Autor Thema: Cesare Lombroso und der geborene Verbrecher  (Gelesen 6682 mal)

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Andromeda1933

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Cesare Lombroso und der geborene Verbrecher
« am: 13.05.2013 15:23 Uhr »
http://www.museounito.it/lombroso/

Sein Buch "Der Verbrecher" kann hier downloaden:  https://ia700302.us.archive.org/5/items/derverbrecherho00lombgoog/derverbrecherho00lombgoog.pdf


Der geborene Verbrecher, gestern und heute
Zeit seines Lebens suchte der Psychiater Cesare Lombroso nach biologischen Ursachen, die Menschen zu Kriminellen werden lassen. Über 100 Jahre nach seinem Tod begeben sich Wissenschaftler auf die Suche nach den Spuren, die der "Vater der Kriminologie" hinterlassen hat. Sie wurden in den Neurowissenschaften fündig.
Kategorie: Kriminologie Erstellt am 05.01.2011.
Jüdische Referenz für die Nazis
Eine bestimmte Schädelform, zusammengewachsene Augenbrauen, oder Tätowierungen am ganzen Körper: Sind das Indizien, die auf einen Verbrecher hindeuten? Solche aus heutiger Sicht absurde Thesen veranlassten die Nationalsozialisten, während des Dritten Reichs bei vermeintlich Geisteskranken Zwangssterilisationen durchzuführen.
Cesare Lombroso studierte Medizin in Padua, Wien und Paris. Er gilt als Begründer der Positiven Schule der Kriminologie, die im 19. Jahrhundert dafür sorgte, dass sich zunehmend Naturwissenschaftler - insbesondere Mediziner, Biologen und Anthropologen - mit Kriminalität beschäftigten.
Workshop zu Lombroso in Wien
Im Dezember diskutierten internationale Forscher zwei Tage lang zum Thema "Was Lombroso Right? The historical legacy of Neuroscience" an der Universität Wien.
Dabei beriefen sie sich auf einen Mann, der Jude, Sozialist und vor allem einer war, der aus einer völlig anderen Intuition heraus handelte: Der italienische Psychiater Cesare Lombroso wollte die Kriminologie reformieren.
"Er hat versucht, Kriminalität zu versachlichen und zu objektivieren, und suchte dabei nach körperlichen Ursachen, die für das Begehen eines Verbrechens verantwortlich sind", erklärt Peter Becker,
Historiker am Wiener Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie gegenüber science.ORF.at. Er initiierte vor kurzem einen Workshop an der Universität Wien, der sich mit Lombrosos Leben, Wirken und seinem Einfluss auf die Nachwelt beschäftigt hat.
Verbrecher als tickende Zeitbomben
Der Psychiater beobachtete Häftlinge, untersuchte Schädelformen, und erstellte unzählige Statistiken. 1876 veröffentlichte er das Buch "Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung" und versuchte damit, Kriminalität als Folge von angeborenen Eigenschaften zu erklären. Er war davon überzeugt, dass es den geborenen Verbrecher gab - und dass sein Schicksal biologisch vorherbestimmt war.
Der Psychiater ging davon aus, dass unveränderliche Gesetze die Gesellschaft mehr lenken, als geschriebene Gesetze. "Er glaubte, dass Menschen aufgrund einer körperlichen Veranlagung zum Verbrecher werden. Zwar musste nicht jeder gleich zum Serienmörder werden, aber eine tickende Zeitbombe war er für Lombroso allemal", so der Historiker Becker.
Provokante Thesen

Lombroso untersuchte die Schädel von Verbrechern und vermutete, dass z.B. ein ausgeprägtes Unterkiefer auf verstärkte Gewaltbereitschaft hinweisen könnte.
Mit seinen heute kurios anmutenden Untersuchungen erregte Lombroso schon zu Lebzeiten internationale Aufmerksamkeit. Bald nach der Veröffentlichung seines Buchs folgten Gegenreaktionen.
Ein amerikanischer Anthropologe schrieb 1898: "Bis vor kurzem haben wir Ohrläppchen und Fingernägel in der Annahme untersucht, ein Stigmata, das auf einen Verbrecher hinweist, zu finden. Es hat sich aber schnell herausgestellt, dass es eine Illusion ist - denn die Verbrecher unterschieden sich biologisch nicht von den Geschworenen und Richtern."
Vor allem Vertreter der Psychoanalyse und US-Soziologen der 1930er Jahre lehnten Lombrosos Thesen ab. Bis heute gehen Soziologen davon aus, dass Umwelt und psychische Verfassung eine wesentliche Rolle bei Kriminellen spielen.
Skizze eines Tätowierten

Lombroso fertigte akribisch Skizzen von Häftlingen an. Er vermutete, dass Tätowierungen ein deutlicher Hinweis auf Kriminalität waren, da seiner Auffassung nach ausschließlich Verbrecher und "Wilde" diese Körperbemalungen hatten. Dieser zutiefst bürgerliche wissenschaftliche Zugang ist natürlich ein Fehlschluss.
Kriminalbiologie im Wandel der Zeit
Im Laufe der Jahrzehnte gab es immer wieder den Zugang, Verbrechen biologisch - und somit im Geiste Lombrosos - erklären zu wollen: In den 1960er Jahren entdeckte beispielsweise die englische Genetikerin Patricia Jacobs, dass ein großer Anteil der Insassen einer schottischen Haftanstalt ein zweites Y-Chromosom hatte. Die Häftlinge waren überdurchschnittlich groß und weniger intelligent; die Idee, dass ein Mann mit diesem "Mörderchromosom" ein aggressiveres Verhalten an den Tag legt, war geboren, wurde aber auch bald wieder verworfen.
Auch in den 1990er Jahren versuchten Wissenschaftler, Gewalt kriminalbiologisch festzumachen: Mehrere Männer einer Großfamilie in den Niederlanden fielen durch Gewaltverbrechen auf, und Forscher stellten fest, dass sie eine bestimmte Gehirnsubstanz nicht wie üblich über Urin ausscheiden.
Die Wissenschaftler gingen deshalb davon aus, dass hier der Schlüssel zur Erklärung von Gewaltbereitschaft lag. Allerdings konnte auch dieses Ergebnis bald widerlegt werden, da es mehr Gewalttäter ohne als mit dieser Substanz gab.
Mit Facebook gegen Lombroso
Bis heute wird über den Einfluss und die Arbeit des Psychiaters kontrovers diskutiert: Im Museum of Criminal Anthropology in Turin sind dutzende Skelette süditalienischer Räuber zu sehen, die Lombroso Zeit seines Lebens gesammelt hat.
Manche meinen jedoch, dass diese Männer Opfer der Savoyer waren, und interpretieren die Eröffnung des Museums als einen Versuch, die Menschen in Süditalien zu kriminalisieren.
Sie gründeten sogar eine Facebook Gruppe, die eine sofortige Schließung des Museums forderte. Es sind also nicht nur Experten, die über Kuriosität und Einfluss des Italieners streiten. Lombroso erhitzt auch jetzt noch in der Öffentlichkeit die Gemüter.
Comeback in den Neurowissenschaften
Die Zeiten, in denen Kriminologen Verbrecher anhand ihrer Tätowierungen oder Fingernägel zu identifizieren versuchen, sind längst vorbei. "Biologische Erklärungsversuche kommen in den letzten Jahren aber wieder in Mode", zeigt sich Becker überzeugt.
Er hat Lombrosos methodische Spuren in den Neurowissenschaften wiederentdeckt: "In den USA arbeiten Richter bereits mit Neurowissenschaftlern zusammen, um mögliche biologische Ursachen für das Vergehen von Verbrechen zu finden: Krankhafte Veränderungen im Gehirn oder neurochemische Fehlentwicklungen können die Erklärung für das Begehen eines Verbrechens sein." Psychopathen fehlt oft die Fähigkeit zur Empathie, d.h. sie kennen kein Mitgefühl und es mangelt ihnen an Sensibilität.
"Die Neurowissenschaften wollen neue Einblicke geben, was jemanden dazu veranlasst, eine Gewalttat zu begehen", meint Becker. Es ist also die empirische Methode und der Anspruch auf Objektivität, die Lombroso mit der neurowissenschaftlichen Forschung verbindet.
"Heute sagen viele, dass sein Ansatz gut war, auch wenn er mit falschen Mitteln arbeitete. Manche glauben jetzt, dass es mit den neuen technischen Möglichkeiten besser klappt. Das ist eine Art, um die Geschichte von Lombroso zu nutzen, aber auch, um sich von Fehlentwicklungen, wie es sie im Dritten Reich gab, abzugrenzen."
Christine Baumgartner, science.ORF.at