Autor Thema: Einwanderung im 19. Jhd.  (Gelesen 15345 mal)

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Offline Anirahtak

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Einwanderung im 19. Jhd.
« am: 13.11.2010 00:24 Uhr »
In diesem JTR-Fall kommen ja immer wieder Personen mit "Migrationshintergrund" vor, bspw. Israel Schwartz oder Elisabeth Stride, sowie auch andere aus Ländern, die nicht zum Empire gehörten. Nun frage ich mich, ob es im 19. Jahrhundert für jeden möglich war, "einfach so" nach Großbritannien einzuwandern oder gab es dazu Bestimmungen?

Offline panopticon

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #1 am: 14.11.2010 01:13 Uhr »
Hallo Anirahtak!

Vor dem ´Alien Act´ 1905 (http://en.wikipedia.org/wiki/Aliens_Act_1905) gab es (meines Wissens nach) an sich keine klaren Gesetze bezüglich Immigration in Großbritannien. Das 19. Jahrhundert war ja das Jahrhundert der Industrialisierung und Urbanisierung – gerade in Großbritannien, und während viele Briten in die USA auswanderten, zog auch das vereinigte Königreich viele Immigranten aus anderen Ländern an, was u.a. gerade im Frühjahr und Sommer 1888 sehr intensiv diskutiert wurde, weshalb ich die Ereignisse bis dahin - vor allem aber die von 1888, die ich als sehr wichtig erachte - mal etwas näher skizziere:

Es gab aber davor im Laufe der Geschichte Ausnahmen: Unter Edward I. beispielsweise wurden 1290 die Juden aus England vertrieben und die Ausübung dieser Religion untersagt. Oliver Cromwell hatte erst 1656 wieder die Ansiedelung von Juden und die Praktizierung des jüdischen Glaubens in England erlaubt, was uns direkt nach Whitechapel und Spitalfields, sogar konkret ins Jahr 1888  und in Folge auch bis zum ´Alien Act´ von 1905 führt. Seit Cromwell gab es also eine stetige jüdische Zuwanderung (mit Ausnahme der Zeit des Krieges mit Frankreich (Koalitionskriege), ab 1830 aber wieder stärker). Die jüdische Gemeinde siedelte sich ursprünglich außerhalb der City vor der alten Stadtmauer, genauer dem Aldgate, dem ´Alten Tor´ an – Also eben in den Bereichen Spitalfields und Whitechapel. (Wie bereits anderswo erwähnt, kam die ehemalige hugenottische Bausubstanz in diesem Bereich ihren Berufen – zumeist in der Textilbranche (Schneider, Schuhmacher,...) – sehr entgegen.) Das ursprüngliche Judenviertel war ziemlich genau der Bereich zwischen Aldgate / Bishopsgate Station (also nahe des Mitre Square) im Westen, Buxton Street (das ist die nächste Parallele zur Hanbury Street) im Norden, Brady Street im Osten (das ist die Straße, in die die Buck´s Row verläuft) und der Whitechapel High Street / Whitechapel Road (das ist die Straße, die der Ripper, sofern er dafür verantwortlich war, nur im Fall Stride ´überschritt´) im Süden. (Man könnte also sagen, dass das Zentrum des ursprünglichen Judenviertels gleichzeitig das Zentrum der Mordserie darstellte, bzw, dass das Judenviertel letztlich bereits seit dem Mord an Eddowes ringsum von bestialisch verstümmelten Toten ´flankiert´, um nicht zu sagen regelrecht ´markiert´ wurde, was nachweislich auch den Ermittlern, allen voran Sir Charles Warren, auffiel – Mehrere Angehörige des damaligen Polizeiapparates äußerten nach der Nacht des ´Double Events´ irgendwie direkt oder indirekt, dass es den Eindruck mache, man wolle sie mit der Mordserie scheinbar auf die jüdische Gemeinde oder Ausländer und eventuell Sozialisten hetzen. In meinen Augen hatten die Ermittler damit wohl recht, denn die ´Auswahl´ des Ripper-Territoriums ist gerade zu dieser Zeit (siehe weiter unten) schon bemerkenswert und Prostituierte waren auch in den anderen Stadtteilen Londons zu finden, vor allem im übrigen Bereich des East Ends, nicht nur in dem abschätzig oftmals als ´Little Jerusalem´ bezeichneten Bereich in Whitechapel (inklusive Spitalfields), in dem der Ripper des Nächtens letztlich umging.) Durch die enorme Zuwanderung jüdischer Immigranten in den 1870er und 1880er Jahren vor allem aus Polen, Deutschland, den Niederlanden und Russland (bei letzterem gab es in den 1880er Jahren ja die Pogrome) expandierte die jüdische Bevölkerung aber allmählich auch in die angrenzenden Teile der City im Westen, bis Mile End im Osten und bis maximal ´the Highway´ im Süden. Nicht alle jüdischen Zuwanderer entflohen Kontinentaleuropa nur wegen der perversen, ihnen dort entgegengebrachten Feindlichkeit – Viele hofften, der Armut generell zu entkommen – wie auch viele Personen anderen Glaubens und anderer Herkunft (siehe Elisabeth Stride) und wurden von den bereits in London angesiedelten ´Religions- oder Herkunftskollegen´ auch oftmals ´erstversorgt´. Wie multikulturell Whitechapel (inklusive Spitalfields) damals war, wurde gerade an Wochenenden und Feiertagen merklich, wenn sich auf den Straßen Menschen aus allen Ländern tummelten und die Märkte (wie der Petticoat Lane Market in der Middlesex -, Wentworth – und Goulston Street) geöffnet hatten. Darüber gibt es hochinteressante Berichte. Dass die meisten neuen Zuwanderer aber jedenfalls mittellos, und die Verhältnisse gerade im East End katastrophal waren, ist ja bekannt.

Politische Entwicklungen 1888: Vielen Briten war der extreme Zuzug ein Dorn im Auge und manche Medien hetzten schon seit langer Zeit gegen Zuwanderer, vor allem gegen Juden. Gerade im Frühjahr und Sommer 1888 keimte die Debatte über Zuwanderung und eine Verschärfung der (wohl eigentlich kaum vorhandenen) betreffenden Gesetze sehr heftig auf. Es gab im House of Commons jedenfalls wohl ein ´Select Committee on Emigration and Immigration (Foreigners)´, das für die Zuwanderung zuständig war, und das gemeinsam mit dem ´Lord´s Sweating Committee´ Befragungen und damit verbundene, heftige Debatten bis kurz vor der Mordserie (genauer bis Ende Juli 1888) unter anderem darüber führte, ob man jüdische und andere Zuwanderer nicht generell als ´soziale Bedrohung für die Nation´ betrachten sollte – und diese Debatte wurde teilweise mit äußerst dubiosen und skurrilen Mitteln geführt  – So ließen strikte Einwanderungsgegner, allen voran Arnold White (http://en.wikipedia.org/wiki/Arnold_White) pikanterweise extra über einen Agenten namens Levy  engagierte, bewusst noch viel heruntergekommener und geistig verwahrlost wirkende (!) Juden aus dem East End (die mit der Unterstützung zur Ausreise in die USA oder Rückreise in ihr Heimatland und weiterer Unterstützung geködert wurden) vor dem Lord´s Committee antanzen, um die ´Degeneriertheit´ von Zuwanderern ´unter Beweis zu stellen´, Levy gestand den Schwindel schließlich, und es scheint, dass White noch mehr antijüdisch veranlagt war, als ohnedies schon rein fremdenfeindlich. (In einem Artikel in der Times hatte White zuvor unter der Überschrift ´England den Engländern´um Erlaubnis gebeten, durch den Artikel quasi ´einen Schuss auf die verarmten Ausländer abgeben zu dürfen´. (Die Times dürfte keine Probleme mit provokativen Artikeln gehabt haben – sie war es auch, die ein Jahr zuvor die merkwürdigen, von Dr. Robert Anderson verfassten Artikel abdruckte, mit denen dieser ja eindeutig eine Verbindung von Parnell und Amerikanischen Fenians assoziieren wollte.) Auch der Lipski-Fall wurde im Laufe der Debatten 1888 als Argument gegen Juden und Immigranten ins Rennen geschickt und Jüdinnen wurden absurderweise sogar als ´Bedrohung für Prostituierte´ aufgeführt, weil sie ´unkeusch´ seien. White sprach der jüdischen Bevölkerung sogar Sauberkeit ab, und als ihm erklärt wurde, dass Sauberkeit sehr wichtig im jüdischen Glauben ist (und dass Whitechapel über eine Menge jüdischer Bäder verfügte, wie z. Bsp. das uns bekannte zwischen Goulston Street und Castle Alley), antwortete er, dass er das nicht wusste, es aber auch nicht glaube. (White fiel übrigens angeblich Jahre später auch dadurch auf, dass er vor einer ´Verdeutschung´ Englands warnte und auf seinem Grab findet sich laut seinem letzten Willen angeblich die Inschrift ´for England´). Unter den fast 300 damaligen Befragten traten aber auch britische  Geschäftsleute (zumeist klarerweise aus dem Textilbereich) aus dem East End auf, die  ihren jüdischen Konkurrenten ´Dumping´ vorwarfen, und es gab auch einige bereits länger im East End ansässige jüdische Geschäftsleute, die ebenfalls  Kritik an der  Zuwanderungspolitik Großbritanniens äußerten, da auch sie sich – vorwiegend wirtschaftlich oder wegen ihrer Anerkennung als Staatsbürger – bedroht fühlten und ihre Religionskollegen zu einem größeren ´Integrationswillen´ aufforderten. Auch die jüdische Gemeinde versuchte Neuankommende zu einer Rückkehr in ihr jeweiliges Heimatland zu bewegen und bot ihnen dafür Hilfe an. Währenddessen kam es immer häufiger zu gewalttätigen Übergriffen auf Juden und die Tories nutzten all die Debatten sogar, um Gangs zu engagieren, die sozialistische Veranstaltungen störten und dort gegen alle Ausländer hetzten. Dokumentiert ist ein Fall, bei dem ein Typ aus einer dieser ´Tory-Gruppen´ bei einer Veranstaltung in Bethnal Green herumschrie, er würde nie für einen Ausländer arbeiten, sondern lieber hungern, und habe es schon ausgeschlagen, für einen Deutschen zu arbeiten, weil er alle Deutschen hasse. Letztendlich führte die Migrationsdebatte im Endeffekt  zum ´Alien Act´ 1905, der aber nicht, wie diverse Ausländerfeinde in ihrem Wahn zuvor  forderten, die Einreise von Juden oder Ausländern generell verbot, sondern primär gegen (organisierte) Bettler und Kriminelle gerichtet war. Wie geschildert, ist das alles in meinen Augen aber für unseren Fall hochinteressant:  ´Die Juden sind die Männer, denen man nicht umsonst die Schuld geben wird.´ über einem weggeworfenen Beweisstück an einem mehrheitlich von Juden bewohnten Gebäude im jüdischen Viertel liest sich, unabhängig davon, wer es geschrieben hat, und ob es sich auf Jesus von Nazareth bezieht, oder nicht, doch irgendwie wie ein Suggestionsversuch an die Polizei und die Öffentlichkeit - Warren war gut beraten, den Satz auch als solchen zu sehen, und sich nicht davon leiten zu lassen. Ob er ihn aber gleich hätte unfotografiert entfernen lassen sollen, ist natürlich eine andere Frage...

Wie sah es  bei den anderen Immigranten aus:
Für unseren Fall hier sind wohl in erster Linie noch die Iren interessant. Das heutige Irland gehörte damals zwar ohnedies zum Vereinigten Königreich, allerdings ging von irischen Einwanderern in London  ja eine Terrorgefahr aus, und den Fenians war ja 1884 sogar schon einmal das Hauptgebäude der Metropolitan Police in einem als ´schottisch´ bezeichneten Hof zum Opfer gefallen. Zumal man auch sie lieber vor den ehemaligen Stadtmauern wusste, besiedelten die irischen Einwanderer wie die Hugenotten, Deutschen und Juden ebenfalls vorwiegend das nähere East End – ihre Hauptberufe, sofern sie einen Beruf hatten, waren (im Gegensatz zu den jüdischen Immigranten) Carman, Straßenhändler und Arbeiter  - zumeist Dockarbeiter, weshalb sie auch stark im südlichen und etwas östlicheren Bereich des East Ends in Docknähe anzutreffen waren (St-George.in-the-East, Wapping,...), wenngleich auch eine ganze Menge Iren in Whitechapel und Spitalfields wohnte und viele sogar  Häuser mit den dort vorwiegend angesiedelten jüdischen Immigranten teilten.  Gerade die große Hungersnot in den 1840er Jahren hatte viele Iren nach London geführt (http://de.wikipedia.org/wiki/Große_Hungersnot_in_Irland) und auch die Iren waren in London diversen Vorurteilen ausgesetzt. Auch sie waren klarerweise stark vom Hass gegen verarmte Einwanderer betroffen und fanden, wenn überhaupt, nur im East End Arbeit, zumal ihre Ausbildung zumeist nicht gerade ausreichend war, um in der City einen Job zu finden.

Ein kurzer Blick auf die Schweden im East End: Elisabeth Stride suchte oftmals die ´Swedish Chapel / Church´ in St.George-in-the-East (diese befand sich noch ein ziemliches Stück weiter südlich der Berner Street, aber von Whitechapel aus in etwa in der gleichen Richtung) auf und wurde von dieser zumindest zwischen 1879 und 1886 wie andere schwedische Immigranten angeblich auch öfter finanziell unterstützt.


In englischsprachigen Foren über JtR wird das Thema Einwanderung und Ausländerfeindlichkeit (auch als Motiv!), soweit ich das mitbekommen habe, wesentlich intensiver und häufiger diskutiert – wohl weil es mehr englischsprachige Publikationen über das East End,(vor allem über Whitechapel & Spitalfields) und seine damalige Entwicklung gibt. Zu allem, was ich bisher erwähnte, wäre vielleicht noch zu ergänzen, dass es scheinbar (zumindest soweit ich weiß) nach dem Mord an Kelly erstmals seit dem Mord an Nichols keine größeren Aufstände mit direktem Bezug zu den Morden gegen die jüdische Gemeinde oder jüdische und andere Zuwanderer mehr gab (vielleicht auch wegen der Dorset Street?) – Auch ein durchaus möglicher, plausibler Grund für ein Ende der Mordserie, wie ich meine, denn dass die Mordserie ausgerechnet im jüdischen Viertel stattfand, die Opfer verarmte Bettlerinnen bzw Prostituierte waren und zwei davon sogar einen Migrationshintergrund aufwiesen, beinhaltet eigentlich schon so ziemlich alles, gegen das sich xenophobe Briten damals richteten, und damit einen Themenkomplex, der gerade damals öffentlich heftig diskutiert wurde. Gerade in Kombination mit der  Tatsache, dass der oder die Täter keine eindeutigen Anzeichen  auf sexuelle Handlungen mit den Opfern hinterließ/en, erscheint mir das jedenfalls sehr bemerkenswert! Es ist zumindest interessant, sich den politischen Hintergrund, vor dem die Morde damals stattfanden, näher  anzusehen – ob er nun direkt, indirekt oder vielleicht auch gar nicht (was ich ehrlich gesagt bezweifle) mit der Lösung des Falles zu tun hat... Auf jeden Fall ist das Thema ´Migration im East End´ sehr umfangreich, sensibel und hoch komplex! (Etwaige, nötige Korrekturen betreffend erwähnter Ereignisse natürlich wie immer willkommen und, gerade dieses Thema betreffend, explizit erwünscht!)


Buchtipps zum Thema ´Migration und das East End´ (englisch):
William J. Fishman: ´East End 1888´
Peter Ackroyd u.a.: ´Jack the Ripper and the East End´
Anne J. Kershen (British Politics Society) ´Strangers, Aliens and Asians: Huguenots, Jews and Bangladeshis in Spitalfields 1660-2000 ´
 
Zum Thema Vorurteile, die Medien und urbane Mythen im JtR-Fall durchaus auch:
Alexandra Warwick & Martin Willis (Ed.): ´Jack the Ripper: Media, Culture, History´


Beste Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 14.11.2010 01:25 Uhr von panopticon »

KvN

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #2 am: 11.12.2010 10:23 Uhr »
Ich bin erschüttert!
Irgendwie habe ich es geschafft, diesen extrem interessanten und hervorragend recherchierten Beitrag bis jetzt zu übersehen! Dafür jetzt ein umso intensiveres Thumbs up für panopticon...
Die Wichtigkeit der soziopolitischen Zeitumstände kann gar nicht hoch genug bewertet werden, ebenso der kulturelle Hintergrund. Dass Jekyll und Hide und Jack the Ripper zur selben Zeit "entstanden" war ja auch kein Zufall. Einmal mehr stellt sich mir die Frage, warum diesen Morden so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wie Recherchen in diesem Forum belegen waren Gewaltverbrechen überaus häufig und die Anzahl der "natürlichen" Tode in den Londoner Elendsvierteln nährt in mir den Verdacht, dass es eine enorme Dunkelziffer gegeben hat. Jeden Leichnam auf Spuren von Fremdeinwirkung zu untersuchen war absolut unmöglich, man wusste ja nicht einmal mehr wo man die Toten bestatten sollte. Die Chancen dass ein Mord unentdeckt blieb waren damals sicher ziemlich gut, auch heute passiert es ja (gar nicht so selten wie man gemeinhin glaubt!) dass Tote nicht als Verbrechensopfer erkannt werden. Aber JtR ließ da keine Unklarheiten aufkommen, ganz im Gegenteil, er legte allergrößten Wert darauf dass seine Verbrechen sich von den "üblichen" Schemata (Raubmord, Eifersucht, Sexualdelikte, Gewalttaten diverser gangs...) abhoben.

Womit ich wieder mal gründlich off - topic geraten bin, sorry!

Grüße

Offline Anirahtak

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #3 am: 19.02.2011 00:30 Uhr »
@ panopticon

Erstmal vielen Dank für den gesamten Beitrag!

Zitat
[...] Es ist zumindest interessant, sich den politischen Hintergrund, vor dem die Morde damals stattfanden, näher  anzusehen – ob er nun direkt, indirekt oder vielleicht auch gar nicht (was ich ehrlich gesagt bezweifle) mit der Lösung des Falles zu tun hat... [...]

Ganz meine Meinung. Die Eingangsfrage interessiert mich auch unabhängig vom Fall. Sieht wohl danach aus, dass es vor 1905 keine Bestimmungen gegeben hat. Und London war wohl ein Ort, der (zumindest aus der Ferne) verhieß, dass man dort irgendwie weiter kommen könnte. E. Stride zB hätte ja ebenso nach Stockholm gehen können.

Politischer/fremdenfeindlicher Hintergrund kann durchaus in die Morde mit hineinspielen, es fragt sich, in welcher Dimension. Ich hätte da neben der Variante, dass alles eine gigantische, durchgeplante Verschwörung war, um Stimmung gegen Juden/Fremde zu machen, noch eine "abgeschwächte" Möglichkeit. Der Täter war tatsächlich derart gestört, dass er einen Drang zum Ausweiden von Menschen und Hantieren mit Organen hatte. Er stammte aus dem Gebiet, in dem die Morde stattfanden und er war fremdenfeindlich eingestellt, wenn nicht gar ein Antisemit durch und durch. Er lebte sozusagen unterschiedliche "Befindlichkeiten" gleichzeitig aus.


@ KvN

Zitat
[..] Einmal mehr stellt sich mir die Frage, warum diesen Morden so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wie Recherchen in diesem Forum belegen waren Gewaltverbrechen überaus häufig und die Anzahl der "natürlichen" Tode in den Londoner Elendsvierteln nährt in mir den Verdacht, dass es eine enorme Dunkelziffer gegeben hat. Jeden Leichnam auf Spuren von Fremdeinwirkung zu untersuchen war absolut unmöglich, man wusste ja nicht einmal mehr wo man die Toten bestatten sollte. Die Chancen dass ein Mord unentdeckt blieb waren damals sicher ziemlich gut, auch heute passiert es ja (gar nicht so selten wie man gemeinhin glaubt!) dass Tote nicht als Verbrechensopfer erkannt werden. Aber JtR ließ da keine Unklarheiten aufkommen, ganz im Gegenteil, er legte allergrößten Wert darauf dass seine Verbrechen sich von den "üblichen" Schemata (Raubmord, Eifersucht, Sexualdelikte, Gewalttaten diverser gangs...) abhoben. [...]

Zum Schluss beantwortest du dir die Frage selbst, wie ich finde. Sogar im East End werden derartige Verstümmelungen, Ausweidungen und Organentnahmen nicht an der Tagesordnung gewesen sein, was dann entsprechende Aufmerksamkeit nach sich zog. Für uns heute ist all dies nicht nachvollziehbar, welchen Reim sollte man sich dann erst damals, als die forensische Psychiatrie bestenfalls in Kinderschuhen steckte, darauf machen?

Wenn er wirklich bewusst Wert darauf gelegt hätte, dass sich seine Taten von den üblichen Raubmorden etc. abhoben, hieße das, es ging ihm nur um das "Ergebnis", nicht um die Tat an sich. Das bezweifle ich aber. Ein Verschwörer mag noch so durchtrieben und feindlich gesinnt sein, Taten dieser Art wird er nicht begehen können, wenn er im Innersten nicht entsprechend gepolt ist, geschweige denn, überhaupt auf diese Idee zu kommen.

Schöne Grüße

KvN

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #4 am: 01.03.2011 09:14 Uhr »
Hallo K.!

Das kann frau so nicht sagen, viele Serienmörder (z.B. Zodiac, BTK...) legten großen Wert darauf, dass die Taten ihnen zugerechnet wurden, obwohl es ihnen zweifelsfrei um die Tatbegehung selbst ging.
Zur Aufmerksamkeit: Klar, lokale Beachtung ist durch die Tatumstände erklärbar. Aber international gesehen hatte JtR zahlreiche Kollegen, die ihm in keiner Weise nachstanden, denen allerdings nicht einmal im Ansatz diese Aufmerksamkeit zuteil wurde.
Aber ich bin schon wieder mal komplett off-topic...

Grüße

Offline Anirahtak

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #5 am: 03.03.2011 22:41 Uhr »
Hallo KvN!

Nun ja, ich habe das ja nicht einfach so in den leeren Raum hinein gesagt, sondern bezog mich dabei auf diese deine Aussage:

Aber JtR ließ da keine Unklarheiten aufkommen, ganz im Gegenteil, er legte allergrößten Wert darauf dass seine Verbrechen sich von den "üblichen" Schemata (Raubmord, Eifersucht, Sexualdelikte, Gewalttaten diverser gangs...) abhoben.

Soll heißen, ich ging davon aus, du meinst, JTR habe die Verstümmelungen und Organentnahmen deshalb begangen, um sicherzustellen, dass seine Taten nicht mit einem der "üblichen" Verbrechen verwechselt würden. Und davon gehe ich nicht aus. Vielmehr davon, dass ihm am Verstümmeln und Hantieren mit Organen sehr viel lag, dass dies gar sein eigentliches Ziel war.

Zodiac und BTK teilten sich per Schriftverkehr mit, davon muss man beim Ripper nicht unbedingt ausgehen.

Was offtopic angeht, so sehe ich das gelassen, die Eingangsfrage ist ja höchstwahrscheinlich geklärt. Jeder konnte wohl zu dieser Zeit nach GB einwandern.

Schöne Grüße

KvN

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #6 am: 06.03.2011 12:21 Uhr »
Hi K.!

Deine Interpretation haut schon hin, ich glaube dass das zumindest Teil seiner Motivation war. Dafür spricht meiner Meinung auch das staging der Opfer und die Fundorte. Der Täter hat schon drüber nachgedacht wie die Morde auf die Öffentlichkeit wirkten.
Bezüglich des Schriftverkehrs teile ich deine Skepsis, allerdings sehe ich bei Rader schon auch diese Tendenz sich in der Täterhandschrift unverwechselbar zu machen. Zodiac ist ein eigenes Kapitel und war zugegebenermaßen ein schlechter Vergleich.

Grüße

Offline Anirahtak

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #7 am: 08.03.2011 00:09 Uhr »
Hallo KvN,

Beim Staging mag er schon den unglücklichen Auffinder und die Öffentlichkeit im Sinn gehabt haben, aber die Fundorte...? Zeit, die Opfer noch zu verstecken war ja keine. Oder meinst du, er hätte die Möglichkeit gehabt, seine Taten an versteckteren Orten zu begehen und diese bewusst nicht genutzt?

Und wenn wir annehmen, JTR sei sehr auf die Öffentlichkeitswirkung bedacht gewesen - meinst du dann, das sei Teil seiner Persönlichkeit als Einzeltäter gewesen oder hältst du eine "Verschwörung" dahinter für möglich, die durch diese Serie etwas -was auch immer- erreichen wollte?

Schöne Grüße


Offline Anirahtak

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #8 am: 08.03.2011 10:04 Uhr »
Nachtrag: Die letzte Frage ist zu vernachlässigen. Es ist mir wieder eingefallen, du hattest sogar mal ein Thema dazu aufgemacht.

KvN

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Re: Einwanderung im 19. Jhd.
« Antwort #9 am: 11.03.2011 20:11 Uhr »
Hi K.!

Gut streichen wir sie aus dem Protokoll...

Grüße