Autor Thema: Jacob Levy  (Gelesen 308468 mal)

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Re: Jacob Levy
« Antwort #90 am: 07.11.2015 21:58 Uhr »
Hallo Arthur!

Zunächst mal verstehe ich nicht, was "Macnaghten sagte, dass Kosminski ca. März in eine Anstalt ging" mit der von mir beschriebenen Überwachung zu tun haben soll. Ich schrieb ja nicht von Kosminski, sondern von Levy - es sei denn, Macnaghten hätte Levy mit Kosminski verwechselt. Aber auch von Jacob ist nicht bekannt, dass er im März 1889 eingeliefert wurde. Demnach wäre am Memorandum soviel substantiell falsch, dass wir es ganz als Indizien- und Argumentationsbasis vergessen könnten.

Der Mann von Cox ging, zumindest nicht nach den drei Monaten von Cox, in keine Anstalt. Macnaghten´s Kosminski tat dies jedoch. Der Mann von Cox könnte jemand anderes gewesen sein, Jacob Levy zum Beispiel.

"So sicher Sagar über einen Butcher sprach, so lässt Cox den Job seines Mannes offen. Er spricht jedoch über tailors and capmakers und über drinking their coffee, smoking their excellent cigarettes, and partaking of Kosher rum. Nicht, dass es unmöglich war, zwischen diesen Berufen und Händlern einen Butcher Shop zu überwachen aber ich sehe keinen Hinweis darauf."

Ich finde es plausibel: In der Middlesex Street gab es jede Menge Schneider, also bot sich die Cover Story mit den Factory Inspectors geradezu an. Sie sollte genau davon ablenken, dass man in Wirklichkeit einen Metzger überwachte.
Falls es rauskommen sollte, dass Beamte in seiner Straße herumschnüffelten, würde der observierte Metzger dann denken: Puh, geht ja gar nicht um mich, sondern um die Schneider.
Übrigens sollen Polizisten doch auch als Kunden in den Shop gekommen sein, das passt besser auf eine Metzgerei - ich kann mir nicht vorstellen, dass die Polizei regelmäßig Kleidung gekauft haben sollte, das wäre recht teuer auf der Spesenrechnung geworden.

Da würde auch ein Flickschuster passen, Macnaghten sprach von einem "Cobbler" und der Schwager von Kosminski war Boot laster. Es gab einige andere Officers neben Cox, jeder von ihnen hätte regelmäßig solch einen Shop besuchen können. 1, 2 oder 3 mal die Woche... Und Jacob Levy könnte auch passen, klar.

"Das gleiche Problem sehe ich auch bei Kosminski, nur das ich Sagar da eher um den Dezember 1890 (als er tatsächlich dort Dienst schob) sehe, was bei Kosminski auch noch möglich war, bei Levy aber nicht."

Ich finde einfach diese Zeitangabe nicht, mit der du Sagars Observation auf Dezember 1890 verortest. Könntest du mir bitte die Quelle zugänglich machen? Denn wenn seine komplette Aussage zur Observation sich auf diesen Zeitraum bezieht, kann ich meine These von seiner Levy-Beobachtung sowieso abhaken, da war der ja schon in der Anstalt.

Schaue bitte in den Ripperologist 103 (+130), Scott Nelson, Bull Inn Yard Raid in Dezember 1890.

Im Internet findest du nur eher so etwas:

Ripper Wiki/ Sagar

"It has been suggested that this may be the same suspect mentioned in the memoirs of Sagar's colleague Henry Cox. No contemporary reference to the observation of this suspect is known, though evidence in an unrelated case suggests that Sagar may have been carrying out surveillance in Aldgate in April 1889[7]. It has also been suggested that there may be a connection with a raid on a gaming house known as the Alliance Club in Bull Inn Yard, Aldgate, in December 1890. The raid followed observation of the premises, which lay off Aldgate High Street directly opposite to Butchers' Row[8]".

Ich kann auch versuchen sie dir zu schicken. Dann gib mir bitte eine Info.
 
"Sicher? Kennst Du die Angaben?"

Selbstverständlich, den Zusammenbruch nach der Verurteilung 1886 habe ich ja als erstes bekanntes Symptom für seine beginnende psychische Zerrüttung in meiner umfangreichen Zeitleiste aufgeführt.

Okay!  "Whether any near relative has been afflicted with insanity Yes. Elder brother cut his throat"

Ich sehe das so: Zuerst hatte er für Eastend-Niveau eine erfüllte, gesicherte Zukunft vor Augen, dann baut er Scheiße und alles in seinem Leben beginnt zu zerbrechen. Er wird wegen des Diebstahls geschnitten, sein Laden geht den Bach runter, seine Ehe gerät deswegen und wegen der Syphilis in die Krise, aber er hat eine Familie zu versorgen, also muss er zusätzlich noch Nebenjobs annehmen. Die fortschreitende Syphilis-Infektion greift aufs Hirn über und verändert sein Denken und Fühlen - aus der Verzeiflung wird Hass, den er auf die Prostituierten projiziert, weil er sich bei einer angesteckt hat und dies als Ursache für seine "Rolltreppe abwärts" ansieht. Und nach dem Tod seiner Mutter, als er auf seinen nächtlichen Streifzügen aus Schlaflosigkeit wieder von einer Prostituierten angemacht wird, rastet sein erkranktes Hirn aus und er macht mit ihnen das, was er als Metzger gelernt hat...

Ist das nicht ein wenig zu einfach formuliert? Muss man nicht von der Jugend an Verstümmelungsfantasien entwickelt haben? Warum nahm er die Prostituierten nicht mit in seinen Shop? So als Butcher mit eigenem kleinen Geschäft? Seine Frau wandte sich von ihm ab, wie Du spekuliert hast und war vielleicht gar nicht da.

Auch Jacob Levy hätte diese Fantasien entwickelt haben und die Syphilis hätte der Auslöser zum Morden gewesen sein können. Viele erkrankten daran aber wie viele Mörder erwuchsen daraus? Man muss sicherlich Vorbedingungen mitbringen oder nicht? Jemand der schon vorher Groll gegen Frauen und Prostituierte hegte und dann Syphlis bekommt, mit dem kann die Wut durchgehen, klar. Beim Ripper sollte man schon jemanden mit diesem Frauenbild vermuten bevor die Syphilis einsetzt und das sehe ich bei Jacob Levy mit Ehefrau und Kindern weniger.

Du siehst einen gesunden Jacob Levy, der mit der Syphilis zum Frauenschlächter wurde? Akzeptiert!

Gestern schriebst Du:

"Wir wissen ja nicht, ob Levy und seine Frau auch wirklich noch die ganze Zeit zusammen wohnten, nur weil sie formal laut Census an derselben Adresse gemeldet waren.
Immerhin dürfen wir voraussetzen, dass zwischen beiden der Haussegen ganz gewaltig schief hing: Er hatte sich bei einer Prostituierten mit Syphilis angesteckt, war wegen Diebstahls verurteilt worden, was ihm in der Gemeinde viele Feinde gemacht haben dürfte, wurde immer seltsamer, trieb sich nachts herum und ruinierte langsam aber sicher ihr Geschäft.
Es kann also gut sein, dass seine Frau mit den Kindern aus Protest zeitweise die gemeinsame Wohnung verlassen hatte, so dass er nachts alleine war (nach dem Motto: "Ich hab die Schnauze voll - ich ziehe zu meiner Mutter!"). Oder dass sie ihn aus dem Schlafzimmer rauswarf und er im Shop nächtigen musste..."


Du wirst lachen, gestern fand ich durch Zufall noch im Post Office Verzeichnis von 1891 Hyman Sampson in der 67 Middlesex Street. Das war die Person, die er 1886 beklaute. In 1891 wurden sie Nachbarn, die Levys, besser gesagt nur seine Frau, wohnend in 69 Middlesex Street. Anzunehmen, dass er zum Arsch in dieser Welt wurde können wir nicht. Es ist auch gut möglich, dass sich Verwandte, Bekannte und Freunde um ihn und seine Familie kümmerten. Wir können vieles behaupten aber wissen tun wir es nicht. 

Noch einmal zu Sagar und Cox. Vielleicht erinnerst Du dich, neulich postete ich das hier:

GEORGE JOHNSON, JOHN PHILLIPS, Deception > forgery, 24th November 1890.

JOSEPH TRAGHEIM . “I came from the Baltic provinces—I live at 81, Greenfield Street, Commercial Road—I was formerly in business at Rotterdam…”

ROBERT CHILD (City Detective)

“I was watching Tragheim—between October 1st and 17th I saw Tragheim daily, except on Sundays—I saw three or four other persons of the gang who he spoke to; he was then sleeping at 81, Greenfield Street—I did not watch him at all, he made appointments and we kept them—other officers were watching;”

JOHN HARMAN . I am a lithographic printer, of 12, Bacon Street,. Brick Lane

HENRY COX (City Policeman)
. "On 24th September, in consequence of instructions from Child, I watched in Liverpool Street, and saw the prisoners together—I followed Johnson and another man to Bethnal Green, and lost sight of him in Gibraltar Gardens—I saw him again next day in Liverpool Street with someone else, followed them to Bacon Street, Spitalfields, and lost sight of him—on the 29th I saw Johnson again, and followed him to Mr. Harman's, 12, Bacon Street—I did not wait to see him come out—on September 30th I was watching in Bacon Street, and saw Johnson come there about 1.20; he went into No. 12, and came out about 4.20—I followed him to Shoreditch Station and lost sight of him—while he was there on the 30th I saw Mr. Harman come out to get some food, he was out twenty' minutes or half an hour—I have seen Johnson, Phillips, and Tragheim in company on other occasions in September and October."

ROBERT SAGER (City Police Inspector). "On 22nd October I was keeping observation on 115, Hayter Road, Forest Gate, and when Phillips left I said, "Mr. Phillips, I am an officer, and these are officers here from the City; I am going to arrest you for forging and uttering letters of credit on Drexel and Morgan, of London and other places"—he said, "I have got no letters of credit; I know nothing about them"—I took him to the station."

Tragheim lebte 81 Greenfield Street, sechs Türen weiter lebte Isaac Abrahams in 74 Greenfield Street und Matilda Lubnowski, gegenüber Isaac in der 16 Greenfield Street. Beides Geschwister von Aaron Kozminski. In October 1890 “other officers (City Police) were watching” in Greenfield Street.

Cox und Sagar, City CID, waren involviert in diesem Fall und das auf dem Gebiet der MET Polizei. Cox selber verfolgte bis Bethnal Green, Spitalfields, Shoreditch… Bacon Street lag am nördlichen Ende der Brick Lane.

Auffallend ist auch, das die City Police in der Greenfield Street tätig waren, kurz bevor Aaron Kozminski nach Colney Hatch ging. Und das vermutlich kurz nach der ID im Seaside Home. Swanson von der MET Polizei gab ja auch an, dass Kosminski Tag und Nacht von der City Kriminalpolizei observiert wurde.

"other officers (of the City Police) were watching" in October 1890 in Greenfield Street...

Die City Polizei war, kurz vor der Einweisung Aarons, in der Greenfield Street aktiv. Dort lebten seine Schwester Matilda und sein Bruder Isaac. Gleichzeitig ist es möglich, dass Sagar u.a. auch in der Butchers Row aktiv war. Der andere Bruder Woolf lebte im Sion Square, den man schnell in Richtung Butchers Row verlassen konnte. In Sagar´s Fall im Dezember 1890 ging es um eine Razzia im Bull Inn Yard aber der lag genau gegenüber der Butchers Row. Sagar hatte aber, gemeinsam mit Cox, jedoch eben auch eine Verbindung zu dieser Greenfield Street Geschichte, alles Ende des Jahres 1890. Wir wissen, dass es einen Verdächtigen gab, der lange (Cox) und sorgfältig (Sagar) überwacht wurde. Und Swanson sagte, dass die City Polizei diesen Job der Überwachung übernahm. Nun zog sich das alles hin, es war das East End und es gab viele "Verbrechen" aller Art. Es ist gut möglich, dass die Polizei bei der Überwachung von Kosminski in der Greenfield Street, im Sion Square oder in der Butchers Row und anderen Locations noch anderen Übeltätern auf die Spur kam.

Vielleicht ist das alles auch nur reiner Zufall. Ich weiß es nicht.

Dir noch einen schöne Abend,

Lestrade.
« Letzte Änderung: 07.11.2015 22:56 Uhr von Lestrade »
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Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #91 am: 07.11.2015 23:02 Uhr »
Das Buch von Jonathan H. ist wohl jetzt erhältlich sehe ich gerade:

http://www.jtrforums.com/showthread.php?t=24530

Ganz schön teuer, ich warte noch etwas und dann schlage ich zu, vielleicht wird das ebook preiswerter, mal sehen.

"Police chief Sir Melville Macnaghten claimed to know the truth from “private information,” but his source has remained unknown for more than a century. Here, the identity of Sir Melville’s informer is revealed, explaining why the Ripper was disguised as an insane surgeon for public consumption. A number of photos are included, some never before seen."

Das klingt doch schon einmal spannend...

Gibt es jetzt auch als günstigere Kindle Edition... ich habe zugeschlagen...
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #92 am: 08.11.2015 15:04 Uhr »
Hallo Lestrade!

"Der Mann von Cox ging, zumindest nicht nach den drei Monaten von Cox, in keine Anstalt. Macnaghten´s Kosminski tat dies jedoch. Der Mann von Cox könnte jemand anderes gewesen sein, Jacob Levy zum Beispiel."

Ach so meinst du das, klar. Aber angesichts der nachgewiesenen Ungenauigkeiten in Macnaghtens Memorandum vermeide ich ihn eigentlich lieber, sofern es eine andere Quelle gibt. Vielleicht hatte Macnaghten da was mit Hyams oder David Cohen verwechselt, denn von unseren vier nachgewiesenen jüdischen Psychiatriepatienten wissen wir bisher nur von den beiden, dass sie schon so früh in einer Anstalt waren - allerdings bereits seit Dezember 1888. Solange es keine anderen Hinweise auf bisher unbekannte Verdächtige mit Psychiatriehintergrund gibt, auf die das Einweisungsdatum März 1889 in etwa passt, oder in privaten Einrichtungen etwas zu Kosminski oder Levy gefunden wird, betrachte ich Macnaghtens Aussage eher kritisch.


"Da würde auch ein Flickschuster passen, Macnaghten sprach von einem "Cobbler" und der Schwager von Kosminski war Boot laster. Es gab einige andere Officers neben Cox, jeder von ihnen hätte regelmäßig solch einen Shop besuchen können. 1, 2 oder 3 mal die Woche..."

Stimmt, das würde dann auch gut auf eine Observierung Kosminskis passen - und die Polizei wird jede Menge Schuhe mit abgelaufenen Sohlen gehabt haben, die sowieso erneuert werden mussten.


"Schaue bitte in den Ripperologist 103 (+130), Scott Nelson, Bull Inn Yard Raid in Dezember 1890."
(...)
Im Internet findest du nur eher so etwas:
'It has been suggested that this may be the same suspect mentioned in the memoirs of Sagar's colleague Henry Cox. No contemporary reference to the observation of this suspect is known, though evidence in an unrelated case suggests that Sagar may have been carrying out surveillance in Aldgate in April 1889[7]. It has also been suggested that there may be a connection with a raid on a gaming house known as the Alliance Club in Bull Inn Yard, Aldgate, in December 1890. The raid followed observation of the premises, which lay off Aldgate High Street directly opposite to Butchers' Row[8]'."


Ah, vielen Dank. Das heißt also, dass es auch 1890 dort Observationen gab - allerdings "direkt gegenüber der Butcher's Row". Damit wäre das wohl nicht "der Butcher's Row Suspect" gewesen.
Ich fürchte, dass es wegen der hohen Kriminalitätsrate im Eastend viele Observationen gab, das macht es nicht gerade einfach, diejenigen mit möglichen Ripper-Bezug zu identifizieren.

Könnte es sein, dass die City Police viele Observationen im Territorium der Metro Police vornahm? Und zwar nicht nur dann, wenn die Tatorte und damit die Zuständigkeiten auf ihrem Gebiet lagen, die Verdächtigen aber im Eastend lebten - sondern auch weil man hoffte, dass revierfremde Polizisten nicht so schnell erkannt und enttarnt werden? Oder gab es eine speziell ausgebildete Abteilung dafür, die bei der City Police angesiedelt war?


"Whether any near relative has been afflicted with insanity Yes. Elder brother cut his throat"

Jacobs Bruder hat sich doch umgebracht, weil er spielsüchtig war und sein ganzes Geld verzockt hatte. Und ist nicht auch im jüdischen Glauben Suizid sündhaft? Angehörige suchen oft nach Ausreden/Entschuldigungen dafür. Er muss also nicht unbedingt die Folge einer Geisteskrankheit gewesen sein - und selbst wenn: Erstens muss es keine Psychose gewesen sein, die höchste Suizidrate haben Depressionen. Zweitens erhöht eine familiäre Disposition nur die Wahrscheinlichkeit, dass man auch daran erkrankt.
Aber ok, es ist ein Indiz dafür, dass es in seiner Familie psychische Erkrankungen gegeben haben und Jacob eine Disposition dazu gehabt haben kann.


"Ist das nicht ein wenig zu einfach formuliert? Muss man nicht von der Jugend an Verstümmelungsfantasien entwickelt haben? (...) Auch Jacob Levy hätte diese Fantasien entwickelt haben und die Syphilis hätte der Auslöser zum Morden gewesen sein können. Viele erkrankten daran aber wie viele Mörder erwuchsen daraus? Man muss sicherlich Vorbedingungen mitbringen oder nicht? Jemand der schon vorher Groll gegen Frauen und Prostituierte hegte und dann Syphlis bekommt, mit dem kann die Wut durchgehen, klar. Beim Ripper sollte man schon jemanden mit diesem Frauenbild vermuten bevor die Syphilis einsetzt und das sehe ich bei Jacob Levy mit Ehefrau und Kindern weniger."

Naja, ich hatte es ein bisschen flott und salopp zusammengefasst, sonst wäre der Text noch länger geworden.
Klar hast du recht, dass er auch schon früher Phantasien entwickelt haben könnte, die er aber als Metzger vorerst noch legal und sozialverträglich ausleben konnte, so dass es niemandem auffiel. Ein Tierverstümmler, der seine Perversion als Beruf ausübt - hatte ich als Möglichkeit in meiner Levy-Zusammenfassung erwähnt.
Anders herum wäre allerdings genauso gut möglich: Er bekam durch die Hirnerkrankung Aggressionen und Gewaltphantasien, die sich an seinen beruflichen Erfahrungen als Metzger orientierten (z.B. war der Gleisarbeiter Phineas Gage vor seiner Hirnverletzung durch einen Unfall ein verantwortungsbewusster, ausgeglichener Mann - danach wurde er asozial und aggressiv).
Letztendlich ist das eine rein akademische Frage nach Henne und Ei, die wir heute nicht mehr beantworten können - und für den Fall auch nicht müssen.

Das Wesentliche ist m.E. doch: Jacob vereint einen ganzen Komplex von Risikofaktoren für eine mörderische Entwicklung. Und egal in welcher Reihenfolge, die Facetten passen gut zusammen: Syphilis, wirtschaftliche und soziale Probleme, Verbrechen, Tod der Mutter, offener Ausbruch von Wahnsinn mit befehlenden Stimmen, die ihn zu Dingen drängen, die er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann... Und die Auswahl der Opfer und die Vorgehensweise passen zur Geschlechtskrankheit und zur Berufspraxis.


"Du wirst lachen, gestern fand ich durch Zufall noch im Post Office Verzeichnis von 1891 Hyman Sampson in der 67 Middlesex Street. Das war die Person, die er 1886 beklaute. In 1891 wurden sie Nachbarn, die Levys, besser gesagt nur seine Frau, wohnend in 69 Middlesex Street."

Ja, soweit ich weiß, war das schon 1886 beim Prozess gegen Levy die Wohnadresse von Sampson, nur seine Metzgerei war lange in der Goulston Street. Sowas kann in Ballungsgebieten eben vorkommen: Bei der Wohnraumknappheit des übervölkerten Eastends konnte man sich seine Nachbarn nicht immer aussuchen. Und wenn Jacobs Frau nach seiner Einweisung aus finanziellen Gründen umziehen musste, konnte sie bestimmt nicht wählerisch sein. Dürfte aber schon ab 1886 ziemlich unerfreulich gewesen sein, wenn Sampson und Jacob sich regelmäßig über den Weg liefen.


"Wir können vieles behaupten aber wissen tun wir es nicht."

Ja, daran krankt der ganze Fall: Wir können anhand der begrenzten Infos nur mehr oder weniger plausible Thesen aufstellen.


"Die City Polizei war, kurz vor der Einweisung Aarons, in der Greenfield Street aktiv. (...)
Vielleicht ist das alles auch nur reiner Zufall. Ich weiß es nicht."


Ja, wenn Cox und Sagar regelmäßig fürs Beschatten eingesetzt wurden, könnten sie vermutlich einer entsprechenden Abteilung für Observationen angehört haben - und dann werden sie viele verschiedene Fälle abgearbeitet haben, was es nicht gerade einfacher macht, Verbindungen einer speziellen Überwachung zum Ripper-Fall herzustellen.

Aber je mehr Facetten passen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht nur Zufall war. Letztendlich haben wir mit unseren beschränkten Infos nur die Möglichkeit, offensichtlich nicht zusammenpassende Elemente auszuschließen - und bei den Infos, die zusammenpassen könnten, können wir nur versuchen, die Wahrscheinlichkeit ihres Zusammenhangs einzuschätzen.
Butcher's Row und Factory Inspectors passen zu Levy wegen seines Berufs und seiner Adresse. Zu Kosminski passt die Schneider-Geschichte wegen seiner Brüder und diese andere Observation in der Greenfield Street wegen der Adresse.
Und beides muss sich noch nicht einmal ausschließen, wenn die Polizei mehrere Ripper-Verdächtige überwachte - wichtig ist für unsere Thesen zu den Verdächtigen vor allem, dass es in ihrem unmittelbaren Umfeld tatsächlich Observationen gab. Das ist ein weiteres Indiz im Puzzle.


MfG, Arthur Dent



P.S. Dann bin ich mal gespannt, was du über das Buch berichten kannst.  :good:

Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #93 am: 08.11.2015 16:42 Uhr »
Hallo Arthur,

Habe gerade für dich etwas herausgesucht und dabei fielen mir zwei Dinge auf.

Doch zunächst:

Ah, vielen Dank. Das heißt also, dass es auch 1890 dort Observationen gab - allerdings "direkt gegenüber der Butcher's Row". Damit wäre das wohl nicht "der Butcher's Row Suspect" gewesen.
Ich fürchte, dass es wegen der hohen Kriminalitätsrate im Eastend viele Observationen gab, das macht es nicht gerade einfach, diejenigen mit möglichen Ripper-Bezug zu identifizieren.

Schon gelesen? Die Observation, von der Sagar bezüglich des Rippers sprach, führten sie, logischerweise, von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. Das alles war, natürlich, die Aldgate High Street und der Verdächtige befand sich in der Butchers Row, einen Abschnitt mit einige Butchern auf dieser Straße. Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei der bestätigten Observation von Sagar, in diesem Yard, gleich am Eingang zum diesem Innenhof ihr Observationspunkt lag. Damit hätten sie einen sehr guten Blick gehabt auf folgende Geschäfte gegenüber in der Butchers Row:

Bullas 58, De Leeuw 59, Rayment 60 und Bosman 62.

Angenommen, die City Police beobachtete hier den möglichen Ripper, dann hätten sie mitbekommen haben können, auf ihrer Seite der Aldgate High Street am Eingang des Innenhofes, nur auf der anderen Seite des Durchgangs, dass dort ein Puff betrieben wird. Es war ihr Gebiet, es war eine Straftat und alles andere läge dann nahe. In diesem Falle des Bordells, hätte dann Kommissar Zufall geholfen. Ich halte das alles für absolut möglich.

Nun zu dem, was mir auffiel. Zum ersten:

"Du wirst lachen, gestern fand ich durch Zufall noch im Post Office Verzeichnis von 1891 Hyman Sampson in der 67 Middlesex Street. Das war die Person, die er 1886 beklaute. In 1891 wurden sie Nachbarn, die Levys, besser gesagt nur seine Frau, wohnend in 69 Middlesex Street."

Ja, soweit ich weiß, war das schon 1886 beim Prozess gegen Levy die Wohnadresse von Sampson, nur seine Metzgerei war lange in der Goulston Street. Sowas kann in Ballungsgebieten eben vorkommen: Bei der Wohnraumknappheit des übervölkerten Eastends konnte man sich seine Nachbarn nicht immer aussuchen. Und wenn Jacobs Frau nach seiner Einweisung aus finanziellen Gründen umziehen musste, konnte sie bestimmt nicht wählerisch sein. Dürfte aber schon ab 1886 ziemlich unerfreulich gewesen sein, wenn Sampson und Jacob sich regelmäßig über den Weg liefen.

Hyman Sampson´s Adresse in 1886 war 35 Middlesex Street, die von Jacob Levy in 1886 36 Middlesex Street. Sie waren auch da schon Nachbarn und zogen um 1891 herum wohl zeitgleich zu ihren neuen Adressen, wo sie Nachbarn blieben (67 Sampson/ 69 Levy).

"about two minutes afterwards Levy came out at his shop door, which is next door"

Der Fall ist hier nachzulesen:

http://www.oldbaileyonline.org/browse.jsp?id=t18860405-name-62&div=t18860405-419#highlight

"Jacob Levy having been arrested on 10 March 1886 for the theft of a weight of meat from his master Hyman Sampson, who formerly had a butcher's business at 58 Goulston Street"

Irgendeine Idee?

Trotz der ganzen Sache, könnte es möglich sein, dass beide Familien befreundet blieben als erkannt wurde, dass Jacob sehr krank ist. Er wanderte ja auch nicht in den Knast sondern in eine Anstalt. Laut seiner Frau, brachte er doch schon vieles durcheinander...

Zu der Polizeiarbeit versuche ich mich gerade besser kundig zu machen. Vor mir liegt Sir Howard Vincent´s Police Code von Neil Bell und Adam Wood, von beiden signiert, (bin ein Fan  8) ), vielleicht hilft das weiter. Ich müsste es nur anfangen zu lesen...

Nun zum zweiten:

Ich wunderte mich etwas, dass Du Cox ausgerechnet in der Middlesex Street siehst. Das war ja keine typische Schneider Straße. Es gab dort den regelmäßigen Petticoat Lane Markt, Kleiderhändler. Aber Cox und Co. beobachteten ja keinen "Trödelmarkt" sondern eine Straße wo es sehr wahrscheinlich ist, dass es dort einige Schneider und Capmaker gab. Aber das war in jener Straße nicht der Fall. Ich vermutete, Du könnest den Kleidermarkt mit einer Schneiderstraße gleichsetzen. Mir war diese Straße dafür nicht bekannt, also für Schneider. Deshalb habe ich mal nachgeschaut. Ich sehe in 1891 dort ganze zwei Schneider, 16 Shops voneinander getrennt existierend. Es gab sogar einen Butcher mehr, neben Levy und Sampson.

Eine typische Schneiderstraße wäre die Greenfield Street! 1888:

Levy 4 Greenfield Street
Joseph 9 Greenfield Street
Miller 11 Greenfield Street
Cohen 15 Greenfield Street
Morris 19 Greenfield Street
Esner 20 Greenfield Street
Kazanoski 21 Greenfield Street
Solomons 22 Greenfield Street
Hyams 22 Greenfield Street
Rosenbaum 25 Greenfield Street
Fox 26 Greenfield Street
Fifer 27 Greenfield Street
Hubriez 30 Greenfield Street
Hennessy 36 Greenfield Street
Parr 54 Greenfield Street
Cohen 58 Greenfield Street
Gold 63 Greenfield Street
Goldstein 70 Greenfield Street
Rosen 71 Greenfield Street
Lyons 72 Greenfield Street
Perlmutler 73 Greenfield Street
Abrahams 74 Greenfield Street (der Bruder von AK)
Sleeves 75 Greenfield Street
Schmidt 76 Greenfield Street
Girklke 78 Greenfield Street
Phillips 81 and half Greenfield Street
Solomons 83 Greenfield Street
Goldberg 84 Greenfield Street
Posner 87 Greenfield Street
Staaks 87 Greenfield Street
Dicks 89 Greenfield Street
Goldberg 86 Greenfield Street
Lazarus 25 Greenfield Street
Lohski 50 Greenfield Street
Schiff M 77b Greenfield Street
Rosenthal 5 Coker Street Greenfield Street
Harris 2 Charles Court Greenfield Street

Vielleicht hilft das alles irgendwie weiter.

Beste Grüße,

Lestrade.
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Offline Arthur Dent 2

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Re: Jacob Levy
« Antwort #94 am: 09.11.2015 18:11 Uhr »
Hallo Lestrade!


"Angenommen, die City Police beobachtete hier den möglichen Ripper, dann hätten sie mitbekommen haben können, auf ihrer Seite der Aldgate High Street am Eingang des Innenhofes, nur auf der anderen Seite des Durchgangs, dass dort ein Puff betrieben wird. Es war ihr Gebiet, es war eine Straftat und alles andere läge dann nahe. In diesem Falle des Bordells, hätte dann Kommissar Zufall geholfen. Ich halte das alles für absolut möglich."

Dass könnte natürlich sein, dass die Polizei bei ihren Überwachungen gewissermaßen etwas "Beifang" mitnahm - sofern dies ihre Observationen nicht gefährdete.
Aber wenn ich mich recht erinnere, erwähnten nicht nur Cox, sondern auch Sagar und Swanson, dass die Mordserie unmittelbar mit Beginn der Observationen abriss, siehe z.B.: "Cox also recalled that the crimes ceased immediately after the suspect was put under observation, and he makes it clear that there were no Ripper-like murders after the murder of Mary Jane Kelly." http://www.casebook.org/dissertations/rip-butchersrow.html
Dezember 1890 passt da zeitlich überhaupt nicht, das wäre eine über zweijährige Observation in der Butcher's Row gewesen vom Kelly-Mord im November 1888 an. Ich halte es für zweifelhaft, dass die Polizei über zwei Jahre lang 24/7 zur Überwachung eines einzigen Verdächtigen Personal hätte bereitstellen können und dürfen - das wäre extrem teuer gewesen und das Personal hätte anderweitig gefehlt.


"Hyman Sampson´s Adresse in 1886 war 35 Middlesex Street, die von Jacob Levy in 1886 36 Middlesex Street. Sie waren auch da schon Nachbarn und zogen um 1891 herum wohl zeitgleich zu ihren neuen Adressen, wo sie Nachbarn blieben (67 Sampson/ 69 Levy).
(...)
Irgendeine Idee?"


Nein, im Moment habe ich keine, die über Zufall oder haltlose Spekulationen hinausginge...

Nur eine Bemerkung noch zur Diebstahl-Geschichte: Jacob wanderte nach Sampsons Anzeige durchaus in den Knast - er wurde lediglich deshalb in die Klapse verlegt, weil er schon am Anfang seiner Haft einen Selbstmordversuch begangen hatte.

Ich habe allerdings noch einen interessanten Umzug von der Butcher's Row in die Middlesex Street wiedergefunden:
"Further east along Aldgate High Street, there was at no. 21 the dairyman, George Bolam. Bolam then shows in 1890 up in the Middlesex Street directories as a “cowkeeper” at no. 27, on the corner and next door to no. 1 Hutchinson Street, the house/shop of the Eddowes inquest witness Joseph Hyam Levy."
http://www.casebook.org/dissertations/rip-butchersrow.html


"Ich wunderte mich etwas, dass Du Cox ausgerechnet in der Middlesex Street siehst. Das war ja keine typische Schneider Straße."

Dass du im Census in der Middlesex Street nur zwei Schneider gefunden hast, könnte das vielleicht daran liegen, dass der Census das Einwohner-Melderegister ist, in dem zwar die Wohnadressen und Berufe der Bürger aufgeführt wurden, aber nicht wo sie arbeiteten? Die Adressen von Wohn- und Arbeitsort sind nur bei kleinen Selbständigen mit Shop im eigenen Haus identisch.
In der Petticoat Lane gab es aber offenbar Manufakturen - denn als ich mich vor einiger Zeit wegen Jacob über die Geschichte der Straße informiert habe, fand ich nämlich, dass die Petticoat Lane "zu einem Zentrum der Kleidungsherstellung" wurde, das in den 1880ern von den jüdischen Immigranten übernommen wurde:

"From the mid-18th century, Petticoat Lane became a centre for manufacturing clothes. The market served the well-to-do in the City, selling new garments. About 1830, Peticote Lane's name changed to Middlesex Street (...) But the old name continues to be associated with the area.
From 1882, a wave of Jewish immigrants fleeing persecution in eastern Europe settled in the area. (...) Jewish immigrants entered the local garment industry and maintained the traditions of the market."
https://en.wikipedia.org/wiki/Petticoat_Lane_Market

Cox schreibt, dass sie sich als "Factory Inspectors" gegen Kinderarbeit ausgaben, und das deutet für mich auf Manufakturen mit einer größeren Zahl von Angestellten hin, und nicht auf Familienbetriebe in den eigenen vier Wänden, in denen i.d.R. vor allem Familienmitglieder in Heimarbeit werkelten.
Insofern sehe ich die Petticoat Lane durchaus als möglichen Ort der Observation.


MfG, Arthur Dent

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Re: Jacob Levy
« Antwort #95 am: 09.11.2015 19:47 Uhr »
Hey Arthur,

"Angenommen, die City Police beobachtete hier den möglichen Ripper, dann hätten sie mitbekommen haben können, auf ihrer Seite der Aldgate High Street am Eingang des Innenhofes, nur auf der anderen Seite des Durchgangs, dass dort ein Puff betrieben wird. Es war ihr Gebiet, es war eine Straftat und alles andere läge dann nahe. In diesem Falle des Bordells, hätte dann Kommissar Zufall geholfen. Ich halte das alles für absolut möglich."

Dass könnte natürlich sein, dass die Polizei bei ihren Überwachungen gewissermaßen etwas "Beifang" mitnahm - sofern dies ihre Observationen nicht gefährdete.
Aber wenn ich mich recht erinnere, erwähnten nicht nur Cox, sondern auch Sagar und Swanson, dass die Mordserie unmittelbar mit Beginn der Observationen abriss, siehe z.B.: "Cox also recalled that the crimes ceased immediately after the suspect was put under observation, and he makes it clear that there were no Ripper-like murders after the murder of Mary Jane Kelly." http://www.casebook.org/dissertations/rip-butchersrow.html
Dezember 1890 passt da zeitlich überhaupt nicht, das wäre eine über zweijährige Observation in der Butcher's Row gewesen vom Kelly-Mord im November 1888 an. Ich halte es für zweifelhaft, dass die Polizei über zwei Jahre lang 24/7 zur Überwachung eines einzigen Verdächtigen Personal hätte bereitstellen können und dürfen - das wäre extrem teuer gewesen und das Personal hätte anderweitig gefehlt.

Sims über den "Polish Jew" (Kosminski) und den "Russian doctor" (Ostrog):

"They were both alive long after the horrors had ceased, and though both were in an asylum, there had been a considerable time after the cessation of the Ripper crimes during which they were at liberty and passing about among their fellow men."

Cox:

"but from time to time he became insane, and was forced to spend a portion of his time in an asylum in Surrey"

Anderson (Blackwoods):

"I will only add that when the individual whom we suspected was caged in an asylum, the only person who had ever had a good view of the murderer at once identified him; but when he learned that the suspect was a fellow-Jew he declined to swear to him."

Swanson:

Nach der ID im Seaside Home:

"On suspect's return to his brother's house in Whitechapel he was watched by police (City CID) by day & night"

Ich sehe keinen Grund, hier von einer mehrjährigen Rund um die Uhr Überwachung zu sprechen. Er wird einen erhebliche Zeit in einer Anstalt verbracht haben. Private Anstalten nutzten zu dieser Zeit gerne einen dreimonatigen Rhythmus und das könnte sich mehrmals wiederholt haben.

"Hyman Sampson´s Adresse in 1886 war 35 Middlesex Street, die von Jacob Levy in 1886 36 Middlesex Street. Sie waren auch da schon Nachbarn und zogen um 1891 herum wohl zeitgleich zu ihren neuen Adressen, wo sie Nachbarn blieben (67 Sampson/ 69 Levy).
(...)
Irgendeine Idee?"


Nein, im Moment habe ich keine, die über Zufall oder haltlose Spekulationen hinausginge...

Nun, ich vermute, es scheint nur ein Hinweis darauf zu sein, dass Sampson mal in der Goulston Street aktiv war, Levy dort einen Bruder hatte und es das GSG dort gab.

Nur eine Bemerkung noch zur Diebstahl-Geschichte: Jacob wanderte nach Sampsons Anzeige durchaus in den Knast - er wurde lediglich deshalb in die Klapse verlegt, weil er schon am Anfang seiner Haft einen Selbstmordversuch begangen hatte.

Ich verstehe es so, dass er von seiner Verurteilung an, 5 April 1886, erst bis zu seiner Überführung am 19.4. 86 nach Chelmsford im Holloway Prison war. Am 26.5. 1886 ging es dann weiter in die Essex Anstalt. Vom Haftantritt 19.4 bis zur Verlegung am 26.5. war es eine Woche und bereits am 21.5. wurde ihm seine Haftunfähigkeit assistiert.

"Ich wunderte mich etwas, dass Du Cox ausgerechnet in der Middlesex Street siehst. Das war ja keine typische Schneider Straße."

Dass du im Census in der Middlesex Street nur zwei Schneider gefunden hast, könnte das vielleicht daran liegen, dass der Census das Einwohner-Melderegister ist, in dem zwar die Wohnadressen und Berufe der Bürger aufgeführt wurden, aber nicht wo sie arbeiteten? Die Adressen von Wohn- und Arbeitsort sind nur bei kleinen Selbständigen mit Shop im eigenen Haus identisch.
In der Petticoat Lane gab es aber offenbar Manufakturen - denn als ich mich vor einiger Zeit wegen Jacob über die Geschichte der Straße informiert habe, fand ich nämlich, dass die Petticoat Lane "zu einem Zentrum der Kleidungsherstellung" wurde, das in den 1880ern von den jüdischen Immigranten übernommen wurde:

"From the mid-18th century, Petticoat Lane became a centre for manufacturing clothes. The market served the well-to-do in the City, selling new garments. About 1830, Peticote Lane's name changed to Middlesex Street (...) But the old name continues to be associated with the area.
From 1882, a wave of Jewish immigrants fleeing persecution in eastern Europe settled in the area. (...) Jewish immigrants entered the local garment industry and maintained the traditions of the market."
https://en.wikipedia.org/wiki/Petticoat_Lane_Market

Cox schreibt, dass sie sich als "Factory Inspectors" gegen Kinderarbeit ausgaben, und das deutet für mich auf Manufakturen mit einer größeren Zahl von Angestellten hin, und nicht auf Familienbetriebe in den eigenen vier Wänden, in denen i.d.R. vor allem Familienmitglieder in Heimarbeit werkelten.
Insofern sehe ich die Petticoat Lane durchaus als möglichen Ort der Observation.

Welchen Census Arthur? Ich spreche vom Post Office Directory. Unternehmen, Händler, Läden etc. In einer Straße wie der Greenfield Street wurden Kleider produziert, sie hatten ihre Werkstätten dort, Isaac Abrahams zum Beispiel hatte seine hinter dem Haus. Natürlich wurde auch in kleineren Räumlichkeiten produziert. Und wie bei einem Butcher boten auch die Schneider ihre "produzierte" Ware an, manche produzierten nur für andere, andere verkauften selber oder es war eine Kombination aus beiden. Natürlich ließen sich die jüdischen Immigranten im East End nieder und arbeiteten, produzierten und verkauften ihre Produkte als Schneider. Und natürlich wurde die Petticoat Lane ein Synonym für im East End produzierte Bekleidung. Die nahegelegen Petticoat Lane war auch ein Grunde, das GSG schnell zu entfernen, weil die ankommenden jüdischen Händler bereits zu hören waren... In 1891 gab es dort zwei Schneider, Levi und Valentine... ich habe hier alle Unternehmer vor mir, alle Berufsbereiche... welche weiteren produzierenden Schneider kannst Du benennen? Welche Manufakturen? Sie bauten dort ihre Stände auf, dass ist natürlich klar. Es gab dort auch keinen einzigen Capmaker, davon sprach Cox ja auch. Falls Du was anderes finden oder belegen kannst, wäre ich dir dankbar. Alles hilft weiter. Wie genau diese beiden Schneider dort arbeiteten, ob überhaupt und welche Mengen sie produzierten, welchen Service sie anboten, weiß ich nicht, auch nicht, wieviele Angestellte sie hatten. Isaac Abrahams hatte 14 Angestellte. Viele Schneider hatten die Angewohnheit, zu einem Treffpunkt zu gehen, ich glaube, dass war nahe der Petticoat Lane, um Tagelöhner anzuheuern. Da waren sicherlich auch Minderjährige dabei und um dagegen anzugehen dafür gaben sich Cox und Co. aus. Ich hatte mal eine Liste mit Schneiderstraßen im East End, finde sie aber nicht. Aber im Directory kann ich die auch zusammenrechnen.

Beste Grüße, Lestrade.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #96 am: 09.11.2015 23:24 Uhr »
Ich habe allerdings noch einen interessanten Umzug von der Butcher's Row in die Middlesex Street wiedergefunden:
"Further east along Aldgate High Street, there was at no. 21 the dairyman, George Bolam. Bolam then shows in 1890 up in the Middlesex Street directories as a “cowkeeper” at no. 27, on the corner and next door to no. 1 Hutchinson Street, the house/shop of the Eddowes inquest witness Joseph Hyam Levy."
http://www.casebook.org/dissertations/rip-butchersrow.html

Bolam war auch noch in 1891 in der 27 Middlesex Street. Aber 21 Aldgate High Street war nicht Butchers Row und auch nicht auf der Seite der Butchers Row. Der Abschnitt zwischen den Nummer 43-62 wurde als Butchers Row bezeichnet. Nummer 21 lag auf der Seite der Observation von Sagar im Dezember 1890 (Bull Inn Yard Nummer 25). Nummer 21 bot schon keinen direkten Blick mehr auf die Butchers Row.

Ich glaube, dass gerade Pat Marshall (eine bekannte Ripperologen) mit Jeff in Kontakt kommt. Ihr Uropa George war der Bruder von Detective Henry Cox. Sie denkt, dass er Aaron Kozminski beschattete.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #97 am: 10.11.2015 15:26 Uhr »
Hallo Arthur,

Habe mir nun noch einmal Zeit genommen, dieses Problem genauer anzuschauen.

Ich bin noch einmal das Post Office Directory durchgegangen auf der Suche nach produzierenden Schneidern. Nach dem Suchbegriff "Middlesex Street" versuchte ich es nun noch einmal mit den Begriffen "Middlesex", "Middlesex st" und Middlesex st." Was ich fand waren u.a. mehr Butcher:

Joseph Joseph 39
Jacob Levy 69
Hyman Sampson 67
Hyams Syckerman 66
David Nussbaum 91
Abraham White 84

Keine weiteren Schneider. Ich durchschaute nur die Abteilung "Tailors" aber konnte nichts weiteres entdecken als die beiden bisher genannten:

Benjamin Levi 33
Isaac Valentine 49

Kurios fand ich zunächst, dass die Liste der Greenfield Street Schneider von 1888 so im Post Office Directory nicht zu finden waren. Die Liste stammt aus Charles Booth´s Notebook über Schneider:

http://booth.lse.ac.uk/cgi-bin/do.pl?sub=search_catalogue_index&args=tailors

Sich dort anzumelden könnte Sinn machen aber Chris Scott hatte bereits alles vorgearbeitet:

http://forum.casebook.org/showthread.php?t=470

Darin sehen wir nun auch die Straßen, die ich gestern nicht fand (ich habe einfach eine viel zu Große Menge an Daten und Informationen), welche für produzierende Schneider kennzeichnend waren. Ich finde nichts für die Middlesex Street. Vielleicht kannst Du darüber schauen. Ich könnte dir auch das Post Office Directory von 1891 schicken (pdf Datei) und Du kontrollierst noch einmal nach. Vier Augen sehen mehr als zwei.

Ich fand bisher auch folgende Clothiers in der Middlesex Street, die ich noch nicht erwähnte:

Judah Joseph 76
Alfred & Samson Lion 34
Isaac & Asher Cohen 13
Isaac Hyman 97
Hollington Bros. ?

Alle Daten die ich bisher habe, machen die Middlsex Street ziemlich voll, ohne irgend eine Art von bestimmten Schneidern.

Ich erkenne das folgendernaßen und wäre auf deine Einschätzung gespannt:

Es gab wirklich kleine-mittlere Betriebe/Produzenten (factories), die ausschließlich Kleidung produzierten (sicherlich vieles für das Westend). Das setzte sich in bestimmten Straßen so nieder. Ein Beispiel wäre die Greenfield Street. Die meisten davon verkauften nicht selber, sie waren reine Hersteller und erscheinen deshalb nicht im Post Office Register. Dann gab es Schneider wie Levi oder Valentine in der Middlesex Street, die kleine Shops unterhielten, etwas nähten, reparierten usw. für den normalen Kunden, für keinen größeren Händler. Die "Clothiers", die Kleidergeschäfte, sollten einen reinen Klamottenverkauf betrieben haben. Hier sollten wir als Verkäufer nicht Jack the Ripper erwarten und auch keine Inspektoren für das Problem der Kinderarbeit. Mit den zwei Normalo Schneidern, Levi und Valentine, hätte der Vorwand von Cox gegenüber den anderen Händlern in der Straße diesbezüglich ebenfalls keinen Sinn gemacht,"wir sind hier, um zwei Schneider zu überwachen und das monatelang". Es muss einer dieser produzierenden Straßen (New Road,Settles Street, Nottingham Place, Greenfield Street, Plumbers Row etc.) gewesen sein, in der Cox und Kollegen Dienst schoben. Sollten wir auch nur einen Betrieb in der Middlesex Street finden, ist es im Vergleich mit diesen anderen Straßen nichts. Von der Idee sollten wir uns besser verabschieden.

Meine Annahme mit einem Shop des Rippers in der Brick Lane sollte nun als falsch betrachtet werden. In dieser Straße gab es Schneider aber nicht in der Art der anderen Straßen. Absolut nicht. Allerdings ist es auch nicht falsch, da ich sagte "in oder Nahe" der Brick Lane. Brick Lane selber fällt raus aber die dafür in Frage kommenden Straßen in der Nähe nicht. Darauf lege ich nun mein Augenmerk.

Sicherlich konnte ich dir einige Informationen geben aber ich bin dir gerade auch sehr dankbar für unsere Diskussion hier, denn allein durch das erneute Vergegenwärtigen der in Frage kommenden Straßen, kann ich meine Suche präziser angehen. Du siehst, wie wichtig es ist, sich unterstützend auszutauschen.

Somit muss nicht zwangsläufig dieser "kleine Shop" des mutmaßlichen Rippers ein produzierender Schneider gewesen sein. Dahinter kann sich vieles verbergen, ein Friseur Salon, ein Schumacher, eine Fleischerei etc. Doch auch wenn Cox sagte, dass sie als Kunden den Shop betraten, war es sicherlich auch möglich, bei einem produzierenden Schneider, dies oder jenes zu erwerben. Deine Anmerkung dazu fand ich dennoch interessant, weil es wohl einfacher war, ein regelmäßiger Kunde in einer Fleischerei zu sein als denn bei einem Schneider.

Ich kann mir jedoch gut vorstellen, dass diese Schneider aus jenen Straßen die Petticoat an den Markttagen mit ihren Ständen füllten.

Beste Grüße,

Lestrade.

 

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Re: Jacob Levy
« Antwort #98 am: 10.11.2015 16:46 Uhr »
Hallo Lestrade!


"Ich sehe keinen Grund, hier von einer mehrjährigen Rund um die Uhr Überwachung zu sprechen. Er wird einen erhebliche Zeit in einer Anstalt verbracht haben. Private Anstalten nutzten zu dieser Zeit gerne einen dreimonatigen Rhythmus und das könnte sich mehrmals wiederholt haben."

Ja, diese erwähnten Aufenthalte in einer Anstalt würden die tatsächliche Überwachungszeit verkürzen - meinen Überlegungen lag jedoch die Voraussetzung zugrunde, dass diese Einweisungen erst nach der Butcher's Row-Geschichte stattfanden. Vielleicht hätte ich das ausführen sollen, um Missverständnisse zu vermeiden:

Angesichts der verschiedenen Aussagen von Sagar und Cox ist für mich die Beobachtung der Butcher's Row höchstwahrscheinlich die erste Station gewesen.
Sie liegt für mich am Anfang der Observationen, irgendwann nicht allzulange nach dem Kelly-Mord, denn Sagar schreibt, dass der Verdächtige dort gearbeitet habe - er also noch einer Art regulärem Job nachgehen konnte. Das klingt noch nach relativ gesund und arbeitsfähig.
Geht man davon aus, dass sich sein Gesundheitszustand mit der Zeit verschlechterte, wäre also eine Arbeit in der Butcher's Row kurz vor seiner entgültigen Einweisung unwahrscheinlicher als kurz nach der Mordserie.

Und Cox betont "he occupied several shops": Hier gab es schon mehrere Shops, in denen er sich aufhielt, es hatten also schon Ortswechsel stattgefunden, und er schreibt auch nicht mehr von Arbeit, sondern benutzt das diffusere "occupied", was sowohl bedeuten kann, dass er von seinen Leuten irgendwie beschäftigt wurde, wie auch einfach, dass er dort lediglich hauste. Diese Observation unter dem Deckmantel als "Factory Inspectors" klingt für mich demnach eher danach, als hätte sie nach der Butcher's Row, nach der Verschlechterung seines Gesundheitszustands und somit vermutlich auch nach der ersten vorübergehenden Einweisung stattgefunden, als es inzwischen schon mehr darum ging, den Kranken zu beaufsichtigen, statt ihm eine produktive Arbeit zu geben. Es klingt für mich so, als wäre er in dieser Phase bereits zwischen seinen Leuten hin- und hergeschoben worden, um sich beim Aufpassen auf ihn abzuwechseln.

Kurz: Wenn Sagar und Cox denselben Verdächtigen meinten, sehe ich die zeitliche Abfolge etwa so:
Unser Verdächtiger gerät nach dem Kelly-Mord in den Focus der Polizei - zu dieser Zeit ist er noch soweit fit, dass er noch in der Butcher's Row einer Arbeit nachgehen kann. Dann verschlechtert sich sein Zustand, er wird das erste Mal vorübergehend eingewiesen. Nachdem er wieder raus ist, wechseln sich seine Leute damit ab, ihn in ihren verschiedenen Shops zu beaufsichtigen, u.U. mit weiteren vorübergehenden Einweisungen dazwischen. Im Zusammenhang mit einer jener vorübergehenden Einweisungen kommt es zur Seaside-Home-Identifizierung, aber wegen des Rückziehers des Zeugen kehrt er vorerst zurück in die Aufsicht seiner Angehörigen, bis er schließlich so krank ist, dass er endgültig und dauerhaft in die Anstalt kommt.


"Welchen Census Arthur? Ich spreche vom Post Office Directory. Unternehmen, Händler, Läden etc. (...) In 1891 gab es dort zwei Schneider, Levi und Valentine... ich habe hier alle Unternehmer vor mir, alle Berufsbereiche..."


Ups, da war ich wohl etwas unaufmerksam beim Lesen. Also, wenn das wirklich alle Unternehmen der Straße umfasst, würde das demnach bedeuten, dass über die Jahre praktisch alle Schneiderbetriebe an andere Standorte abwanderten, und zur Zeit der Ripper-Morde eigentlich nur noch die Verkäufer dort waren.


"Ich erkenne das folgendernaßen und wäre auf deine Einschätzung gespannt:
(...)
Die "Clothiers", die Kleidergeschäfte, sollten einen reinen Klamottenverkauf betrieben haben. Hier sollten wir als Verkäufer nicht Jack the Ripper erwarten und auch keine Inspektoren für das Problem der Kinderarbeit. Mit den zwei Normalo Schneidern, Levi und Valentine, hätte der Vorwand von Cox gegenüber den anderen Händlern in der Straße diesbezüglich ebenfalls keinen Sinn gemacht,"wir sind hier, um zwei Schneider zu überwachen und das monatelang". Es muss einer dieser produzierenden Straßen (New Road,Settles Street, Nottingham Place, Greenfield Street, Plumbers Row etc.) gewesen sein, in der Cox und Kollegen Dienst schoben. Sollten wir auch nur einen Betrieb in der Middlesex Street finden, ist es im Vergleich mit diesen anderen Straßen nichts. Von der Idee sollten wir uns besser verabschieden."


Ja, angesichts der Daten bleibt wohl nur diese Schlussfolgerung - demnach war es wohl in der Tat nicht die Middlesex Street. Nach den historischen Darstellungen, die ich gelesen hatte, hätte ich nicht gedacht, dass praktisch die komplette Produktion von dort abgewandert ist... Schade für meine These, aber deine Einschätzung ist dann wohl korrekt.


MfG, Arthur Dent

Offline Lestrade

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Re: Jacob Levy
« Antwort #99 am: 10.11.2015 18:34 Uhr »
Also, wenn das wirklich alle Unternehmen der Straße umfasst, würde das demnach bedeuten, dass über die Jahre praktisch alle Schneiderbetriebe an andere Standorte abwanderten, und zur Zeit der Ripper-Morde eigentlich nur noch die Verkäufer dort waren.

Ja, angesichts der Daten bleibt wohl nur diese Schlussfolgerung - demnach war es wohl in der Tat nicht die Middlesex Street. Nach den historischen Darstellungen, die ich gelesen hatte, hätte ich nicht gedacht, dass praktisch die komplette Produktion von dort abgewandert ist... Schade für meine These, aber deine Einschätzung ist dann wohl korrekt.

Ich war mir mit allem auch nicht mehr hundertprozentig sicher, Arthur! Ich habe das alles mal vor einiger Zeit recherchiert bzw. vorhandenes Material genutzt, um mir ein Bild davon zu machen. Die Zeit vergeht, man verdrängt und vergisst. Middlesex Street verbinde ich, genau wie Du, mit der Petticoat Lane und der Nähe zur Butchers Row und als Grenze zwischen City Police und MET Police. Das ist schon eine interessante Gegend. So meinte ich zwar, dass sie nicht zu diesen Straßen gehörte aber schwören konnte ich auch nicht darauf. Also macht man sich noch einmal die Arbeit... Im Falle von Cox schließe ich nicht aus, dass es sich auch um eine Straße mit normalen Schneidergeschäften gehandelt haben könnte. Diesbezüglich muss ich die Brick Lane noch einmal gründlich recherchieren. Aber ganz klar machen diese produzierenden Straßen mehr Sinn.

Unter dem Strich, ist diese ganze Ripperologie ein Bereich, wo man ständig hinzulernen muss. Vielleicht auch geprägt durch Einzelgängertum oder kleine Klüngel aber so funktioniert nun einmal diese Welt. Es haben sich bestimmt einige im Laufe der Jahre darüber schlapp gelacht, wenn ich mir einen abgequält habe (oder noch abquäle), um an Quellen und Hilfsmittel zu kommen, von denen sie selbst Kenntnis hatten und haben. Ich weiß es nicht genau, vermute es aber. Jedoch wusste ich mir schon immer selber gut zu helfen und komme somit an meine Ziele. Ich möchte mich jedoch nicht genauso verhalten und möchte so viel wie möglich von meinem Wissen weitergeben und nicht zuschauen, wie sich jemand vergeblich große Mühe gibt, gepaart mit viel Fleiß. Durch dieses Verhalten habe ich aber eben auch die Möglichkeit, mich selber besser zu hinterfragen.

Ich glaube, es war ca. September 1906:

The Truth about the Whitechapel Mysteries told by Harry Cox
Ex-Detective Inspector, London City Police. Specially written for "Thomson's Weekly News"


It is only upon certain conditions that I have agreed to deal with the great Whitechapel crimes of fifteen years ago. Much has been written regarding the identity of the man who planned and successfully carried out the outrage...

It is my intention the relate several of my experiences while keeping this fellow under observation.

We had many people under observation while the murders were being perpetrated, but it was not until the discovery of the body of Mary Kelly had been made that we seemed to get upon the trail. Certain investigations made by several of our cleverest detectives made it apparent to us that a man living in the East End of London was not unlikely to have been connected with the crimes.

To understand the reason we must first of all understand the motive of the Whitechapel crimes. The motive was, there can not be the slightest doubt, revenge. Not merely revenge on the few poor unfortunate victims of the knife, but revenge on womankind. It was not a lust for blood, as many people have imagined.

The murderer was a misogynist, who at some time or another had been wronged by a woman. And the fact that his victims were of the lowest class proves, I think, that he was not, as has been stated, an educated man who had suddenly gone mad. He belonged to their own class.

Had he been wronged by a woman occupying a higher stage in society the murders would in all probability have taken place in the West End, the victims have been members of the fashionable demi-monde.

The man we suspected was about five feet six inches in height, with short, black, curly hair, and he had a habit of taking late walks abroad. He occupied several shops in the East End, but from time to time he became insane, and was forced to spend a portion of his time in an asylum in Surrey.

While the Whitechapel murders were being perpetrated his place of business was in a certain street, and after the last murder I was on duty in this street for nearly three months.

There were several other officers with me, and I think there can be no harm in stating that the opinion of most of them was that the man they were watching had something to do with the crimes. You can imagine that never    once did we allow him to quit our sight. The least slip and another brutal crime might have been perpetrated under our very noses. It was not easy to forget that already one of them had taken place at the very moment when one of our smartest colleagues was passing the top of the dimly lit street.

The Jews in the street soon became aware of our presence. It was impossible to hide ourselves. They became suddenly alarmed, panic stricken, and I can tell you that at nights we ran a considerable risk. We carried our lives in our hands so to speak, and at last we had to partly take the alarmed inhabitants into our confidence, and so throw them off the scent. We told them we were factory inspectors looking for tailors and capmakers who employed boys and girls under age, and pointing out the evils accruing from the sweaters' system asked them to co-operate with us in destroying it.

They readily promised to do so, although we knew well that they had no intention of helping us. Every man was as bad as another. Day after day we used to sit and chat with them, drinking their coffee, smoking their excellent cigarettes, and partaking of Kosher rum. Before many weeks had passed we were quite friendly with them, and knew that we could carry out our observations unmolested. I am sure they never once suspected that we were police detectives on the trail of the mysterious murderer; otherwise they would not have discussed the crimes with us as openly as they did.

We had the use of a house opposite the shop of the man we suspected, and, disguised, of course, we frequently stopped across in the role of customers.

Every newspaper loudly demanded that we should arouse from our slumber, and the public had lashed themselves into a state of fury and fear. The terror soon spread to the provinces too. Whenever a small crime was committed it was asserted that the Ripper had shifted his ground, and warning letters were received by many a terror stricken woman. The latter were of course the work of cruel practical jokers. The fact, by the way, that the murderer never shifted his ground rather inclines to the belief that he was a mad, poverty stricken inhabitant of some slum in the East End.

I shall never forget one occasion when I had to shadow our man during one of his late walks. As I watched him from the house opposite one night, it suddenly struck me that there was a wilder look than usual on his evil countenance, and I felt that something was about to happen. When darkness set in I saw him come forth from the door of his little shop and glance furtively around to see if he were being watched. I allowed him to get right out of the street before I left the house, and then I set off after him. I followed him to Lehman Street, and there I saw him enter a shop which I knew was the abode of a number of criminals well known to the police.

He did not stay long. For about a quarter of an hour I hung about keeping my eye on the door, and at last I was rewarded by seeing him emerging alone.

He made his way down to St George's in the East End, and there to my astonishment I saw him stop and speak to a drunken woman.

I crouched in a doorway and held my breath. Was he going to throw himself right into my waiting arms? He passed on after a moment or two, and on I slunk after him.

As I passed the woman she laughed and shouted something after me, which, however, I did not catch.

My man was evidently of opinion that he might be followed every minute. Now and again he turned his head and glanced over his shoulder, and consequently I had the greatest difficulty in keeping behind him.

I had to work my way along, now with my back to the wall, now pausing and making little runs for a sheltering doorway. Not far from where the model lodging house stands he met another woman, and for a considerable distance he walked along with her.

Just as I was beginning to prepare myself for a terrible ordeal, however, he pushed her away from him and set off at a rapid pace.

In the end he brought me, tired, weary, and nerve-strung, back to the street he had left where he disappeared into his own house.

Next morning I beheld him busy as usual. It is indeed very strange that as soon as this madman was put under observation, the mysterious crimes ceased, and that very soon he removed from his usual haunts and gave up his nightly prowls. He was never arrested for the reason that not the slightest scrap of evidence could be found to connect him with the crimes.


Januar/Februar 1905:

Hier siehst Du den Vergleich zwischen den einzelnen Berichten über Sagar

http://cgp100.pwp.blueyonder.co.uk/SagarReports.htm

Beide, Cox und Sagar, sprachen recht zeitnah (1905/1906) über ihren möglichen Jack the Ripper.

Cox:

but it was not until the discovery of the body of Mary Kelly had been made that we seemed to get upon the trail

Sagar:

He was, however, placed in a lunatic asylum, and the series of atrocities came to an end.

"We had good reason to suspect a certain man who worked in 'Butcher's-row,' Aldgate," he said, "and we watched him carefully. There was no doubt that this man was insane, and after a time his friends thought it advisable to have him removed to a private asylum. After he was removed there were no more Ripper atrocities."

I feel sure we knew the man, but we could prove nothing. Eventually we got him incarcerated in a lunatic asylum, and the series of murders came to an end."

The theory of the city police is that "Jack the Ripper" was a butcher who worked in "Butchers' Row," Aldgate, and was partly insane. It is believed that he made his way to Australia and there died. "The police are satisfied as to the identity of the man," remarked the inspector, "but what became of him we don't know."
 
Sagar spricht Eddowes in den Artikeln als Kelly an, so hieß ja ihr Partner. Cox gab an, dass sie ihm auf die Spur kamen, nach dem Mord an Kelly. Sagar: we watched him carefully und and after a time aber es ist für mich nicht eindeutig, dass er kurz nach Kelly meinte.

Die zeitnahen Interviews, die Überzeugung beider, den richtigen Mann gekannt zu haben, lässt mich zum Schluß kommen, dass sie über ein und dieselbe Person sprachen. Das kommt mir bekannt vor. So äußerten sich auch Anderson und Swanson. Und die sprachen über "Kosminski", den auch Macnaghten für einen überzeugenden Verdächtigen hielt. Mein Gefühl sagt mir, dass auch Cox und Sagar über "Kosminski" sprachen. Es wäre zumindest kein UN Sinn und durchaus möglich.

Cox muss beobachtet haben, noch bevor dieser Verdächtige in eine Anstalt ging. Das dieser Mann dort, in einer Anstalt, hin- und wieder Zeit verbrachte und zwar später, nach der Beschattung durch ihn, dass wusste er aber. Diese Info hätte er von jemanden wie Sagar bekommen haben können, denn der sprach auch davon, weil er das so miterlebt hatte. Das bedeutet für mich eher, dass Sagar später mit dem Verdächtigen beschäftigt war als eben sein Kollege Cox. Und ich bin überzeugt, dass die City Police nicht nur der Überwacher von "Kosminski" gewesen war, sondern auch der Bringer zum Seaside Home und dann eben auch die letzte Polizeieinheit, welche "Kosminski" überwachte (Swanson´s night & day), bevor es nach Colney Hatch ging. Und hier passt einfach Sagar´s Überwachung in der Butchers Row im Dezember 1890, kurz bevor es für Aaron Kozminski nach Colney Hatch ging. Zur ungefähr gleichen Zeit scheint es so, dass City Police auch in der Greenfield Street Beobachtungsposten hatten. Ich kann nichts anderes denken, als dass es sich bei "Kosminski" um Aaron Kozminski handelte. Das einzige was mich daran stört sind Sagar´s:

atrocities came to an end
no more Ripper atrocities
the series of murders came to an end


Cox:

as soon as this madman was put under observation, the mysterious crimes ceased

Das klingt, wie du sagst, nach Kelly. Zu Sagar´s Bemerkung mit der privaten Anstalt, passt dann auch Macnaghten´s "about March 1889" Einweisung. Als Cox ging, vielleicht Februar 1889, könnte Sagar gekommen sein und er war dann mit dabei, als es für "Kosminski" in eine Anstalt ging. Nur hier das Problem, Cox spricht über eine Straße mit Schneidern, Sagar über eine mit Schlachtern und Fleischern. Vielleicht lag der Grund darin, dass der Verdächtige, laut Cox, recht schnell seine nächtlichen Streifzüge beendigte und das Haus möglicherweise nicht mehr verließ. Er wurde krank und kränker und die Familie hielt es vielleicht für angemessen, ihn einem neuen Ort arbeiten zu lassen. Es mag makaber klingen, aber sollte es in der Familie Überzeugungen gegeben haben, dass er der Ripper sei, hätte ein Schlachterjob sicherlich irgendwie "Sinn" gemacht. Nach dem Motto: Lass ihn lieber Tiere töten anstelle von Prostituierten. Der Mensch in Not, und diese Familie wären Menschen in großer Not gewesen, treibt seltsame Blüten. Vielleicht war die Butchers Row ein Teil seiner früheren Nachtarbeit, welche er nun zum Vollzeitjob vorgesetzt bekam. Vielleicht nur ein paar Wochen bis ca. März 1889.

Was hätte Sagar auch sonst mit dem "Ende der Gräueltaten" meinen können?

Sie hatten ihn unter Überwachung, kam er aus der Anstalt, waren sie sicherlich sofort wieder da. Somit könnte Sagar nicht den Mord an Mackenzie noch die Torso Funde gemeint haben. Aber viele Jahre später, ist man vielleicht nicht mehr so genau und er bezieht sich auf die Überwachung von Cox als die Morde stoppten und sieht seine eigen Arbeit früher als Dezember 1890. 15 Jahre waren schon vergangen... Pure Spekulation natürlich...

Aber wie auch bei Swanson sehen wir bei Sagar die Möglichkeit, dass der Verdächtige alsbald starb. Bei Swanson in Colney Hatch, bei Sagar in Australien. Macnaghten wusste nicht, 1894, ob "Kosminski" noch Insasse einer Anstalt war. Sagar selbst sagte, dass sie nicht genau wussten, was wirklich aus dem Mann wurde. Meine Vermutung ist, jemand informierte sie falsch, mit oder ohne Absicht nachdem er nicht mehr aus Colney Hatch raus kam bzw. nach Leavesden gebracht wurde. Anderson stand in Kontakt mit der Anstaltsleitung in Colney Hatch, nachdem Aaron Kozminski dort eingewiesen wurde. Entweder streute er mit Absicht ein Gerücht oder aber, Colney Hatch verwechselte Aaron Kozminski mit seinem "Doppelgänger" David Cohen, der ja tatsächlich dort starb. Beide wurden von einem Dr. Seward behandelt. Australien? Nun, immerhin zog es den Informant in Sachen Aaron Kozminski, bezüglich Colney Hatch, Jacob Cohen zurück nach Südafrika... das passierte aber ausgerechnet auch 1905...

In 1901, Swanson und Anderson zeichneten sich verantwortlich für die Einbürgerung von Isaac Abrahams, einen von Aaron Kozminski´s Brüdern. Swanson glaubte bereits 1894, dass der Mann, welcher Jack the Ripper war, bereits tot ist. Ich frage mich, ob sie während der Einbürgerung 1901 überhaupt miteinander sprachen oder ob den Job andere erledigten und Swanson und Anderson nur Amen sagten. Oder aber, sie hielten diesen Isaac Abrahams in der Cable Street für jemand anderen als des Ripper´s Bruder. Das war ja auch schon wieder alles über ein Jahrzehnt her.

Memorial
Isaac Abrahams of 171 Cable Street St Georges in the East in the County of London
... a subject of the Emperor of Russia having been born at Klodorer Koliski in the Empire of Russia on the Third day of May 1852 and being the son of Joseph & Golder Abrahams who were both subjects of the Emperor of Russia ...
resides at 171 Cable St St Georges in the East in the County of London and is of the age of 48 years and is a Tailor.
... a Married man and has one child under age residing with him viz.
Rachel - 17 years of age
... settled place of business is at 171 Cable Street St Georges in the East in the county of London
That your Memorialist has for five years within the period of the eight years last past resided within the United Kingdom, vizt. [standard form]
From October 20th 1893 to present time at 171 Cable Street St Georges in the East in the county of London
7 years 2 months
[Signed] I. Abrahams [very shaky]

Sureties
Walter Belcher 40 Tillman Street St Georges East London Estate Agent ([has known him] 8 years)
George Leeder Licensed Victualler of 56 Cannon Street Road London East (10 years)
Henry Whiting Laundryman of 108 St George Street St Georges East London (9 years)
and John Gibbs Builder of 229-231 Cable Street St Georges East London (7 years)
[All signed] 265 Gresham House Old Broad Street in the City of London 16 January 1901
Before Ernest [Smith] A commissioner for oaths.

CID Report
Isaac Abrahams Tailor
The declaration of residence have [sic] been enquired into and the sureties are respectable persons householders and British born subjects.
I have seen the applicant who is a respectable man he states he has resided in this country for the past 30 years, intends to remain permanently and wishes to enjoy the rights and priveleges [sic] of a British subject.
The sureties speak well of applicant as a respectable man and I see no reason to doubt their statements.
Ernest Baxter [?]P S
D. S. Swanson Superintendent
Cover sheet dated 19th February 1901 and signed R. Anderson.

7 June 1901. Isaac Abrahams
Agent Mr J. Cantor 211, Old Ford Road, E.
Certif Regd & returned 19 June '01

[HO 144/617/B35582]

Bei alledem, halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass Schwartz oder Lawende der Zeuge im Seaside Home war. Sie sahen sicherlich "Kosminski" aber konnten ihn wahrscheinlich nicht wiedererkennen. Ich denke, hier hat irgendwann später einfach Kommissar Zufall geholfen...

Jeder muss sich eben selbst daraus eine Meinung bilden und versuchen, Antworten auf die Fragen zu finden.

Lestrade.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

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Re: Jacob Levy
« Antwort #100 am: 12.11.2015 20:56 Uhr »
Hallo Lestrade!

Vielen Dank erstmal für den kompletten Artikel von Cox. Ich müsste mir mal angewöhnen, alle Originaltexte strukturiert bei mir abzulegen, das würde unnötige Sucherei ersparen.


"Die zeitnahen Interviews, die Überzeugung beider, den richtigen Mann gekannt zu haben, lässt mich zum Schluß kommen, dass sie über ein und dieselbe Person sprachen. Das kommt mir bekannt vor. So äußerten sich auch Anderson und Swanson. Und die sprachen über "Kosminski", den auch Macnaghten für einen überzeugenden Verdächtigen hielt. Mein Gefühl sagt mir, dass auch Cox und Sagar über "Kosminski" sprachen. Es wäre zumindest kein UN Sinn und durchaus möglich."

Da gebe ich dir recht - sie stimmen im Wesentlichen überein (kleine Abweichungen und Irrtümer gibt es immer, wir sind ja Menschen und keine Roboter) und bieten zusammen genommen eine schlüssige Begründung für das Ende der Ripper-Morde. Mal abgesehen davon, dass sie uns die einzigen Anhaltspunkte darüber geben, was nach der Mordserie passierte.


"Cox muss beobachtet haben, noch bevor dieser Verdächtige in eine Anstalt ging."

Aus welchem Grund muss das vorher gewesen sein? Cox berichtete, dass er von Zeit zu Zeit "insane" wurde und in eine Anstalt musste. Die Reihenfolge der Observationen und damit der Aufenthaltsorte unseres Verdächtigen bleiben daher m.E. unsicher - ich würde weiter eher dazu tendieren, dass es erst Butcher's Row mit Sagar und dann die übrigen "several shops" mit Cox waren.
Wenn wir einmal ganz konkret davon ausgehen, dass der Verdächtige Aaron Kosminski war, wäre es dann nicht plausibler, dass er mit fortschreitender Krankheit direkt in den Shops seiner nächsten Angehörigen im Schneider-Milieu war, unter deren unmittelbarer Aufsicht - und dass man ihn nur am Anfang, als es ihm noch relativ gut ging, in der Butcher's Row arbeiten ließ?
Wenn wir annehmen, dass Macnaghten sich nicht in der Zeit geirrt hat, dann würden die drei Monate Butcher's Row Observation mit Sagar bis zur ersten Einweisung in eine (private) Anstalt im März 1889 passen. Und danach wäre er dann - mit zwischenzeitlichen Einweisungen - von seinen Angehörigen in ihren "several shops" beaufsichtigt worden, wo Cox ihn observierte.
Das einzige, was dann nicht passen würde, ist die Razzia 1890 mit Cox - aber dass diese eine Verbindung zur Ripper-Observation haben könnte, ist ja sowieso nur eine Vermutung.


"Aber wie auch bei Swanson sehen wir bei Sagar die Möglichkeit, dass der Verdächtige alsbald starb. Bei Swanson in Colney Hatch, bei Sagar in Australien. Macnaghten wusste nicht, 1894, ob "Kosminski" noch Insasse einer Anstalt war. Sagar selbst sagte, dass sie nicht genau wussten, was wirklich aus dem Mann wurde. Meine Vermutung ist, jemand informierte sie falsch, mit oder ohne Absicht nachdem er nicht mehr aus Colney Hatch raus kam bzw. nach Leavesden gebracht wurde. Anderson stand in Kontakt mit der Anstaltsleitung in Colney Hatch, nachdem Aaron Kozminski dort eingewiesen wurde. Entweder streute er mit Absicht ein Gerücht oder aber, Colney Hatch verwechselte Aaron Kozminski mit seinem "Doppelgänger" David Cohen, der ja tatsächlich dort starb. Beide wurden von einem Dr. Seward behandelt. Australien? "

Es wäre eine plausible Annahme, dass die Verantwortlichen in der Polizei den Kreis der Eingeweihten absichtlich klein hielten, damit nichts durchsickerte. Man bestätigte nur das, was ohnenhin nicht zu leugnen war, versuchte aber ansonsten so vage zu bleiben, dass möglichst keine weiterführenden Schlüsse gezogen werden konnten. Vielleicht streute man auch bewusst die eine oder andere Fehlinformation, um bestimmte Wahrheiten dazwischen untergehen zu lassen.

Wenn unser Aaron derjenige welcher war, liegt die Vermutung nahe, dass seine Verlegung nach Macnaghtens Memorandum eine weitere Schutzmaßnahme gewesen sein könnte - denn mit dem neuen Fall und dem Verdächtigen Cutbush begannen die damals an den Ermittlungen beteiligten Untergebenen wahrscheinlich wieder über ihre Zielperson zu reden und zu spekulieren, und man deutete daher an, der Ripper-Verdächtige sei tot, damit das wieder aufhörte.
Und der Irrtum mit Australien entstammt wohl den Gerüchten über den 1892 in Melbourne gehängten Frauenmörder und Ripper-Verdächtigen Deeming. "Down under" und "six feet under" gewissermaßen... Jedenfalls aus und vorbei.

Dass bei jeder weiteren irgendwie ähnlich erscheinenden Tat wieder die Ripper-Gerüchte aufkamen, dürfte für die Eingeweihten bzw. halbwegs Eingeweihten ziemlich nervig gewesen sein: Sie konnten aus Geheimhaltungsgründen dem nicht deutlich entgegentreten und sagen: "Schluss damit jetzt, der war es nicht, wir sind uns ziemlich sicher, wer es war, und der landete bereits völlig irre in einer Anstalt" - sondern durften offiziell nur irgendwie abwimmeln.
So kam es wohl, dass es sich einige Beamte dann Jahre später, als der Fall endlich an Brisanz verloren hatte, nicht verkneifen konnten, privat ein paar Bemerkungen dazu zu veröffentlichen - die nur Halb-Eingeweihten mit ihrem Halbwissen und ihren Vermutungen, die sie daraus zogen, die Eingeweihten noch immer vorsichtig und vage, zum Schutz der Polizei, der übrigen Betroffenen und sich selber. Und durch diesen Wust an Äußerungen dürfen wir uns nun durchwühlen...


MfG, Arthur Dent

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Re: Jacob Levy
« Antwort #101 am: 12.11.2015 22:14 Uhr »
Hey Arthur!

Ich mache es heute mal kürzer (morgen komme ich wahrscheinlich zu nichts) also bitte nicht wundern...

"Cox muss beobachtet haben, noch bevor dieser Verdächtige in eine Anstalt ging."

Aus welchem Grund muss das vorher gewesen sein? Cox berichtete, dass er von Zeit zu Zeit "insane" wurde und in eine Anstalt musste. Die Reihenfolge der Observationen und damit der Aufenthaltsorte unseres Verdächtigen bleiben daher m.E. unsicher - ich würde weiter eher dazu tendieren, dass es erst Butcher's Row mit Sagar und dann die übrigen "several shops" mit Cox waren.

Das einzige, was dann nicht passen würde, ist die Razzia 1890 mit Cox - aber dass diese eine Verbindung zur Ripper-Observation haben könnte, ist ja sowieso nur eine Vermutung.

Sagar= Razzia 1890, nicht Cox. Cox sprach von "nach Kelly", Sagar nicht direkt. Wann genau siehst Du Sagar in der Butchers Row? Cox sprach von fast drei Monaten (ich denke, November 1888- Februar 1889). Angenommen es stimmt mit Macnaghten überein (ca. März 1889), dann ist es möglich, wenn Cox z.B. am 10. Februar seinen Posten verließ, Sagar dabei war, als dieser Mann in eine Anstalt kam, z.B. am 24. März 1889, dann wären in der Zwischenzeit ca. 6 Wochen vergangen. Da kann viel passieren.   

Durch unsere Diskussion bin ich nicht mehr sicher, ob Cox wirklich in einer Schneider- Straße war. Warum sollte er in einer Straße, wo ca. dreißig jüdische Schneider in Werkstätten produzierten, die Nicht-Schneider Juden dazu animieren, ihnen zu helfen, deren Geschäfte mit Minderjährigen zu zerstören? Macht das wirklich Sinn? Ich habe eine andere Möglichkeit gefunden. In der Goulston Street gab es einen Treffpunkt, wo die Master Tailor aus immigrierten Juden ihre Arbeitskräfte zogen. Diese Juden waren verzweifelt auf der Suche nach Arbeit. Der Treffpunkt wurde als "Chazar Mark" bezeichnet. Es könnte genauso gut sein, dass Cox einen Blick in die Goulston Street hatte, auf diesen "Chazar Mark" und den hätte er aus der Wentworth Street werfen können (die Goulston Street gibt sonst nicht mehr her). Cox sagte ja auch, dass er denn Mann in die Leman Street folgte und noch weiter runter bis St. George in the east. Es hätte gereicht, wenn der Verdächtige die Wentworth Street via Goulston Street oder Old Castle Street/Castle Alley verlassen hätte, um in die Leman Street zu gelangen. Außerdem erwähnte Cox ein Model lodging house.

George Yard Building im George Yard oder Wentworth Model Dwelling in der Goulston Street (GSG, Schürzenteil)?

Der George Yard liegt auch an der Wentworth Street und auch via dieser Straße gelangte man recht schnell in die Leman Street. Der George Yard (Tabram) und die Kreuzung Wentworth Street/Brick Lane (Smith) waren auch Opfermäßig mit dieser Ecke verbunden.

Apropos Opfer:

Auch Sergeant Stephen White sprach über ein Opfer und über eine Überwachung eines Mannes. Jene Straße lag "behind Whitechapel Road" und dort waren "men in hiding". Die Wentworth Street lag hinter der Whitechapel Hauptstraße und wenn Cox diese meinte, dann könnte White in seiner Beschreibung versucht haben, Bericht von City Police Detektiven einzuholen, die dort zu Obervierungszwecken waren. Es mag krass klingen aber wenn die City Police "Kosminski" in eine Shop in der Wentworth Street überwachte, dann könnte der Mord in Castle Alley in dieser Zeit stattgefunden haben, nur "Kosminski" wäre dann nicht ihr Mörder gewesen. Vielleicht sprach also Sergeant White von dem Mord an Alice Mackenzie.

Es wäre doch vielleicht die bessere Option gewesen, den Juden in der Wentworth Street zu erzählen, dass man einen Blick auf den "Chazar Mark" in der Goulston Street wirft anstelle das diesen Leuten in einer Straße wie die Greenfield Street zu verkaufen.

Meine Antwort auf eine mögliche Antwort deinerseits, könnte länger als gewohnt dauern.

Allerbeste Grüße,

Lestrade.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #102 am: 16.11.2015 19:45 Uhr »
Hallo Lestrade,

ich hatte einiges um die Ohren, und dann passierten auch noch die Anschläge in Paris, daher melde ich mich erst jetzt zurück...


"Sagar= Razzia 1890, nicht Cox."

Sorry, das habe ich dann wohl durcheinander geworfen.


"Durch unsere Diskussion bin ich nicht mehr sicher, ob Cox wirklich in einer Schneider- Straße war. Warum sollte er in einer Straße, wo ca. dreißig jüdische Schneider in Werkstätten produzierten, die Nicht-Schneider Juden dazu animieren, ihnen zu helfen, deren Geschäfte mit Minderjährigen zu zerstören? Macht das wirklich Sinn?"

Das ist eine gute Frage angesichts der Tatsache, dass die Bewohner des Eastends - und insbesondere die Einwanderer - engere Beziehungen untereinander als zu den Behörden hatten. Viele standen ja nicht nur wegen ihrer gemeinsamen Herkunft oder als Nachbarn in einem engen Verhältnis, sondern oft auch als Geschäftspartner oder waren durch Verwandtschaft verbunden. Wieso sollten sie diese angeblichen Fabrik-Inspektoren also freundlich aufnehmen, mit ihnen essen, trinken, reden und ihnen ihre guten Tabakwaren anbieten, wenn diese "ihre" Leute drankriegen wollten?

Cox: "They readily promised to do so, although we knew well that they had no intention of helping us. Every man was as bad as another. Day after day we used to sit and chat with them, drinking their coffee, smoking their excellent cigarettes, and partaking of Kosher rum. Before many weeks had passed we were quite friendly with them, and knew that we could carry out our observations unmolested. I am sure they never once suspected that we were police detectives on the trail of the mysterious murderer; otherwise they would not have discussed the crimes with us as openly as they did."

Ich habe die Äußerungen von Cox bisher so gedeutet: Die Ermittler sind tatsächlich bei den Schneidern selbst aufgeflogen, und haben daher strategisch clever auf bestechlich gemacht. Ungefähr so: "Stimmt, ihr habt uns erwischt, wir beobachten euch. Wir tun das, weil wir illegale Kinderarbeit aufdecken sollen. Passt auf, wir haben einen Vorschlag für euch: Wir erzählen unseren Vorgesetzten nichts von dem, was bei euch abläuft, solange es sich im Rahmen hält, und dafür kommt ihr uns ein bisschen entgegen und macht uns diese Scheißarbeit hier etwas angenehmer. So haben wir alle einen Vorteil davon."
Und so saßen sie dann unter den Einheimischen, ließen sich von ihnen bewirten und konnten weiter den Verdächtigen beobachten.


"Es wäre doch vielleicht die bessere Option gewesen, den Juden in der Wentworth Street zu erzählen, dass man einen Blick auf den "Chazar Mark" in der Goulston Street wirft anstelle das diesen Leuten in einer Straße wie die Greenfield Street zu verkaufen."

Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit, denn die Bewohner dort dürften wohl nicht so eng mit den Schneidern aus der Greenfield Street verbandelt gewesen sein, die dorthin kamen, um Arbeitskräfte anzuwerben.
Aber die Darstellung von Cox erweckt in mir den Eindruck einer Art konspirativen Verbrüderung, welche die Beamten vorspielten, so dass es m.E. auch gut die Schneider selbst gewesen sein könnten, wie ich es oben beschrieben habe: Sie haben vermutlich bestechliche Beamte gespielt.   

Was hältst du von meiner These?


MfG, Arthur Dent

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Re: Jacob Levy
« Antwort #103 am: 17.11.2015 10:31 Uhr »
Guten Morgen Arthur!

Ja, das ist eine gute Überlegung. So weit habe ich noch gar nicht gedacht. Ich könnte mir das gut vorstellen. Sollte man besser in weitere Überlegungen mit einbeziehen.

Beste Grüße,

Lestrade.
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Re: Jacob Levy
« Antwort #104 am: 13.04.2016 21:03 Uhr »
Hallo Lestrade,

hatte etwas länger Sendepause aus beruflichen Gründen: musste mich in meinen neuen Zuständigkeitsbereich einarbeiten. Daher mein sang- und klangloses vorübergehendes Verschwinden. Aber anders als JTR: Ich komme wieder  ;)

Nachfolgend die aktualisierte Akte zum Verdächtigen Jacob Levy.


MfG, Arthur Dent