine Erwähnung wert, und wie hat Sir Charles Warren schließlich später mal über die Mordserie gesagt: ´Ich sehe diese Serie von Morden als einzigartig in der Geschichte unseres Landes an.´ Was er damit genau gemeint hat, wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben...


Grüße
panopticon

KvN

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #39 am: 31.07.2010 09:51 Uhr »
Ich darf mich anschließen, auch ich bin in Bezug auf die Fenian - Theorien recht skeptisch...Von unvorstellbar würde ich aber bei weitem nicht sprechen, da gab es in der Geschichte noch ganz andere Beispiele von Aktionen politischer Gruppierungen gegen zivile Ziele (Oktoberfest, Bahnhof von Bologna, 11 September - wer hier auch immer der Urheber gewesen sein mag, eine politische Aktion war es in jedem Fall - ...). Und die propagandistische Komponente kann man dem Fall JtR wohl nicht absprechen. Aber dazu später...

Grüße

Offline Anirahtak

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Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
« Antwort #40 am: 31.07.2010 15:10 Uhr »
Hallo miteinander.

Alles zur Kenntnis genommen.

Du sagst es, KvN, "ganz andere". Es besteht meines Erachtens ein Unterschied, ob Brandsätze, Bomben usw. gelegt werden, die zivile Ziele treffen oder ob ein Terrorist jeweils eine einzelne zivile Person "per Hand" angreift. Letzteres erscheint mir bezüglich Zivilisten abwegig. Nun soll dies bei den Ripper-Taten dann ja zur Strategie gehört haben. Nur kann ich mir nicht erklären, wie man auf diese Strategie gekommen sein soll (siehe oben). Und nicht nur einzelne Zivilisten zu töten, sondern sie auch auszuweiden und Organe mitzunehmen. Das ist ein krankhafter Aspekt, der über bloße Gewaltbereitschaft hinausgeht.

Aber ich will niemandem die Denkbarkeit dieser Variante ausreden, halte sie selbst aber für extrem gering.

Grüße