Autor Thema: Wiener Zeitung  (Gelesen 8158 mal)

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Offline panopticon

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Wiener Zeitung
« am: 30.01.2010 01:32 Uhr »
Hallo!

Als ich gerade den tollen Beitrag von Shadow Ghost ( :icon_thumb:) mit den Artikeln aus der Coburger Zeitung gesehen habe, ist mir eingefallen, dass ich vor einiger Zeit einige Artikel aus der ´Wiener Zeitung´ von 1888 herausgesucht und abgetippt habe, die ich zumindest im Zeitungsarchiv noch nicht finden konnte (Oktober 1888, sorry, wenn ich sie übersehen haben sollte). Habe gerade nochmals nachgesehen - viel mehr, dürfte die Zeitung auch nicht publiziert haben... Ich habe ohnedies vor, diverse österreichische Zeitungen mal nach den Morden durchzublättern und werde dies dann ergänzen.

Die Bilder von den Druckausgaben liefere ich demnächst nach.


WIENER ZEITUNG


Wiener Zeitung Nr. 229. Donnerstag, den 4. October (Seite 5)
(Geheimnißvolle Morde.) Die Bevölkerung von London ist durch vier Mordthaten in große Aufregung gesetzt, welche in der letzten Woche nächtlicher Weise in einsamen Straßen und Plätzen an Frauen begangen wurden; drei der Opfer waren abscheulich verstümmelt. Von dem oder den Thätern hat man noch keine sichere Spur, obgleich bis jetzt zwei Verhaftungen vorgenommen wurden.


Wiener Zeitung Nr. 230. Freitag, den 5. October 1888 (Seite 5)
(Geheimnißvolle Morde.) Wie schon erwähnt, wurden in London in der vorigen und vorletzten Woche nächtlicher Weise mehrere Frauenzimmer auf der Straße auf schreckliche Weise ermordet, zwei derselben in der Nacht vom 29. zum 30. September. Mit Bezug hierauf schreibt die "Allg. Corr." vom 2. d. M.: "Der Doppelmord im Ostende bildet fortgesetzt das allgemeine Tagesgespräch in London. Die Zeitungen füllen ihre Spalten mit langen Berichten über die beiden Morde, und die meisten knüpfen daran Leitartikel und andere Betrachtungen, worin hauptsächlich über die Rathlosigkeit geklagt wird, mit welcher die Polizei den sich so rasch wiederholenden grausigen Unthaten gegenübersteht. Die Corporation der City von London hat durch den Lord-Mayor de Keyser eine Belohnung von 500 Pfd. St. auf die Entdeckung des Mörders ausgesetzt, und mehrere Privatpersonen haben zu gleichem Zwecke 300 Pfd. St. zusammengeschossen. Mit Bezug auf diese Morde wird der "Daily News" aus New=York gemeldet, dass vor etlichen Monaten in Texas eine große Anzahl Neger-Frauen in derselben rohen Weise ermordet und verstümmelt wurde wie die Londoner Opfer. Es werde vermuthet, daß der Verüber der geheimnißvollen Morde in London der Verbrecher von Texas sei, der niemals entdeckt wurde."


Wiener Zeitung Nr. 231. Samstag, den 6. October 1888 (Seite 5)
(Geheimnißvolle Morde.) Aus London wird über die Aufregung, welche die gemeldeten geheimnißvollen Frauenmorde daselbst hervorgerufen haben, unter dem 2. d. M. geschrieben: Im Ostende ist eine förmliche Schreckensherrschaft eingetreten. Handel und Wandel stockt in den Verbrecherstraßen, und der weibliche Theil der Bevölkerung wagt sich Abends nur unter starker Bedeckung hinaus. Diejenigen, welche vielleicht nützliche Auskunft ertheilen könnten, zittern und zagen bei dem Gedanken an den rachsüchtigen Mordstahl des Halsabschneiders, und nur widerwillig lassen sich die etwaigen Freundinnen der Ermordeten bewegen, die Leichen anzuschauen, um ihre Namen und Herkunft festzustellen. Ihnen schwebt nur der angebliche Brief des Mörders vor, der vor einigen Wochen die Zahl seiner zukünftigen Opfer auf zwanzig bestimmte; und dazu sind dann zwei wirkliche, mit rother Tinte geschriebene Briefe voll grässlichen Hohnes hinzugekommen, welche am vorigen Donnerstag und gestern Morgens im Bureau einer hiesigen Telegraphen=Agentur einliefen. Sie sind von "Jack, dem Aufschlitzer" unterzeichnet. Auf dem Polizei=Amte hielt man diesen Brief, der in fester kaufmännischer Handschrift geschrieben ist, für einen losen Schabernack; merkwürdig aber bleibt, daß der im Briefe angekündigte Doppelmord zwei Tage nachher erfolgte und daß das Opfer auf Mitre Square, wie ebenfalls angekündigt, zerschnittene Ohren aufwies. Eine Postkarte nun, welche am 1. October mit dem Datum "London E. October 1" einlief, nahm darauf ausdrücklich Bezug. Ob nun diese Briefe das Werk des spaßfrohen Mörders oder eines mordfrohen Spaßvogels sind, sie verfehlen insofern ihren Zweck nicht, als sie die Angst im Ostende auf die Spitze treiben. Mittlerweile macht eine neue grausige Entdeckung von sich reden. Bei den Ausgrabungen für den Bau des neuen Polizei=Präsidiums am Themse=Quai in Westminster stießen die Arbeiter in den Kellerräumen auf ein Paket, welches eine bereits stark in Verwesung übergegangene weibliche Leiche enthielt, welcher der Kopf so wie Arme und Beine fehlten. Im Laufe der letzten zwei Wochen waren in der Themse bei Pimlico und Lambeth zwei in Leinwand eingehüllte Frauenarme gefunden worden, welche wahrscheinlich dem in Westminster entdeckten Rumpfe angehören. Mithin scheint vor etlichen Wochen ein neues geheimnißvolles Verbrechen von irgend jemand verübt worden zu sein.



Grüße,
panopticon

Aeneas

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Re: Wiener Zeitung
« Antwort #1 am: 30.01.2010 20:12 Uhr »

Wiener Zeitung Nr. 230. Freitag, den 5. October 1888 (Seite 5)
(Geheimnißvolle Morde.) Mit Bezug auf diese Morde wird der "Daily News" aus New=York gemeldet, dass vor etlichen Monaten in Texas eine große Anzahl Neger-Frauen in derselben rohen Weise ermordet und verstümmelt wurde wie die Londoner Opfer. Es werde vermuthet, daß der Verüber der geheimnißvollen Morde in London der Verbrecher von Texas sei, der niemals entdeckt wurde."




weiß jemand was darüber??


super arbeit übrigens ;)
« Letzte Änderung: 30.01.2010 20:55 Uhr von Aeneas »

Offline Shadow Ghost

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Re: Wiener Zeitung
« Antwort #2 am: 30.01.2010 22:52 Uhr »
Lies mal hier:

http://www.casebook.org/dissertations/dst-austin.html

Viele Grüße,
Shadow Ghost

Offline panopticon

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Re: Wiener Zeitung
« Antwort #3 am: 01.02.2010 13:28 Uhr »
Hi.

Hier, wie versprochen, die Scans. Ich habe sie der Übersichtlichkeit halber ein wenig zusammenkopiert - Im Falle der ersten beiden geht es um die Seiten 5 und 6 der jeweiligen Ausgabe.

@Aeneas: Ja, ich glaube auch, dass die Morde in Austin gemeint sind.


Grüße,
panopticon


Offline panopticon

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Neue Freie Presse (Österreich-Ungarn)
« Antwort #4 am: 03.02.2010 13:53 Uhr »
Hier zwei Artikel aus der "Neuen Freien Presse" vom Oktober 1888 - Um nicht extra einen neuen Thread anfangen zu müssen, habe ich sie hier untergebracht.
Letzter Artikel zeigt, wie Medien die Morde in Whitechapel sogar dazu nutzten, recht polemisch über internationale Politik zu "berichten".


NEUE FREIE PRESSE (Österreich-Ungarn)


Neue Freie Presse,
Donnerstag, 4. October 1888, Seite 4
[Die Morde in London.] Der englischen Polizei ist es zur Stunde noch nicht gelungen, den Thäter der Samstag Nachts im Ostende Londons begangenen Morde ausfindig zu machen. Es heißt, daß am 29. d. M. in Goldston Street ein Theil der Schürze der in Mitre Square London aufgefundenen Frauensperson entdeckt wurde, während heute Morgens ein Polizist ein scharfes Messer in der Gegend fand, dessen Klinge fast 10 Zoll lang war. Am letzten Donnerstag erhielt die Geheimpolizei einen mit "Jack der Aufschlitzer" unterzeichneten Brief, in welchem der Schreiber sich in höhnischen Worten über die Unfähigkeit der Polizei erging und die Mittheilung machte, daß er das nächstemal seinem Opfer auch noch die Ohren abschneiden werde. Der Brief könnte als dummer Witz erscheinen, wenn nicht der Umstand, daß der in Mitre Square ermordeten Frauenperson wirklich die Ohren fast abgeschnitten waren, etwas zu deuten gäbe und wenn ferner nicht die Anzeige, daß der Verfasser des Briefes in den allernächsten Tagen wiederum Mordthaten begehen würde, buchstäblich in Erfüllung gegangen wäre. Bis jetzt sind anläßlich der beiden Mordthaten zwei Verhaftungen vorgenommen worden. Eines der ermordeten Frauenzimmer ist als eine gewisse Elisabeth Stride identifiziert worden, während der Name der anderen noch zu ermitteln ist.


Neue Freie Presse,
Mittwoch, 17. October 1888, Seite 4
London, 10. October. [Orig.-Corr.] Politik ohne Interesse. Die Morde in Whitechapel.) "Politik" ist in diesem Augenblicke in England entschieden dull, wie man hier sagt, das heißt kein Interesse erregend. Mit auswärtiger Politik beschäftigt sich der Engländer in der Regel nicht, und was innere Angelegenheiten betrifft, so ist die irische Frage selbst für den eifrigsten Politiker und Zeitungsleser schon langweilig geworden. Toujour perdrix: stets die nämlichen Auflagen. Balfour sei ein Mörder und Gladstone ein Heiliger und dergleichen Redensarten mehr. Das Tagebuch des Kaisers Friedrich und noch mehr das Vorgehen des Fürsten Bismarck gegen Geffcken erregten wol einiges Interesse; die Engländer der heutigen Periode können eben nicht begreifen, daß man einen so hochachtbaren Mann wie Professor Geffcken in einen Kerker werfen kann, weil er Auszüge aus dem Tagebuch des verstorbenen Kaisers veröffentlichte. Am wenigsten begreifen die Engländer jedoch die Haltung der Cartellpresse, welche von dem Grundsatze ausgeht, daß ein Mann, der, wie Geffcken, in seinen Aufsätzen die Politik Bismarck´s in einigen Fragen nicht billigte, ein Verbrecher, ein Landesverräther sein müsse. Und doch gibt es noch Leute, welche sich über die Unfehlbarkeit des Papstes aufzuhalten den Anschein geben. Wenn die Theorie jener deutschen Zeitungen auch hierzulande sich einbürgern sollte, dann müßte Lord Salisbury den Earl Granville einsperren lassen, und Jedermann, der gegen die auswärtige Politik des jeweiligen Ministers schreibt, müßte als Landesverräther in das Gefängnis wandern.
Eigentlich ist es jetzt hier bloß ein einziger Gegenstand, welcher alle Welt beschäftigt und von dem Jedermann spricht. Das sind die Morde in Whitechapel; das Scheusal, welches dieselben verübte, verstand es bisher noch immer, ganz spurlos zu verschwinden, und die Polizei besitzt auch nicht die geringste Ahnung, wer der Mörder sei, wer er sein sollte und wo man ihn suchen müsse. Die barocksten, absurdesten und verrücktesten Meinungen – hier Theories genannt – wurden schon bezüglich des Mörders und seiner Beweggründe zu seinen Verbrechen aufgestellt, allein dieselben halfen der Polizei noch keinen Schritt weiter. Da die menschlichen Detectives sich ganz rathlos in dem Falle zeigen, so sollen jetzt "Bluthunde" benutzt werden, um dem Mörder auf die Fährte zu kommen.


Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 03.02.2010 14:12 Uhr von panopticon »