Autor Thema: Interpretation der kurzen Mordabstände  (Gelesen 16131 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline Isdrasil

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2037
  • Karma: +2/-0
Interpretation der kurzen Mordabstände
« am: 02.01.2009 19:08 Uhr »
Hi Ihr,

Mal wieder eine allgemeine Frage:

Wenn man die Ripperfälle betrachtet, dann sind besonders die relativ kurzen Abstände zwischen den Morden auffällig. Es gibt durchaus Mörder, die ihre Opfer in ähnlicher Weise wie der Ripper verstümmelten oder sogar noch grausamer zu Werke gingen - aber mitunter vergehen etliche Wochen, Monate, ja manchmal sogar Jahre zwischen den einzelnen Taten.
Der Ripper hingegen betrat die Bühne des Schreckens sehr schnell und brauchte nur wenige Wochen, um ganz London in Aufruhr zu versetzen und seinen Namen auf der ganzen Welt bekannt zu machen (ja, ich weiß - der Pressefuzzi war es, nicht der Mörder...war mehr als Phrase gemeint  :icon_wink:).

Was meint ihr - was sagen die Zeitabstände möglicherweise über den Täter aus? Wieso schlug Jack the Ripper so schnell hintereinander zu? Was ist eure persönliche Meinung hierzu?

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 02.01.2009 19:42 Uhr von Isdrasil »

Alexander-JJ

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #1 am: 03.01.2009 11:24 Uhr »
Da gibt es meiner Meinung nach mehrere Möglichkeiten:

1. JTR "brauchte" das. Er musste so schnell hintereinander morden um seine Triebe zu befriedigen bzw seine inneren Dämonen zufrieden zu stellen (das ist mein Favorit).

2. JTR wusste das er lange Zeit keine Gelegenheit bekommen würde, wieder in dieser Art zu morden. Etwa weil er doch ein Seemann war, weil er zur Armee musste, weil der Aufenthalt in einem Irrenhaus, Gefängnis (wegen anderer Verbrechen), im Ausland o.ä. drohte. Dabei wäre er immer mit anderen Personen zusammen und würde nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten zuschlagen können ohne das es seine direkte Umgebung bemerkt.

3. Es handelte sich um eine Art archaischen Terrorismus mit unbekannten Zielen. Der Täter musste so schnell zuschlagen um seine Ziele zu erreichen. Oder es handelte sich um einen Fanatiker, der die Augen der Weltöffentlichkeit auf das East-End lenken wollte und/oder einen privaten Feldzug gegen Prostituierte führte.

4. Der Täter stand in enger Beziehung zu den Opfern und musste so schnell zuschlagen um deren evtl Flucht zu verhindern. Hier ist sowohl eine Verschwörung als auch eine Beziehungstat möglich.

Floh82

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #2 am: 03.01.2009 13:00 Uhr »
Die kurzen Abstände weisen eigentlich recht deutlich auf eine Beziehungstat hin. Es wirkt als sei es ein Plan gewesen, der recht schnell über die Bühne gebracht werden musste. Allerdings durften es ruhig ein paar Wochen mehr sein, um nicht ganz aufzufallen.
Nun das würde meiner Meinung wie gesagt auf eine Beziehungstat oder auch die berüchtigte Verschwörungstheorie andeuten.

Allerdings glaube ich daran nicht unbedingt. Und deshalb ist das ein weiteres großes Fragezeichen.

Lestrat

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #3 am: 03.01.2009 14:34 Uhr »
Hallo,

ich denke Alexander hat einige sehr gute Punkte aufgezählt. Vor allem Punkt 1 erscheint mir sehr plausibel. :icon_exclaim:

Was eventuell auch möglich wäre: Er wußte das er aus Gesundheitlichen Gründen nicht mehr viel Zeit hatte.

Gruß

Lestrat


Direwolf

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #4 am: 03.01.2009 21:24 Uhr »
Wünsche erstmal allen nachträglich frohe Weihnachtsfeiertage gehabt zu haben und ein frohes neues Jahr (Einer muss ja immer den Nachzügler spielen ;))

Zum Thema:
Was mich dabei erst einmal interessieren würde wären die kurzen Abstände des Rippers im Vergleich zu anderen Serienmördern seiner Zeit. War der Ripper zu seiner Zeit schon ein Unikat, was die kurzen Abstände angeht, oder war das eher an der "Tagesordnung" bei Serienmördern dieser Zeit?

Die kriminalistischen Möglichkeiten waren damals nun mal noch nicht so ausgereift wie sie es heute sind. Genauso wie sich ein heutiger Serienmörder im klaren darüber sein muss, das ihm weniger als ein einzelnes verlorenes Haar schon zum Verhängnis werden kann, so wird wohl auch der Ripper wenigstens im Groben gewusst haben, welche Möglichkeiten es gab um ihm auf die Schliche zu kommen.
Angenommen die Hemmschwelle bei Serienmörder wäre durch die geringeren Mittel der Ermittler ohnehin schon kleiner gewesen, so würden mich die kurzen Abstände gar nicht so sehr überraschen.

L.G.
Direwolf   

Harry Heine

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #5 am: 04.01.2009 17:42 Uhr »
Hallo und frohes neues!  :icon_mrgreen:

Ich bin da ziemlich ratlos... Eine sehr interessante Frage. Die kurzen Abstände lassen die Taten wirklich wie im Rausch begangen erscheinen. Ehrlich gesagt kann ich mich da so gut wie gar nicht hinein versetzen, und bin auch ganz froh darüber...  :icon_wink: Was könnte ihn dazu gebracht haben, aufzuhören, nachdem er zuerst anscheinend unter so extremem Druck stand?
Dabei ist natürlich die Frage von entscheidender Bedeutung, wer nun wirklich Opfer der Mordserie war und wer nicht. Ich habe zuletzt Karyo Magellans Buch gelesen, und seine Darstellung des Falls, die nahe legt, dass Mary Kelly nicht dazu gehörte, aber Alice McKenzie und Frances Coles schon, hat mich ziemlich überzeugt. Dennoch ist es ein Rätsel, dass er nach der Nacht des Doppelmordes über ein Dreiviertel Jahr pausiert haben soll, ehe er wieder zuschlug. Meine Vorschläge wären

a) er war ein Matrose und tötete in der Zwischenzeit in anderen Ländern, so dass man die Taten nicht mit der Mordserie in Verbindung brachte

oder b) er starb kurz nach dem "double event" (und Magellans Theorie wäre falsch).  :icon_question: :icon_question: :icon_question:

oder c) mindestens eine der Taten ging auf das Konto eines Trittbrettfahrers (von Mary Kelly abgesehen, erscheint mir Eddowes als wahrscheinlichste Möglichkeit - war nicht Bagster Phillips der Meinung, sie sei nicht vom Ripper ermordet worden? Oder bringe ich da was durcheinander?)  :icon_question: :icon_question: :icon_question:

Zitat
Die kurzen Abstände weisen eigentlich recht deutlich auf eine Beziehungstat hin.[
quote][/quote] (Floh 82) Was meinst du mit Beziehungstat? Ein Kunde von allen?

Zitat


Was eventuell auch möglich wäre: Er wußte das er aus Gesundheitlichen Gründen nicht mehr viel Zeit hatte.



Maybrick?  :icon_wink:

LG


d) Sickert war's und... äh... hm.  :icon_mrgreen:

e) er schaffte es aus eigener Motivation aufzuhören. Warum auch immer. Soll ja vorkommen, und die, die man nicht geschnappt hat, kann man ja leider nicht fragen, warum...  :icon_wink:

hedgehopper

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #6 am: 05.01.2009 10:20 Uhr »
Also ich denke es war der Trieb....JTR hat bei Polly Nichols "leicht" angefangen & mit dem brutalen Gemetzel an Mary Kelly dann aufgehört. Er hat sich also jedesmal gesteigert um seine Befriedigung zu bekommen. Der Mord an Mary Kelly war sein Höhepunkt & hat wohl damit auch aufgehört.

Zitat von Harry Heine:
Ich habe zuletzt Karyo Magellans Buch gelesen, und seine Darstellung des Falls, die nahe legt, dass Mary Kelly nicht dazu gehörte, aber Alice McKenzie und Frances Coles schon, hat mich ziemlich überzeugt. Dennoch ist es ein Rätsel, dass er nach der Nacht des Doppelmordes über ein Dreiviertel Jahr pausiert haben soll, ehe er wieder zuschlug.

Ich habe das Buch nicht gelesen & möchte wissen was Dich überzeugt hat das MJK nicht dazu gehört aber McKenzie & Coles schon?

Ich sehe das so, das MJK dazu gehörte, McKenzie & Coles aber nicht.Warum? (s.o. dieses Beitrages))

Stordfield

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #7 am: 06.01.2009 22:33 Uhr »
Hallo !

Eventuell sind die kurzen Zeitabstände damit zu erklären , daß der Täter einfach die Gelegenheit hatte . Oft suchen Serienmörder sich doch ein bestimmtes Umfeld ( weil es in ihr Phantasiebild paßt oder wegen der guten Fluchtmöglichkeiten ) und einen Opfertyp aus , wobei eine gewisse Zeit vergeht , bis alles "stimmig" ist . Hier hat der Riper alles auf Anhieb gefunden , was er "brauchte".

Gruß Stordfield

Offline Isdrasil

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2037
  • Karma: +2/-0
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #8 am: 12.01.2009 07:36 Uhr »
Hi

Interessante Antworten...ich persönlich hänge einem Mix aus dem oft genannten hohen Druck und der Ansicht Stordfields an - das Umfeld scheint wohl perfekt auf den Ripper gepasst zu haben und er war sozusagen von seinem Mordtrieb "durchdrungen".
Ich frage mich in diesem Zusammenhang oft, weshalb der Täter so derart vom Trieb durchdrungen gewesen sein konnte. War es sein möglicherweise fortgeschrittenes Alter, also die Tatsache, dass er seine Triebe schon lange unterdrücken musste - oder war es ein ganz anderer Parameter? Oder ist gerade bei jungen Tätern mit kurzen Mordabständen zu rechnen?

Grüße, Isdrasil

Stordfield

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #9 am: 13.01.2009 19:53 Uhr »
Hallo !

Zitat
Oder ist gerade bei jungen Tätern mit kurzen Mordabständen zu rechnen?
Das glaube ich nicht . Sie lassen wahrscheinlich noch am ehesten Vorsicht walten . Sicherlich werden sie nach ihrer "Einstiegstat" erst einmal abwarten und sich erst langsam wieder ans Werk machen , wenn sie sich nach einer gewissen Zeit sicherer fühlen . Bei einem jüngeren Täter würde ich persönlich von der Annahme ausgehen , daß zumindest zwischen den ersten Morden eine längere "Ruhephase" eintritt.

Gruß Stordfield

Offline Isdrasil

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2037
  • Karma: +2/-0
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #10 am: 15.01.2009 19:18 Uhr »
Hi Stordfield

Hört sich logisch an. Da kann ich Dir nur zustimmen.  :icon_wink:

Oftmals beginnen die Fantasien ja auch in frühester Jugend - ein längeres Aufstauen dieser müsste also zu einem "explosiveren" Ausbruch führen...insofern muss ich wieder irgendwie an Tabram denken...diese Wut, diese 39 Stiche. Das hat für mich irgendwie immer noch eine gewisse Ähnlichkeit zu dem Mord an Kelly. Ich weiß nicht (und das ist jetzt auch ein wenig themenfremd), aber ich kann mir den Mord an Tabram immer noch als absolut spontane Tat eines Mörders denken, der die an Nicholls erstmals verwirklichte Fantasie in sich trug. Möglicherweise konnte er sie aus der Situation heraus nicht verwirklichen oder er war zunächst von diesem Ausbruch selbst überrascht - um kurz darauf seinen schrecklichen Gedanken zu folgen und den nächsten Mord geplant anzugehen. Mit dem Mord an Kelly entsteht in meinen Augen ein Gesamteindruck. Kelly ist irgendwie die Verbindung dieser beiden Charaktere - der wütende Ausbruch und die gezielte Verstümmelung. Aber ich schweife ab.  :icon_wink:

Stimmt. Jüngere Täter dürften zudem von der Tat noch mehr "geschockt" sein als Ältere, die sich schon länger mit dem Gedanken auseinander setzen konnten. Daher denke ich auch, dass der zeitliche Abstand vom ersten Mord über die Verarbeitung dessen hin zur Serie bei jüngeren Tätern größer sein dürfte.

Kann man also davon ausgehen (und dies deckt sich meist mit den Zeugenaussagen), dass es sich beim Ripper um einen verhältnismässig älteren Täter handelt, in Serienmordverhältnissen also über 35, wenn nicht sogar 40 Jahre? Ich denke schon - und ich denke, dass durch die lange Auseinandersetzung mit der Tat bereits ein stark vorgefertigtes Bild im Kopf des Täters vorhanden war - die wirklichen Änderungen innerhalb der Mordserie sind zu marginal, um von einer Reifung zu sprechen. Was auffallend ist, wäre die Abweichung im Fall Kelly, der sich zeitlich und auf die Verletzungen bezogen von den anderen Morden abhebt. Man meint, eine gewisse Wut zu erkennen, einen Aspekt der Raserei. Erneut ein Zeichen, dass der Täter wartete und daher ein explosiverer Ausbruch zustande kam?

Was ich mich immer frage: Nehmen wir an, wir befinden uns zeitlich nach dem Eddowes Mord. Aus irgendeinem Grund schafft es unser Täter nicht, einen Mord zu begehen. Vielleicht ist er krank, vielleicht hat er ein Bein gebrochen. Wer weiß...es vergeht ein Monat. Zwei Monate. Drei Monate. Und dann kommt er endlich wieder zu einer weiteren Tat. Doch anders als bei Kelly würde dieser Mord auf der Straße geschehen. Könnten wir trotzdem mit ähnlichen Verletzungen wie bei Kelly rechnen, mit der ähnlichen Raserei, mit einer ähnlichen "Verstümmelungswut"?

Grüße, Isdrasil

Floh82

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #11 am: 16.01.2009 09:12 Uhr »
Ich würde dann von einer viel schlimmeren Tat ausgehen. Denn in dieser Zeit der "Ruhe" muss sich seine ganze Aggression, seine ganze Wut ja aufgestaut haben. Und wenn diese aufgestaute Energie in einer solchen, plötzlichen Tat ausbricht, muss das Ergebnis grausam sein.

Offline Isdrasil

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2037
  • Karma: +2/-0
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #12 am: 16.01.2009 09:42 Uhr »
Also würde eventuell aus einem routinierten Täter ein etwas unkontrollierter Täter werden (zumindest für die eine Tat)?
Kann man dann nicht auch schlussfolgern, dass der Mord an Nicholls viel zu routiniert war, um eine Ersttat zu sein? Dass der Mord viel zu durchdacht war, um nach einer langen mordlosen Zeit als Einstieg zu gelten?

Ihr wißt, worauf ich raus will: Braucht ein bestimmter Tätertyp vielleicht erst einmal einen explosiven Ausbruch, um dann routiniert und geplant zu Werke zu gehen?

Ich mach einfach mal einen auf "Quizmaster" hier  :icon_mrgreen:

Grüße, Isdrasil

Stordfield

  • Gast
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #13 am: 16.01.2009 09:53 Uhr »
Hallo !

Zitat
Braucht ein bestimmter Tätertyp vielleicht erst einmal einen explosiven Ausbruch, um dann routiniert und geplant zu Werke zu gehen?
Davon würde ich persönlich ausgehen .

Gruß Stordfield

Offline Isdrasil

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2037
  • Karma: +2/-0
Re: Interpretation der kurzen Mordabstände
« Antwort #14 am: 16.01.2009 10:06 Uhr »
Hi Stordfield

Eine schnelle Antwort erfordert eine schnelle Gegenantwort  :icon_wink:

Und sorry, dass ich wieder mit dem liebsten Thema anfange – ich bin derselben Meinung wie Du. Und im Endeffekt müsste dieser Tätertyp nach dem ersten explosiven Ausbruch doch schnell wieder einen Mord begehen, der routinierter ausfallen würde. Würde mehr Zeit vergehen, dürfte man wieder mit unkontrollierteren Mustern rechnen.

Und da ist der Punkt: Im Prinzip und auf Basis dieser Überlegungen ist und bleibt Tabram für mich der perfekte erste Mord, der Übergang eines bisher nur fantasierenden Täters zu einem routinierten Killer. Selbst der geringe zeitliche Abstand zwischen Tabram und Nicholls wäre absolut notwendig, um die Routine dieses von Mordlust getriebenen Täters zu gewährleisten.
Und siehe da – sobald man wieder einen längeren Zeitabstand hat (von Eddowes zu Kelly), wiederholen sich die explosiven Verhaltensmuster, ergänzend zu den bisherigen Verstümmelungen.

Alles in Hinblick auf die Zeitabstände, die eigentlich für einen älteren Täter sprechen, der von einem starken Drang beherrscht wird.

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 16.01.2009 10:25 Uhr von Isdrasil »