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Die Tatverdächtigen => Die Tatverdächtigen => Weitere Verdächtige => Thema gestartet von: KvN am 09.07.2010 22:02 Uhr

Titel: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 09.07.2010 22:02 Uhr
Hallo zusammen!

Möchte hier die Diskussion fortführen, die ich mit panopticon im Faden "Ein Polizist als Tatzeuge" begonnen habe...
Es passt nix zusammen in der Causa JtR. Abweichende Zeugenaussagen, unmögliche Timelines (wie meiner Meinung nach im Fall Eddowes), divergierende Ansichten der ermittelnden Behörden. Panopticon stellt zur Diskussion dass wir eventuell einem generellen Denkfehler bei der Beurteilung des Falles unterliegen, auch ich ziehe diese Möglichkeit ja seit geraumer Zeit in Erwägung. Hätte es JtR nicht gegeben, man hätte ihn erfunden. Die Tendenz dazu ist den zeitgenössischen Druckmedien zweifelsfrei zu entnehmen. Aber vielleicht ging - wer auch immer - noch einen Schritt weiter...Kann es sein dass jämmerlich zu Grunde gegangene (es herrschte kein Mangel daran im East End) als Opfer eines Serienmörders drapiert wurden? Einfach weil man einen Fokus für den "Volkszorn" brauchte?
Die Menschen in Whitechapel starben wie die Fliegen, Gewaltverbrechen aller Art waren - wie bereits nachgewiesen - keine Seltenheit. Der Fall JtR fand aber kaum erklärbares Interesse, national, international, bis hinauf in die höchsten Kreise...In Erwartung heftigster Widersprüche verbleibe ich mit den üblichen

Grüßen 
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Floh82 am 10.07.2010 00:20 Uhr
Interessanter, ja sogar sehr interessanter Gedanke!

Aber die Frage ist dann doch: Die ähnlichen Muster....wie kam das zustande? Trittbrettfahrer? Kann das sein, dass in diesen Abständen 5 oder mehr Täter Morde begehen die sich in einigen Dingen so sehr ähneln? Oder betrachten wir die Dinge wirklich falsch...extrem falsch.

Wie gesagt:
Sehr interessanter Gedanke!
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 10.07.2010 12:09 Uhr
Ich weiß nicht Kurt!

Außerhalb 5-6 Opfern, von August 1888 bis November 1888, gab es sicherlich weiterere Taten, in einem bestimmten Zeitraum, die man dem Ripper gerne zuordnen möchte. Der Mann der aber Nichols, Chapman, Stride, Eddowes und Kelly sowie möglicherweise Tabram tötete, sollte ein und der selbe Mann gewesen sein. Ein Serienkiller, dem man dem Namen Jack the Ripper gab. Ich stimme mit dir nicht überein was unterschiedliche Zeugenaussagen angeht, einige Beamten waren sich wohl einig, was den möglichen Täter anbelangte, die Timeline ist annähernd korrekt und eine Menge passt dennoch. Wo ist dort eine Fiktion? 5-6 Prostituierte wurden ermordet und verstümmelt. An gewissen Tagen, auf eine gewisse Art und Weise, an gewissen Orten. Das sind Tatsachen, die ein Mann zu verantworten hatte. Jenen, den wir Jack the Ripper nennen.

Wo betrachten wir es falsch?

Ich denke, in den ganz "normalen" Verhaltensweisen der Menschen, die um diesen Verbrecher herum lebten, agierten, mit ihm zu tun hatten, ihn fangen sollten.

Wer fängt diesen Mann? Die MET oder die City Police? Selbst in jeder Einrichtung gab es genug Eifersüchteleien, Probleme und dann gesellte sich die Konkurrenzsituation dazu. Nicht das sie die Szenerei komplett beherrschte, nein, aber sie war enorm hinderlich. Es entstandt kein Fluss zwischen den Einheiten.

Das zweite ist die Verbindung der jüdischen Völkergruppe mit den Ereignissen. Sie hätten einen möglichen Täter nie ausgeliefert. Das weiß hier jeder von uns. Und schon garnicht unter den damaligen Bedingungen im East End. Ein Lawende war nicht dumm, er sah einen Mann, mehr nicht, dafür wird niemand gehangen. Schwartz zog seine Aussage zurück. Sollte die Anekdote von Nathan Shine stimmen, war er der zweite Mann in der Berner Street, nicht aus dem Pub kommend, sondern in der Straße einbiegend, kurz verharrend vorm dortigen Eingang, um seine Pfeife zu entzünden. Er hatte Angst vor Repressalien. Warum? Weil der Mann, den er sah, Jude war. Er ging deshalb nicht zur Polizei, meiner Meinung nach. Alle 3 Männer in dieser Situation waren Juden. Lipski... Joseph Hyam Levy sah auch mehr als er zugab...

Der Ripper wurde meiner Meinung nach bereits geschützt von seinen Leuten, bevor er der Ripper wurde. Und er wußte, er wird geschützt. Ein unter seinen Leuten kranker Typ, der diese Neigungen schon länger gezeigt haben muss. Irgendwann war er nicht mehr zu kontrollieren. Und solange er nur "englische" Prostituierte tötete... Ein sexuell Wahnsinniger auf freien Fuss, nicht immer aber im Herbst 1888 schon...

Eine fatale Situation für alle Beteiligten. Am Ende ist man vielleicht einer äußerst dramatischen Situation aus dem Weg gegangen. Und vielleicht lief genau deshalb alles so, wie es gelaufen ist und der Ripper verschwand ganz heimlich von der Bühne Whitechapel...

Gott sei Dank.

Liebe Grüße,

Lestrade.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 10.07.2010 14:18 Uhr
Hallo zusammen!

Die ähnlichen Muster...hhhmmm...gute Frage! Ohne mich da in Verschwörungstheorien ergehen zu wollen: Könnten die Ähnlichkeiten bei der Tatbegehung eventuell Absicht gewesen sein? Einer Gruppe die größtes Interesse am Entstehen des Mythos JtR hatte? Immerhin - und davon gehe ich nicht ab - der Fall JtR entstand in den Medien, zahlreiche Leute leisteten ihren Beitrag durch fingierte Bekennerbriefe und auch durch Geständnisse. Vielleicht auch durch ein kleines Arrangement am Tatort? Was sollte das Affentheater im Miller´s Court für einen anderen Sinn haben, als maximale Aufmerksamkeit zu erregen?

Nun, Lestrade, vielleicht hast du ja recht, die Taten wurden von einem Mann begangen, eben "unserem" Ripper. Die scheinbaren Unmöglichkeiten sind auf Zufälle zurückzuführen, ich halte das keineswegs für unmöglich. Dass die jüdische Gemeinde sich derart mit dem Täter solidarisierte kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber das sagt nix. Immerhin, Mord ist auch im jüdischen Glauben eine Todsünde und muss adäquat bestraft werden, auf der anderen Seite war da sicher die Angst vor einem Pogrom.

Schwierig das alles, vor allem bei 37 Grad im Schatten den es ned gibt...

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 10.07.2010 20:32 Uhr
Hallo.

Wo mögliche generelle Denkfehler nun genau liegen könnten, ist klarerweise fraglich, aber ich denke, dass es doch so einige geben könnte. Prinzipiell gehe ich natürlich schon von einer Mordserie aus, und auch davon, dass stets nur ein und dieselbe Person die Verstümmelungen an den Opfern vornahm (nicht jedoch automatisch auch, dass sie allein unterwegs war), aber die Überlegung, dass gerade zweiteres nicht so gewesen sein könnte, ist schon sehr interessant! Die in Anbetracht der räumlichen und zeitlichen Tatumstände übertriebene Aufmerksamkeit, welche die Theorie eines ´primär sexuell gestörten Einzeltäters´ bis heute genießt, halte ich, wie ja schon im anderen Faden erwähnt, zum Beispiel definitiv für die Basis eines möglichen (!) generellen Denkfehlers. Das wurde letztlich von den Medien propagiert, wie KvN schon erwähnte. Es entstammt ursprünglich wohl neben diversen ohnedies nicht authentischen Bekennerschreiben u.a. auch der Meinung der damaligen Ärzte über die mögliche Art der psychischen Störung des Täters, vor allem aber auch über die Tatwaffe - und die Aufgabe der Ärzte war es ja gerade nach dem Mord an Tabram, fortan stets genau zu untersuchen, wie viele Tatwaffen bei weiteren Morden jeweils zum Einsatz kamen. Bis zum Mord an Nichols vermutete man ja eigentlich ohnedies unterschiedliche Personengruppen hinter den Morden an Smith und Tabram, was in diesen nicht wirklich vergleichbaren Fällen ja auch alles andere als unschlüssig ist. 


@ Lestrade:
Sorry, aber dass die jüdische Gemeinde einen eindeutig identifizierten Täter nicht ausgeliefert hätte, halte ich für ein beliebtes, weit verbreitetes Volksmärchen. Da halte ich es für wahrscheinlicher, dass die Polizei selbst zumindest gezögert hätte, einen sogar tatsächlich überführten Juden offiziell als Täter zu nennen. Dass sich Einzelpersonen generell weigerten, lediglich aufgrund einer womöglich letztlich nur fehlinterpretierten Beobachtung, offiziell als einzige Belastungszeugen aufzutreten, ist für mich in Anbetracht des zu erwartenden Strafmaßes absolut nachvollziehbar – und zwar unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis. Zudem sprechen die Schauplätze und Umstände in der Nacht des ´Double Event´ eigentlich doch eher für ein antisemitisches Motiv, als für einen verrückten Juden...


@ KvN: Die Plausibilität von ´Verschwörungstheorien´ kann ja recht variieren, insofern sollten wir der Frage nach möglichen ´Nutznießern´ schon mal durchaus nachgehen - Bestimmten Personengruppen kam das Erscheinen  des ´mysteriösen Mörders´ und das damit verbundene mediale Interesse wohl zumindest nicht ´ungelegen´. Mal abgesehen von generell gewaltbereiten, radikalen, politischen Gruppen und diversen allgemeinen Gang- und Zuhältertheorien - Was wissen wir eigentlich zum Beispiel über den Criminal Law Amendment Act von 1885, der unter anderem der ´suppression of brothels´ dienen sollte? (http://en.wikipedia.org/wiki/Criminal_Law_Amendment_Act_1885) Wie weit  wurden die Bordelle damals dadurch tatsächlich ´unterdrückt´ / ´verdrängt´? Was wissen wir über die ´Society for the Suppression of Vice´? (´Gesellschaft zur Unterdrückung von Laster´: http://en.wikipedia.org/wiki/Society_for_Suppression_of_Vice) – vielleicht doch auch irgendwelche Radikale dort?


Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Anirahtak am 11.07.2010 01:07 Uhr
Hallo zusammen!

Möchte hier die Diskussion fortführen, die ich mit panopticon im Faden "Ein Polizist als Tatzeuge" begonnen habe...
Es passt nix zusammen in der Causa JtR. Abweichende Zeugenaussagen, unmögliche Timelines (wie meiner Meinung nach im Fall Eddowes), divergierende Ansichten der ermittelnden Behörden. Panopticon stellt zur Diskussion dass wir eventuell einem generellen Denkfehler bei der Beurteilung des Falles unterliegen, auch ich ziehe diese Möglichkeit ja seit geraumer Zeit in Erwägung. Hätte es JtR nicht gegeben, man hätte ihn erfunden. Die Tendenz dazu ist den zeitgenössischen Druckmedien zweifelsfrei zu entnehmen. Aber vielleicht ging - wer auch immer - noch einen Schritt weiter...Kann es sein dass jämmerlich zu Grunde gegangene (es herrschte kein Mangel daran im East End) als Opfer eines Serienmörders drapiert wurden? Einfach weil man einen Fokus für den "Volkszorn" brauchte?
Die Menschen in Whitechapel starben wie die Fliegen, Gewaltverbrechen aller Art waren - wie bereits nachgewiesen - keine Seltenheit. Der Fall JtR fand aber kaum erklärbares Interesse, national, international, bis hinauf in die höchsten Kreise...In Erwartung heftigster Widersprüche verbleibe ich mit den üblichen

Grüßen 
Wenn du "man" schreibst, denkst du an den Personenkreis, der nicht das geringste Interesse an Armenaufständen hatte und diese Energien lieber in eine andere Richtung kanalisieren wollte, richtig?

Dass Tote drapiert werden, nun ja, sowas kommt vor, man denke an den "Überfall auf den Sender Gleiwitz". Was hältst du von der Variante, dass es den Ripper tatsächlich gab und oben erwähnter Personenkreis diesen Fall nutzte, um das Volk abzulenken? Dazu müsste man auch wissen, wie das Verhältnis zwischen den Medien und den Mächtigen war. Ich weiß es leider nicht.

Ich glaube, wir hatten das schon einmal. Ich meine immer noch, dass die Erklärbarkeit des starken Interesses darin liegt, dass es kein "gewöhnliches" Verbrechen wie zB Raubmord war und man sich damals noch weniger als heute das Phänomen Serienmord erklären konnte.

"Es passt nix zusammen..." Es fehlen auch viele Akten, von daher wäre es verwunderlich, wenn mit dem vorhandenen Material alles stimmig wäre. Zeugen irren sich oder machen bewusst falsche Angaben, aus Gründen, die nur mit ihnen selbst zu tun haben, nicht mit dem Geschehen an sich.

Der Ripper als eine Person, deren Name nie in einer Akte aufgetaucht ist (auch nicht in den verlorenen); Zeugenaussagen, die nicht alle korrekt sein müssen - unter solchen Voraussetzungen will ich "Denkfehler" auch nicht ausschließen.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 11.07.2010 12:40 Uhr
Lieber panopticon!

Volksmärchen

...unterliegen u.a. dem Versuch, Rätsel zu lösen. Und damit beschäftigen wir uns ja hier bzw. versuchen es.

Das die Polizei selber gezögert haben könnte, da stimme ich mit dir überein. Sie hatten nicht gerade alles fest im Griff und hätten im Fall der Fälle, sicherlich einer weiteren Überforderung gegenübergestanden.

dass stets nur ein und dieselbe Person die Verstümmelungen an den Opfern vornahm (nicht jedoch automatisch auch, dass sie allein unterwegs war), aber die Überlegung, dass gerade zweiteres nicht so gewesen sein könnte, ist schon sehr interessant!

 
In der Tat.

@Kurt:

Dass die jüdische Gemeinde sich derart mit dem Täter solidarisierte kann ich mir zwar nicht vorstellen

... dafür aber einige andere, schwer vorzustellende Möglichkeiten?

Sicherlich hätten das nicht alle getan, damals nicht und heute auch nicht aber solange wir nicht wissen, wie sein Umfeld strukturiert gewesen sein könnte, bleibt das eine Möglichkeit. Ich rede auch nicht von 1000 Leuten, sondern vielleicht von 10-20. Und genug Hosenscheißer in jeder Bevölkerungs- oder Glaubensrichtung gab es immer, gibt es und wird es immer geben ohne das in unserem Falle, diese Personen mit dem Mann zu tun hatten und nur Zeugen waren. Jener Verdächtige soll ein "bekannter Irrer" gewesen sein. So bekannt, das wir nicht wirklich wissen wie er hieß. Sei er der Ripper gewesen oder nicht. Entweder waren die Behaupter dieser Aussage absolute Spinner oder eine Reihe von Menschen hielten dicht, wie einst die Abwehr von Inter Mailand und Juventus Turin. Du kannst es dir ja aussuchen...

 @Anirahtak:

"Es passt nix zusammen..." Es fehlen auch viele Akten, von daher wäre es verwunderlich, wenn mit dem vorhandenen Material alles stimmig wäre. Zeugen irren sich oder machen bewusst falsche Angaben, aus Gründen, die nur mit ihnen selbst zu tun haben, nicht mit dem Geschehen an sich.

Der Ripper als eine Person, deren Name nie in einer Akte aufgetaucht ist (auch nicht in den verlorenen); Zeugenaussagen, die nicht alle korrekt sein müssen - unter solchen Voraussetzungen will ich "Denkfehler" auch nicht ausschließen.


Bemerkenswert formuliert.

Liebe Grüße,

Lestrade.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 11.07.2010 18:11 Uhr
Hi, Kölner Kumpel!

Nur um es klarzustellen: Ich halte die Idee de jüdischen Verdächtigen, der von seinem seinem "Clan" beschützt wurde, für mindestens genauso interessant und verfolgenswert wie meine Spinnereien! Die Connection Joseph Levy - Jacob Levy ist für mich nach wie vor total heiss...

Mah, es macht total Spaß mit euch zu diskutieren!

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 12.07.2010 14:33 Uhr
Ja Kurt, das tut es  :icon_biggrin: ...

Katharina´s Worte beschäftigen mich gerade. Der Teil, von dem wir wissen und der Teil, der uns verborgen bleibt, jenen leeren Raum, den wir mit Theorien auszufüllen versuchen, immer mit der Ungewissheit, wie weit diese Logik eigentlich reicht oder vertretbar oder wahrscheinlich ist. Und vorallem, wie weit sie uns von der Wahrheit entfernt halten und ob nicht 1-2 neue "Entdeckungen" (Unterlagenmäßig), alles auf den Kopf stellen würden oder einfach nur Denkweisen bestätigen könnten. Wir entwickeln Theorien, auf der Basis vorhandenen Materials und obwohl diese Theorien bemerkenswert sind, so könnten sie am Ende nichts bedeuten. "Denkfehler" die im leeren Raum entstehen. Diese einfachen Sachen, wie das Datum der Seaside- Gegenüberstellung, der Zeuge in dieser Angelegenheit, der oder die Namen der Observierten von Sagar und Cox, dazu das Geschäft in der Butcher´s Row, die "wahre" Verdächtigenliste der Polizei, die Untersuchung der Schlächter und ihren Angestellten und Anverwandten, die Gegenüberstellung der Matrosen, die aufgenommenen Taten des Leather Apron, weitere Zeugen, Macnaughten "many circs", der PC und und und...

Leider müssen wir verharren und können nur hoffen, das uns eines Tages ein neues Stück "Beweis", weiterhelfen kann...

Lestrade.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 12.07.2010 21:39 Uhr
Auch mir geht der Eddowes Fall nicht wirklich aus dem Kopf...
Bewerten wir die Sichtung von Joseph Levy und Co. als seriös - und momentan sehe ich nichts das dagegen spricht - so hätte JtR 10 Minuten Zeit gehabt um:

Von der Church Passage zum Ripper´s Corner zu gelangen
Eddowes zu töten
Ihr die Vestümmelungen zuzufügen, inkl. der sauberen Entnahme einer Niere
Ihre Schürze zu zerteilen
Sein Handwerkszeug wieder wegzupacken
Sich so rechtzeitig vom Acker zu machen, dass er nicht von Watkins überrascht wird

Das geht ganz einfach nicht, das ist vollkommen unmöglich! Selbst wenn wir Faktoren wie Ungenauigkeiten bei den Zeitangaben in Betracht ziehen, ja selbst wenn wir die Zeit verdoppeln, das geht sich nicht aus.

Ich gehe noch einen Schritt weiter: Levy und Co. haben sich geirrt, die Person verwechselt. Schliesslich hat sie Lawende ja nur an der Kleidung identifiziert, und die war typischer Whitechapel - Underdog Style. Eddowes verließ die Polizeiwache um 1Uhr, konnte also gegen 1Uhr 10 am Mitre Square sein. Nehmen wir an dass sie sofort auf JtR traf, rechnen wir nur ein paar kurze Minuten für ein Eröffnungsgeplänkel und für den gemeinsamen Weg. Würde bedeuten: Eintreffen am Tatort zwischen 1, 15 und 1,20. D.h.: Auch bei straffstem Zeitablauf blieben JtR keinesfalls mehr als 25 Minuten, eher weniger. Aber die facialen Verstümmelungen und die Aktion Schürze deuten auf einen Täter hin, der Zeit hatte oder zumindest glaubte Zeit zu haben... Es passt ganz einfach nicht zusammen...

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 13.07.2010 01:36 Uhr
Hallo KvN!

Weiß nicht, ob Du es schon gelesen hast, aber ich habe etwas über die Zeitverhältnisse am Mitre Square in einem anderen Faden gepostet, zumal es dort meiner Meinung nach besser aufgehoben ist, nämlich hier: http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,149.msg19739/topicseen.html#msg19739


Zur ´Fiktion´: Wie hoch ist eigentlich die Chance, dass es gerade diverse populäre Konstruktionen vom Täter waren, die zum Ende der Mordserie führten? Wenn ein Täter zum Beispiel eigentlich eine bestimmte Personengruppe (sagen wir beispielsweise mal Juden) diskreditieren wollte – kann es nicht sein, dass er mit diversen zum teil stark divergierenden, öffentlich publizierten Tätervorstellungen bzw auch Bekennerschreiben ein Problem bekam, weil sie letztlich sein eigentliches Ziel unterwanderten und den Fokus auf die Personengruppe, die er eigentlich belasten wollte, ´verwässerten´? Kann es nicht sein, dass Warren vielleicht doch genau das Richtige tat, als er das Graffito entfernen ließ? Mal nur als weitere Diskussionsbasis.
 
@ Anirahtak:
´Armenaufstände´ waren aufgrund der Heterogenität der Bevölkerung im East End gar nicht so einfach zu organisieren/initiieren. Eher Streiks, wie der letztendlich zumindest partiell erfolgreiche ´Matchgirls Strike´ im Juli 1888 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_matchgirls_strike_of_1888), der wohl u.a. auch von der Hanbury Street aus organisiert wurde. (Womöglich sogar auch mit Hilfe einiger Personen, die auch im International Working Men´s Educational Club in der Berner Street zu finden waren). Eine Menge gewaltbereiter Anarchisten und andere politische Gruppen (wie auch jene, denen Streiks generell ein Dorn im Auge waren) hingegen propagierten da eher die Methodik der Zwietrachtsäung unter den Bevölkerungsgruppen, um bestimmte politische Ziele zu verfolgen – für sie waren die, an gewaltlosen, politischen Mitteln interessierten, sozialistischen Bewegungen, denen auch sehr viele Juden angehörten, klarerweise ein politischer Gegner, den es mit allen Mitteln zu diskreditieren oder zu ´spalten´ galt.


Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 13.07.2010 12:57 Uhr
Zum Ende der Mordserie habe ich - meiner "Fakeripper" These folgend - eine sehr ähnliche Theorie: Die aufgeblasene Berichterstattung könnte zu einem Bumerang geworden sein...Menschen begannen sich zu solidarisieren, das "divide and rule" war arg gefährdet. Aber ich hab da noch zu wenig recherchiert. Ein Teil des Ripper Hypes dürfte ja auch eine anti Warren Kampagne gewesen sein...Alles sehr kompliziert, wie schon ein Ex-Bundeskanzler sagte. :icon_verwirrt:

Grüße

P.S. Und vielleicht war´s ja doch Cohen oder Levy
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Floh82 am 13.07.2010 14:10 Uhr
Die Stimmung gegen die Polizei und insbesondere gegen einige höhere Beamte ist tatsächlich kein zu vernachlässigender Fakt!

Man beachte hier insbesondere, die meiner Meinung nach, gut recherchierte und nacherzählte Stimmung nach mehr oder weniger bekannten Polizeieinsätzen gegen kommunistische Kundgebungen. Und auch der Zwist zwischen einzelnen Beamten ist nicht zu vernachlässigen.

Das die Presse und ganz besonders die Bürger Londons auch die Stimmung nutzten, um noch mehr Stimmung gegen die Polizei zu machen ist eigentlich nicht wegzudiskutieren.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 13.07.2010 16:09 Uhr

In der Tat! Gerade diverse interne Querelen bereits vor den Morden, Warrens Rolle beim ´Bloody Sunday´ 1887, etc. etc.... Was ich ja diesbezüglich bemerkenswert finde: Auch wenn Warren und Monro starke persönliche Antagonisten waren – Es besteht dennoch durchaus die Möglichkeit, dass sie die Mordserie subjektiv eigentlich recht ähnlich eingestuft haben könnten: Warren mit seinen Äußerungen, dass er die Mordserie als etwas betrachte, das ´einzigartig in der Geschichte des Landes´ gewesen sei, und (im Rahmen der so genannten ´Jonas´-Affäre), dass auch er schon einmal eine politische ´Diskreditierungskampagne´ (gegen Juden und Sozialisten) dahinter vermutete, und Monro mit seiner angeblichen privaten Theorie, die wohl nie ans Tageslicht kam, von der allerdings behauptet wurde, der Täter darin sei ein ´hot potato´ gewesen, was natürlich auch durchaus zum Beispiel für einen Juden oder Iren (natürlich aber auch Engländer) sprechen könnte, der mit radikaler Methodik radikale Ziele verfolgte, oder dessen wie auch immer eigentlich motivierte Taten aufgrund seiner Herkunft, Zugehörigkeit oder Tatortwahl zumindest politische Sprengkraft hätten besitzen können, wenn man ihn (zumindest offiziell) überführt hätte... Auch die Überführung eines Täters wie Cutbush wäre für die Polizei wohl letztlich eine politische Katastrophe gewesen.

Die Morde dürften jedenfalls, sogar was London im Gesamten betrifft, tatsächlich eine stärkere generelle Solidarisierung der Bevölkerungsgruppen mit sich gebracht haben, auch wenn es auf der anderen Seite dennoch zu einigen Eskalationen und gegenseitigem Misstrauen führte, die sich allerdings relativ in Grenzen hielten. Wenn ein Täter(kreis) also vielleicht tatsächlich vorgehabt hätte, mit einer ´bestialischen´ Anschlagsserie die Gruppen komplett gegeneinander auszuspielen, hätte er die Bevölkerung wohl letztlich unterschätzt und wäre folglich gescheitert...


Grüße 
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 14.07.2010 10:38 Uhr
Hi zusammen!

Leider habe ich Lestrades Hinweisen auf die polizeiinternen Divergenzen zu wenig Beachtung geschenkt und bin jetzt infomäßig im Rückstand. Ersuche daher um Unterstützung...
Wann genau hat Warren seinen Dienst quittiert? Habe unterschiedliche Angaben gefunden, 8.11. versus 9.11. Wer unterstützte Warren? Ich gewinne den Eindruck dass ihm jemand recht Mächtiger den Rücken freigehalten hat, schließlich hatten viele Officials Interesse daran ihn abzuservieren...

Danke und Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 14.07.2010 11:32 Uhr
Hallo KvN!

Da habe ich auch eine Zeit lang nicht ganz durchgeblickt – korrekt ist wohl, wie auch in den meisten Zeitungsartikeln und hier zu finden: http://www.jacktheripper.de/ermittler/warren/ : Warren trat am Donnerstag, dem 8. November 1888 zurück, blieb aber noch einige Wochen im Amt, bis Monro schließlich komplett übernahm – den Korrespondenzen in den Akten zu folge spätestens ab Jänner 1889. Der schlussendliche Grund, warum Warren zurücktrat, dürfte ein vom Innenministerium nicht zuvor genehmigter Zeitungsartikel gewesen sein, den Warren verfasste, um sich für seine generelle Amtsführung vor seinen Kritikern zu rechtfertigen. Mit dem Fall JtR selbst hatte sein Rücktritt jedenfalls im Grunde nicht so viel zu tun, wie man meinen möchte. Es hatte vielmehr politische Hintergründe, zudem dürfte Warren wohl generell ohnedies wieder eine Stellung beim Militär präferiert haben. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Warren


Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 14.07.2010 11:42 Uhr
Nur für dich Kurt :icon_mrgreen:

... ob 8. oder 9. November Kurt, ist fast wurscht, denke ich. Vermute es war der 8. November 1888. Den Rücktrittsersuch hatte er schon vor dem Mord an Kelly erbeten und somit war dieses Ereigniss kein Mitgrund seiner Aufgabe.
Er hatte Ärger mit Matthews vom Innenministerium, beide hatten unterschiedliche politische Gesinnungen. Diese vertraten beide natürlich vehement. Schon im August 1888 hatte er Ärger mit Kollege Munro. Es ging um die Unabhängigkeit der CID und einen Posten für Macnaughten. Munro ersetzte Warren auch nach dessen Rücktritt.
Alles in allem denke ich, war Warren ein sehr fähiger Mann. Dies hatte er in seinem Leben bewiesen. Aber auch er machte Fehler und diese Fehler wiegen bei fähigen Menschen schwerer, aus Sicht der Neider, als ihre eigentlichen herrausragenden Leistungen. Er dürfte also als eine Art "Opfer" zu betrachten gewesen sein. Kurzum, er hatte damals den Kopf nicht frei, bekam keine Unterstützung und konnte nicht so agieren, wie es vielleicht nötig und richtig gewesen wäre. Um es kurz zumachen, möglicherweise beraubte sich die Polizei mit Warren selber und damit um jemanden, den es vielleicht möglich gewesen wäre, den Ripper zu fassen. Dumm gelaufen, denke ich...

Lestrade.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 14.07.2010 12:11 Uhr
Auch hier ein Zusatz:

Warren unterstützte auch die Bürgerwehren, was ich für sinnvoll halte, nicht alle waren so eingestellt wie er.

Mit Beginn der Mordserie (und mit Sicherheit schon einige Zeit vorher), verhielten sich einige Verantwortliche, wie die Kinder im Sandkasten, "wer darf mit welchen Schippchen und welchen Förmchen und Eimerchen spielen?" Das war fatal für die Ermittlungen. Und es kreutzte sich mit dem Fall Jack the Ripper. Die haben meiner Meinung garnicht raffen können, was um sie herum passierte. Es gab erste Alarmsignale, Leather Apron, Millwood, Wilson, Smith, Tabram... diese hatte die Öffentlichkeit wohl eher erkannt als die Polizei selber. Und auch während des Beginns der K5 mit Nichols dürften sie immer noch nicht erkannt haben, das Housten ein Problem hat. Erst mit Chapman haben sie meiner Meinung nach, erst den Ernst der Lage begonnen zu begreifen. Die letzten erst durch den Double Event. Kelly hat dann das wahre Ausmaß der Geschehnisse, für alle offengelegt. Und dann war auch "schon" Schluss. Zum Ende der K5 bestand die Möglichkeit, versäumtes wiedergutzumachen. Aber was einmal holprig beginnt, ist schwerlich zu beruhigen. Sie haben das Graffiti entfernt, die Bluthunde nicht eingesetzt und sich nicht mehr mit den Zeitungen, sprich Öffentlichkeitsarbeit gewidmet. Die Briefe zu veröffentlichen war ein Fehler. Sie haben der Bevölkerung niemals signalisiert " Wir sind dran, wir tun alles", dies wäre gut über die Presse gegangen. Sie hätten hier Fähigkeit, Einfluss und Größe suggerieren können. Vielleicht hätten sie auf diese Art entscheidene Informationen erhalten können. Und offenbar ist zumindest bei einem Verdächtigen, die Zusammenarbeit der MET mit der City Police, genauso verquer gelaufen, wie es innerhalb der MET sowieso an der Tagesordnung war. Das macht den katastrophale Zustand damals noch erbärmlicher. Zum Glück dürfte es aber auch einige konzentrierte Beamte ala Swanson gegeben haben...
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 14.07.2010 12:26 Uhr
Vielen Dank, die Herren!

Ich muss zugeben dass ich die Auswirkungen der internen Querelen auf die Ermittlungsarbeit wohl unterschätzt habe. Monro und Warren müssen ja mit dem Messer zwischen den Zähnen herumgelaufen sein, vor allem nach Warrens Veto gegen Mcnaghtens Bestellung...Mag sein dass der JtR Fall nicht wirklich der unmittelbare Auslöser für den Rücktritt war, den Eindruck dass er benutzt wurde um Warren zusätzlich unter Druck zu setzen hab ich allemal...

Nochmals THX und Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 14.07.2010 12:34 Uhr
Auch von mir ein Zusatz, ein wenig off topic...

Ist es nicht auffällig dass sich nicht nur das Ausmaß der Verstümmelungen steigerte, sondern auch die Radikalität der fotografischen Darstellung? Opfer 1 und 2 wurden hübsch aufgebahrt abgelichtet, friedlich, die Wunden verdeckt. Stride sieht schon eher nach einem Mordopfer aus, und bei Eddowes und Kelly haben wir schon Splatter - Qualität. Mag ja Zufall sein, aber normalerweise macht ein Fotograf nichts ohne Grund...

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Anirahtak am 14.07.2010 23:34 Uhr

@ Anirahtak:
´Armenaufstände´ waren aufgrund der Heterogenität der Bevölkerung im East End gar nicht so einfach zu organisieren/initiieren. Eher Streiks, wie der letztendlich zumindest partiell erfolgreiche ´Matchgirls Strike´ im Juli 1888 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_matchgirls_strike_of_1888), der wohl u.a. auch von der Hanbury Street aus organisiert wurde. (Womöglich sogar auch mit Hilfe einiger Personen, die auch im International Working Men´s Educational Club in der Berner Street zu finden waren). Eine Menge gewaltbereiter Anarchisten und andere politische Gruppen (wie auch jene, denen Streiks generell ein Dorn im Auge waren) hingegen propagierten da eher die Methodik der Zwietrachtsäung unter den Bevölkerungsgruppen, um bestimmte politische Ziele zu verfolgen – für sie waren die, an gewaltlosen, politischen Mitteln interessierten, sozialistischen Bewegungen, denen auch sehr viele Juden angehörten, klarerweise ein politischer Gegner, den es mit allen Mitteln zu diskreditieren oder zu ´spalten´ galt.


Grüße,
panopticon

Verstehe, nicht nur Reich gegen Arm, sondern auch verschiedene Nicht-Establishment-Gruppen gegeneinander. Gab es denn unter den Anarchisten keine oder deutlich weniger Juden als unter Sozialisten? Und bestand bei ersteren tatsächlich die Bereitschaft, Juden zu diskreditieren, um auf diesem Wege andere politische Ziele zu erreichen? Auf sowas muss man ja auch erstmal kommen, eine Bevölkerungsgruppe aus politischen Gründen mit Serienmord zu diskreditieren.


@ KvN

So gesehen ist mir keine Steigerung bei den Fotos aufgefallen, vielleicht habe ich das dem Steigerungsgrad der Verstümmelungen zugeordnet, der so schon vorhanden ist. Aber bei einem Foto wie bspw. Chapman hatte ich den Eindruck, als hätte man sie eher wie schlafend abgelichtet als wie ein Mordopfer. Ich habe angenommen, das sei irgendwie "viktorianisch guter Ton".
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 18.07.2010 14:31 Uhr
Hallo, Anirahtak!

Auf sowas muss man ja auch erstmal kommen, eine Bevölkerungsgruppe aus politischen Gründen mit Serienmord zu diskreditieren.

Wieso das denn? Wenn man sich die Sachlage und das Territorium, auf dem die Morde begangen wurden ansieht, liegt es eigentlich recht nahe, dass der oder die Killer die Anschläge primär verübte/n, um Juden zu diskreditieren. Auf diese Idee kamen auch Warren und andere damals, und sie kannten das Gebiet und die politische Lage wohl besser als viele heutige Ripperologen. Aus meiner Zeit an der Politologie kann ich Dir jedenfalls sagen, dass es gerade in der Zeit, in der die Morde stattfanden (1870er/80er Jahre) so einige ziemlich radikale Ideen bezüglich ´Diskreditierungskampagnen´ gab, zum Teil auch direkt zur Diskreditierung und Destabilisierung des jeweiligen Polizeiapparates selbst. Dass die Mordserie eine Art ´Anschlagscharakter´ aufweist, ist wohl zumindest nicht bestreitbar.

Das mit den ehemals anarchistischen oder sozialistischen Terroristen bzw Abtrünnigen (beide Gruppierungen trennten sich damals gerade ganz bewusst von gewaltbereiten Mitgliedern) ist übrigens nur eine abgewandelte, wesentlich weniger wahrscheinliche Möglichkeit, zu deren näherer Erläuterung mir aber gerade die Zeit fehlt - viel wahrscheinlicher ist als politisches Motiv zu betrachten, dass der oder die Täter in erster Linie judenfeindlich war/en, siehe dazu auch hier: http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,953.msg19820/topicseen.html#msg19820


Ein drittes, nicht unbedingt von der Hand zu weisendes, politisches Motiv hätten wohl auch radikale Fenians gehabt, und die Iren waren immerhin eine der größten Bevölkerungsgruppen im East End, dazu aber auch vielleicht ein andermal mehr.


Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 18.07.2010 15:05 Uhr
Das sind enorm wichtige Statements panopticon aber warum sollte ein jüdischer Täter unbedingt von sich und seinen Leuten ablenken?

Inwieweit muss der Glauben an die eigene Religion, einen Menschen nach außen und innen hin, einer totalen Identifizierung mit diesem Glaubensbekenntnis unterliegen lassen? Egal was er glaubte oder woher er kam, er war schwer gestört. Er verstieß sowieso gegen die Regeln jeden Glaubens. So wie er aufgewachsen sein muss, war da nicht viel Platz für einen gesunden Glauben. Mit dem konnte er garnicht konform gehen. Wie denn? Er sollte alles gehaßt haben durch das er geprägt wurde. Wenn er Jude war, dann haßte er auch seine jüdischen Mitmenschen. Tat er wahrscheinlich mit allen Menschen. Er hätte sich nirgendswo wohlgefühlt. Und Serienkiller töten nicht ihre Freundin oder Freunde. Das heißt noch lange nicht, das sie diese auch abgöttisch lieben. Oder denkst du, es hätte einen jüdischen Ripper interessiert, ob ein anderer Jude für seine Verbrechen gehangen worden wäre? Mögen die Gedanken zur Politik oder Glauben in diesem Falle mal immer wieder zur Sprache kommen, eine Rolle spielten sie bei den Verbrechen nicht. Der Ripper war nicht wirklich gläubig, nicht politisch sondern schlicht und einfach sehr krank.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 18.07.2010 22:04 Uhr
Hey, Kölner Kumpel, jetzt sind wir mal ganz klar verschiedener Ansicht! Die politischen, ökonomischen und religiösen Aspekte derart auszuklammern halte ich für grundfalsch! Und nicht zu vergessen, die kulturellen Zeitaspekte...Freue mich auf eine interessante Diskussion!

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Anirahtak am 18.07.2010 23:46 Uhr
Hallo panopticon!

Diese Aussage von mir, die du zitiert hast, bezog sich gerade speziell auf Anarchisten vs. Sozialisten. Du hattest ja auch erwähnt bei den Sozialisten seien viele Juden gewesen. Mir erschien es eher abwegig, dass Anarchisten auf diese Weise -über den antisemitischen/rassistischen Weg- den Sozialisten ans Leder wollten, auch wenn sie mit ihnen verfeindet und gewaltbereit waren.

Ansonsten aber kann man natürlich auf den Gedanken kommen, dass jemand Juden schaden wollte. Jemand oder eine Gruppe, bei der Antisemitismus zu den wichtigen politischen Tagesordnungspunkten zählt.


Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 19.07.2010 01:58 Uhr
Hallo Anirahtak!

Da hast Du auch recht, es ist prinzipiell schon ziemlich abwegig, aber es gibt in diesem Fall schon ein bis zwei (aber natürlich eben extrem unwahrscheinliche!) Möglichkeiten dafür, dass auch ehemalige (!) Sozialisten oder Anarchisten (dann also wohl letztlich vielmehr ´Terroristen´) hinter den Taten gesteckt haben könnten (Ich meinte nicht ´Anarchisten vs. Sozialisten´, das wäre in der Tat absurd, sondern eben so eine Variante.):

Das eine ist ein ähnliches Szenario, wie jenes, das dieser Informant namens Jonas aus Wien nannte, bei dem der Mörder ein irischer Fleischer namens John Kelly (mit einem Komplizen) gewesen sein soll, wie Jonas Charles Warren kurz vor dem Mord an Mary Jane Kelly mitteilte (Die ganze Geschichte befindet sich übrigens im Sourcebook, Kapitel 16): Dieser Mann, der auch ursprünglich wohl dem gewaltbereiten Flügel einer  angeblichen geheimen internationalen Sozialistenbewegung (solche gab es damals nachweislich ja tatsächlich) angehört haben soll, wurde aus der Vereinigung ausgeschlossen, weil er Mitglieder in Diskredit gebracht hatte – das Motiv dieses Kelly, der schon zuvor seine Freundin und ihr Kind in Amerika getötet haben soll (also scheinbar ohnedies eine mehr kriminell als politisch motivierte Figur), wäre demnach also Rache an ehemaligen Mitstreitern gewesen. So ein Szenario klingt natürlich unglaublich, ist aber tatsächlich auch nicht ganz auszuschließen, und Warren meinte dazu auch: : ´Wie Mr. Matthews weiß, habe ich vor einiger Zeit zu der Idee, die Morde könnten möglicherweise von einer geheimen Gesellschaft verübt worden sein, als einzige logische Lösung der Frage tendiert, aber ich würde es nicht als Werk eines Sozialisten verstehen, da die letzten Morde offensichtlich von jemandem begangen wurden, der es ersehnte, Juden und Sozialisten oder jüdische Sozialisten in Diskredit zu bringen. Aber durch den  Wink des Informanten haben wir eine Lösung, bei der sie von einem abtrünnigen Sozialisten begangen wurden, um seine früheren Kameraden in Diskredit zu bringen.´


Bezüglich der zweiten aber natürlich ebenfalls recht unwahrscheinlichen Möglichkeit habe ich neulich erst etwas ziemlich merkwürdiges entdeckt:

The Star vom 14. September 1888 enthält eine eigenartige Ankündigung, die ´beispiellos in der jüdischen Geschichte sei´, und wohl dem ´Arbeter Fraint´ entnommen war: Im ´International Working Men´s Club´ in der Berner Street (ja, genau der Club mit dem Dutfield´s Yard!) luden ´jüdische Sozialisten und Freidenker´ für den nächsten Tag (also dann 15 Tage vor dem Mord im Hof des Clubs) zu einem internationalen Bankett als ´Protest gegen die jüdische Religion und den Versöhnungstag´ ein. Die Ankündigung habe unter den orthodoxen Juden für Aufregung gesorgt, schreibt das Blatt, und es würde Gerüchte über eine Störaktion geben. Die Mitglieder des Clubs seien darauf vorbereitet und würden nicht die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen, um eine solche Aktion zu unterbinden. (Du findest den Artikel hier unter ´Freethinking Jews and the Black Fast´ : http://www.casebook.org/press_reports/star/s880914.html)

Was hier beabsichtigt wurde, ist mir nicht ganz klar, dazu fehlt mir aber wohl auch das Wissen über Jom Kippur, der hier gemeint zu sein scheint, oder bezieht sich das auf ´black fast´ (???). Dass die orthodoxen Juden generell nicht für revolutionäre Ideen zu gewinnen waren, und dadurch auch nicht unbedingt für einen tatsächlichen Klassenkampf zu gewinnen waren, ist eigentlich anzunehmen, und diese Veranstaltung scheint eine Art Protest dagegen gewesen zu sein, wenn ich das richtig sehe(???). Dass man sie aber mittels einer ´Diskreditierungskampagne´ und die dadurch entstehenden judenfeindlichen Reaktionen zum politischen Handeln zwingen wollte, kann ich mir – genauso wie Du - nicht vorstellen, daher halte ich diese Möglichkeit eben auch für sehr, sehr gering bis eben komplett unvorstellbar.

Generell wären also, wie Du ja geschrieben hast, Antisemiten wesentlich wahrscheinlicher – ich wollte nur auf alle Möglichkeiten hinweisen, egal wie unwahrscheinlich sie sind. ;)



@Lestrade:
Auch die psychische Störung, die Du schon mehrfach in Spiel gebracht hast, hat politische Hintergründe. (Zitat: ´Er sollte alles gehaßt haben durch das er geprägt wurde.´) Genau solche Fälle haben wir deshalb an der PoWi auch im Bereich Sozialpsychologie u.a. analysiert. Also dass der Täter nicht ´politisch´ war, stimmt auch bei Deiner Konstruktion (!) einfach nicht – Auch Prostituiertenhasser z. Bsp. sind letztlich politisch motiviert... Es gibt natürlich einige wenige Möglichkeiten, dass wir es hier nicht mit einem letztlich zumindest irgendwie politisch motivierten Täter zu tun haben, allerdings wäre eine solche Person in Anbetracht diverser Umstände in diesem Fall wohl ziemlich sicher ´red handed´ gefasst worden...

Eines ist ja, und ich denke, Du pflichtest mir da bei, auf jeden Fall klar: Keine einzige Beschreibung, die Zeugen lieferten, deuten eindeutig auf einen Juden hin: keine Peyes, kein Vollbart, keine Kippah, kein Stramel, gar nichts der gleichen! (Die meisten jüdischen Zeugen in diesem Fall wiesen zum Beispiel den bekannten Bildern zufolge den durch die Halacha an sich (mit Bezug auf das alttestamentarische Gebot, dass man das Haar am Haupt nicht rundherum abschneiden solle) vorgeschrieben Vollbart auf: Piser, Schwartz, und auch zumindest einer der drei Herren aus der Duke Street.) Gerade wenn der Täter auch irgendwie extrem verwahrlost war, wie das von Aaron Kosminski behauptet wurde, hätte er doch wohl gesamt einen längeren Bartwuchs gehabt, als da in den Zeugenbeschreibungen geschildert wurde. Stattdessen wirken die Personen hinter einigen Beschreibungen wie etwas heruntergekommene Einheimische, andere wiederum aus subjektiver Sicht der jeweiligen Zeugen zwar irgendwie ´ausländisch´, aber niemand hat eindeutig etwas beschrieben, das auf einen Juden hinweist! Zu alledem soll einer der möglichen Mörder im Affekt (!) und vermutlich auf Schwartz gerichtet, auch noch irgendetwas Ähnliches wie ´Lipski´ gebrüllt haben... Apropos Lipski: Der ´East London Observer´ vom 15. September 1888 wies mit Bezug auf die Ausschreitungen nach dem Mord an Chapman darauf hin, dass seit der Rückkehr der Juden im 17. Jahrhundert nach England gerade einmal zwei Juden wegen Mordes gehängt  wurden, nämlich Marks und Israel Lipski – Ich bin dem nachgegangen und habe bisher auch noch keinen weiteren gefunden, den man als Mörder bezeichnen könnte -  um ehrlich zu sein nicht einmal diesen Herrn ´Marks´, was durchaus am nicht erwähnten  Vornamen liegen könnte. In Anbetracht dessen muss man festhalten, dass die judenfeindlichen  Aktionen, die schon der Lipski-Prozess im Jahr vor den ´Rippermorden´ mit sich zog, ja noch ekelhafter und unglaublicher sind, als ohnedies schon angenommen!  Unbegründbarer, auf Vorurteilen basierender Zündstoff war also auf jeden Fall vorhanden, aber dass der Täter ein Jude war, ist wohl nicht sonderlich wahrscheinlich.


Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 19.07.2010 11:05 Uhr
Guten Morgen panopticon!

Vielen Dank für deine Ausführungen und Informationen. Hochinteressant das ganze und bin nun endlich froh deine ganz spezifische Meinung dazu zu hören. Leider musste ich den "radikaleren Weg" suchen, alle anderen Aspekte "ausschließen", um die erhoffte Reaktion von dir zu bekommen. Dein Wissen, deine Vorgehensweise und deine Meinung sind hier in unserer "Ermittlergruppe" sehr wichtig und gefragt, ich denke viele pflichten mir bei.

Mein Zitat:

"Er sollte alles gehaßt haben durch das er geprägt wurde", wird sich im Falle eines jüdischen Täters eben auf sein eigenes, jüdisches Umfeld bezogen haben. Bleibst du bei der Mutter, seiner möglichen Schwestern oder einer Oma, dann wird er diese jüdischen Frauen gehaßt haben können. Getötet hätte er dann Frauen englischer, irischer oder schwedischer Herkunft, vielleicht auch walisischer. Lag vielleicht daran, das er solche "gefallenen" Frauen in seiner Religionsgruppe nicht wieder fand oder dies ihm sein Glauben verbot, "eigene" Frauen zu töten. Dennoch, da muss ich dir beipflichten, ein "jüdischer" Serienkiller wäre unglaublich... selten...bis garnicht möglich...dachte ich auch schon oft drüber nach...

Aber es gab eben den "jüdischen Verdächtigen" eines Anderson, Macnaughten und Swanson. Dies ist eine Tatsache. Für Anderson war es glasklar, für Macnaughten gab es "many circs" und ein "strong suspect", für Swanson wurde dieser Mann identifiziert, von eben einem jüdischen Zeugen und genau das "Jude sein", zerschoss die Überführung dieses Mannes. Und es gab einen extrem, gewaltbereiten Juden, der nicht zu händeln war in Colney Hatch, der genau jenem Mann glich, wie von den drei Ermittlern beschrieben. Und die Serie endete nach seiner Feststellung... zumindest ersteinmal und wiederholte sich so auch nicht wieder...

Dieser Mann soll "deutsch" gesprochen haben (das wenige Zeug, das er von sich gab). Und er war nicht allein Jude, er soll auch Pole gewesen sein. Pole war er vor allen Dingen, denke ich. Aber vielleicht kam er auch aus dem deutschen Bereich oder dem holländischen. Selber gesagt hat er garnichts. Nicht jeder geflohene Pole war Jude, man musste nicht zwangsläufig deswegen in London landen. Es gab sicherlich auch normale Wege oder es reichte aus, wenn man mit den Juden sympathisierte, um sich vom Acker machen zu müssen. Deswegen muss man nicht als Bilderbuchjude durch London laufen. Ich bin mit ´ner Menge Moslems befreundet panopticon, nahe der polnischen Grenze aufgewachsen (und die Polen waren da gläubig, glaube mir) aber was du beschreibst ist Klischee, das ich in meinen Erfahrungen (und andere mögen mir beipflichten) nicht oder nur ganz selten antreffe. Wenn dieser Täter ein Jude war, war er so oder so kein Vorzeigejude, denke ich.

Ich grüße dich herzlichst,

Lestrade.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 19.07.2010 17:49 Uhr
Danke, Lestrade!

Ich weiß schon, was Du sagen wolltest, und ich schließe das von Dir genannte Szenario ja auch nicht aus – wie auch? Bin dem ja selbst auch sehr lange nachgegangen und einiges unterstützt diese Theorie ja auch, und sie ist nach wie vor wahrscheinlicher als viele andere. (Ich wiege mögliche Motive / Szenarien auch nur gegeneinander ab - sich auf eines festzulegen, ist ohnedies nicht möglich.) Es war mir nur mal wichtig, als gemeinsamen Nenner explizit festzuhalten, dass es zumindest keine Beschreibung gab, die definitiv auf einen religiösen Juden als solchen hindeuten würde. Damit wollte ich keine Klischees aufwerfen, sondern das nur mal ganz eindeutig feststellen. Ich habe gute Freunde in allen großen Religionsgemeinschaften, und niemand von ihnen würde diverse jeweils damit in Verbindung stehende Klischees erfüllen, zumindest außerhalb ihrer eigentlichen Religionsausübung.
Was ich eben auch noch feststellen wollte: Eine Person, die überschnappt, muss sich deshalb aber zum Beispiel auch noch lange nicht plötzlich rasieren...


Mal unabhängig von der Wahrscheinlichkeitsfrage -  Ich habe neulich wieder was gesehen, was gerade Dich interessieren wird, zumal es Dir ja doch generell wichtig erscheint,  Dein ´Favoritesuspect ´ zumindest eventuell zu ´tracken´, auch wenn wir bezüglich der ´Täterwahrscheinlichkeit´ dieser Person wohl anderer Meinung sind. ;)  Wenn Du das Sourcebook hast, schau doch mal auf Seite 310, (beziehungsweise - falls andere Ausgabe - in die Petition der Geschäftsleute, die u.a. aufgrund der Morde bei der Exekutive um mehr Schutz angesucht haben, Kapitel 12) – 14. Name von unten (wenn ich mich nicht verzählt habe, bei einer anderen Ausgabe müsstest Du wohl leider die ganze Liste durchgehen und nach bekannten Namen suchen) – auch die dazugehörige Adresse ist nicht uninteressant, was diverse Berichte über den Double Event betrifft. Keine Ahnung, ob es Dir irgendwie nützlich sein kann - ich wollte nur darauf hingewiesen haben. Solltest Du das Sourcebook  nicht haben, sag Bescheid. Wenn Du was damit anfangen kannst, postiere es halt für alle im betreffenden Faden dazu, wenn nicht, denke ich, wird es wohl nicht wichtig sein.



Liebe Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 19.07.2010 18:21 Uhr
Lieber verehrter panopticon!

DU bist mein Sourcebook. Ich hab kaum was zum nachlesen. Ich bin ein purer Theoretiker und das meiste hier, was ich schreibe, entspringt meiner puren Fantasie, ich saug es mir aus den Fingern, ich leiere es mir aus den Rippen, kurzum ich spinne es mir aus. Ich muss mir das meiste selbst erfinden um überhaupt mitreden zu können. Das ist echt anstrengend also bitte poste diese Geschichte da, wobei ich mir fast denken kann was nun kommen wird...

Mein wirkliches Jack the Ripper Wissen, baut sich auf Thomas Schachner´s Buch auf und was ich so im Casebook fand. Mittlerweile reihst du dich bei denen mit ein. Den Rest denk ich mir zusammen. Muss ich ja, bis du mit irgendwas herausrückst...

Bewundernde Grüße,

Lestrade.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 19.07.2010 21:18 Uhr
Nanana, jetzt übertreib mal nicht! 
Erstens findest Du auch ständig Dinge, die ich davor überhaupt noch nie gesehen habe, und zweitens sind Deine Recherchen und Gedanken wirklich wahnsinnig interessant, umfassend und inspirierend! Generell denke ich, im Moment sind wirklich spannende Debatten im Gange und alle ergänzen sich mit ihren Gedanken, Recherchen und ihrem Wissen wirklich gut – Macht echt Spaß! :icon_thumb:

Wollte die Info nicht zurückhalten, habe mir nur gedacht, falls Du das Buch hast (wovon ich ausging, weil Du doch oft die Originalquellen zitierst) und dem nachrecherchierst, kannst Du aufgrund Deiner Cohen-Spezialisierung vielleicht insgesamt gleich mehr herausholen als ich, und die Ergebnisse dann gesamt posten. Zudem ist es womöglich eben auch gar nicht allzu wichtig.

Nun aber wieder zurück zum Thema.


Best regards,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Anirahtak am 19.07.2010 23:23 Uhr
[...] – ich wollte nur auf alle Möglichkeiten hinweisen, egal wie unwahrscheinlich sie sind. ;)
Ja, vielen Dank. Ich finde es auch ripperunabhängig immer sehr interessant, was man damals alles so getrieben hat.

Bei den Jewish Socialists and Freethinkers nehme ich ebenfalls an, dass sie die Religiösen/Orthodoxen weg vom Glauben und hin zur Tat oder auch nur zur gedanklichen Auseinandersetzung mit der Realität bringen wollten.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 20.07.2010 07:13 Uhr
Hallo Freunde!

Brillante Diskussion! Ich würde allerdings die Fenians nicht so unter "ferner liefen" reihen, schließlich war ihr Verhältnis zu den jüdischen Einwanderern ein sehr gespanntes und das gleich aus mehreren Gründen...Schwer vorstellbar dass die Morde Teil einer Kampagne waren, die einer radikalen machiavellistischen Denkweise entsprang, genauso krank wie ein sexuell motivierter Täter. Doch leider finden wir in der Geschichte zahlreiche Beispiele für solche Vorgehensweisen und dass der Zweck die Mittel heiligt scheint eher der Regelfall als die Ausnahme zu sein.
Die sozialistische Ideologie wurde ja sehr stark von Teilen der jüdischen Gemeinde unterstützt, nicht verwunderlich, waren sie doch eine Gruppe die zumindest untereinander recht solidarisch agierte und im Vergleich zu den Iren auch bereits einen höheren Organisationsgrad aufwies. Pogrome schweißen halt zusammen...Das alles machte sie wohl nicht ganz ungefährlich im Land des "divide and rule". Das "Schächten" der Opfer, pseudorituelle Züge der Taten und immer wieder die Verbindung zu den Juden, für die ein Nachweis allerdings bis heute aussteht. Leather Apron, die Geschichte des jüdischen Verdächtigen und der Gegenüberstellung, trotz brillianter Recherche einiger Forumsteilnehmer (vor allem natürlich Lestrade und panopticon, ich hoffe alle anderen verzeihen mir diese Hervorhebung!) bleibt doch unter dem Strich wenig Substanz.
Fazit: Die Tendenz, die Morde zumindest propagandistisch zu antisemitischer (und damit auch antisozialischer) Diskreditierung zu nützen liegt klar auf dem Tisch, möglicherweise verbirgt sich dahinter auch ein Motiv.
Möglicherweise aber auch nicht...

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 20.07.2010 11:17 Uhr
Hallo KvN!

Natürlich sind die Fenians nicht außer acht zu lassen: Radikale Fenians nutzten in der Tat auch ähnliche Mittel wie der Mörder zu politischen Anschlägen, die aber in ihrem Fall klarerweise in erster Linie gegen England gerichtet waren. Man denke an den Mai 1882, als der damals neu ernannte Chief Secretary for Ireland Lord Frederick Cavendish und der Permanent Undersecretary Thomas Henry Burke mit einer Menge von Stichen mit Chirurgenmessern im Phoenix Park von Dublin brutalst erstochen wurden (http://en.wikipedia.org/wiki/Phoenix_Park_Murders). Verantwortlich für diese Tat waren letztlich die ´Irish National Invincibles´ (http://en.wikipedia.org/wiki/Irish_National_Invincibles), eine radikale Splittergruppe der Irish Republican Brotherhood. In etwa zur Zeit der Morde im East End, vom September 1888 bis November 1889  fand auch gerade die Parnell-Commission mit Bezug darauf statt, bei der sich allerdings letztlich ergab, dass sich die Briefe, in denen Charles Stewart Parnell die Morde gut geheißen haben soll, als Fälschung herausstellten (http://en.wikipedia.org/wiki/Parnell_Commission).

Im East End und gerade im Bereich, wo die Morde stattfanden, wohnten viele Iren gemeinsam mit Juden unter einem Dach oder Tür an Tür, was sicherlich auch zu Spannungen führte, aber generell saßen sie auch wiederum im gleichen Boot und konnten sich auch immer häufiger solidarisieren.

Die politischen und sozialen Entwicklungen gerade vom Bloody Sunday 1887 (http://en.wikipedia.org/wiki/Bloody_Sunday_(1887), über den London Matchgirls Strike 1888 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_matchgirls_strike_of_1888) bis hin zum Londoner Dock Strike 1889 (http://en.wikipedia.org/wiki/London_Dock_Strike_of_1889) sind auf jeden Fall mitzuberücksichtigen, und in fast allen Publikationen darüber wird ein ´Einschnitt´ in dieser Zeit erwähnt, der den Fokus der Öffentlichkeit etwas verschob - und das waren die Morde von ´Jack the Ripper´.


Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 20.07.2010 13:17 Uhr
Hab gerade meine message nochmal durchgeschaut, sollte natürlich "antisozialistisch" heissen...Man sollte vor dem 1. Kaffee eben nix schreiben...

Und jetzt stehen wir vor einer schwierigen Frage: Reden wir von einer medialen Verwertung oder von einem Tatmotiv? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen? Die Presse war ja von Anfang an sehr bemüht einen Serienmörder zu kreieren, schon nach Smith und Tabram. Nach dem Bloody Sunday war es für das Königreich nahezu überlebenswichtig, die Aufmerksamkeit von den sozialen Spannungen abzulenken, abgesehen von den anderen Problemen die ich in einem anderen Thread schon aufzählte... 
Nochmal zu den Fenians: Dass das letzte - und spektakulärste - Opfer Irin war (angeblich) ist wohl auch kein Zufall...Aber auch das muss mit Vorsicht genossen werden, wir wissen ja über die tatsächliche Identität von MJK so gut wie nichts.

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Lestrade am 20.07.2010 13:36 Uhr
Aus dieser Sicht, muss man MJK aufgrund ihrer irischen Herkunft, ganz besonders betrachten.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 20.07.2010 16:36 Uhr

Im Zuge der Fenian-Debatte mit Bezug auf den ´Jack the Ripper´-Fall rückten in den letzten Jahren schon mehrere Personen ins Rampenlicht. Auch einige Ermittler wie Anderson, Swanson und Monro, vor allem ersterer, können von den Fenians ja aufgrund ihrer Biografie jedenfalls ein Lied singen. Zur Diskussion stand da diesbezüglich, soweit ich informiert bin, auf jeden Fall schon Francis Tumblety und auch zu Joseph Fleming, Mary´s Ex, der ja angeblich 1892 ins Stone Asylum eingeliefert wurde, wollte man schon Connections ziehen. Die ´Kelly Family´ läge da natürlich auch auf der Hand: Niemand davon war scheinbar nach Mary´s Ermordung bei ihrer Beerdigung oder ist bis heute ermittelt (was an sich nicht verwunderlich ist, ´Kelly´ ist schließlich der zweithäufigste Familienname in Irland), ihr Vater suchte aber zu Lebzeiten im East End nach ihr, was Mary wohl erfolgreich zu verhindern suchte, wenn man Barnett´s Ausführungen glaubt. Ihr Bruder Henry besuchte sie wohl einmal. (Beide Infos aus ´the Star´ vom 12. November 1888) Wir kennen außer den beiden, also Mary´s Vater John und ihrem Bruder Henry, genannt ´John´ oder ´Johnto´ (vielleicht von ´John two´?) von den Scots Guards auch keine Namen von ihrer Familie, weder von Mutter und Schwester, noch von den anderen 5  Brüdern. (Insofern finde ich die Geschichte von diesem Jonas – siehe letztens in diesem Faden - ja schon irgendwie interessant...)

Ganz persönlich glaube ich ja nach wie vor eigentlich nicht, dass MJK von jemandem getötet wurde, mit dem sie in irgendeiner Relation stand, aber auszuschließen ist es ja auch wiederum nicht.... und dass sie wohl Irin war, muss man auf jeden Fall zumindest im Hinterkopf behalten.


Grüße,
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 21.07.2010 09:55 Uhr
Bezüglich MJK dreh ich mich im Kreis...Ich komme immer zum selben Punkt: Sie gehört zur Serie, aber die Tat hatte einen anderen Hintergrund, ein anderes Motiv.

Kurzer sidestep zum GSG:
Vor dem Hintergrund einer gezielten Diskriminierung kann sich noch eine andere Interpretation ergeben: Es macht schon Sinn, die Juden zu beschuldigen.

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Anirahtak am 30.07.2010 22:05 Uhr
Ich habe nochmal wegen der radikalen Fenians überlegt.

Wollte man nun die Ripper-Taten auf eine politisch motivierte, irische Gruppe "anwenden", stören mich zwei Dinge: Erstens die Opferauswahl. Gab es das jemals, dass politische Gruppen Attentate gezielt auf Zivilisten ausführen? (Ich beantworte mir die Frage gleich selbst, ja. Die RAF und die Landshut. Aber trotzdem erscheint es mir doch einigermaßen abwegig.)

Außerdem die Art und Weise. Soweit ich verstehe, wurde bei den Phoenix-Park-Morden zwar erstochen, aber nicht ausgeweidet. Man könnte einwenden, dass "nur" erstechen nicht weiter aufgefallen wäre bzw. keinen solchen Aufruhr verursacht hätte. Aber andererseits fällt es mir schwer, mir vorzustellen, wie die Fenians tagen und darüber brainstormen, wie man bei den Engländern mal richtig aufmischen könnte und irgendwer kommt dann auf die Idee: "Lasst uns doch Prostituierte ausweiden und ein paar Organe mitnehmen!" - "Ja genau, so machen wir das. Wer meldet sich freiwillig?" Also irgendwie, nee... Findet das irgendjemand vorstellbar? Oder anders gefragt, wie stellt ihr euch den Prozess vor, in dem man auf diesen Einfall gekommen sein könnte?

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass ein Einzelmitglied auf eigene Faust gehandelt hat. Aber dann wäre es für mich schon keine politisch motivierte Tat mehr (auch wenn er selbst das so gesehen haben könnte), sondern ein gestörter Mensch, der zufällig noch Mitglied in einer politischen Gruppe war.
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: panopticon am 31.07.2010 01:43 Uhr
Hallo Anirahtak!

Diverse Fenian-Theorien sind zum Teil schon recht ´verzwickt´ und bedürfen zudem doch einiges an Einarbeitung. Sie erscheinen zwar zum Teil natürlich abwegig, sind aber zumindest bei weitem nicht mit Theorien wie der so genannten ´Königlichen Verschwörung´ zu vergleichen, da sie nachweislich auf  damaligen Entwicklungen im Vereinten Königreich basieren.

Fakt ist auf jeden Fall, dass auch damalige radikale Gruppen, darunter eben auch Fenians, gerade was ihre Bomben- und Sprengstoffanschläge in London in den 1880er Jahren betraf, definitiv zivile Opfer in Kauf nahmen, die es dann tatsächlich auch gab, und dass einige ihrer Aktionen auch konkret gegen Scotland Yard selbst gerichtet waren. So als schneller Überblick eignet sich zum Beispiel diese Seite: http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_terrorist_incidents_in_London (siehe: 19th century), und hier was Konkretes über die so genannte (Fenian) ´Dynamite campain´ der Jahre 1865 – 1885: http://en.wikipedia.org/wiki/Fenian_Dynamite_Campaign

Die radikalen Fenianterrorgruppen stellten damals, was tatsächliche oder mögliche Anschlagsserien betraf, eines der Hauptprobleme der englischen Polizei dar, und gerade Ermittler wie Anderson und Monro waren in ihrer Biografie mehrfach mit deren Bekämpfung betraut - und Anderson kam sein Engagement gegen die Fenians noch 1910 fast teuer zu stehen – und zwar letztlich eben aufgrund der ´Parnell-Affäre´, die eben 1887 begann und die ab September 1888 von der Parnell Commission untersucht wurde. Genau zu dem Zeitpunkt also, als Scotland Yard eigentlich darauf achten musste, dass radikale Fenians nicht wieder zu Werke schritten, lenkte plötzlich ein irrer Serienkiller im East End, dessen Vorgehensweise nicht gerade auf ein politisches Motiv hindeutete, den Blick von den Fenians doch einigermaßen ab und machte die englische Polizei gerade dadurch, dass sie in diesem Fall letztlich versagte, sogar weltweit lächerlich. Eine  recht interessante Abhandlung darüber, gerade was Anderson, Monro und auch das ´Secret Department´ betrifft, findet sich online zum Beispiel hier: http://www.casebook.org/dissertations/ws-dublincastle.html

Ich persönlich finde die Vorstellung, dass hier eigentlich Fenians zu Werk schritten (im Gegensatz zu anderen politischen Motiven, wie Judenfeindlichkeit!), auch nicht wahrscheinlich, und Dein Argument, dass hier dann wohl zumindest maximal nur eine kleine Gruppe oder gar Einzelperson ´zu Werke schritt´, sehr plausibel. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie man so etwas dann ´geplant´ hätte, und dass Fenians gezielt gegen mittellose Frauen vorgegangen wären,...aber ganz auszuschließen ist es eben nicht, und daher sicher mal eine Erwähnung wert, und wie hat Sir Charles Warren schließlich später mal über die Mordserie gesagt: ´Ich sehe diese Serie von Morden als einzigartig in der Geschichte unseres Landes an.´ Was er damit genau gemeint hat, wird wohl auf ewig sein Geheimnis bleiben...


Grüße
panopticon
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: KvN am 31.07.2010 09:51 Uhr
Ich darf mich anschließen, auch ich bin in Bezug auf die Fenian - Theorien recht skeptisch...Von unvorstellbar würde ich aber bei weitem nicht sprechen, da gab es in der Geschichte noch ganz andere Beispiele von Aktionen politischer Gruppierungen gegen zivile Ziele (Oktoberfest, Bahnhof von Bologna, 11 September - wer hier auch immer der Urheber gewesen sein mag, eine politische Aktion war es in jedem Fall - ...). Und die propagandistische Komponente kann man dem Fall JtR wohl nicht absprechen. Aber dazu später...

Grüße
Titel: Re: Jack the Ripper - Pure Fiktion?
Beitrag von: Anirahtak am 31.07.2010 15:10 Uhr
Hallo miteinander.

Alles zur Kenntnis genommen.

Du sagst es, KvN, "ganz andere". Es besteht meines Erachtens ein Unterschied, ob Brandsätze, Bomben usw. gelegt werden, die zivile Ziele treffen oder ob ein Terrorist jeweils eine einzelne zivile Person "per Hand" angreift. Letzteres erscheint mir bezüglich Zivilisten abwegig. Nun soll dies bei den Ripper-Taten dann ja zur Strategie gehört haben. Nur kann ich mir nicht erklären, wie man auf diese Strategie gekommen sein soll (siehe oben). Und nicht nur einzelne Zivilisten zu töten, sondern sie auch auszuweiden und Organe mitzunehmen. Das ist ein krankhafter Aspekt, der über bloße Gewaltbereitschaft hinausgeht.

Aber ich will niemandem die Denkbarkeit dieser Variante ausreden, halte sie selbst aber für extrem gering.

Grüße