Autor Thema: Jacob Levy  (Gelesen 308363 mal)

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Re: Jacob Levy
« Antwort #525 am: 15.06.2019 09:31 Uhr »
Hallo Lestrade!

Vielen lieben Dank für Deine Bemühungen!

Ich hatte schon befürchtet, dass das eine Sackgasse werden könnte, denn sonst hätten die professionellen Ripperologen bei ihrer Erforschung des Milieus der Butcher's Row höchstwahrscheinlich schon irgendetwas gefunden.

Denn es ist ja naheliegend, die Verbindungen des Zeugen Joseph Hyam Levy zur Butcher`s Row zu untersuchen, wenn man vermutet, dass er mehr wusste, als er zugeben wollte. Und wenn er Verbindungen hätte, dann wäre wegen der Verwandtschaft mit Cousin Jacob auch automatisch eine Verbindung zu letzterem nachgewiesen.


MfG, Ijon Tichy




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Re: Jacob Levy
« Antwort #526 am: 15.06.2019 17:18 Uhr »
Gerne Arthur!

Tracy, es ist schon ein paar Wochen her, war mit dem letzten Kapitel ihres Buches über Jacob Levy beschäftigt und es sollte nicht mehr allzu lange bis zur Veröffentlichung dauern. Vielleicht erfahren wir dann noch etwas zu Joseph Levy.

Das Podcast von der Konferenz letztes Jahr, gab auch nichts Neues her, soweit ich mich erinnere. Es ging wohl eher um die Familienverhältnisse. Dazu habe ich folgendes:

http://www.rippercast.com/mp3/EEC%20Tracy.pdf

Ich weiß jetzt nicht, ob wir den Ripperologist 124 von Februar 2012 hier jemals erwähnt haben.

JACOB THE RIPPER? by Neil and Tracy I’anson:

http://www.mangodesign.biz/rip124.pdf

Beide Links sollten jedoch für Jacob Ley Interessierte spannend sein, da viele Originale zu sehen sind.

Beste Grüße,

Leland Stottlemeyer.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #527 am: 15.06.2019 21:05 Uhr »
Ganz kurz noch einmal Arthur!

- Moss (oder Moses) G. Levy, Vater des o.g. Joseph Levy, 4 Middlesex Street, confectioner.

Bevor ich lange suchen muss. Wo stand das mit dem "confectioner"?
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #528 am: 16.06.2019 08:31 Uhr »
Hallo Lestrade!


Zitat
Bevor ich lange suchen muss. Wo stand das mit dem "confectioner"?

Ich hatte mir vor ein paar Jahren Listen der Middlesex Street zusammengestellt. Diese Info stammte aus den Post Office Directorys von 1882 von 1891, jedenfalls hatte ich das als Quellenangabe unter die Listen gestellt.

Dieser Moss Levy hatte sein Geschäft am Südende der Middlesex Street bei der Einmündung an der Butcher's Row - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Butcher Moss Levy am Nordende, 134 Middlesex Street.


MfG, Thursday Next

« Letzte Änderung: 16.06.2019 09:28 Uhr von Arthur Dent 2 »

Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #529 am: 16.06.2019 11:06 Uhr »
Hallo Leute,

ich habe mal wieder meine Zusammenfassung zu Jacob Levy etwas aktualisiert und überarbeitet - siehe unten.


MfG, Arthur Dent



Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #530 am: 16.06.2019 11:08 Uhr »
Jack the Ripper – Tatverdächtiger Jacob Levy



Jacob Levy wurde 1856 als Sohn des Metzgers Joseph Levy und seiner Frau Caroline im Londoner Eastend geboren, lebte und arbeitete im Viertel und wurde 1890 aufgrund der Folgen einer fortschreitenden psychischen Erkrankung in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, wo er 1891 starb. Als Todesursache wurde in den Akten ein fortschreitender Verfall infolge einer Syphilis angegeben.
Jacobs Frau Sarah soll den Anstaltsakten zufolge nach der Einweisung gesagt haben, Levy habe sie beinahe ruiniert, früher sei er ein guter Geschäftsmann gewesen. Aber er schlafe nun nachts nicht mehr, sondern wandere oft für Stunden ziellos umher. Auch befürchte er, jemandem etwas anzutun, wenn man ihn nicht aufhalte. Er höre Geräusche und Stimmen, die ihm befehlen und ihn zwingen Taten zu begehen, die er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne.

Zu einem Verdächtigen im Fall der Whitechapel-Morde wurde Jacob Levy durch die Recherche von Ripperologen in den Unterlagen der Nervenheilanstalten in und um London. Sie suchten darin nach jener Person, die in den Texten der hochrangigen Polizeibeamten Chief Constable Macnaghten, Assistant Commissioner Anderson und Chief Inspector Swanson als der mutmaßliche Ripper erwähnt werden, und dessen Leben in einer Irrenanstalt geendet haben soll. Vier verdächtige Personen wurden gefunden: Aaron Kosminski, David Cohen, Hyam Hyams und Jacob Levy. Auf Levy treffen zahlreiche Aussagen der Polizisten und Zeugen sowie des modernen Profilings zu. 


Beruf Metzger:

Im Census und im London Business Directory ist als Beruf von Jacob Levy Metzger angegeben.

Für moderne Profiler ist das Töten von Tieren am Anfang der mörderischen Karriere typisch für die Biographie von Serienkillern, ein Metzgerjunge wächst damit auf und kann seine pathologische Veranlagung durch seine Berufswahl zugleich entwickeln, ausleben und kaschieren. 
Angesichts der Art der Verletzungen bei den Opfern gehen Gerichtsmediziner und Polizei damals wie heute davon aus, dass JTR zumindest grundlegende anatomische Kenntnisse besaß und auch bei schlechtem Lichtverhältnissen sicher mit einem Messer umgehen konnte. Kenntnisse über Anatomie und das Zerlegen von Körpern hatten damals vor allem beruflich damit beschäftigte Gruppen wie Chirurgen oder Schlachter - demnach könnte JTR also Metzger gewesen sein. Dies war z.B. die Meinung von Dr. Frederick Gordon Brown, der Catherine Eddowes untersuchte, und auch von Dr. George Bagster Phillips, der Annie Chapman obduzierte.
Die Tatwaffe soll Gerichtsmedizinern zufolge eine lange, schmale, gerade Klinge gehabt haben, wie sie typisch zum professionellen Zerlegen von Körpern ist, z.B. sog. Amputationsmesser von Chirurgen oder ähnliche Metzgerklingen wie z.B. ein Tranchiermesser.
Der Kehlenschnitt deutet ebenfalls auf einen Metzger hin, der es gewohnt ist, so das Schlachtvieh zu töten. Das Töten geschah schnell und effizient, die Verstümmelungen wurden post mortem zugefügt und von Opfer zu Opfer umfangreicher - womit das Töten vor allem Mittel zum Zweck, das eigentliche Ziel hingegen offenbar das Eröffnen und Ausweiden des Unterleibs der Opfer war. Organentfernungen unter Zeitdruck und bei sehr schlechten Lichtverhältnissen, ohne sich total mit Blut zu versauen, spricht für Erfahrungen im Schlachterhandwerk.
Ein Indiz dafür ist auch, dass der Ripper seine Opfer i.d.R. bis zur Bewusstlosigkeit bzw. zum Kreislaufkollaps würgte, bevor er das Messer ansetzte. Offenbar wusste er aus Erfahrung, dass ansonsten das Blut aus den Arterien kräftig spritzen würde, es so aber relativ langsam aus den Wunden rann. Dies verhinderte, dass er selber allzusehr vollgeblutet wurde und erleichterte die Entnahme der Organe, die ansonsten in ein Meer von Blut getaucht gewesen wären.


Motiv Syphilis:
Irgendwann vor 1886 muss sich Jacob Levy mit Syphilis angesteckt haben, die dann 1891 als Todesursache diagnostiziert wurde - vermutlich hat er sie sich wie viele Männer bei einer Prostituierten eingefangen.
Der Zeitraum ergibt sich zurückgerechnet aus dem statistischen Verlauf der Erkrankung: Da er im August 1890 in die Nervenheilanstalt City of London Asylum at Stone in Kent eingeliefert wurde, wo er ein Jahr später an den Folgen der Syphilis starb, dürfte die Krankheit spätestens im ersten Halbjahr 1890 in ihr letztes Stadium eingetreten sein, wobei Levy aber schon die beiden Jahre zuvor unter den Auswirkungen der Krankheit gelitten haben dürfte.
 
Eine Syphilis-Infektion durch eine Prostituierte wird von modernen Profilern als plausibles Motiv für die Morde von JTR angesehen: Es erklärt die Wahl der Opfer und die Verstümmelungen im Unterleib.
Darüber hinaus führte unbehandelte Syphilis oft zu einer chronischen Hirnentzündung (sog. Neurosyphilis). Sensitive oder psychische Veränderungen wurden von den Ärzten damals oft beschrieben, so u.a. auch Gewaltausbrüche, eine übermäßige Steigerung der Libido und verschiedene Arten von Wahrnehmungsveränderungen.
Gut möglich, dass der Ripper sich zuerst gar nicht bewusst dafür entschieden hatte, auf Prostituiertenmord zu gehen, sondern dass die erste Tat eine Affekthandlung war, als er zufällig erneut auf eine Prostituierte traf, die ihn an die Überträgerin erinnerte, und seine ganze Wut über die Infektion wieder hochkam. Weil ihm diese erste Tat Befriedigung verschaffte, zog er danach dann regelmäßig los. Somit könnte zum Beispiel Martha Tabram sein erstes Mordopfer gewesen sein, auf die "nur" eingestochen wurde, noch ohne sie auszuweiden (s.u.). 


Auswahl der Opfer:
Es gab weit über 1200 Gelegenheitsprostituierte in Whitechapel, die ohne Schutz durch einen Zuhälter nachts auf den Straßen nach Kunden suchten - und sie waren eine häufige Ansteckungsquelle für Syphilis.

JTR hatte damit nicht nur eine große Auswahl an potentiellen Opfern. Prostituierte vom Straßenstrich sind auch leichte Opfer, weil sie für das Sexgeschäft freiwillig mit fremden Männern an Orte gehen, wo sie mit ihnen allein sind, und dem Mörder damit auch noch unbeabsichtigt helfen, einen geeigneten Tatort zu finden. Eine zeitaufwendige und vor allem riskante Ausspähung und Verfolgung potentieller Opfer ist nicht notwendig, da sie in der Öffentlichkeit auf Freier warten und oft sogar selber auf potentielle Kunden zugehen.


Nähe zu Opfern:
Die Adresse von Jacob Levys Eltern lautete Middlesex Street 111, er selbst hatte später ein paar Jahre in der Fieldgate Street 11 gewohnt, und war im Jahr der Morde laut Kelly's London Business Directory von 1888 in der Middlesex Street 36 gemeldet. Alle kanonischen Opfer von JTR waren verarmte Gelegenheitsprostituierte, die in Armenunterkünften in einem kleinen Umkreis nur etwa 300-400 Meter nordöstlich von Levys Adresse übernachteten und in einem fußläufigen Oval um seinen Lebensmittelpunkt herum getötet wurden. Martha Tabrams letzte Adresse war Satchell's Lodging House in der George Street etwa 300 Meter östlich von der der Middlesex Street (s.u.).

Jacob Levy ist in der von modernen Profilern ermittelten Comfort Zone von JTRs Aktivitäten aufgewachsen und wohnte auch als Erwachsener noch dort. Er kannte sich also seit Kindertagen bestens in Whitechapel aus, fiel dort nicht auf und wusste sich angemessen zu verhalten.
Sowohl für die zeitgenössischen als auch die modernen Ermittler war JTR mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Einheimischer mit guter Ortskenntnis, was es ihm ermöglichte, sich schnell und unauffällig zu bewegen und die Polizeistreifen zu meiden, um bei seinen Taten und auf der Flucht nicht erwischt zu werden und relativ schnell von der Straße zu verschwinden.
Als einheimischer Metzger hatte Levy nahegelegene Rückzugsmöglichkeiten, die ein Versteck für blutverschmierte Kleidung und Messer boten. Blut an seiner Kleidung und Messer waren wegen seines Berufes alltäglich und erklärbar, nicht schon per se verdächtig. Organe der Opfer konnten unter Metzgerware getarnt werden.
Außerdem gab es in der Middlesex Street den Petticoat Lane Street Market der Schneider, der eine große Auswahl an günstiger Second-Hand-Kleidung zum Wechseln bot - und genau dort will der Zeuge George Hutchinson den Verdächtigen vom Kelly-Mord erneut gesehen haben (s.u.).


Verbindung zu Zeugen:
Im Census von 1871 ist für eben diese Middlesex Street 36 der Metzger Hyam Levy eingetragen, der dort mit seiner Frau Frances und seiner Familie wohnte, 1881 ist dann seine Witwe Frances als Haushaltsvorstand und Metzger eingetragen. Die beiden sind laut Casebook die Eltern jenes Joseph Hyam Levy, der später als Zeuge zum Mord an Catherine Eddowes vernommen wurde. Joseph Hyam Levy arbeitete 1888 selbst als Metzger kaum 50 Meter von Jacob Levy entfernt in der Hutchinson Street 1, einer Gasse, die in die Middlesex Street mündet.

Mehrere Levys, die sich nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft befanden und der gleichen Branche angehörten, sondern nacheinander auch dieselbe Metzgerei betrieben: Es ist so gut wie sicher, dass sie sich zumindest gekannt haben.

Laut einer Ausgabe des Ripperologist von 2012 waren Joseph Hyam Levy und der Ripper-Verdächtige Jacob Levy sogar verwandt:
Isaac Ben Hyam Levy und seine Frau Sarah hatten sechs Kinder: Hyam, Esther, Elias, Moss, Joseph und Elizabeth.
Hyam Levy heiratete eine Frances Naphtali, und sie hatten sieben Kinder: Isaac, Naphtali, Sarah, Joseph, Elias, Henry und Elizabeth. Dieser Joseph Levy sollte später ein wichtiger Zeuge im Falle Jack the Rippers werden.
Hyams Bruder Joseph Levy heiratete 1848 Caroline Solomon. Beide hatten 8 Kinder: Jane und Rebecca (aus Carolines erster Ehe), Hannah, Elizabeth, Issac, Abraham, Jacob und Moss. Dieser Jacob Levy sollte später ein Verdächtiger im Fall Jack the Rippers werden.
Jacob Levy wurde 1856 geboren. Im Census von 1861 sind er und seine Familie in der Middlesex Street 111 geführt.
Joseph Hyam Levy lebte zu dieser Zeit noch bei seinen Eltern in der Middlesex Street 36 (ehemals Petticoat Lane). Er heiratete 1866 Amelia Lewis und zog mit ihr in die Hutchinson Street 1. Dort hatte er seinen eigenen Laden.
Am 25. November 1872 starb Josephs Vater Hyam Levy. Sein Geschäft übernahmen seine Witwe Frances und seine Töchter Sarah und Elizabeth. Nach dem Census von 1881 führte Frances auch dann noch das Geschäft weiter.
Am 23. April 1879 heiratete Jacob eine Sarah Abrahams. Laut Census von 1881 wohnte er mit ihr und seinen zwei Söhnen in der Fieldgate Street 11. Ein paar Jahre später aber übernahm er laut Kelly's London Business Directory von 1888 das Geschäft seiner Tante Frances, Mutter des Zeugen Joseph Hyam Levy, in der Middlesex Street 36.

Joseph Hyam Levy und Jacob Levy waren demnach Cousins.
Machte der Zeuge Joseph Levy bei der Vernehmung zum Mordfall Eddowes deshalb so merkwürdige Andeutungen und den Eindruck, er wisse mehr als er zugeben wollte (s.u.)?


Kriminelle Vorgeschichte:
Am 5. April 1886 wird Jacob Levy laut Eintrag beim Central Criminal Court zu 12 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er zusammen mit zwei anderen Männern seinem Nachbarn, dem Metzgermeister Hyman Sampson, Middlesex Street 35, Fleisch gestohlen hatte. Sampsons Metzgerei lag zwei Jahrzehnte lang in der Parallelstraße, Goulston Street 58.

Eine kriminelle Vorgeschichte ist modernen Profilern zufolge typisch für Serienmörder.
Der Ort des Diebstahls liegt in JTRs Comfort Zone, zwischen den Tatorten des Double Event.
Zudem wurde ein Stück von Eddowes blutverschmiertem Rock in der Tatnacht am Hauseingang des Gebäudes Wentworth Buildings 108-119, Goulston Street, gefunden, unter dem berüchtigten antisemitischen Graffiti (von dem allerdings unklar ist, ob es von JTR stammte).
Falls Jacob Levy der Ripper war, so könnte die Platzierung ein Versuch gewesen sein, die Polizei in die falsche Richtung weiter nach Osten zu lenken - weg von ihm in der Middlesex Street.
Auch Rache an seiner Gemeinde, die sich wegen des Diebstahls von ihm abgewandt hatte, könnte möglich sein, denn laut Superintendent Thomas Arnold wohnten viele Juden dort.

Im Ripperologist stand einmal, dass es strenge Regeln in der jüdischen Gemeinde für den geschäftlichen Umgang miteinander gab, und dass ein solcher Diebstahl wohl dazu geführt hätte, dass ihm der Jewish Council die Lizenz entzogen hätte. Damit hätte seine Frau Sarah, um die Familie zu ernähren, auch nach Jacobs Entlassung 1887 das Geschäft allein weiterbetreiben müssen. In der Tat taucht später seine Frau als Geschäftsinhaberin im Census auf.
Für Jacob hätte das nun zur Folge gehabt, dass er gezwungen gewesen wäre, auf andere Art seinen Anteil am Familieneinkommen zu verdienen.

Wenn Jacob den Shop in der Middlesex Street 36 nicht mehr selber betreiben durfte, musste er seitdem offensichtlich bei Bekannten und Verwandten in deren Geschäften oder in den Schlachthöfen arbeiten. Dadurch konnte er seinen Teil zum Familieneinkommen beitragen und stand zugleich wegen seines immer asozialeren Verhaltens unter einer gewissen Aufsicht. Das dürfte eine ziemliche Schmach und Erniedrigung für ihn gewesen sein.

Wenn wir nun betrachten, wo diese Arbeitsplätze gewesen sein könnten, finden wir nicht nur die observierte Butcher's Row mit einem Schlachthaus dahinter in der Harrow Alley, sondern auch noch das Harrison, Barber & Co Slaughterhouse in der Winthrop Street, in der Parallelstraße vom Nichols-Tatort in der Buck´s Row nur rund 100 Meter entfernt. Dort wurde auch über Nacht gearbeitet, damit die Kunden morgens frisches Fleisch hatten. Diese Metzger zerlegten also routinemäßig Körper unter schlechten Lichtverhältnissen - so wie der Ripper.
Die angestellten Metzger hatten damals i.d.R. ihr eigenes Arbeitswerkzeug (so wie dies auch in anderen Branchen üblich war bzw. bis heute ist), nahmen es zur Arbeit mit und am Feierabend wieder mit nach Hause. Dazu würde passen, dass einige Zeugen den mutmaßlichen Ripper mit einem Päckchen in der Hand gesehen hatten (s.u.).


Anzeichen psychischer Zerrüttung:
Bereits kurz nach seiner Verurteilung begeht Levy im April 1886 einen Selbstmordversuch im Holloway Prison, der jedoch scheitert.
Am 21. Mai 1886 wird er aufgrund des Suizidversuchs und seltsamer Murmeleien für geisteskrank erklärt und in das Essex County Asylum überführt. In den Akten dort wurde festgehalten, er habe gejammert, Irresein sei in seiner Familie erblich, schon sein Bruder habe Selbstmord begangen.
Am 3. Februar 1887 wird Levy dann wieder aus der Anstalt als "geheilt" entlassen.

Offenbar war die Verurteilung so traumatisierend, dass sie zu einem Zusammenbruch führte - vermutlich weil nun sein Ruf in der Gemeinde schwer beschädigt war und die Gefängnisstrafe negative Auswirkungen auf sein Geschäft und seine sozialen Beziehungen hatte.
Diese Entwicklung ist ein deutliches Indiz der beginnenden psychischen Zerrüttung mit der Bereitschaft zu Grenzüberschreitung, kriminellem Verhalten und Gewalt (wenn auch zunächst gegen sich selbst gerichtet).


Möglicher finaler Stressauslöser:
Am 18. Mai 1888 wird Jacob Levys Mutter Caroline beerdigt.

Nachdem seine Verurteilung und Einweisung bereits seine sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen beschädigt haben dürfte, und auch seine Ehe davon und von der Syphilis belastet gewesen sein wird, stirbt nun auch noch eine der wichtigsten Bezugspersonen eines Menschen.
Für moderne Profiler ist dies ein klassischer Stressauslöser zum Start in eine mörderische Karriere. Ziel der Aggression wird diejenige Gruppe, der der Täter die Verantwortung für sein Schicksal gibt: die Prostituierten von Whitechapel, bei denen er sich mit Syphilis angesteckt hat.



Die Mordserie

Dienstag, 7. August 1888: Martha Tabram im George Yard
Tabram wurde im Treppenhaus des George Yard Buildings 37 vermutlich das erste Opfer von JTR.
Tabram war auf einer Kneipentour mit ihrer Bekannten Mary Ann Connely ("Pearly Poll") und zwei Soldaten. Gegen 0 Uhr trennten sich die Pärchen um Sex zu haben, Connely ging mit dem Corporal zur Angel Alley, und Tabram verschwand mit dem Private in den George Yard.
Gegen 1.40 Uhr stieg das Ehepaar Elizabeth und Joseph Mahoney das Treppenhaus zu ihrem Zimmer hinauf und sah nichts. Auch als Elizabeth Mahoney es kurz darauf wieder durchquerte, um in einem Shop in der Thrawl Street etwas zu Essen zu kaufen, lag Tabram noch nicht da.
Tabram wurde mit einem Stich ins Herz getötet und mit insgesamt 39 Messerstichen in Brust und vor allem Unterleib traktiert. Sie lag auf dem Rücken, ihre Kleider waren hochgeschoben und ihre Beine gespreizt, ebenso wie bei den kanonischen Ripper-Opfern.
Gefunden wurde die Leiche auf dem Absatz des ersten Stocks gegen 4.45 Uhr durch Bewohner John Saunders Reeves, nachdem bereits Bewohner Alfred George Crow gegen 3.30 Uhr Tabram für einen schlafenden Obdachlosen gehalten hatte. Damit muss die Tatzeit zwischen 1.45 Uhr und 3.30 Uhr liegen. Reeves suchte eine Polizeistreife und fand Constable Thomas Barrett auf seiner Runde.

Der Soldat dürfte wohl der Letzte gewesen sein, der Tabram lebend gesehen hat, konnte aber weder von "Pearly Poll" noch von Constable Barrett bei Gegenüberstellungen identifiziert werden, obwohl letzterer auf seiner Streife durch die Wentworth Street gegen 2 Uhr einen Private der Grenadier Guard am Nordende des George Yard stehen sah und ihn ansprach. Der Private sagte dem Polizisten, er warte auf einen Kameraden, der mit einem Mädchen unterwegs sei, darauf ging Barrett weiter seine Streife, bis er drei Stunden später von Reeves zum Tatort gerufen wurde.
Der unbekannte Soldat könnte also den Mord verübt haben, dennoch war er aber wahrscheinlich nicht der Täter: Rund zwei Stunden für Sex mit einer älteren, unattraktiven Prostituierten an einem öffentlich zugänglichen Ort erscheint doch ein ziemlich langer Zeitraum. Wenn sie so lange im Treppenhaus von Nr. 37 gewesen wären, wäre wohl auch das Ehepaar Mahoney oder ein anderer Bewohner auf beide gestoßen.
Zudem hätte ein blutbefleckter Mörder wohl kaum in unmittelbarer Nähe des Tatorts auf seinen Kameraden gewartet und so entspannt auf Polizist Barrett reagiert. Barrett jedenfalls kam nichts an ihm und seinem Verhalten verdächtig vor. Wahrscheinlicher ist, dass sich Tabram nach 1.45 Uhr noch mit einen anderen Mann - eben dem Ripper - in den George Yard zurückgezogen hat.

Erkenntnissen der modernen Kriminologie zufolge stammt das erste Opfer eines Serientäters oft aus seinem näheren räumlichen Umfeld. Tabrams letzte bekannte Adresse war Satchell's Lodging House in der George Street, und die Kneipentour endete vor den George Yard Buildings.
Jacob Levys Heim in der Middlesex Street 36 liegt nur rund 300 Meter oder etwa 3-4 Minuten Fußweg von beiden Orten entfernt.
Der Profiler William Eckert: "Nachdem der erste Mord geschehen war, in dessen Nähe der Mörder wahrscheinlich lebte, zog er weiter." In diesem Fall in die Buck's Row.


Freitag, 31. August 1888: Marie Ann Nichols in der Buck's Row
Nichols übernachtete zuletzt im White House Nachtasyl in der Flower and Dean Street 56.
Gegen 2.30 Uhr wurde Nichols zuletzt lebend gesehen von ihrer Bekannten Emily Holland an der Ecke Osborn Street / Whitechapel High Street, fast einen Kilometer vom Tatort entfernt, bevor sie betrunken auf der Whitechapel Road weiter Richtung Osten wankte.
Bis ca. 3.20 Uhr kamen nacheinander die Polizisten Neil, Thain und Kirby auf ihren Runden durch die Buck's Row, ohne etwas Verdächtiges zu sehen. Gegen 3.45 Uhr fanden dann Charles Andrew Cross und Robert Paul auf ihrem Weg zur Arbeit die Leiche von Nichols vor dem verschlossenen Tor zu Brown's Stable Yard (vermutlich hatte der Täter vergeblich versucht, mit ihr in den Hof zu gelangen). Die Tatzeit muss also zwischen 3.20 Uhr und 3.45 Uhr betragen.

Cross war als erster und allein am Tatort, bis Paul kurz darauf dazustieß. Somit könnte Cross der Täter gewesen sein, zumal alle Tatorte JTRs auf den Wegen zwischen seiner Adresse in der Doveton Street 22, seiner Arbeit als Fleisch-Auslieferer in der Broad Street und dem Wohnort seiner Mutter in der Nähe der Berner Street lagen.
Allerdings hätte Cross, als er die Schritte von Paul hörte, einfach nach Westen verschwinden können, ohne erkannt zu werden, statt auf ihn zu warten: Es sind rund 100 Meter vom östlichen Ende der Buck's Row bis zum Tatort und es war noch dunkel. Bis zu den Querstraßen im Westen als Fluchtwege sind es nur wenige Meter. Stattdessen wartete er auf Paul, wies ihn erst auf den am Straßenrand liegenden Körper hin und ging mit Paul einen Polizisten suchen. Auch wäre wohl aufgefallen, wenn Cross, der erste am Nichols-Tatort, auch an den Morgen der Morde von Annie Chapman und Mary Jane Kelly zu spät zur Arbeit gekommen wäre, denn sein Job begann bereits um vier Uhr morgens - jene Tatzeiträume liegen jedoch deutlich später (s.u.).
Außerdem war er nicht nur vor den Morden ein unbescholtener Mann, der 20 Jahre lang zuverlässig denselben Job innehatte, er lebte auch noch mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Serie als freier und gesunder Bürger weiter, ohne irgendwie einschlägig aufzufallen. Daher war Cross wohl eher nicht der Ripper.

Was Jacob Levy betrifft: Der Tatort ist zwar rund 1300 bis 1400 Meter und damit etwa 16-18 Minuten Fußweg von Levys Adresse in der Middlesex Street 36 entfernt.
Aber Nichols übernachtete im White House Nachtasyl in der Flower and Dean Street 56, und trieb sich bis 2.30 Uhr in der Umgebung der Hauptverkehrsader Whitechapel High Street herum, beides nur rund 300 Meter von Levys Adresse entfernt.
Es ist auch kriminologisch plausibel, dass JTR auf seiner Jagd die Zentren des Straßenstrichs aufsuchte und beobachtete, ob ein potentielles Opfer in ruhigere Nebenstraßen abbog, um ihr dahin zu folgen. Einer dieser Prostituierten-Treffs war die Umgebung von Whitechapel Station / London Hospital. Zudem erscheint es vernünftig, diesmal nicht allzu nah beim eigenen Heim zuzuschlagen.
Vielleicht war JTR auch gar nicht auf seine eigenen vier Wände als sichere Zuflucht nach den Taten eingeschränkt, sondern konnte an verschiedenen Orten unauffällig von der Straße verschwinden - Detective Inspector Henry Cox von der City Police schrieb über den observierten Verdächtigen im Ripper-Fall: "He occupied several shops in the East End".
Möglicherweise konnte JTR die Straßen schnell verlassen, indem er nach der Tat in Shops von Verwandten oder Freunden verschwand.
Im Fall von Jacob Levy und der Buck's Row könnte dies der Zigarrenhändler John Levy gewesen sein, der in der Whitechapel Road 254 in den 1880ern einen Cigar Shop betrieben hatte, und neben dessen Shop nach dem Double Event ein blutiges Messer gefunden wurde (s.u.).

Ende 1888 scheint John Levy, bereits im Seniorenalter, einer Gertrude Smith einige Zimmer in seinem früheren Shop vermietet zu haben, welche die Räume als illegales Bordell nutzte, zumindest zeitweise. Es gab einen polizeilich festgehaltenen Vorfall um einen illegalen Bordellbetrieb von Gertrude Smith, in den ein N. Cohen und Aaron Davis Cohen (später David Cohen) verwickelt waren, der wohl in der 254 Whitechapel Road Ende November/Anfang Dezember 1888 stattfand.
Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Bericht von Polizeichef Warren:
Home Office Report by Charles Warren dated September 19, 1888: "A brothel keeper who will not give her address or name writes to say that a man living in her house was seen with blood on him on the morning of the murderer. She described his appearence and where he might be seen - when detectives came near him he bolted, got away and there is no clue to the writer of the letter."
Die Adresse des Shops in der Whitechapel Road 254 ist nur etwa 400 Meter oder 4-5 Minuten vom Tatort Buck's Row entfernt. War Levy der Ripper, hätte er also auf dem Weg zum oder vom Shop auf Nichols treffen und sich nach der Tat dort verstecken können. 

Interessant an der Metzger-Theorie ist zudem, dass sich in der Nähe von mindestens zwei Tatorten Schlachthäuser befanden: Da in diesen auch über Nacht gearbeitet wurde, hätte ein Metzger dort als Einkäufer für sein Geschäft auftreten oder als Schlachter arbeiten können. Das Tragen seiner Arbeitsgeräte und blutverschmierter Arbeitskleidung wäre dort nicht per se verdächtig gewesen.
Das Schlachthaus in der Harrow Alley, Eingang von der Butcher's Row, lag nicht nur nahe Tatort Mitre Square, sondern passt auch auf den Butcher's Row Suspect (s.u.).
Und das Harrison, Barber & Co Slaughterhouse in der Winthrop Street lag in der Parallelstraße zum Tatort Buck´s Row.


Samstag, 8. September 1888: Annie Chapman in der Hanbury Street
Chapman verbrachte ihre letzten Nächte in der Crossingham's-Unterkunft in der Dorset Street 35.
Gegen 1.50 Uhr verließ sie das Asyl Richtung Norden in die Brushfield Street.
Gegen 5.30 Uhr am frühen Morgen wurde Chapman zum letzten Mal lebend gesehen, und zwar von der Zeugin Elizabeth Long. Unmittelbar vor dem Tatort in der Hanbury Street 29 soll sie laut Longs Aussage mit einem Freier gesprochen haben: "Willst du?" - "Ja."
Long beschreibt den Verdächtigen wie folgt: Knapp 40 Jahre alt, etwas größer als Chapman, dunkler Mantel und tief ins Gesicht gezogener dunkler Hut, fremdländisches Aussehen.
Etwa zur selben Zeit geht Albert Cadosch aus dem Nachbarhaus Nr. 27 in seinen Hinterhof zur Toilette, als er danach ins Haus zurück will, hört er vom Hof nebenan zunächst ein leises "No" und wenige Minuten später bei seinem Aufbruch zur Arbeit etwas gegen den Zaun stoßen.
Gegen 6 Uhr wurde Chapmans Leiche im Hinterhof vom Hausbewohner John Davies entdeckt.
Die Tatzeit liegt also zwischen 5.30 Uhr und 6 Uhr, und die Zeugin Long hat damit wohl den Ripper bei Chapman gesehen.

Da die Tatzeit bereits nahe der beginnenden Morgendämmerung und dem wieder einsetzenden "Berufsverkehr" in den Straßen liegt, hatte JTR nicht viel Zeit, aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, bevor es richtig hell wurde. Der Tatort ist rund 700 Meter oder etwa 8-9 Minuten Fußweg von Levys Adresse in der Middlesex Street 36 entfernt.

Interessant ist ein bekannt gewordener Zwischenfall im Prince Albert Pub an der Ecke Brushfield Street / Steward Street, etwa 200 Meter südwestlich vom Tatort:
Am frühen Morgen tauchte laut Aussagen der Inhaberin Mrs. Fiddymont ein Mann auf, dessen Erscheinung Mrs. Fiddymont und ihrer Kundin Mary Chappell Angst machte: Er trug einen dunklen Mantel, hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, sein Hemd war gerissen und er hatte offenbar Blutflecken auf seinem rechten Handrücken. Als er bemerkte, dass er kritisch beäugt wurde, drehte er sich weg, trank sein Bier in einem Zug aus und verließ den Pub sofort wieder. Mary Chappell folgte dem Mann in die Brushfield Street, stellte fest, dass er Richtung Bishopsgate ging und wies den Passanten Joseph Taylor auf den Mann hin.
Die drei wurden später von der Polizei zu zwei Gegenüberstellungen geladen, aber unter den vorgeführten Verdächtigen erkannten sie den Mann nicht wieder.
Bemerkenswert daran ist, dass nahe der Brushfield Street die Sandy's Row geradewegs zur Middlesex Street hinunter führt.


10. September 1888: Erster Tatverdächtiger "Leather Apron"
Bei den Befragungen der Polizei erzählten Prostituierte, dass sie Angst vor einem gewalttätigen Mann hätten, der Schutzgeld von ihnen erpresse und sie schlage, und der wegen seiner Lederschürze  den Spitznamen "Leather Apron" hätte. Die Ermittlungen führten zu einem polnischen Juden namens John Pizer, ein Schuhmacher, der jedoch für die fraglichen Tatzeiten Alibis aufweisen konnte und später von allen Anschuldigungen freigesprochen wurde.

Interessant sind bei Pizer aber die Übereinstimmungen mit späteren Zeugenaussagen: Er war Jude, mittleren Alters (38 Jahre), knapp 1,70 groß und hatte einen schmalen Oberlippenbart.
Und Lederschürzen trugen nicht nur Handwerker, sondern auch Metzger:
The Lancashire Evening Post, 14th September 1888: "The Leather Apron legend is being dropped in the most extraordinary fashion. The police now go on the slaughterman theory and are looking for accomplices."

Hinzu kommt, dass Serienmörder den Erkenntnissen der modernen Kriminologie zufolge oft schon vor ihren Morden durch andere Straftaten auffällig werden, darunter auch Raub. Es ist daher gut möglich, dass JTR vor seinen Morden bereits Prostituierte bedroht bzw. ausgeraubt hat. 
Jacob Levy war ein verurteilter Dieb, von dem seine Frau Sarah bei seiner Einweisung in die Irrenanstalt sagte, er hätte nicht nur begonnen, das Geld der Familie zu verschwenden, sondern auch fremder Leute Eigentum mitgehen zu lassen. Zwar ist von Jacob Levy kein Übergriff auf eine Prostituierte nachgewiesen, aber es gab vor der Mordserie Überfälle auf Prostituierte, die möglicherweise frühe Taten des Rippers gewesen sein könnten:
Zum Beispiel wurde die 38jährige Annie Millwood, wohnhaft 8 White's Row / Spitalfields, am 25. Februar 1888 ins Whitechapel Workhouse Infirmary eingeliefert, weil ein unbekannter Täter sie mit einem Messer angegriffen und ihr zahlreiche Stiche in den Unterleib und die Beine zugefügt hatte – die Verteilung der Wunden erinnert an jene an der Leiche von Martha Tabram.
Ein weiteres Beispiel: Ada Wilson wurde in der Nacht vom 27. auf den 28. März 1888 von einem Unbekannten an ihrer Haustür angegriffen: Der Täter verlangte von der Gelegenheitsprostituierten Geld, und als Wilson sich weigerte, zog er ein Messer und stach es ihr in den Hals. Wegen ihrer Schreie, die die Nachbarn alarmierten, flüchtete der Täter - das rettete ihr vermutlich das Leben.
Interessant ist die Täterbeschreibung, die Ähnlichkeiten mit anderen Zeugenaussagen in der Mordserie von JTR aufweist: Etwa 30 Jahre, knapp 1,70 groß, heller Schnauzbart, dunkler Mantel und breiter Hut.

Zudem würde der Zeitraum dieser Taten auf den ersten Bekennerbrief vom 24. September 1888 passen (s.u.). Darin schreibt ein vermeintlicher Schlachter an Polizeichef Warren, er sei verantwortlich für "all die Morde in den letzten sechs Monaten" - die kanonischen Opfer einschließlich Tabram umfassten damals aber gerade einen Zeitraum von wenigen Wochen. Mit jenen früheren Überfällen wäre es tatsächlich etwa ein halbes Jahr.


24. September 1888: Der erste Bekennerbrief
Durch die Grausamkeit der Morde und die Sensationsberichterstattung der Zeitungen nahm die öffentliche Aufmerksamkeit sprunghaft zu und Hysterie breitete sich in Teilen der Bevölkerung aus.  In der Folge davon erreichten Dutzende angebliche Bekennerbriefe die Polizei und die Presse.
Der erste davon war an Polizeichef Sir Charles Warren selbst adressiert, seine Existenz wurde damals geheim gehalten. Er lautete:

"Dear Sir,
ich würde gerne aufgeben, ich befinde mich in einem Albtraum. Ich bin der Mann, der alle diese Morde in den letzten sechs Monaten begangen hat. Mein Name ist (mit der Zeichnung eines Sargs unkenntlich gemacht). Ich bin ein (Pferde-)Schlachter und arbeite bei (mit zwei Balken unkenntlich gemacht). I have found the woman I would that is Chapman and I done what I called slautered her (?). Aber wenn jemand kommt, werde ich aufgeben. Aber ich werde nicht von selbst zur (Polizei-)Station gehen. Hochachtungsvoll (mit der Zeichnung eines Sargs unkenntlich gemacht)."
Rückseite:
"Haltet das Viertel sauber, oder ich werde ihm einen Besuch abstatten. (Zeichnung eines Messers) Dies ist das Messer, mit dem ich die Morde begangen habe. Es hat einen schmalen Griff mit einer langen Klinge, beide Seiten scharf."

Die meisten Bekennerbriefe wurden von der Polizei schon damals als geschmacklose Scherze von Trittbrettfahrern abgetan, nur wenige wurden ernst genommen. Selbst die berühmt gewordenen Briefe, in denen der Mörder sich angeblich den Namen "Jack the Ripper" gab (der "Dear Boss"-Brief und die "Saucy Jacky"-Postkarte) werden inzwischen für Fakes gehalten und sollen aus der Feder ebenjenes Sensationsreporters Thomas Bulling von der Central News Agency stammen, welche die Briefe der Polizei übergab.

Jener erste Brief aber erscheint bemerkenswert:
Erstens bezeichnet sich der Autor selbst als Schlachter. The Dundee Courier, 29th September 1888: "The latest theory is that the Whitechapel murders were committed by horse knackers, who abound in the parish, and in the idiom of the locality are queer characters."
Zweitens ist er nicht verhöhnend, sondern scheint der Hilferuf eines kranken Menschen zu sein, der in einer tiefen inneren Zerrissenheit gefangen ist - so wie der Zustand Jacob Levys bei der Einlieferung ins Irrenhaus beschrieben wurde. Der Satz mit Chapman ist aufgrund seiner Formulierungen und der fehlenden Satzzeichen etwas unklar, aber "and I done what I called" könnte bedeuten: "und ich habe getan, was mir befohlen wurde" - was ein Hinweis auf die befehlenden Stimmen sein könnte, die ein Wahnkranker oft hört, und von denen Levys Frau und Dr. Sequeira bei seiner Einweisung sprachen.

Betrachtet man sich die sargförmige Schwärzung an der Stelle, wo der Briefschreiber angeblich zum ersten Mal seinen Namen übermalt hat, so scheint darunter etwas ähnliches wie "leaffray" oder "leadfray" gestanden zu haben - und das würde von der Wortlänge sowie von den Oberlängen und  Silhouetten einiger Buchstaben passen auf unseren Metzger Jacob Levy:
l e  a  d  f r a y
l a co b  l e v y


Sonntag, 30. September 1888: Nacht des Double Event
Mord an Elizabeth Stride in der Berner Street 40/42, und etwa 45 Minuten später an Catherine Eddowes auf dem Mitre Square.

Stride übernachtete bis zu ihrem Tod im Armenasyl in der Flower and Dean Street.
Zwischen 0.35 Uhr und 0.45 Uhr sahen mehrere Zeugen (Polizist William Smith, Anwohner James Brown, Zeuge Israel Schwartz) Stride mit einem Mann in der Nähe des Berner Street Clubs. Beschrieben wird er übereinstimmend als knapp 1,70 groß, etwa 30 Jahre alt, heller Teint, Schnauzbart, dunkler Mantel und Schirmmütze. Polizist Smith bemerkte zudem ein Päckchen in seiner Hand.
Der aus Norden von der Commercial Road vorbeikommende Israel Schwartz will sogar eine Auseinandersetzung wahrgenommen haben, weswegen er schnell weitergegangen sei, sagte er später der Polizei. Der Mann habe die Frau am Tor zum Dutfields Yard zu Boden geworfen, die Frau habe kurz aufgeschrien. Als er zurückgeblickt habe, sei gerade ein anderer Mann mit einer Pfeife aus dem nahen "Nelson"-Pub gekommen und es habe eine kurze verbale Auseinandersetzung mit dem Verdächtigen gegeben, bis der Verdächtige "Lipski" gerufen habe. Da sei der andere auf Schwartz zugegangen und Schwartz sei aus Angst weggelaufen.
Gegen 1 Uhr dann wurde Strides Leiche vom Verwalter des Clubs, Louis Diemschütz, im Torweg des Dutfield Yard neben dem Club gefunden. Im Gegensatz zu den anderen Opfern wurde ihr nur die Kehle durchgeschnitten, aber offenbar wegen der Störung durch die Zeugen keine Verstümmelungen des Unterleibs mehr vorgenommen.

Als plausibelste Interpretation dieser Szene scheinen Schwartz und der Mann mit der Pfeife mitten in den Angriff des Rippers hineingeplatzt zu sein. Weil Schwartz schon auf der Flucht war, als der Pfeifenraucher auf die Straße kam, tat der Mörder offenbar so, als sei er ein unschuldiger Helfer und konnte den anderen Mann mit dem Ausruf "Lipski" davon überzeugen, dass der nach Süden flüchtende Schwartz der Angreifer gewesen sei, so dass "Pipeman" die Verfolgung von Schwartz aufnahm (leider konnte "Pipeman" nie identifiziert werden).
Lipski war ein Jude aus dem Viertel, der 1887 wegen Mordes verurteilt worden war - und sein Name war in antisemitischen Kreisen zum Schimpfwort gegen Juden im allgemeinen und zum Synonym für Mörder im speziellen geworden.
Indem der Mörder den einen Zeugen so auf den anderen hetzte, konnte er vom Tatort (vermutlich über die Gasse zur Batty Street, wo später blutige Wäsche gefunden wurde) schließlich nach Norden in die Commercial Road fliehen. Er wollte angesichts der Beinahe-Entlarvung mit ziemlicher Sicherheit zu seinem Versteck zurück - und in der Richtung, die er einschlug, liegt die Middlesex Street.
Da JTR aber sein eigentliches Ziel - die Verstümmelung - bei Stride nicht mehr umsetzen konnte, suchte er, als er sich wieder sicher fühlte, schließlich ein weiteres Opfer.

Eddowes und ihr Mann John Kelly lebten überwiegend im Armenhaus "Cooney's" in der Flower und Dean Street 55.
Gegen 1 Uhr wurde Eddowes aus der Ausnüchterungszelle der Polizeistation Bishopsgate Street entlassen und ging Richtung Süden, höchstwahrscheinlich die Houndsditch entlang zurück zur Aldgate High Street, wo sie den frühen Abend verbracht hatte.
Gegen 1.30 Uhr checkte Constable Edward Watkins auf Streife den Mitre Square, ohne etwas  Verdächtiges festzustellen.
Etwa um diese Zeit verließen Joseph Lawende, Harry Harris und Joseph Hyam Levy den Imperial Club, Duke Street, schräg gegenüber der Church Passage zum Mitre Square, und sahen einen Mann und eine Frau am Eingang der Passage in einem leisen Gespräch.
Der Zeuge Lawende beschrieb den Mann wie folgt: Etwa 30 Jahre alt, knapp 1,70 Meter groß, blasser Teint, heller Schnauzbart, durchschnittlicher Körperbau, graue Jacke, graue Stoffkappe und rötliches Halstuch, sah wie ein Seemann aus (wobei aber Seemänner selten "blassen Teint" haben).
Gegen 1.35 Uhr ging Constable James Harvey durch die Church Passage und schaute in den dunklen Mitre Square, sah jedoch nichts und kehrte auf seine Runde zurück.
Gegen 1.45 Uhr kam Constable Edward Watkins von der anderen Seite (Mitre Street) wieder durch den Hauptzugang in den Mitre Square und entdeckte beim Herumleuchten mit seiner Lampe die tote Eddowes in der dunkelsten Ecke liegen, vor dem Tor zu einem kleinen Hof (vermutlich hatte der Ripper gehofft, das Tor wäre offen).
Laut Inspector Robert Sagar von der City Police soll ein Polizist kurz zuvor gesehen haben, wie ein Mann aus der Mitre Street in östliche Richtung verschwand. Aufgrund der Sichtung dieses Mannes liefen anschließend Polizisten durch Gravel Lane und Stoney Lane, um Hinweise auf den Fluchtweg des Mörders zu finden - dieser Weg führt in die Middlesex Street und weiter in die Goulston Street. Einer davon war Detective Constable Daniel Halse, der mit den Kollegen Outram und Marriott an der Ecke Houndsditch bei St. Botolph's Church stand und aufgrund der Alarmierung in den Mitre Square kam. Nachdem Halse Instruktionen zur Befragung der Anwohner gegeben hatte, eilte er zuerst in die Middlesex Street und, weil er dort niemanden sah, weiter in die Wentworth Street, wo er zwei Passanten überprüfte. Gegen 2.20 Uhr checkte er die Goulston Street, um nach vergeblicher Suche zum Mitre Square zurückzukehren.
Gegen 2.55 Uhr fand Constable Alfred Long auf seiner Runde ein Stück der blutigen Schürze von Eddowes im Hauseingang der Wentworth Dwellings 108-119, Goulston Street. Darüber an der Wand stand mit Kreide der Satz: "Die Juden sind die Menschen, die nicht grundlos beschuldigt werden." Long zufolge soll die Schürze auf seiner vorherigen Runde gegen 2.25 Uhr noch nicht dort gelegen haben. Ob das antisemitische Graffiti zuvor schon da gewesen war, wusste er nicht.

War Levy der Ripper, wäre er nach der unterbrochenen Tat an Stride in Richtung der Middlesex Street geflüchtet, um schnell von der Straße verschwinden zu können, dann aber mit oder ohne einen Zwischenstopp zuhause weiter Richtung Westen gezogen, wo er in der Houndsditch oder Duke Street den Weg von Eddowes kreuzte.
Die Berner Street ist rund 700 Meter oder etwa 8-9 Minuten Fußweg von Levys Adresse in der Middlesex Street 36 entfernt.
Die Strecke zwischen Berner Street und Mitre Square beträgt rund 1000 Meter oder etwa 12-15 Minuten Fußweg.
Die Strecke zwischen Mitre Square und Middlesex Street 36 beträgt rund 300 Meter oder etwa 3-4 Minuten Fußweg.
Jacob Levy hätte auch nach dem Mord an Eddowes zuhause einen Zwischenstopp einlegen können, um Blut, Messer, Gebärmutter und Niere loszuwerden und sich umzuziehen, bevor er die Schürze platzieren ging, um eine falsche Spur zu legen - oder er zog direkt weiter, weil er nicht direkt nach Hause zurückkehren konnte, z.B. weil ihm die Polizei zu dicht auf den Fersen war.
Die Strecke vom Mitre Square zur Goulston Street beträgt nur rund 500 Meter oder 6-7 Minuten. Entweder haben die Polizisten Halse und Long die Schürze gegen 2.25 Uhr übersehen, oder JTR hat sich zeitweise in einer Zuflucht versteckt, bevor er sie ablegte. Ein Umweg von rund einer dreiviertel Stunde durch die Straßen voller alarmierter Polizisten ist eher unwahrscheinlich - daher dürfte die Rückzugsmöglichkeit des Rippers in unmittelbarer Nähe gewesen sein. Die Ablage der Schürze könnte dann für ein Ablenkungsmanöver sprechen, das die Ermittler auf eine falsche Fährte locken sollte Richtung Osten, weg von der Umgebung Mitre Square und seiner Zuflucht.
Wenn Levy der Ripper war, hätte er damit aufgrund der Erkenntnis, zu nah an seinem Zuhause zugeschlagen zu haben, bewusst die Spur vom Grenzgebiet der City Police, wo er wohnte, weiter nach Osten in das Territorium der Metro Police gelenkt.
Vielleicht konnte er aber auch einfach nicht in die Middlesex Street 36 zurück, entweder weil er sich verfolgt fühlte, weil seine Frau noch wach oder gerade jemand in der Straße unterwegs war.
Die Strecke zwischen den Parallelstraßen Goulston Street und Middlesex Street beträgt weniger als 100 Meter oder etwa 1-2 Minuten Fußweg.

Daraus ergeben sich zwei interessante Möglichkeiten, wenn Levy der Ripper war:
Zur Zeit der Morde lebte laut Census von 1891 Jacobs Bruder Isaac Levy, ein Cigar Maker, in der Goulston Street 130, und die Geburt seiner Tochter 1888 ist unter derselben Adresse angegeben - dies ist nur einen Häuserblock vom Schürzenfund entfernt.
Zum zweiten bleibt noch die Alternative, dass Jacob weiter zum Cigar Shop von John Levy in die Whitechapel Road 254 flüchtete, um sich dort zu verstecken - direkt nebenan vor Nr. 253 wurde am Tag darauf von Thomas Coram ein blutiges Messer gefunden (s.u.).

Bemerkenswert ist, dass es am Tatort im Mitre Square sehr dunkel war: Die Streifenpolizisten mussten ihre Lampen verwenden, um in den Ecken überhaupt etwas erkennen zu können. JTR hatte nur etwa 10 Minuten für die Verstümmelungen, die noch umfangreicher als bei den vorherigen Opfern waren. Insbesondere die Entfernung von Gebärmutter und Niere in der Dunkelheit zeugen davon, dass der Ripper offenbar Übung darin hatte, einen Körper bei schlechtem Licht schnell mit einem Messer zu zerlegen. Auch dies deutet auf einen Metzger hin, eine Ansicht, die u.a. Dr. Frederick Gordon Brown vertrat, der Eddowes Leiche untersuchte.

Merkwürdigerweise taucht in den Berichten über die Coroner-Untersuchung zu Strides Tod der wichtige Zeuge Israel Schwartz gar nicht auf.
Und bei der Coroner-Untersuchung zu Eddowes Tod wurde dem Zeugen Joseph Lawende verboten, den Verdächtigen öffentlich genauer zu beschreiben - offenbar aus ermittlungstaktischen Gründen.
Dies deutet darauf hin, dass die Polizei glaubte, eine heiße Spur zu haben.
Zumal Lawendes Begleiter Joseph Hyam Levy bei der polizeilichen Vernehmung und gegenüber der Presse den Eindruck gemacht hatte, mehr zu wissen, als er zugeben wollte. So soll er beim Anblick von Eddowes und dem Mann zu seinen beiden Begleitern gesagt haben, wenn er solche Charaktere sehe, wolle er nicht alleine nach Hause gehen, und man solle den Hof beobachten (!).
Als er beim Verhör gefragt wurde, ob er denn Angst gehabt habe, antwortete er kryptisch: nicht wirklich um sich. Frage: "What was there terrible in their appearance?" - Antwort: "I did not say that." - Frage: "Your fear was rather about yourself?"- Antwort: "Not exactly." (!)
Joseph Hyam Levys Verhalten könnte dadurch erklärt werden, dass er den Mann erkannt hatte und decken wollte - vielleicht war es sogar sein Verwandter Jacob Levy gewesen.


1. Oktober 1888: Messer-Fund in der Whitechapel Road
In der Nacht nach dem Double Event fand Thomas Coram gegen 0.30 Uhr vor der Whitechapel Road 253 ein in ein Taschentuch eingewickeltes blutiges Messer, das er der Polizei übergab - jedoch konnten die obduzierenden Ärzte nicht bestätigen, ob dies die Waffe des Rippers war.

Interessant ist in diesem Zusammenhang aber: Wie bereits erwähnt hatte in den 1880er Jahren John Levy in der Whitechapel Road 254 einen Cigar Shop. Er war laut Census der Bruder von Fanny, Lewis und Samuel Levy von den Levys aus der Mitre Street 29, und sie waren Ripperologen zufolge Cousins des Zeugen Joseph Hyam Levy - somit war auch Jacob Levy mit diesen Levys verwandt (s.u.). Und Lewis Levy hatte in den 1860ern in Mitre Square 8 gewohnt - dahinter fand man vor dem Hinterhoftor die Leiche von Catherine Eddowes (!).

War Jacob Levy der Ripper, kannte er sicher den Hinterhof im Mitre Square und könnte gehofft haben, er wäre offen. Nach dem Double Event hätte er, weil er sich nicht zuhause verstecken wollte oder konnte, zuerst in Richtung seines Bruders in der Goulston Street und dann weiter zum Shop von John Levy in die Whitechapel Road 254 flüchten können, um sich dort relativ weit von den Tatorten weg zu verstecken, und könnte das blutige Messer dort weggeworfen haben.


Polizei-Razzia bei Metzgern im Oktober:
Die Polizei führte in den folgenden Wochen (3.-18. Oktober) in der Umgebung des Mitre Square Haus-zu-Haus-Befragungen durch. Der stellvertretende Polizeipräsident Robert Anderson schrieb, dass man alle Männer des Viertels überprüft habe, die den Zeugenaussagen entsprachen und sich blutbefleckter Kleidung entledigen konnten.
Die Polizei durchsuchte auch 76 Metzgereien und Schlachtereien im Viertel und überprüfte alle Personen, die in den letzten sechs Monaten dort beschäftigt waren, verschiedene Verdächtige wurden unter Beobachtung gestellt.

Interessanterweise folgte nach dem Double Event die längste Pause zwischen den Ripper-Morden von fast sechs Wochen. Ursache dafür könnte der Ermittlungsdruck durch die Behörden gewesen sein, was für die Annahme spricht, dass die Polizei mit der Untersuchung des Metzger-Milieus rund um Aldgate High Street dem Ripper näher kam, so dass er vorerst pausieren musste, bis die polizeilichen Aktivitäten in seinem Umfeld wieder zurückgingen.
 

Freitag, 9. November 1888: Mord an Mary Jane Kelly im Miller's Court
Kelly verließ in ihrer letzten Nacht mehrmals ihr Zimmer im Miller's Court, Dorset Street 26, und kehrte mit verschiedenen Freiern wieder dorthin zurück, nachdem sie den frühen Abend mit ihrem Exfreund Joseph Barnett verbracht hatte.
Gegen 23.45 Uhr sah ihre Nachbarin Mary Ann Cox, wie Kelly mit einem Kunden auf ihr Zimmer ging. Zwischen 0.30 Uhr und 1 Uhr hörten Cox und Nachbarin Catherine Picket sie singen.
Ihre Nachbarin Elisabeth Prater kehrte gegen ein Uhr zurück, wartete erst 20 Minuten vor dem Eingang zum Court auf einen Mann und ging, als er nicht kam, noch für zehn Minuten in McCarthys Laden nebenan. Gegen 1.30 Uhr stieg sie die Treppen zu ihrem Zimmer direkt über Kellys hinauf, ohne dort Licht zu sehen oder etwas zu hören, und ging zu Bett.
Der Zeuge George Hutchinson, ein Bewohner des Victoria Home in der Commercial Street, ging am 12. November zur Polizei und sagte aus, dass er seine Bekannte Mary Jane Kelly am 9. November gegen 2 Uhr in der Commercial Street getroffen habe. Kurz darauf sei sie mit einem Kunden an ihm vorbei zurück auf ihr Zimmer gegangen. Weil der Mann sein Gesicht vor ihm habe verbergen wollen, sei er beiden gefolgt und habe rund eine dreiviertel Stunde den Hof beobachtet, jedoch ohne etwas Verdächtiges wahrzunehmen. Gegen 3 Uhr sei er schließlich gegangen.
Hutchinson beschrieb den Mann als etwa Mitte 30, knapp 1,70 Meter groß, blasser Teint, dunkle Augen und Haare, dünner gezwirbelter Schnurrbart, jüdisches Erscheinungsbild, mürrisches Aussehen, dunkler Mantel, dunkler Hut, kleines Päckchen in seiner Hand.
Sarah Lewis, die gegen 2.30 Uhr zu ihrer Bekannten Mrs. Keyler im Miller's Court ging, um dort zu übernachten, sah gegenüber dem Hofeingang einen Mann stehen - dabei handelte es sich vermutlich um Hutchinson.
Zwischen 3.15 Uhr und 3.45 Uhr hörten sowohl Lewis wie auch Elizabeth Prater einen leisen, unterdrückten Schrei vom Hof her: "Mord!"
Gegen 6 Uhr hörte Nachbarin Marie Ann Cox Schritte im Hof.
Gegen 7.30 Uhr klopfte Nachbarin Catherine Picket an Kellys Tür, um sich einen Schal zu leihen, aber nichts regte sich.
Gegen 10.45 Uhr schließlich wurde Kellys Leiche von Hausverwalter Thomas Bowyer entdeckt, der die Miete eintreiben sollte.

Theoretisch könnte Hutchinson der Täter gewesen sein, der nach dem Verschwinden des Kunden gegen 3 Uhr selbst zu Kelly ging - nur: warum hätte er sich dann mit dem Geständnis seines "Stalkings" verdächtig machen sollen? Inspektor Abberline hielt ihn für glaubwürdig.
Plausibel wäre aber, dass der von Hutchinson beschriebene Kunde nach 3 Uhr ging - und dass erst der nächste Besucher Kellys der Ripper war. Dann wäre Hutchinsons Beschreibung unbrauchbar.
Bemerkenswert ist jedoch, dass Hutchinson aussagte, er glaube denselben Mann später noch einmal gesehen zu haben, und zwar am 11. November in der Petticoat Lane / Middlesex Street - wo Levy wohnte und es den Straßenmarkt mit günstiger Second-Hand-Kleidung gab.
Wenn JTR die Person war, die von Cox gegen 6 Uhr im Hof bemerkt wurde, muss er beim Verlassen des Tatorts unter Zeitdruck gestanden haben, weil es langsam hell wurde.
Falls Levy der Ripper war: Der Tatort in der Dorset Street 26 ist rund 500 Meter oder nur etwa 5-6 Minuten Fußweg von der Middlesex Street 36 entfernt.

Ein merkwürdiger Vorfall ereignete sich etwa eine Stunde nach der Entdeckung von Kellys Leiche:
London Times, 10. November 1888:
"A Mrs Paumier, a young woman who sells roasted chestnuts at the corner of Widegate-street, a narrow thoroughfare about two minutes' walk from the scene of the murder, told a reporter yesterday afternoon a story which appears to afford a clue to the murderer. She said that about 12 o'clock that morning a man dressed like a gentleman came up to her and said, "I suppose you have heard about the murder in Dorset-street?" She replied that she had, whereupon the man grinned and said, "I know more about it than you." He then stared into her face and went down Sandy's-row, another narrow thoroughfare which cuts across Widegate-street. Whence he had got some way off, however, he vanished. Mrs Paumier said the man had a black moustache, was about 5ft 6in, high, and wore a black silk hat, a black coat, and speckled trousers. He also carried a black shiny bag about a foot in depth and a foot and a half in length."

Falls JTR so wie manch anderer Serienmörder das Bedürfnis hatte, zu den Tatorten zurückzukehren oder gar bei der Entdeckung der Morde unter den Schaulustigen zu stehen, um sich einen zusätzlichen Kick zu holen: Die Beschreibung des Mannes von Mrs. Paumier als knapp 1,70 m groß mit Schnurrbart passt zu anderen Zeugenaussagen.
Und - interessant für die Jacob-Levy-These - der Verdächtige ging nach seiner Provokation die Sandy's Row hinab, die in die Middlesex Street mündet.

Merkwürdig war nach den Coroner-Untersuchungen zum Double-Event auch die Anhörung im Fall Kelly: Sie wurde im Distrikt Shoreditch vom dort zuständigen Richter vorgenommen und nicht in Whitechapel, mit der seltsamen Begründung, zuständig sei der Ort der Aufbahrung, nicht der Tatort. Sie wurde bereits am 12. November eröffnet, mit sich nicht zuständig fühlenden Geschworenen, in hohem Tempo durchgepeitscht und schon am selben Tag wieder abgeschlossen. Richter Roderick Macdonald sagte: "Wenn die Geschworenen allein zu der Todesursache zu einem Ergebnis kommen, so ist das alles, was sie zu tun haben."
Zeugen oder Beweismittel zur Strafverfolgung sollten nicht weiter öffentlich thematisiert werden - wahrscheinlich aus ermittlungstaktischen Gründen, weil man einen Tatverdächtigen nicht warnen wollte, während er unter Beobachtung stand, um ihn auf frischer Tat stellen zu können.
In H. L. Adam's Serie "The People on Scotland Yard and its Secrets" von 1912 zitiert der Autor  Assistant Commissioner Anderson: "Sir Robert Anderson has assured the writer that the assassin was well known to the police, but unfortunately, in the absence of sufficient legal evidence to justify an arrest, they were unable to take him. It was a case of moral versus legal proof. The only chance the police had, apparently, was to take the miscreant red-handed…"


"The Butcher's Row Suspect"
Nach diesem Mord begann die City Police damit, mehrere Monate lang einen Tatverdächtigen bei der Butcher's Row zu observieren.
In einem Zeitungsinterview (City Press, 7. January 1905) sagte Robert Sagar von der City Police, dass man nach dem Kelly-Mord einen Mann unter Beobachtung gestellt habe, der in der Butcher's Row arbeite und von dem man annehme, dass er der Ripper sei, und dass dieser Mann letztendlich von seinen Leuten in ein Irrenhaus eingeliefert worden sei.

Butcher's Row war kein offizieller Straßenname, so wurde wegen der vielen Metzger und der dahinter liegenden Schlachterei jener Abschnitt der Aldgate High Street genannt, der an der Einmündung der Middlesex Street / Petticoat Lane liegt, wo es den Meat Market of Petticoat Lane gab. Angesichts der vielen Metzger in dieser Ecke ist es gut möglich, dass auch der Meat Market von Sagar noch mit zur Butcher's Row gezählt wurde. Beides liegt auf der Grenze zwischen City of London und Whitechapel und somit der beiden Polizei-Distrikte.
Auch Detective Inspector Henry Cox (City Police) wurde ein Jahr später in einem Zeitungsartikel (Thomson’s Weekly News, 1. Dezember 1906) zu den Observationen zitiert, ohne jedoch den genauen Ort zu nennen. Cox: "The man we suspected was about five feet six inches in height, with short, black, curly hair, and he had a habit of taking late walks abroad. He occupied several shops in the East End, but from time to time he became insane, and was forced to spend a portion of his time in an asylum in Surrey. (...) While the Whitechapel murders were being perpetrated his place of business was in a certain street, and after the last murder I was on duty in this street for nearly three months." (beim Hinweis auf Surrey könnte eine Verwechslung mit dem Verdächtigen Ostrog aus Macnaghtens Memorandum vorliegen).
Cox erzählte auch, er habe den Verdächtigen nachts auf einem Streifzug verfolgt: Nachdem dieser sein Haus verlassen habe, sei er die Leman Street in Richtung St. Georges in the East hinab gegangen - die Straße verläuft nur etwa 100 Meter östlich von der Einmündung der Middlesex Street und der Goulston Street in die Aldgate High Street nach Süden (!).
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, was Detective Inspector Cox zur Überwachung des Tatverdächtigen sagte. Zur Verschleierung der Observation, die der jüdischen Gemeinde nicht verborgen blieb, behaupteten die Polizisten, die Schneider auf Beschäftigung von Minderjährigen zu überwachen: "We told them we were factory inspectors looking for tailors and capmakers who employed boys and girls under age." Dies könnte sich auf den Petticoat Lane Street Market mit seiner Bekleidungsindustrie oder den "Khazar Mark" in der Parallelstraße Goulston Street beziehen, wo Schneidermeister Arbeitskräfte rekrutierten.

Die Maßnahmen der City Police deuten darauf hin, dass die Indizien sie in dem Verdacht bekräftigten, es bei JTR mit einem einheimischen Metzger in der Umgebung von Aldgate High Street, Middlesex Street oder Goulston Street zu tun zu haben. Vielleicht war es sogar Jacob Levy, der beobachtet wurde - doch leider sind weder die genaue Adresse noch der Zeitraum der Observationen bekannt. Allerdings schrieb das Aberdeen Weekly Journal bereits am 16. November 1888: "The Central News is enabled to state that several houses at which the murderer is believed to call on occasionally are under the closest police surveillance."

Wenn Jacob Levy der Ripper war, könnte sich dies neben seiner Schwester Elizabeth, Middlesex Street 87, und seinem Bruder in der Goulston Street auch auf die anderen Metzgereien der Butcher's Row und Middlesex Street beziehen - es gab laut Census dort rund zwei Dutzend.
Und sowohl Jacob Levy als auch sein Cousin, der Zeuge Joseph Hyam Levy, sollen Scott Nelson zufolge Geschäftsverbindungen in der Butcher's Row gehabt haben. Vermutlich kauften die beiden auch in der dortigen Schlachterei ein. Levy könnte sogar wegen seines ruinierten eigenen Geschäfts zeitweise dort oder in einem anderen Shop gearbeitet haben.
Laut Scott Nelson gab es "rows of butcher stalls in the Petticoat Lane market". Und über die Cousins Jacob Levy und Joseph Hyam Levy schrieb er: "Both men dealt with George Bolam, a cow keeper who had a small slaughter shop on Middlesex Street and a larger yard on the north side of Aldgate-High Street, across from Butcher's Row."


Nähe von Verwandten zu den Tatorten
Detective Inspector Henry Cox von der City Police schrieb über den observierten Verdächtigen: "He occupied several shops in the East End."

Jacobs Schwester Elizabeth und ihr Ehemann Isaac Barnett, ein Milchmann, hatten ihren Shop in der Middlesex Street 87. Ein Butcher namens Moses Levy hatte seine Metzgerei in Middlesex Street 134 - möglicherweise war dies Jacobs Onkel Moss.
Und Jacobs Bruder Isaac Levy lebte in der Goulston Street 130 - nur einen Gebäudekomplex entfernt von dem Hauseingang, in dem das blutige Teil von Eddowes Schürze gefunden wurde.

Jacobs Schwiegeltern, Isaac und Phoebe Abrahams, wohnten laut Census von 1881 in der 21 Grey Eagle Street / Spitalfields nördlich der Hanbury Street. Auf dem Weg von der Middlesex Street  zu seinen Schwiegereltern kam Jacob also unmittelbar an den Tatorten 29 Hanbury Street (Annie Chapman) und Dorset Street / Miller‘s Court (Mary Ann Kelly) vorbei.
 
Zusätzlich den möglichen Verbindungen der Levys mit anderen Metzgern in der Butcher's Row gab es in JTRs Comfort Zone auch noch die Shops der Levy-Familie aus der Mitre Street, mit denen Jacob und Joseph Hyam Levy laut Casebook verwandt gewesen sind:
Die Kinder der Zigarren- und Orangenhändler Ann und Barnett Levy aus der Mitre Street 29 ("Orange Market" am Mitre Square) John, Samuel, Lewis und Fanny hatten Adressen in der Nähe von JTRs Aktivitäten - sie waren Cousins des Zeugen Joseph Hyam Levy, somit war auch Jacob Levy mit diesen Levys verwandt.
Der Orangenhändler Samuel Levy lebte erst in Mitre Street 17 und 23 und zog danach neben Joseph Hyam Levys Vater, Hyam Levy, in die Middlesex Street 39. 1888 kehrte Samuel dann als Orangenverkäufer wieder in die Mitre Street 20 zurück. Seine Schwester Fanny lebte weiter in der Mitre Street 29 (beim Tatort Mitre Square). Und der Zigarrenhändler John Levy hatte in den 1880ern einen Cigar Shop in der Whitechapel Road 254 - nahe den Tatorten Buck's Row und Berner Street sowie unmittelbar neben dem Messer-Fund von Thomas Coram nach dem Double Event vor Whitechapel Road Nr. 253.
Und Lewis Levy hatte in den 1860ern in Mitre Square 8 gewohnt - dahinter fand man vor dem
verschlossenen Hinterhoftor die Leiche von Catherine Eddowes (!).

Fazit: Waren die Levys von Mitre Street tatsächlich mit Jacob Levy verwandt, so rückt der verrückt gewordene Metzger durch die Adressen seiner Verwandten in die unmittelbare Nähe zu mehreren Tatorten und den Funden von Schürze und Messer. War Jacob Levy der Ripper, kannte er sich dort besonders gut aus, hätte für seine Anwesenheit in den Straßen eine plausible Erklärung gehabt und Möglichkeiten, nach den Taten schnell aus der Öffentlichkeit verschwinden zu können, indem er bei ihnen Unterschlupf suchte. 


(Forts. unten)
« Letzte Änderung: 16.06.2019 11:31 Uhr von Arthur Dent 2 »

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Re: Jacob Levy
« Antwort #531 am: 16.06.2019 11:09 Uhr »
(Forts.)


Mittwoch, 17. Juli 1889: Mord an Alice McKenzie in der Castle Alley
Police Constable Walter Andrews entdeckte gegen 0.50 Uhr in der Castle Alley den leblosen Körper von Alice McKenzie, etwa eine halbe Stunde, nachdem er das letzte Mal auf seiner Runde dort gewesen war. Zeugen der Tat gab es keine. Ihre linke Halsschlagader war durchtrennt, ihr Rock war hochgeschoben und der Unterleib mit einem Messer traktiert worden, allerdings waren die Verletzungen eher oberflächlich.

Die Polizisten und die Ärzte waren uneinig darüber, ob es sich um ein weiteres Ripper-Opfer handelte. Einiges passte ins Schema: McKenzie übernachtete in einem Armenhaus, war rund 40 Jahre alt, Prostituierte - und wurde im Zentrum von JTRs Morden getötet. Allerdings wurde ein anderes Messer benutzt, und zudem wurde sie nicht gewürgt, es gab auch keinen vollständigen Kehlenschnitt, die Wunden waren nicht so tief und der Unterleib war nicht ausgeweidet.
Der Täter hätte wahrscheinlich durchaus genug Zeit für weiterreichende Verstümmelungen gehabt, denn er war wohl diesmal nicht gestört worden. Indiz dafür: Obwohl es kurz geregnet hatte, war der Gehweg unter McKenzies Körper trocken, was bedeutet, dass sie wohl schon vor dem Schauer getötet wurde und somit einige Zeit unentdeckt dagelegen hatte. Möglicherweise war es ein Nachahmungstäter, der dem Ripper diesen Mord in die Schuhe schieben wollte.

Falls es doch JTR war, deutet alles darauf hin, dass er nicht mehr auf der Höhe seiner physischen und/oder psychischen Kräfte war - Folgen der fortschreitenden Syphilis? Auch der große zeitliche Abstand zu den übrigen Taten fällt auf: JTR hatte eine sehr kurze Abkühlphase, so dass längere Pausen wohl nur durch widrige Umstände wie Krankheit, Einweisung oder Ermittlungsdruck der Polizei zu erklären sind.
Falls Jacob Levy der Täter war: Der Tatort ist nur 100-200 Meter oder 1-2 Minuten Gehweg von Butcher's Row und Middlesex Street entfernt.


"The crazy jewish Butcher"
Spätestens nach diesem Mord machte die Ripper-Theorie vom "verrückten jüdischen Metzger" wieder die Runde, die von verschiedenen Presseorganen aufgegriffen wurde:

Rochester Democrat And Chronicle, 16. September 1889:
"The London Police has a theory that Jack the Ripper is a crazy jewish butcher."

London Evening News And Post, 13. September 1889:
"The second man is now being watched. He is a resident of the East End, and has been for years. For a long time he has been acting in the most suspicious fashion. He has a business, to which he scarcely ever personally attends. He goes about drinking, and is to be met at all hours of the night in the streets all over the neighborhood. He enters his house at hours when his wife and family have long been at rest. No member of his family dare question him as to his ramblings. He knocks about among the lowest class of women at unearthly hours, although, according to general report, their very appearance is hateful in his sight. His hatred has been produced by physical suffering, for which, like most men of his class, he holds himself perfectly irresponsible. His habits are such as to give one the notion that he is not altogether in a fit position to be allowed to roam at will. Whether he has anything to do with any crime, it is, of course, impossible to say, but he is kept in view."

Offensichtlich war der Observierte ein im East End lebender Metzger, der sein Geschäft vernachlässigte, so wie auch Jacob Levys Frau beklagte. Er fing an zu trinken und streifte nachts umher, so wie Levys Frau gesagt hat. Er trieb sich bei Prostituierten herum, obwohl er sie hasste.
"His hatred has been produced by physical suffering, for which, like most men of his class, he holds himself perfectly irresponsible." - Und sein Hass kam von einer Syphilis-Infektion, wofür er die Schuld nicht bei sich, sondern bei anderen suchte.

North Eastern Daily Gazette, 18. September 1889:
"A Detective's Views: We are watching now three men, besides the usual night-birds of Whitechapel. One man created some stir during the last murders under circumstances which I need not say anything about. He is a curious sort of fellow; in business, but not doing much to keep it going. His wife and daughter see to it, and he is out at all hours of the night. He says he is a member of the vigilance committee, but I can't answer as to that. No, I won't tell you his name, even if you do want to find out if he is a member or not. This man is out at all hours of the night, and he lets himself in some quietly that his wife does not know what time he really arrives home. She generally finds him in the shop when she comes down the morning. He is being watched, but we can't arrest him only on the suspicious we have. We must wait further developments."

Der Observierte vernachlässigte sein Geschäft, streifte nachts umher, und seine Frau wusste nicht, wann er zurückkam - das passt zu den Aussagen von Jacob Levys Frau bei seiner Einweisung.
"She generally finds him in the shop when she comes down the morning." - Die Erklärung dafür, warum seine Frau nichts bemerkt haben könnte: Sie schlief in der Wohnung, er im Shop. Auch das passt: Wenn JTR tatsächlich Familie hatte, dann muss er wohl woanders genächtigt haben als seine Frau, vermutlich wegen ehelicher Differenzen.
Seine Frau und Tochter kümmerten sich um das Geschäft - zwar war Levys Tochter Hannah 1889 erst vier Jahre alt, aber dafür wohnte laut Census von 1891 Sarahs jüngere Schwester Flora Abrahams mit im Haus, die vielleicht irrtümlicherweise als Tochter im Artikel auftaucht.

Sunday Chronicle, October 15, 1905:
"We found our man. He was engaged in a large way of business in the city of London, was married, had a family, and was generally respected. For some time he had been known as eccentric, and various escapades had caused his friends a good deal of anxiety. Frequently, as we learned later, he stayed out all night about the time when these outrages were committed. His description agreed with that of a man seen in Dorset-street, Whitechapel, on the night when Mary Jane Kelly was cut to pieces, and at that time he was very near to actual arrest by a policeman."

Der Observierte war in einer großen Geschäftsstraße tätig, und zwar in der City of London, nicht in Whitechapel (!). Dies klingt nach dem Butcher's Row Suspect, denn die Butcher's Row (und auch die einmündende Middlesex Street) gehörten bereits zur City of London. Er war verheiratet und hatte Familie, wie Jacob Levy. Er wurde seltsam und seine Eskapaden bereiteten seinen Freunden Sorge - auch das erinnert an den Verfall Levys mit Diebstahl, psychischer Erkrankung, Geschäftsvernachlässigung und schließlich dem nächtlichem Umherstreifen.



Das Ende

15. August 1890: Einlieferung ins Irrenhaus
Jacob Levy wird als geisteskrank ins City of London Asylum at Stone in Kent eingeliefert.
In der Krankenakte wird als Einweisungsgrund "Manie" eingetragen, an der er schon seit längerem leide. Er soll bei seiner Einlieferung noch in guter körperlicher Verfassung gewesen sein, seine Größe wird mit knapp 1,70 Meter und sein Gewicht mit 60 Kilo angegeben.
Seine Frau sagte den Anstaltsakten zufolge nach der Einweisung, Levy habe beinahe ihr Geschäft ruiniert, früher sei er ein sehr guter Geschäftsmann gewesen. Aber er schlafe nun nachts nicht mehr, sondern wandere oft für Stunden ziellos umher. Auch befürchte er, jemandem etwas anzutun, wenn man ihn nicht aufhalte. Er höre Geräusche und Stimmen, die ihm befehlen und ihn zwingen Taten zu begehen, die er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne.
Merwürdigerweise soll Levy gesagt haben, dass schon sein Bruder Abraham Selbstmord begangen habe, indem er sich selbst die Kehle durchgeschnitten (!) habe. In den Akten steht: "Whether any near relative has been afflicted with insanity: Yes. Elder brother cut his throat." - Dabei hat er sich laut Casebook erhängt: Im Mai 1875 nahm sich Jacobs Bruder Abraham demnach das Leben, weil er angeblich bei Pferderennen enorme Summen verloren hatte. Einem Zeitungsbericht nach fand Jacob selbst den erhängten Leichnam seines zwei Jahre älteren Bruders.
In der Einweisung schreibt Dr. Henry James Sequeira (Jewry Street 34) über Jacob:
"Known patient several years: formerly shrewd business man, now quite incapable of carrying on the same, giving wrong change & money back for things bought. Says he feels a something within him impelling him to take everything he sees. Feels that if he is not restrained he will do some violence to some one. Complains of hearing strange noises.
Wife (Sarah Levy, 36 Middlesex St.) deposes that he has nearly ruined her business being quite incapable of taking care of money. Makes away with every penny he can put his hand on, orders goods indiscriminately & is continually taking other peoples goods carrying them off.
Wanders away from home for hours with out any purpose. Does not sleep at night raves and is continually fancying someone is going to do him bodily harm. (...) Has delusions as to his own importance, such as - it being in his power to give great grants of land & money."

Interessanterweise war Dr. Henry James Sequeira, der angab, den Patienten Levy bereits seit Jahren zu kennen, der Bruder von Dr. George William Sequeria,  der in der Nacht des Double Event, 30. September, von der Polizei zum Eddowes-Tatort im Mitre Square gerufen wurde. Beide wohnten und praktizierten gemeinsam in der Jewry Street 34, nur wenige Meter von der Butcher's Row und der Middlesex Street entfernt. 
George William Sequeria (geb. 1859) und Henry James Sequeira (geb. 1857) waren zwei Kinder von Henry Little Sequeira, Chirurg, und seiner Frau Amelia (geb. Brook), die laut Census seit über drei Jahrzehnten in der Jewry Street lebten. Ihre Kinder wurden dort geboren und wuchsen dort auf. Die Sequeiras dürften das Metzger-Milieu in Aldgate also recht gut gekannt und auch viele Patienten daraus gehabt haben.
Dr. George William Sequeria untersuchte Eddowes am Tatort eher oberflächlich und stellte ihren Tod infolge der durchtrennten Kehle fest. Im Inquest am 11. Oktober 1888 stimmte er zwar mit den Obduktionsergebnissen von Dr. Frederick Gordon Brown überein - auffälligerweise aber nicht mit dessen Schlussfolgerung, der Mörder müsse für die Tat zumindest grundlegende Kenntnisse in Anatomie und dem Umgang mit Messern gehabt haben (wie sie zum Beispiel ein Metzger hat). Und das, obwohl er wusste, wie dunkel es am Tatort gewesen war und dass Eddowes die Gebärmutter und eine Niere entfernt worden war.

Mit dem Mord an Eddowes zeigte sich eine Tendenz, auf den öffentlichen Inquests bestimmte Informationen und Zeugen zurückzuhalten, so durfte Joseph Lawende den Verdächtigen nicht näher öffentlich beschreiben, Harry Harris und Israel Schwartz wurden nicht einmal vorgeladen.
Nach dem Mord an Kelly wurde der Inquest sogar in einem anderen Bezirk vor sich nicht zuständig fühlenden Geschworenen mit hoher Geschwindigkeit durchgepeitscht, bevor alle Ermittlungen abgeschlossen sein konnten. Offenbar nahmen es die Behörden mit den Verfahrensvorschriften gegenüber der Öffentlichkeit nicht mehr so genau, um zu verhindern, dass JTR genauere Kenntnis über den Ermittlungsstand erlangte und dadurch gewarnt wurde, oder sich ein Lynchmob in eine bestimmte Richtung aufmachte.

Könnte es womöglich sein, dass Dr. George William Sequeria deshalb die Schlussfolgerung seines Kollegen Brown nicht öffentlich teilte? Vielleicht wollte Brown das Spielchen nicht mitspielen und stellte seine Ergebnisse und Schlussfolgerungen vorschriftsmäßig weitgehend ungeschönt beim Inquest vor, so dass Sequeira versuchte, das Metzger-Milieu - vielleicht sogar speziell die Patienten seiner Familie - etwas aus dem Focus zu nehmen? Sei es nun, um in Absprache mit der Polizei deren Ermittlungen nicht zu gefährden und/oder um die Patienten seiner Familie zu schützen?
Der Metzger Jacob Levy war jedenfalls nachgewiesenermaßen bereits "seit Jahren" Patient mindestens eines Sequeiras - wenn sie gegenseitig ihre Vertretung übernahmen, kannten ihn vielleicht sogar beide. Und in Levys Einweisung schrieb Henry James Sequeira, dass Levy nachts umherstreifte und Stimmen ihn zwangen, Dinge zu tun, die er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne. Zumindest einer der Sequeiras dürfte also schon länger vom psychischen Verfall des langjährigen Patienten Levy gewusst haben.

Könnte Sequeira vielleicht der Arzt gewesen sein, von dem Benjamin Leeson in "Lost London" (1934) schrieb: "...amongst the police who were most concerned in the case there was a general feeling that a certain doctor, known to me, could have thrown quite a lot of light on the subject ."
Eins dürfte wohl unstreitig sein: Wenn entsprechende Aussagen der Ermittler zutreffen, dass ihr Hauptverdächtiger in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde, so musste es einen Arzt geben, der ihn untersucht und eingewiesen hat, und so tatsächlich mehr Licht in die Angelegenheit hätte bringen können - vielleicht war es gar Sequeira?

Dass Jacob Levy - wie Sequeira schrieb - sein Geschäft vernachlässigte, nachts umherstreifte und zugab, von inneren Stimmen zu Gewalttaten getrieben zu werden, ist ein gutes Indiz für eine mögliche Täterschaft. Ebenso die Größenwahnphantasien über seine eigene Bedeutung. 
Hinzu kommt die seltsame Aussage zum Tod seines Bruders: Hat Levy vielleicht in seiner psychischen Zerrüttung hier seine Vorliebe fürs Kehlenschlitzen verraten?
Dass er auch 1890 noch in guter körperlicher Verfassung war, legt jedenfalls nahe, dass er trotz seiner Erkrankung physisch zu den Morden fähig gewesen wäre.

In ihren Memoiren nannten die hochrangigen Polizeibeamten Macnaghten und Anderson beide als einen der Hauptverdächtigen im Ripper-Fall einen Juden, der in nächster Nähe zu den Opfern lebte und nach den Morden in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde. Auch Major Arthur G.F. Griffiths schrieb in seiner Reihe "Mysteries of Police and Crime" 1898 von "a Polish Jew, a known lunatic who was at large in the district of Whitechapel at the time of the murders and who (...) was confined to an asylum" (das "polish" könnte eine Verwechslung gewesen sein).

Chief Inspektor Swanson schrieb persönliche Anmerkungen in sein Exemplar von Andersons Memoiren, die den grundsätzlichen Sachverhalt bestätigten. Allerdings fügte er noch hinzu, dass der Verdächtige in einem "Seaside Home" von einem Zeugen erkannt worden sei und es ihm auch bewusst gewesen sei, dass die Polizei ihn identifiziert habe. Danach habe man ihn vorübergehend zu seinem Bruder zurückgebracht, wo die Polizei ihn Tag und Nacht beobachtet habe, bevor er dann endgültig in eine Irrenanstalt gebracht worden sei, wo er schon bald verstorben sei.
Dies würde erklären, warum die Morde aufhörten.
Damit würde der von Ripperologen in den Akten von Colney Hatch gefundene gewalttätige Irre David Cohen als Verdächtiger ausfallen, denn nach bisherigen Erkenntnissen hatte er keine Verwandten. Eine weitere Diskrepanz: Die Zeugen beschrieben alle einen Mann mittleren Alters - David Cohen war damals aber erst 23 Jahre alt. Zudem wurde er bereits am 7. Dezember 1888 per Gerichtsbeschluss erst ins Whitechapel-Arbeiterkrankenhaus eingewiesen, und dann wegen seiner Unkontrollierbarkeit am 21. Dezember direkt weiter ins Irrenhaus Colney Hatch, wo er am 20. Oktober 1889 verstorben sein soll - die erste offiziell "Seaside Home" genannte Einrichtung wurde aber erst 1890 eröffnet. (Allerdings vermuten einige Ripperologen, dass "David Cohen" auch ein Alias wie "John Doe" gewesen sein könnte, da es noch andere Namens-Unklarheiten gibt.)
Jacob Levys Einlieferungsdatum in die öffentliche Anstalt passt jedenfalls zum Zeitpunkt der angeblichen Identifikation von JTR in einem "Seaside Home" (s.u.), welche von Ripperologen auf  Sommer 1890 angesetzt wird, da das Convalescent Police Seaside Home in Hove (bei Brighton) in diesem Jahr eröffnet wurde und in seinen Akten zwei Besucher ohne Namensnennung auftauchen.
Zwar wurde von Chief Inspektor Swanson als öffentliche Anstalt Colney Hatch ins Spiel gebracht, aber dies bezog er explizit auf Kosminski. Laut Researcher Steward Hicks soll Lady Anderson, die Ehefrau von Assistant Commissioner Robert Anderson, hingegen gesagt haben, der Ripper sei in einer Anstalt bei Stone gewesen.

Da Levy schon "seit längerem" an seiner Krankheit gelitten hatte, könnte er zuvor bereits in familiärer Betreuung und/oder einer privaten Einrichtung gewesen sein - so wie dies später von hochrangigen Polizisten über den Ripper-Verdächtigen erzählt wurde.
Die Polizei soll jedenfalls schon Ende 1888 alle privaten Sanatorien überprüft haben:
The Bristol Mercury, 29. Dezember 1888: "The Dublin Express London correspondent on Thursday gave as the latest police theory concerning the Whitechapel murderer, that he has fallen under the strong suspicion of his near relatives, who to avert a terribly family disgrace, may have placed him out of harm's way in safe keeping. As showing that there is a certain amount of credence attached to this story, detectives have recently visited all the registered private lunatic asylums, and made full inquiries as to the inmates recently admitted."

War Jacob Levy der Ripper, würde dies den Zeitraum von eineinhalb Jahren zwischen dem Kelly- Mord und seiner offiziellen Einweisung im August 1890 erklären.
Über Levy ist leider nur bekannt, dass er in Stone eingeliefert wurde, es gibt bisher keine Hinweise auf vorübergehende Unterbringungen woanders. Jedoch wäre es plausibel, dass sich zunächst seine Angehörigen um ihn kümmerten, bis sich sein Zustand so weit verschlechterte, dass er für sie nicht mehr zu bewältigen war, worauf sie ihn unter falschem Namen in ein privates Sanatorium steckten, bevor er von der Polizei entdeckt und identifiziert wurde.


Freitag, 13. Februar 1891: Mord an Frances Coles in Swallow Gardens
Coles traf gegen 1.45 Uhr in der Commercial Street auf ihre Bekannte, die Prostituierte Ellen Callagher. Sie liefen gemeinsam Richtung Minories und begegneten einen "brutalen Mann mit einer Baskenmütze", an den Callagher sich als einen früheren Kunden erinnerte. Sie will Coles gewarnt haben, dass der Mann ihr vor einiger Zeit ein blaues Auge geschlagen habe, und sie solle sich nicht mit ihm abgeben. Coles befolgte den Rat ihrer Freundin allerdings nicht und unterbreitete dem Mann ein Angebot, worauf die beiden ohne Callagher in Richtung Minories gingen.
Carmen Friday und die Brüder Knapton gingen kurz nach 2 Uhr morgens durch die Eisenbahn-Unterführung Swallow Gardens. Sie sahen eine Frau und einen Mann, die an der Ecke der Royal Mint Street standen. Gegen 2.15 Uhr dann entdeckte Police Constable Ernest Thompson auf seiner Runde unter der Eisenbahnbrücke die Prostituierte Frances Coles mit durchschnittener Kehle.
Die Justiz klagte später Coles gewalttätigen Freund Thomas Sadler an, der jedoch freigesprochen wurde, weil er ein Alibi hatte.
Verdächtigungen wie im Automn of Terror mit den Gerüchten um "Lether Apron" verbreiteten sich unter den Bewohnern des Eastends, laut Mundpropaganda sollte ein gewisser jüdischer Metzger namens "Jacobs" (!) der Mörder gewesen sein.
Benjamin Leeson schrieb in "Lost London: The Memoirs of an East End Detective" (1934):
"... a story circulated that the Ripper was a butcher, who wore blue overalls and a leather apron, and an English Jew named Jacobs, a perfectly harmless man, somehow attracted suspicion to himself. Possibly because, working in a slaughter house, he always wore a leather apron. People would point Jacobs out in the street as a suspected man, and more than once he had to run for it. I myself was often obliged to take him to the police station for protection. The thing so preyed on the poor fellow's mind that it finally caused him to lose his reason." 

Coles war zwar auch eine Prostituierte, der die Kehle aufgeschlitzt wurde, allerdings wurde sie nicht zuvor gewürgt, sondern einfach zu Boden gerissen, das Messer soll ebenfalls ein anderes gewesen sein - der obduzierende Dr. Phillips hielt jedenfalls JTR nicht für den Täter.
Interessant ist allerdings, dass in gewissen Teilen der Bevölkerung Gerüchte über einen Metzger namens "Jacobs" die Runde machten, was doch sehr nach "Jacob" klingt.
Könnte vielleicht in bestimmten Kreisen schon länger der Verdacht bestanden haben, dass der Metzger Jacob Levy möglicherweise der Ripper war? War hier etwas durchgesickert und kursierte nun unter Leuten, die nicht wußten, dass der echte Verdächtige bereits in einer Anstalt eingeschlossen war?

Interessanterweise gab Sarah Levy den Butcher Shop in der Middlesex Street genau in diesem Zeitraum auf: Im 1891er Census ist sie noch dort aufgeführt - aber der Brief der Anstaltsleitung vom 31. Juli 1891 über Jacobs Tod erreichte sie dort laut der Anstaltsakten schon nicht mehr:
„Note 31st July 1891 informing her that her husband died at the Asylum on the 29th July 1891.
F. W. Crane - With envelope addressed to Mrs Sarah Levy 36 Middlesex Street Aldgate E, marked Gone Away.
August 4th 1891 re Jacob Levy deceased: Sir, I saw the widow Mrs. Levy yesterday she is staying with her sister in law Mrs Barnett, 87 Middlesex St. she was aware of the death. J A Chapman to F. W. Crane, Clerk.“
 

29. Juli 1891: Jacob Levys Tod
Levy stirbt an den Folgen der Syphilis in der Nervenheilanstalt Stone in Kent.
In den Akten steht als Todesursache: "General paralysis of the insane brought on by the serious sexually transmitted disease syphilis".

Macnaghten und Swanson bezeichneten den Verdächtigen in der Anstalt in ihren Aufzeichnungen zwar als "Kosminski", jedoch enthalten die Erinnerungen der Polizisten nachgewiesenermaßen einige Ungenauigkeiten, so dass sie sich mit dem Namen geirrt haben könnten, denn der in medizinischen Akten gefundene Aaron Kosminski war damals erst 23 Jahre alt und starb erst 1919 in der Anstalt, nicht schon bald nach der Einweisung, so wie Swanson glaubte.
Zudem schrieb Robert Sagar von der City-Police von einem Metzger, der observiert worden war, und Kosminski soll vor seinem Wahnsinn Haarschneider gewesen sein.
Der nie an den Ermittlungen beteiligte Mcnaghten schrieb sein internes Memorandum 1894 und veröffentlichte seine Memoiren "Days of My Years" erst 1914 - Jahre nach den Ripper-Morden. Robert Anderson veröffentlichte seine Memoiren "The Lighter Side of My Official Life", in die Swanson seine privaten Anmerkungen machte, erst 1910.
Vermutlich wurden einfach die Namen von ein paar verdächtigen Anstaltsinsassen durcheinander geworfen - oder "Kosminski" war einfach nur ein Codename, denn sowohl Macnaghten als auch Swanson verwendeten ihn beide ohne Nennung eines Vornamens.

Interessanterweise hatte Jacob Levys unmittelbarer Nachbar, der Butcher Hyman Sampson (den Jacob 1886 bestohlen hatte), seit 1881 einen angestellten Metzger namens Aaron Krotoski. Aaron Krotoski - Aaron Kosminski: zwei für Engländer ungewöhnliche Namen, die ähnlich klingen, könnte da etwas in den Erinnerungen unserer Polizisten durcheinander geraten sein? Zwei jüdische Verdächtige, die kurz nacheinander im Irrenhaus landeten, der eine war ein Butcher, dem ein Aaron Krotoski nachfolgte, der andere hieß Aaron Kosminski.
Krotoski heiratete jedenfalls Sampsons Tochter und betrieb schließlich nach Sampsons Tod im April 1887 den Butcher Shop weiter. Als Sarah Levy schließlich zwischen Ende 1890 und August 1891 ihren Butcher Shop aufgab, mit der Familie schließlich in die New Street 7 umzog und ihren Lebensunterhalt fortan als "Street seller of dress material" bestritt (Census 1901), war Aaron Krotoskis Metzgerei die einzige an der Ecke Stoney Lane.
In dieser Zeit wurden in den Straßen des Viertels übrigens viele Gebäude mit neuen Hausnummern versehen, um einige historisch gewachsene Unklarheiten in den Postadressen zu korrigieren, so dass z.B. aus der ehemaligen Middlesex Street 36 die Nr. 69 und aus der Nr. 35 die 67 wurde - dies dürfte in der Übergangsphase zu einigen Verwirrungen geführt haben, und auch zu einigen bleibenden Unstimmigkeiten in den Akten.

Zudem hatte Aaron Kosminski einen Schwager namens Jacob Cohen, der Metzger war, und seine Familie hatte einen Butcher Aaron Jacobs als Nachbarn in der Greenfield Street 6. Bedenkt man noch, dass nach dem Mord an Frances Coles im Februar 1891 im East End ein Gerücht die Runde machte, der Mörder sei ein jüdischer Butcher namens "Jacobs", zeigen sich hier mehrere Ansatzpunkte für eine Verwechslung. Zumal Aaron im Dezember 1889 vor einer behördlichen Anhörung (er sollte ein Bußgeld bezahlen, weil er einen Hund ohne Maulkorb mit sich geführt hatte) aussagte, dass er manchmal unter anderen Namen unterwegs sei, und dass der Hund einem "Jacobs" gehöre: "I goes by the name of Abrahams sometimes, because Kosminski is hard to spell… I cannot pay, the dog belongs to Jacobs, it is not mine…"
Wenn Aaron öfter andere Namen als Alias benutzte, könnte dies die Ermittlungen der Polizei behindert und zu manchen der bekannten Unstimmigkeiten geführt haben.

Macnaghten schrieb sein Memorandum 1894 und war an den Ermittlungen im Ripper-Fall nicht beteiligt, er hatte seine Informationen also von seinen Kollegen, wahrscheinlich von Anderson und/oder Swanson, und die wiederum hatten sie vermutlich von den Kollegen der City Police, denn die Butcher's Row Observationen hatte ja die City Police betrieben. Da die Polizei nach dem Double Event die Metzgereien und Schlachtereien im Viertel überprüft hatte und alle Personen, die in den letzten sechs Monaten dort beschäftigt waren, stand auch Aaron Krotoski mit Sicherheit auf ihren Listen. Den Shop der Levys gab es nicht mehr, dort oben an der Ecke Stoney Lane war jetzt nur noch der Laden eines Aaron Krotoski. Ebenfalls auf ihren Listen befanden sich die Butcher Aaron Jacobs und vermutlich auch Jacob Cohen.
Der eine heißt Aaron Kosminski, hat Familienangehörige namens Abrahams und Metzger-Verwandschaft namens Jacob und einen Metzger-Nachbarn namens Aaron Jacobs.
Der andere ist Metzger, heißt Jacob, hat eine Frau geborene Abrahams und einen Metzger-Nachbarn namens Aaron Krotoski. Könnte es bei Swanson und Macnaghten daher vielleicht zu einer Verwechslung bzw. Vermischung von Kosminski mit Levy gekommen sein?
Immerhin glaubte Swanson ja auch, der Verdächtige sei nicht lange nach seiner Einweisung verstorben, aber Kosminski lebte noch bis 1919, während Levy schon 1891 in der Anstalt starb. Dies deutet darauf hin, dass zwei Verdächtige verwechselt wurden. 
Oder bei "Kosminski" handelte es sich um einen Decknamen, einen Codenamen, den die Polizei intern für einen Verdächtigen benutzt hatte - denn es fällt auf, dass sowohl Macnaghten als auch Swanson ihn ohne Vornamen verwendeten.

Eine andere plausible Erklärung der Namens-Irritationen könnte im Verhalten der Verwandten des mutmaßlichen Mörders liegen: Wenn er von den Angehörigen zuerst in eine private Anstalt gesteckt wurde, als sie seinem Irrsinn und seiner Gefährlichkeit nicht mehr Herr wurden, wäre es gut nachvollziehbar, dass sie ihn unter einer falschen Identität irgendwo eingewiesen hatten, um ihn und die Familie zu schützen.
Das wäre dann so lange gut gegangen, bis es zur Überprüfung aller neuen Anstalts-Einlieferungen durch die Polizei und der erwähnten Gegenüberstellung mit Identifizierung im "Seaside Home" gekommen war. Die spätere endgültige Einweisung in ein staatliches Institut wäre dann zwar unter dem richtigen Namen erfolgt, aber die Namensverwirrung könnte immer noch in Polizeikreisen und -Berichten präsent gewesen sein und so zu den Irrtümern geführt haben.

Robert Anderson jedenfalls schrieb in seinen Memoiren: "Die einzige Person, die jemals einen guten Blick auf den Mörder werfen konnte, identifizierte ihn, aber als er erfuhr, dass der Tatverdächtige ein Glaubensbruder war, weigerte er sich, gegen ihn auszusagen."
Swanson bestätigte in seinen privaten Anmerkungen diesen Aspekt.
Bei diesem Zeugen könnte es sich somit um entweder um Joseph Hyam Levy, Joseph Lawende (beide Fall Eddowes) oder Israel Schwartz (Fall Stride) gehandelt haben. Da Macnaghten schrieb, dass der Verdächtige der Beschreibung jener Person entsprach, die am Mitre Square gesehen wurde, dürfte der Zeuge tatsächlich entweder Joseph Hyam Levy oder Lawende gewesen sein. Joseph Hyam Levy machte bei der Befragung kaum Angaben zum Verdächtigen und gab sich verschlossen, vermittelte aber den Eindruck, als wisse er mehr als er sagen wollte, während Lavende zunächst eine detaillierte Beschreibung abgab. Lawende war ein Handelsreisender aus Dalston, kein Bewohner Whitechapels, und dürfte JTR nicht gekannt haben, so dass er vermutlich bedenkenlos eine erste Aussage machte, zumal er den Mann anfangs nicht für einen einheimischen Juden, sondern für einen Seemann gehalten hatte.
Eine Erklärung für den Rückzieher des Zeugen könnte somit sein, dass Joseph Lawende schließlich von seinem Begleiter Joseph Hyam Levy bearbeitet worden war, nicht gegen den Glaubensbruder auszusagen, um ein Pogrom gegen die jüdische Gemeinde zu verhindern.
Dass die Polizei tatsächlich die konkrete Möglichkeit sah, über die Zeugen Lawende und Joseph Hyam Levy den Ripper zu überführen, belegt auch die Vorgehsweise bei der öffentlichen Coroner-Untersuchung zu Eddowes Tod, bei der Lawende verboten wurde, den Verdächtigen vor dem Publikum genauer zu beschreiben (s.o.).


1892: Ermittlungs-Ende
Die Akte Jack the Ripper wird von der Polizei nicht weiter geführt.

Dies würde zeitlich besser zu Jacob Levy passen als zu dem in den Memoiren erwähnten Kosminski, da Aaron Kosminski erst lange nach seiner Einweisung und seiner Verlegung nach Leavesden im Jahr 1919 starb. Auch der von Ripperologen in den Akten der Colney Hatch Nervenheilanstalt gefundene mögliche Verdächtige Hyam Hyams starb erst am 22. März 1913.
Im Mai 1895 schrieb die Pall Mall Gazette: "Mr. Swanson believed the crimes to have been the work of a man who is now dead."



Fazit

Die Theorie, dass JTR ein jüdischer Metzger war, der im Irrenhaus starb, erklärt den ansonsten merkwürdigen Schluss im Ripper-Fall: Nach dem Ende der Mordserie laufen die Ermittlungen angeblich ergebnislos aus, die Akte wird geschlossen - aber Jahre später erklären hochrangige Polizisten in ihren Memoiren oder Zeitungsartikeln, der Ripper wäre eigentlich identifiziert worden.

Nach dem Mord an Mary Ann Nichols verdichteten sich im Eastend schnell Gerüchte, dass die Morde von einem Juden mit dem Spitznamen "Leather Apron" verübt worden sein sollten, was so auch in den Zeitungen verbreitet wurde und schon zu ersten antisemitischen Aufwallungen und Kundgebungen führte.
Superintendent Thomas Arnold ordnete daher nach dem Double Event mit Erlaubnis von Polizeichef Charles Warren an, das Goulston Street Graffiti auf der Stelle zu entfernen, explizit aus dem Grund, um mögliche Pogrome gegen Juden zu verhindern. In seinem Bericht vom 9. November 1888 schreibt Arnold:
"Ich bitte darum berichten zu dürfen, dass am Morgen des 30. September, dem Letzten, meine Aufmerksamkeit auf eine Aufschrift an der Wand des Eingangs zu Behausungen in der Goulston Street 108, Whitechapel gerichtet wurde, welche aus folgenden Worten bestand: 'Die Juwes sind [nicht] die Menschen, die nicht grundlos beschuldigt werden'. Ich wusste, dass aufgrund der Verdächtigung eines Juden namens John Pizer, genannt ‚Leather Apron‘, der beschuldigt wurde, den kürzlich in der Hanbury Street verübten Mord begangen zu haben, ein starkes Gefühl gegen die Juden im Allgemeinen aufkam. Da das Gebäude, auf dem sich die Aufschrift befand, mitten in der Lokalität liegt, die hauptsächlich von dieser Religionsgemeinschaft bewohnt wird, war ich besorgt darüber, dass wenn die Aufschrift verbleibt, diese für einen Aufstand verantwortlich sein könnte. Daher habe ich erwogen, dass es wünschenswert sei, sie aufgrund der Tatsache zu entfernen, dass sie sich an einer Stelle befand, die gut von den Menschen einsehbar war, die dort hinein- und hinausgehen."

Falls man den Ripper tatsächlich durch einen Zeugen als verrückt gewordenen jüdischen Metzger identifizierte, hätte die Bekanntgabe demnach zu schrecklichen Übergriffen bis hin zum Pogrom gegen die jüdische Gemeinde in Whitechapel im Allgemeinen und seine Familie im Besonderen führen können. Denn an die Eröffnung eines Prozesses wäre schon wegen des Gesundheitszustands des Tatverdächtigen nicht zu denken gewesen. Und selbst wenn: Ob die dünnen Beweismittel für eine Verurteilung ausreichend gewesen wären, darf bezweifelt werden - ein Freispruch aus Mangel an Beweisen wäre aber verheerend gewesen.
Wegen der sowieso schon explosiven sozialen Lage, einem weitverbreiteten Antisemitismus und der aufgestauten Wut durch den Ripper-Terror wäre wohl zu erwarten gewesen, dass viele Menschen dann ihre Aggressionen an Sündenböcken ausgelassen hätten.
Die Behörden könnten daher zu dem Schluss gekommen sein, es sei angesichts der explosiven Situation im Eastend sicherer, den todkranken Irren stillschweigend in einer Anstalt verrotten zu lassen und lieber weiter zähneknirschend vor der Öffentlichkeit wie Versager in diesem Fall dazustehen, als eine Katastrophe im Viertel zu riskieren.



Geographisches Profil von Jacob Levy:   
« Letzte Änderung: 16.06.2019 11:57 Uhr von Arthur Dent 2 »

Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #532 am: 16.06.2019 14:38 Uhr »
Hallo Arthur, danke!

Ich hatte mir vor ein paar Jahren Listen der Middlesex Street zusammengestellt. Diese Info stammte aus den Post Office Directorys von 1882 von 1891, jedenfalls hatte ich das als Quellenangabe unter die Listen gestellt.

Dieser Moss Levy hatte sein Geschäft am Südende der Middlesex Street bei der Einmündung an der Butcher's Row - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Butcher Moss Levy am Nordende, 134 Middlesex Street.

Ich habe nun auch den Confectioner Moses Levy 4 Middlesex Street im 1882 Post Office wiedergefunden. Auch den Butcher Moses Levy 134 Middlesex Street fand ich dort.  Im 1891 PO hab ich jetzt nichts aber mir fehlt auch die Zeit für mehr Gründlichkeit (auch zum Lesen deiner Aktualisierung), muss also nichts bedeuten.

Ich fragte deshalb nach, weil Scott gestern noch einmal schrieb.

Er ist sich nicht sicher ob der Tailor Joseph Levy mit dem Butcher Joseph Hyam Levy verwandt war. Es könnte jedoch sein, dass der Vater des Tailors, Moss Levy, ein Cowkeeper war und somit eine gewisse Beziehung zum Metzgergeschäft hatte. Vielleicht war er sogar mit Joseph Hyam Levy und Jacob Levy verwandt. Es gab ja auch den Cowkeeper Bolam, der in der Nähe von Moss Levy lebte (und von Joseph Hyam Levy).

Im PO 1882 gab es dort tatsächlich einen Butcher Moss Levy (also nicht Moses Levy geschrieben), 40 New Street, Houndsditch. Das war natürlich die Ecke Hutchinson Street (J.H. Levy) und George Bolam, Middlesex Street (die sich damals ändernden Nummerierungen sollten keine große Rolle spielen).

Ich hänge das mal aus dem PO 1882 mit dran. Man kann natürlich dabei schnell die Moss/Moses Levy verwechseln. Das könnte Scott damals passiert sein, sodass er nicht von Moses Levy 4 Middlesex Street sprach sondern von Moss Levy, “off“ Middlesex Street. 1882 war Moss Levy allerdings Butcher, nicht Cowkeeper. Ich weiß nicht, welche Quellen und POs Scott nutzte. Ein paar Jahre dazwischen kann einiges ändern. Man muss beachten, dass bei der Vielzahl der Daten auch Fehler auftreten. Außerdem muss sich Scott auch erst einmal wieder reinfinden.

Mehr kann ich jetzt auch nicht tun. Möglicherweise ist es völlig irrelevant.

Adrian Monk. 
« Letzte Änderung: 16.06.2019 14:54 Uhr von Lestrade »
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #533 am: 16.06.2019 17:47 Uhr »
Hallo Lestrade!

Zitat
Ich habe nun auch den Confectioner Moses Levy 4 Middlesex Street im 1882 Post Office wiedergefunden. Auch den Butcher Moses Levy 134 Middlesex Street fand ich dort.  Im 1891 PO hab ich jetzt nichts aber mir fehlt auch die Zeit für mehr Gründlichkeit (auch zum Lesen deiner Aktualisierung), muss also nichts bedeuten.

Hab mir die Listen nochmal angesehen, und da ist mir eingefallen, dass ich damals versucht habe bestimmte Lücken zu füllen, indem ich auch auf das Business Directory und andere Quellen wie Casebook-Artikel zurückgegriffen hatte, und ich glaube auch du hattest mir dankenswerterweise zur Vervollständigung noch ein paar Namen beigesteuert (oder war das für die Butcher's Row oder die Greenfield Street?).
Am Ende hatte ich dann zwei Listen von der Middlesex Street: Die eine für Anfang der 1880er Jahre und eine für Anfang der 1890er, um zu vergleichen, wer die ganze Zeit über dort lebte und was sich geändert hatte.

Unser confectioner Moss Levy und sein Sohn Joseph sind jedenfalls mit den Glucksteins verbandelt, wie Scott Nelson im "Butcher's Row Suspect" schrieb:

"Another daughter (of Henry Gluckstein, son of Samuel Gluckstein), Hannah, married the tailor, Joseph Levy in 1887, who occupied the premises at 79 Aldgate High Street (or 1 Minories according to the census). Joseph was the son of a Moss G Levy, who lived at 4 Middlesex Street. In 1886, Solomon Joseph Britton was sharing the premises at 1 Minories with Levy as a manufacturer’s agent. Britton left the following year, 1887, to return to his family’s business at 13 Houndsditch. From 1888 to 1889, Britton served as the Secretary of the Imperial Club in Duke Street."
https://www.casebook.org/dissertations/rip-butchersrow.html

Interessant auch, dass Joseph Levys Partner Britton 1888 als Secretary of the Imperial Club in der Duke Street tätig war - wie klein das East End doch trotz allem war!


MfG, Dirk Gently

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Re: Jacob Levy
« Antwort #534 am: 16.06.2019 18:19 Uhr »
Noch eine Anmerkung:

Laut Scott Nelson heiratete Amelia Levy, Schwester von Tailor Joseph Levy und Tochter des Butchers Moses Levy, 4 Middlesex Street, angeblich den Solomon Abrahams aus dem Abrahams / Gluckstein Clan der Butcher‘s Row:

„As mentioned, John Abraham’s son, Abraham, married Julia Gluckstein. They had three sons, Lawrence (who married Bertha Gluckstein), Isaac, and Solomon. Isaac, who was a cigar manufacturer, married a Jane Levy. By the 1890s, they lived at 212 Whitechapel Road. They had two sons, Phillip and Lawrence. (...) The other of the Abrahams’ sons, Solomon, married an Amelia Levy. Solomon and Amelia lived at 19 Great Prescott Street until her death in 1889, aged 30. Amelia was the daughter of Moss Levy, whose son, the tailor Joseph, was married into the Gluckstein family.“

Allerdings waren wir bei der Recherche zu den Abrahams ja leider zu dem Ergebnis gekommen, dass Scott Nelson da offensichtlich mit den vielen Abrahams etwas durcheinander geraten war – daher weiß ich bisher noch nicht, ob das wirklich stimmt oder auf dem Fehler von Nelson beruht.


MfG, Buckaroo Banzai

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Re: Jacob Levy
« Antwort #535 am: 16.06.2019 18:29 Uhr »
Hallo again!

Hab mir die Listen nochmal angesehen, und da ist mir eingefallen, dass ich damals versucht habe bestimmte Lücken zu füllen, indem ich auch auf das Business Directory und andere Quellen wie Casebook-Artikel zurückgegriffen hatte, und ich glaube auch du hattest mir dankenswerterweise zur Vervollständigung noch ein paar Namen beigesteuert (oder war das für die Butcher's Row oder die Greenfield Street?).
Am Ende hatte ich dann zwei Listen von der Middlesex Street: Die eine für Anfang der 1880er Jahre und eine für Anfang der 1890er, um zu vergleichen, wer die ganze Zeit über dort lebte und was sich geändert hatte.

So muss das gewesen sein! Ich habe noch eine Liste der Middlesex Street 1891 PO gefunden. Keiner der Levys steht darauf. Meines Erachtens habe ich auch andere Levys im PO damals durchforstet aber keine passenden gefunden. Geschäftsadressen könnten sich ja geändert haben. Andere Gründe, wie Geschäftsaufgabe o.ä. spielen vielleicht auch eine Rolle. Es wäre ja möglich, dass ein Moss Levy seine Tätigkeit als Butcher in Cowkeeper geändert hat und danach eben irgendwie mit/bei Bolam gearbeitet hat.

Unser confectioner Moss Levy und sein Sohn Joseph sind jedenfalls mit den Glucksteins verbandelt, wie Scott Nelson im "Butcher's Row Suspect" schrieb:

"Another daughter (of Henry Gluckstein, son of Samuel Gluckstein), Hannah, married the tailor, Joseph Levy in 1887, who occupied the premises at 79 Aldgate High Street (or 1 Minories according to the census). Joseph was the son of a Moss G Levy, who lived at 4 Middlesex Street. In 1886, Solomon Joseph Britton was sharing the premises at 1 Minories with Levy as a manufacturer’s agent. Britton left the following year, 1887, to return to his family’s business at 13 Houndsditch. From 1888 to 1889, Britton served as the Secretary of the Imperial Club in Duke Street."
https://www.casebook.org/dissertations/rip-butchersrow.html

Vor Jahren hatte ich mich, ich bin mir sicher, mit Scott wegen den Gluckstein/ Abrahams ausgetauscht. Damals hatte ich noch allerhand Zugang zu bestimmten Daten und da fiel mir auf, dass fast nahezu zwei identische Gluckstein/ Abrahams Familien (auch in den Namen) dort damals existierten. Später fand ich Berichte, dass dies jemanden schon viel, viel früher aufgefallen war. Das ist natürlich eine Angelegenheit, wo es schwer fällt durchzusehen, alles scheint möglich, fast tragisch. Nichtsdestotrotz ist es ja möglich (ich halte es für wahrscheinlich), dass trotzdem jeder irgendwie mit jedem zu tun hatte. Ein kleiner Fehler, eine kleine Inkorrektheit, hauen nichts um. 

Unterm Strich: Momentan kann ich auch nicht mit Exaktheit und wirklicher Nachverfolgung dienen, wäre zu viel im Augenblick.

Ich habe Scott auf diese Levy´s hingewiesen, vielleicht findet er tatsächlich noch etwas zu Joseph Levy und seinem Vater.

Gunvald Larsson.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #536 am: 16.06.2019 18:33 Uhr »
Allerdings waren wir bei der Recherche zu den Abrahams ja leider zu dem Ergebnis gekommen, dass Scott Nelson da offensichtlich mit den vielen Abrahams etwas durcheinander geraten war – daher weiß ich bisher noch nicht, ob das wirklich stimmt oder auf dem Fehler von Nelson beruht.

Das fiel Dir dann ein paar Augenblicke früher wieder ein! Siehe Post zuvor.

Ja, man müsste das alles noch einmal nachprüfen. Ein äußerst schwieriges Unterfangen. Ein Millimeter nach rechts oder links und das Ergebnis wird verfälscht. 
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Re: Jacob Levy
« Antwort #537 am: 17.06.2019 08:21 Uhr »
Hallo Lestrade!

Nur der Vollständigkeit halber: Ich habe in dem großen Dateien-Haufen, der meinen JTR-Ordner füllt, doch tatsächlich einen Scan aus dem PO 1882 mit der Seite Middlesex Street gefunden - den muss ich damals gemacht haben, als ich die Listen von der Middlesex Street angelegt habe.


Außerdem muss ich noch was zu meinem Beitrag von 18.19 Uhr korrigieren:

Zitat
Noch eine Anmerkung:

Laut Scott Nelson heiratete Amelia Levy, Schwester von Tailor Joseph Levy und Tochter des Butchers Moses Levy, 4 Middlesex Street, angeblich den Solomon Abrahams aus dem Abrahams / Gluckstein Clan der Butcher‘s Row:

Wegen der ganzen Moses Levys hatte ich doch tatsächlich unseren confectioner Moses Levy zum "butcher" umgeschult - ein ärgerlicher Flüchtigkeitsfehler, der aber schön zeigt, wie schnell einem solche Verwechslungen unterlaufen können - und schon stimmen die Personendaten nicht mehr... Ich bitte um Verzeihung. :-(


MfG, Arthur Dent



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Re: Jacob Levy
« Antwort #538 am: 04.07.2019 10:33 Uhr »
Hallo zusammen!


Einen interessanten Aspekt im Zusammenhang mit dem Mord an Eddowes und der Zeugenaussage von Joseph Hyam Levy hatte ich in meiner Zusammenfassung zu Jacob Levy bisher eher stiefmüttlerlich behandelt:


Es geht um die Aussage des Wachmanns James Blenkingsop auf dem St. James Place (Orange Market).

Der Star schrieb am 1. Oktober 1888:
James Blenkingsop, who was on duty as a watchman in St. James's-place (leading to the square), where some street improvements are taking place, states that about half-past one a respectably-dressed man came up to him and said, "Have you seen a man and a woman go through here?" "I didn't take any notice," returned Blenkingsop. "I have seen some people pass."

Unter Ripperologen gab es bereits Überlegungen, ob der respektabel gekleidete Mann, der Blenkingsop nach einem Pärchen fragte, nicht vielleicht Joseph Hyam Levy gewesen sein könnte.

Denn Levy hinterlässt mit seinen kryptischen Äußerungen zu dem Pärchen im Eingang der Church Passage den Eindruck, dass er mehr wusste, als er sagen wollte.
Er sagte zu seinen Begleitern Lawende und Harris: Wenn man solche Gestalten sieht, möchte man nicht gern alleine nach Hause gehen, und man solle den Square beobachten.
Beim Inquest wurde er daher gefragt: "What was there terrible in their appearance?" - Antwort: "I did not say that." - Frage: "Your fear was rather about yourself?"- Levys kryptische Antwort: "Not exactly."
Angesichts der Tatsache, wie Levy beim Inquest versuchte, sich um eine klare Aussage über die Bedeutung seiner Bemerkung zu drücken, steht der berechtigte Verdacht im Raum, dass er sich tatsächlich weniger Gedanken um seine Sicherheit machte, als um die Situation, die er sah.

Wenn Joseph Hyam Levy den Mann als seinen Cousin Jacob Levy erkannte, der da mit Eddowes stand, und er sich deshalb Sorgen machte, dann wäre es möglich, dass Joseph auch der Mann war, der nach seinem Abschied von Lawende und Harris schließlich bei Blenkingsop auftauchte und ihn nach dem Pärchen fragte.
Ich meine damit nicht, dass Joseph bereits einen Verdacht hatte, sein Cousin könne JtR sein. Er könnte sich einfach verpflichtet gefühlt haben nachzusehen, was der verheiratete Jacob mitten in der Nacht da treibt, weil er schon seit einiger Zeit ein Sorgenkind der Familie war.

Lawende wohnte westlich des Imperial Club in der Fenchurch Street, Harris wohnte östlich des Clubs in der Castle Street, für beide führte der plausibelste Heimweg erst die Duke Street nach Süden in die Aldgate High Street, wo sie sich dann trennten, um auf der Hauptverkehrsachse nach Hause zu gehen.
Ein möglicher Heimweg von Joseph Hyam Levy führt jedoch nördlich über die Little Duke Street zur Houndsditch, dann zur Gravel Lane, durch die New Street und schließlich nach Süden in die Hutchinson Street.

Joseph könnte sich also schon gleich am Ausgang des Imperial Club von seinen Begleitern getrennt und sich nach Norden gewandt haben, um dann anstatt direkt nach Hause zu gehen, den Orange Market betreten haben, um zu versuchen, das Pärchen, das in der Church Passage verschwand, auf dem St. James Place abzufangen.
Als sie ihm dort nicht aus der St. James Passage entgegen kamen, fragte er Blenkinsop. Aber weil der antwortete, er habe nicht darauf geachtet, weil einige Leute den Durchgang passiert hätten, brach er die Suche ab. Vermutlich sah er keine große Chance, das Pärchen in den Gassen wiederzufinden und war nun auch beruhigt, weil Blenkinsop ihm gesagt hatte, dass noch einige Leute in den Gassen unterwegs waren und das Pärchen damit nicht alleine sein würde.


MfG, Arthur Dent



« Letzte Änderung: 04.07.2019 10:52 Uhr von Arthur Dent 2 »

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Re: Jacob Levy
« Antwort #539 am: 10.07.2019 20:54 Uhr »
Ein Hallo an alle!

Mal abgesehen vom zweifelslos “guten Verdächtigen“ Jacob Levy, kann man sich auch immer wieder einmal fragen, ob Lawende, Levy und Harris überhaupt Eddowes mit dem Ripper sahen. Ich muss Lawende´s Sicht hier nicht wiederholen. Er war selber sehr skeptisch, gerade durch die schlechten Lichtverhältnisse am Eingang Church Passage und Levy sah es ähnlich. Nach dem Mord am Mitre Square kam es dort deshalb auch zu Verbesserungen. Das sehen wir bestätigt durch den PC near Mitre Square, der sich ebenfalls einer schlecht beleuchtenden Szenerie gegenübersah. Der Zeuge Levy ist ja nicht nur einseitig zu betrachten, weil Jacob Levy sein Cousin war, sondern auch, weil er mit einem Martin Kozminski irgendwie verbandelt war. Joseph Levy war natürlich auch familiär mit dem Mitre Square und der nahen Umgebung und noch weiter verbunden, er selber wurde nach dem Double Event als Butcher, genauso wie sein Cousin Jacob Levy mit dem gleichen Beruf, von der Polizei unter die Lupe genommen. Sicherlich führte dieser Umstand auch zur Verunsicherung bei ihm in den Wochen danach. Das ist verständlich, wenn man Zeuge in einem Verbrechen wird, wo der mutmaßliche Täter als verrückter Schlachter von vielen gesehen und auch noch als jüdisch angesehen wird. Auf gewisse Weise, könnte Joseph Hyam Levy eine schon recht tragische Figur in der ganzen Geschichte gewesen sein. Doch es bleibt die Frage, was haben diese drei Zeugen nun wirklich gesehen?

Wir wissen, dass der PC near Mitre Square einen Mann sah, der einem Verdächtigen, Kosminski, stark ähnelte. Wann hat er ihn gesehen? Swanson hatte in einem Bericht an das Innenministerium eine Notiz gemacht (die er wieder durchstrich), die besagte, dass die Frau (Eddowes) bereits um 1.35 Uhr tot war und es so unmöglich war, dass die drei Zeugen das Opfer um diese Zeit gesehen haben können. Ich denke, dass dies mit der Beobachtung des Polizeizeugen zu tun hat. Insgesamt erscheint es mir (ich schwanke), dass dieser Officer on duty ein MET Beamter war, der sich auf dem Gebiet der City Police befand. Ich vermute, dass dieser Polizist sich sicherer als Lawende war, dass er die Frau, die er zuvor mit Kosminski gesehen hatte, Eddowes gewesen sein muss. Persönlich glaube ich jedoch nicht, dass dieser Beamte sich zu einhundert Prozent sicher war. Bestätigt könnte sich die Glaubhaftigkeit dann gehabt haben, als der Seaside Home Zeuge Kosminski “einwandfrei“ identifizierte. Den Schilderungen von Swanson zu Folge, war es umgekehrt wohl genauso.

Ich sage immer bei 100 Leuten, mit 100 Theorien und 100 Verdächtigen, wird im besten Falle einer richtig liegen. Wir alle können nicht anders handeln, weil viele Unterlagen verlorengingen bzw. im Krieg vernichtet wurden. Ich glaube fest, dass wir alle überrascht wären, wenn uns diese Quellen zur Verfügung ständen, wie es denn nun wirklich alles ablief und das würde einen sehr veränderten Blick auf das werfen, wie wir es gewohnt sind zu sehen. Dazu gehört sicherlich auch die Szenerie Berner Street in derselben Nacht. 

Ein Zeitfenster gab es auch am Mitre Square für ein zweites Pärchen neben dem welches die drei Zeugen sahen. Nur ein einziger Zeuge (beispielsweise PC Watkins) muss sich um Minuten geirrt haben, um dieses zu öffnen. Eine Minute oder 30 Sekunden könnten in der Abfolge der Ereignisse eine große Rolle gespielt haben. Liest man alle Geschichten um den PC near Mitre Square, könnte auch er (oder Kollegen) Eddowes´ Leiche noch vor PC Watkins entdeckt haben und, der Situation erforderlich, sofort die Verfolgung aufgenommen haben (siehe auch Blenkinskop Aussagen). Sicherlich waren sich einer solchen möglichen Abfolge die City Police als auch die MET gemeinsam wahr, hatten jeweils die Kenntnisse des anderen. Die Zeitangaben könnten allgemein bei beiden zu Unsicherheiten geführt haben, ob Lawende und Co. nun das gleiche sahen, wie der PC. Vielleicht gab es darüber nie wirklich Klarheit. Konnte Lawende Kosminski nicht identifizieren (siehe Major Smith/ City Police), hätte oder hat das wenig bedeutet, denn Lawende war sich eh nicht sicher dabei hilfreich sein zu können. Anderson sagte: “die einzige Person, die jemals einen guten Blick auf den Mörder hatte“ und der (einer) mit dem weniger guten Blick könnte eben der PC am Mitre Square gewesen sein. Macaghten gab an, dass nie jemand den Mörder sah (abgesehen vom PC). Entweder hatte er keine Information bezüglich des Seaside Home oder er verstand es als eine weitere, negative ID. So kann man mutmaßen, dass es auch in der Berner Street keinen geeigneten Zeugen gab, jedenfalls nicht um den Todeszeitpunkt von Stride herum. Dies alles ließe darauf schließen, dass weder Schwartz noch Lawende die Seaside Home Zeugen waren sondern jemand anderes. Die Frage wer es gewesen sein könnte, kann ich natürlich nicht beantworten. In meiner Art der Wahrnehmung von allem, würde ich sagen, er stammt vom letzten Tatort, dem Millers Court. Aber das ist nur etwas daher Gesagtes…

Mir geht es bei allem nicht um richtig oder falsch etc. Zweifelsfrei geht es in meiner Betrachtung um Kosminski, der in Verbindung mit dem Mitre Square gebracht wird, eben durch einen Officer und wohlmöglich noch mit einem zweiten Tatort. Das dieser Mann sicherlich als besonders tatverdächtig angesehen wurde (Anderson, Swanson, Macnaghten, wer weiß, vielleicht sogar durch Cox und/oder Sagar), dürfte außer Frage stehen. Aber nach all den vielen Jahren, in denen ich mich mit diesem Fall beschäftigt habe, entstand jetzt nach und nach der Eindruck, dass bestimmte Szenerien, die wir so annehmen müssen, wie sie sind, möglicherweise in ihrer Gesamtheit ganz anders aussahen. Und das sollte uns auch nicht verwundern. Es sollte auch nicht verwundern, dass hierbei die Konstellation Jacob Levy/ Joseph Haym Levy so, und berechtigterweise, in den Fokus gerückt ist. Vielleicht sind solche Dinge einer derartigen Mordserie sogar eigen. Das Pärchen, welches auch Joseph Hyam Levy sah, muss nicht zu einhundert Prozent Eddowes und ihr Mörder gewesen sein, was wiederum nicht ausschließt, dass Hyam Levy seinen Cousin mit eine Frau sah als Eddowes bereits ermordet im Mitre Square lag.

Aber vielleicht ist das alles bedeutungslos was ich hier anmerke. Wir alle kennen die Geschichte vom MET Sergeant Stephen White, der behauptete, er war jener Polizist der den Ripper sah. Es erinnert ein wenig an das, was PC Langham von der City Police berichtete, etwas ganz neues, einen Artikel, der erst kürzlich erschien. Ich glaube, es war eine amerikanische Zeitung, die White als den Mann ansahen, der Anderson auf die Spur des Rippers brachte. White´s Beschreibung ist sicherlich zu detailliert um von schlechten Licht zu sprechen aber dieser Mitre Square Polizeizeuge sah seinen Verdächtigen ja einige Zeit später erneut. Da wird er einen genaueren Blick auf den Mann gehabt haben und nicht nur auf Größe und Körperbau geschaut haben. White gehörte auch zu den Beamten, die den Zeugen Packer in der Berner Street befragten und auch erneut befragen mussten. Packer bleibt sicherlich ein eigenartiger Zeuge aber er wollte eben auch das am Ende gesehen haben, was er eben gesehen haben will. Nach dem Double Event gab es den Bericht, ein “Watchboy“ habe Eddowes mit einem Mann, Aldgate Station beginnend, zum Mitre Square laufen gesehen und den Mann alleine zurückkommend bemerkt. So gesehen passt das zu White, wenn er von der Polizeistation Leman Street zum Mitre Square gegangen wäre. Aldgate Station ist auf dem Weg dorthin. White traf zwei Kollegen, die sich an einem Tatort versteckt befanden. Er sah einen Mann allein durch eine schmale Gasse (Church Passage?) kommen und sofort darauf fand einer der Kollegen eine Leiche (Eddowes?). Danach ging es sofort auf die Verfolgung. Nun kann vieles in diesem Moment passiert sein. Er/sie hörten die Rufe von PC Watkins und reagierte(n) sofort (ohne das es Watkins bemerkte) oder einer der drei MET Beamten vor Ort fand die Leiche noch vor Watkins. Auch Blenkinskop´s 1.30 Uhr könnte darauf hinweisen, dass Beamte bereits früher am Tatort waren, wobei ich da noch 2-3 Minuten drauflegen würde. Zeitangaben waren/ sind so eine Sache. Swanson schien mit dem Gedanken zu spielen, dass Eddowes bereits tot war als die drei Zeugen ein wohlmöglich anderes Paar beobachteten. Das könnte tatsächlich auf die Angaben von White und Co. beruht haben.

Bei der Arbeit an der “Kosminski letter“ tut sich nun etwas auf, was ein Motiv für Aaron Kozminski´s Schwester Matilda gewesen sein könnte (und auch für Aaron), sich Hilfe bezüglich ihres Bruders zu holen (siehe Crawford Letter, Halifax letter, evtl. Presseberichte). Es wäre noch viel zu früh darüber zu berichten aber es ist etwas, was ich seit längerem erwartet habe, oder der besser gesagt gehofft habe…     

Neben dem Thema Jacob Levy zu dem zweifelsohne die Zeugenkonstellation eine Rolle spielt, habe ich meine Post noch in eine etwas andere Richtung gebracht, um aufzuzeigen, wie viel möglich ist, mehrere Verdächtige ernsthaft mit einem Verbrechen in Verbindung zu bringen, sei es auch nur durch unglaubliche Zufälle. So wichtig und bemerkenswert die Sache mit Jacob Levy/ Hyam Levy auch ist, es gibt keinerlei Beweise, dass Hyam Levy und Co. in der Tat Eddowes mit ihrem Killer sahen, dass Jacob von Joseph Hyam in der Situation erkannt wurde. Das behauptet ja auch niemand. Ohne Zweifel jedoch wird Jacob von der Polizei unter die Lupe genommen worden sein. Das Ergebnis kennen wir nicht. Selbstverständlich gibt es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass die drei Zeugen das Opfer Eddowes mit ihrem Mörder sahen aber vielleicht war sich die Polizei nie wirklich sicher genau wie es auch Lawende nicht sein konnte. Immerhin war Lawende auch die folgenden Jahre für die Polizei von Wichtigkeit. Glauben wir dem PC vom Mitre Square, könnte er sogar noch einen “besseren“ Blick gehabt haben als ihn Lawende hatte und selbst der reichte nur für Größe und Körperbau. Im wahrsten Sinne lag und liegt da wohl einiges im Dunklen.

Um mein Anliegen vielleicht noch besser zu formulieren, ohne Jacob Levy zu schmälern, an dessen Theorie ich sehr stark selber interessiert bin:

Wie viel von dem was wir (faktisch) wissen oder spekulieren, können wir wirklich als bare Münze nehmen?   

Ich kann das selbst nur schwerlich beantworten,

Lestrade.


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