Autor Thema: Zur Auswanderung russischer Juden  (Gelesen 5876 mal)

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Zur Auswanderung russischer Juden
« am: 02.03.2017 16:30 Uhr »
Norddeutsche allgemeine Zeitung (Berlin)
Friday, 27 November 1891
Morgen-Ausgabe

Aus Berlin
Einer längeren Zuschrift des "Deutschen Zentralkomites für die russischen Juden" entnehmen wir Folgendes: Die Ansicht, der Durchzug russischer Auswanderer durch Deutschland habe seit Monaten völlig oder doch fast ganz aufgehört, ist in den weitesten Kreisen verbreitet. Leider ist das Gegentheil richtig. Nie vorher war die Zahl der Hülfesuchenden so groß, wie im Sommer und Herbst dieses Jahres. Wenn sich der Durchzug gleichwohl so völlig geräuschlos vollzieht, so ist dies die Frucht der vom hiesigen "Deutschen Zentralkomite für die russischen Juden" geschaffenen Organisation, welche sich als vollkommen zweckdienlich bewährt hat. Die längst der russischen Grenze eingerichteten Sichtungskomites nehmen die Auswanderer in Empfang; wer auf eigene Kosten reist, wird mit Rath bezüglich der Reiseroute und des Auswanderungszieles unterstützt. Jene Auswanderer hingegen, welche Unterstützung beanspruchen, werden einer Sichtung unterzogen. Befördert wird nur, wer sich als bedürftig und durch Regierungsmaßregeln betroffen ausweisen kann und von dem anzunehmen ist, daß er im fremden Lande sich selbst werde ernähren können. Diese Gesichteten werden rasch durch Deutschland geführt und in den Hafenstädten eingeschifft; auf der Durchreise ist überall für ihre Beköstigung Sorge getragen. (Der Berliner Auswanderer-Bahnhof ist nun bekanntlich in Ruhleben.) Die nicht zur Auswanderung Geeigneten werden zur Rückkehr nach Rußland veranlaßt, die ihnen soweit als nöthig erleichtert wird. Vom Juni bis jetzt sind rund 40000 Auswanderer befördert worden, die allermeisten nach Nord- und Südamerika, die anderen nach Australien; nach europäischen Ländern wird seitens des "Zentralkomites" Niemand gesendet. Von diesen 40000 sind rund 15000 ausschließlich auf Kosten des Komites befördert worden. Auch die preußische Regierung hat das ebenso humanitaire, wie gemeinnützige Wirken des "Zentralkomites" dadurch anerkannt, daß sie dasselbe durch Gewährung von Fahrpreis-Ermäßigungen für seine Schützlinge u.s.w. unterstützte. Da die großen Mittel, deren das Zentralkomite bisher zu dieser Hülfsaktion bedurfte, nahezu erschöpft sind und trotz des Eintritts der kalten Jahreszeit der Andrang an den Grenzen fortwährt, wird das Komite demnächst wohl in die Nothwendigkeit versetzt sein, auch öffentlich Beiträge für seine Zwecke zu erbitten.