Autor Thema: Ein Polizist als Tatzeuge?  (Gelesen 33064 mal)

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Offline panopticon

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Re: Ein Polizist als Tatzeuge?
« Antwort #30 am: 04.09.2010 14:58 Uhr »
Hi.

Einmal muss ich jetzt als Antwort doch noch off-topic werden! ;) Also zunächst einmal wissen wir nicht, wer Elisabeth Stride getötet hat, und ob diese Person/en in irgendwelchen eventuellen weiteren Vorhaben mit der Toten ´gestört´ wurde/n, geschweige denn in dieser Nacht nochmals zuschlug/en. Zudem ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass Familien damals in dieser Gegend nahe beieinander wohnten, und dadurch auch nicht, dass man bestimmte Namen in einer Gegend, die relativ vermehrt von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften (wie zum Beispiel dem Judentum oder dem katholischen Christentum) oder bestimmter Herkunftsländer (wie zum Beispiel Polen oder Irland) besiedelt wurde, häufiger vorfand, schon gar nicht, wenn es sich um relativ häufige Namen handelte (wie Levy oder Kelly zum Beispiel). Dass viele Personen mit gleichem oder ähnlichem Hintergrund auch in der gleichen Berufsbranche arbeiteten, und bestimmte Gegenden dadurch für bestimmte Branchen bekannt waren, ist damit ebenso begründbar. Es gibt da sehr interessante Bücher zu diesem Thema, die die demografische und soziokulturelle Entwicklung des East Ends und die Gründe dafür sehr gut aufzeigen. Verwunderlich wäre wohl hingegen eher, wenn Joseph Hyam Levy Angst vor der eigenen Familie gehabt hätte. Egal welchen der Heimwege Levy genommen hätte – im Prinzip lief es auch bezüglich der Distanz ziemlich auf´s Gleiche hinaus, und warum er sich scheinbar für den Heimweg über Aldgate entschied, wird sich nicht zweifelsfrei klären lassen. Wenn Du Dir die Tatorte der K5-Morde im Verhältnis zueinander ansiehst (ob nun mit Stride oder ohne), wirst Du feststellen, dass es vielmehr danach aussieht, als wären sie von einer gewissen zentralen Gegend heraus (ob der Täter dort nun einen persönlichen Ankerpunkt hatte oder einen Verkehrsknotenpunkt nutzte, sei hier mal dahin gestellt) aufgrund ihrer Himmelrichtung und der besonderen Eignung für Prostitution gewählt worden. Es sieht zumindest nicht wirklich danach aus, als ob hier irgendjemand aus der Gegend Mitre Square heraus mordete. Dass sich in der Umgebung der einzelnen Tatorte (und auch deren Zentrum und dazwischen) jeweils ganz bestimmte Familien finden ließen, ist aus obigen Gründen eben auch nicht sonderlich merkwürdig. Dass in vielen dieser Familien in dieser Gegend psychisch Kranke anzutreffen waren, ebenso nicht. Insgesamt ist also vieles, das in diesem Fall auf den ersten Blick aus heutiger Sicht wie merkwürdiger Zufall aussieht, im Grunde demografisch, historisch und soziologisch begründbar, und es wäre wohl nicht allzu schwer, mit Hilfe der damaligen Polizei-, Einwohner- und Anstaltsakten noch ein paar Personen ins Rampenlicht zu bringen, die bisher noch von niemandem genannt wurden, vielen Betrachtern als Täter sehr plausibel vorkommen würden, aber im Grunde nur zurechtkonstruiert sind. Hyams scheint mir genau so ein Fall zu sein. Die Schuld an dieser Entwicklung liegt in erster Linie ziemlich klar bei Personen wie Anderson, wie übrigens u.a. auch DI Edmund Reid empfand und öffentlich äußerte, wie Du u.a. auch dem Buch über ihn entnehmen wirst. Damit aber nun endgültig zurück zum eigentlichen Thema!


Liebe Grüße,
panopticon

Offline Lestrade

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Re: Ein Polizist als Tatzeuge?
« Antwort #31 am: 04.09.2010 15:46 Uhr »
Hallo!

Ich habe nicht gesagt, das der Täter vom Mitre Square heraus operierte. Sollte er am Tod von Stride verantwortlich gewesen sein, dann wanderte er, um es mal verständlicher auszudrücken, von der Berner Street zur Great Synagogue in die Duke Street. Fällt wahrscheinlich jedem Serienkiller spontan ein. Die Schuld bei Anderson? Hast du mal daran gedacht, das dieser schuldige Anderson, vielleicht das Leben einiger Frauen gerettet haben könnte? So wie ich mir die Namen zurechtlege, genauso kann man sie auch beiseite tun. Das ist nichts anderes als dem Ex- Polizeimitglied Morris die Schuld zu geben, weil er sich im Mitre Square befand oder einem Angehöriger von Cutbush die Ripper- Morde zuzuschieben, weil er Frauen in den Po piekste. Die demografische und soziokulturelle Struktur, ist ja eben mit eine der Grundlagen, die ganze Sache besser zu verstehen. Oder suchst du an einem Ort wo keiner den anderen kennt und alle anonym sind? In solchen Strukturen war der Täter zu Hause. Da lebte er und nicht zusammen mit dem Mann im und auf dem Mond. Worauf willst du hinaus? Er lebte unter Menschen, da wo er hineingeboren wurde, sein Schicksal seinen Lauf nahm. Er hatte Eltern, weitere Vorfahren, Nachbarn, Kollegen, vielleicht Geschwister, Bekannte, einen Dach über den Kopf, eine Adresse. Auch er war ein Mensch (ohne viel menschliches in der Tat), der atmete, gegessen hatte und auf´s Klo ging. Er war Teil der Entwicklung und des Vorhandenseins deiner demografischen und soziokulturellen Erwähnungen. Du klingst da heute sehr paradox. Einmal ist das alles da und einmal spielt es dabei aber auch keine Rolle. Für Anderson schien es jedoch eine Rolle zu spielen. Während die meisten sich zurückhielten, sagte er aber mit Nachdruck seine Meinung. Das er wußte wer Jack the Ripper war. Wir wissen heute, das dieser Anderson- Verdächtige "identifiziert" wurde und das dieser Mann auch von einem PC nahe Mitre Square, zumindest von seiner äußeren Erscheinung her, wiedererkannt wurde. Damit wären wir ja auch wieder beim Thema. PC Watkins ist über die Leiche gestolpert und er holte sich sofort Hilfe bei Morris. Vom Zeitablauf wissen wir, das er und der Ripper sich sehr nahegekommen sein müssen. Bleibt natürlich noch PC Harvey übrig. Da wäre es genauso möglich, das sie sich nahe kamen. Kommt darauf an, wie der Ripper flüchtete. Harvey will aber keinen gesehen oder etwas gehört haben.

Gruß.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline panopticon

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Re: Ein Polizist als Tatzeuge?
« Antwort #32 am: 08.09.2010 16:36 Uhr »
Lieber Lestrade!

Die soziokulturellen und demografischen Strukturen sind (neben einigen weiteren!) in der Tat sehr wichtig (und Du hast lobenswerterweise ja schon einiges dazu beigetragen, sie – zumindest was die Mordviertel betrifft - einigermaßen zu vermitteln, wenngleich vielleicht auch nicht immer an passender Stelle). Wie der von mir verwendete Plural jedoch schon andeutet, unterscheiden sich diesbezüglich nicht nur rurale und urbane Gebiete, sondern auch Stadtteile, Viertel und sogar einzelne Straßen innerhalb eines Viertels voneinander. Da wir den Mörder nicht kennen, lässt sich insofern auch nicht sagen, wie die Strukturen nun genau aussahen, deren ´Teil´ er war, obgleich man sein Verhalten (zum Beispiel bezüglich der Tatortwahl) im East End (bzw in dem von ihm aufgesuchten Bereich des East Ends und, im Fall Eddowes, auch im angrenzenden Teil der City) diesbezüglich durchaus näher untersuchen und diskutieren könnte. (Allerdings in einem anderen Faden, und da dies ein mit dem Fall in Verbindung stehendes Gebiet ist, auf dem ich alles andere als ein Laie bin, würde ich dort dann sicher nicht argumentieren, dass es anzunehmen wäre, dass der Täter am Mond wohnte oder aufwuchs, wie Du das angedeutet hast! >:()

Anderson´s reichlich unprofessionelle, öffentliche Äußerungen ohne Beweisführung sind zudem nicht einfach so als bare Münze zu nehmen – es gibt genug Ereignisse in seiner Biografie, die ihn nicht gerade sonderlich glaubwürdig erscheinen lassen. Das ist keine subjektive Meinung von mir, sondern Fakt, gehört aber natürlich eigentlich auch ins Anderson-Board.

Dass man in den Blocks rund um St Botolphs, der so genannten ´Chuch of Prostitutes´ (innerhalb derer sich auch die Duke Street befindet), Prostituierte fand, wäre auch einem Serienkiller eingefallen - das kann man auch gerne an anderer Stelle (!) weiterdiskutieren. (Und die Synagoge dort ist natürlich auch nicht außer Acht zu lassen.) Wenn man davon ausgeht, dass Macnaghten die Fälle Stride und Eddowes (oder auch Eddowes und Coles) in der inoffiziellen Version seines Memorandums nicht verwechselt hat (was von der Tatsache, dass die offizielle Version letztlich anders formuliert war, allerdings nicht gerade unterstützt wird), könnte folglich im Grunde jeder PC, der im Umfeld der Kirche in der Nähe des Mitre Squares Dienst hatte, in Frage kommen, den Täter tatsächlich gesehen zu haben, ganz egal, woher dieser gerade kam. Womit wir in der Tat wieder beim Thema wären. Um hier auch konstruktiv anzuschließen, wäre dementsprechend natürlich zum Beispiel die Frage interessant, von welchen PCs man noch weiß, dass sie in dieser Nacht in diesem Bereich ihren Dienst verrichteten, und ob irgendwelche Äußerungen von diesen bekannt sind... Geflüchtet ist der Täter wohl scheinbar über die Goulston Street...


Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 08.09.2010 17:34 Uhr von panopticon »

Offline Lestrade

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Re: Ein Polizist als Tatzeuge?
« Antwort #33 am: 08.09.2010 20:53 Uhr »
Geschätzter panopticon!

Ich zweifle in keinster Weise, deine bewiesene Kapazität im Fall Jack the Ripper an. Da bist du mit Sicherheit, eine gerne gelesene Größe auf deutschsprachigen Gebiet. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, das ich mich nicht über jeden Beitrag von dir freue. Für mich ist es manchmal schwierig, mich nur strikt zu einem Faden- Thema zu äußern, weil ich der Meinung bin, viele Dinge im größeren Zusammenhang sehen zu müssen. Eine Unterteilung in Kategorien, ist in jedem Falle logisch und natürlich, auch hier im Forum. In jeden Posting dann aber auf zehn andere Fäden hinweisen zu müssen, empfinde ich oftmals als nervig, wenn auch zugegebenermaßen manchmal eben auch sinnvoll und notwendig. Ich halte mich ja schon zurück. Nicht mal die Hälfte hier bringen zu können, was ich eigentlich zu den einzelnen Angelegenheiten denke, ist schon schwierig genug aber das ist mein Problem. Nach wie vor denke ich aber, das es hier, in diesem Forum, sehr gut läuft so wie es läuft. Themen werden sich immer und immer wiederholen. Ausnahmen gibt es eben oder sollen wir jetzt ein panopticon diskutiert mit Lestrade Thread aufmachen? Du bist eben der Meinung, alles haarklein kategorisieren und katalogisieren zu müssen und ich habe eben eine anderes Ordnungssystem. Keines davon ist falsch, sie sind eben nur unterschiedlich. Zusammen würden wir wahrscheinlich ein gutes Ermittlerteam abgeben. Eben aufgrund unserer unterschiedlichen Methoden. Es ist wohl eine Art Scotland Yard- Holmes Syndrom. Leben wir damit, es gibt schlimmeres. Mehr wie deine Vorgehensweise zu akzeptieren und ehrlich gesagt auch zu bewundern, kann ich nicht tun. Verletzten würde ich dich niemals mit Absicht...

Anderson ist bekannt. Aber alles falsch gemacht haben kann er auch nicht. Immerhin war er lange auf einer wichtigen Position bei der MET. Das er sich hier und da auf unschöne Weise geäußert hatte, ist auch eine Tatsache, die auch ich mißbillige. Aber du wärst vielleicht auch sauer, wenn du jemanden nicht seiner gerechten Strafe zuführen könntest, nur weil sein Umfeld es zu verhindern weiß. Und dir deine Hände gebunden wären. Okay, du würdest es vielleicht nur auf diese, ganz bestimmten Personen beziehen und nicht auf eine ganze Bevölkerungsgruppe aber Anderson war da eben anders. Menschen sind so. Solchen Charakterzug zu besitzen, macht sie vielleicht nicht gerade sympathisch aber deswegen sind sie ja auch keine Volltrottel. Die Vorhandene Skepsis bei Swanson oder Macnaughten ist mir auch nicht entgangen. Auch wenn Swanson die Identifizierung beschreibt und er wohl stark annahm, das dieser Mann tatsächlich der Ripper war. Euphorie sieht anders aus. Macnaughten seine "many circs" sind ja nun auch nicht gerade etwas, was man als Lösung ansehen darf. Trotzdem gab es diesen Mann, es gab das Seaside Home und jemanden der weggesperrt wurde. Vielleicht gleicht sich das auch mit Sagar´s Mann. Anderson war jedoch von dessen Schuld überzeugt. Wie dies und alles andere im einzelnen aussah, wissen wir nicht. Das er bestimmte Anteile der Bevölkerung nicht ausstehen konnte, schließt nicht automatisch aus, das der Täter tatsächlich aus dieser kam. Genug Verrückte rannten auch von ihnen durch Whitechapel, bewiesenermaßen.

Trotz unserer Diskussion hier, bleibt doch alles offen. Spekulation für und in jede Richtung. Klärung ist nach wie vor gefragt. Niemand kann ja nachvollziehen oder beweisen, das er Anderson- Verdächtige nicht der Täter war. Genauso kann man nicht das Gegenteil beweisen. Ich konzentriere mich eben auf den Seaside- Typen. Ich fühle mich damit einfach besser als einen vergifteten Mann, der selber Opfer wurde, als den Ripper zu verdächtigen oder einen Bildermaler, der zur Zeit der Mordserie, Briefe aus Frankreich schriebt, nachdem er vom Baden kam. Legitim, wie ich finde...

Um hier auch konstruktiv anzuschließen, wäre dementsprechend natürlich zum Beispiel die Frage interessant, von welchen PCs man noch weiß, dass sie in dieser Nacht in diesem Bereich ihren Dienst verrichteten, und ob irgendwelche Äußerungen von diesen bekannt sind... Geflüchtet ist der Täter wohl scheinbar über die Goulston Street...

Eben panopticon. Ich kann nur Watkins und Harvey anführen. Aber wer weiß, ob wir mit ihnen richtig liegen.

Hochachtungsvoll,

Lestrade.
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