Hi Arthur!
Ich mache mal folgenden Vorschlag:
Ich werde versuchen, mir diese drei Ripper- Bücher von Odell zu besorgen. Mir scheint das, alles in allem, sehr interessant. Meine Partnerin gelingt es immer wieder, im Ausland, überwiegend England, gesuchte Bücher sehr günstig zu ergattern (während ich das schreibe, hat sie auch schon zwei bestellt, dass dritte ist uns noch zu teuer,
Fact and Fiction ist allerdings dabei). Nach dem Lesen bin ich dann vielleicht auch schlauer. Wird natürlich eine Weile dauern, bis ich darauf zurückkommen kann.
(Ich bin auch gerne bereit Arthur, dir das Buch nach dem Lesen zu leihen, denn ich bin da wirklich an deiner Meinung interessiert)
Zu dem Vorfall am 22 November 1888 habe ich hier schon öfters geschrieben. Das letzte Mal war hier, glaube ich:
http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1725.15.htmlVielleicht liest du von Post 19 bis Post 35 einmal nach. Es war eine Diskussion zwischen Shadow und mir. Im letzten Post finden auch noch einmal Cox und Sagar Erwähnung genauso wie die Greenfield Street. Das war ja nicht lange vor der Einweisung von Aaron Kozminski und jene Straße war der Wohnort der Aaron-Geschwister Matilda und Isaac (nebenan in der Yalford Street lebte der Bruder Woolf).
Ich persönlich würde sagen, Krankheit und Verdacht müssen sich ja nicht gegenseitig beim Handeln von etwaigen Angehörigen ausgeschlossen haben. Zu Kozminski´s Familie gehörte ein Rabbi, Israel Lubnowski. Ende letzten Jahres hatten wir eine Diskussion (mit Chris Philips und Robert Lintford) im JTRForums über diesen Israel Lubnowski. Es ist nicht ganz klar, ab wann er in London war. Für offenbar eines seiner Kinder, eine Tochter, gibt es einen Krankenhauseintrag für April/Mai 1887. Er könnte bereits nach der Volkszählung 1881 eingereist sein, wie eben auch Woolf, seine Frau Betsy und Aaron. Aber diese Tochter wurde, anderen Angaben zu Folge, noch in Polen geboren, also 1885. Das gleiche gilt für zwei jüngere Geschwister, die ebenfalls in Polen (ca. 1887 und 1889) geboren wurden. Das ganz jüngste dann in London (1891). Man könnte zumindest annehmen, dass die Mutter nicht in London sondern in Polen jene zwei Kinder gebar, obwohl diese Familie schon in London ansässig gewesen war. Warum, wieso, weshab wüsste ich nicht. Die 1887 Adresse wäre dann Batty Gardens gewesen, das war im Prinzip unmittelbar an der Adresse Woolf Abrahams, Berner Street 1882 gewesen (neben dem Dutfields Yard). Ich habe keine Ahnung, wie solch ein Rabbi unterwegs war aber es gibt die Möglichkeit, dass er nur temporär in London in den 1880ern aktiv war. Alleine oder mit Familie. In der Familie und überhaupt in dieser Gemeinschaft sollte auch dieser Rabbi einen hohen Stellenwert besessen haben. Es wäre genauso gut möglich, dass jenen Rabbi im Herbst 1888 die Botschaft in Polen erreichte, dass man gewisse Probleme mit Aaron hat und dieser dann erneut nach London reiste. Ich denke aber weiß es nicht, dass solch ein Rabbi- Minister bestimmte Einflüsse und Kontakte hatte, um solch eine schwierige Angelegenheit zu regeln. In 1891 finden wir die gesamte Rabbi Familie dann in der Yalford Street, wo er in der Zwischenzeit wieder ganz nahe an Matilda und Isaac wohnte. Woolf muss aus dieser Straße dann Ende 1889/ Anfang 1890 wieder weggezogen sein, in den Sion Square. Auch Matilda und Isaac verschwanden dann plötzlich nach Aaron´s Einweisung aus ihren Wohnorten in der Greenfield Street. Ob Aktivitäten von höheren jüdischen Einflüssen dann eine Verschwörung gewesen wären, ich weiß es nicht. Es kommt ja immer auf den ganz persönlichen Eindruck an, den dabei jene Personen haben. Was denke sie und warum denken sie so? Fakt scheint jedoch zu sein, dass es keine wirklich gerichtlichen Beweise im Falle Kosminskis gab, sondern nur Indizien, gewisse Überzeugungen. Selbst wenn Angehörigen den Verdacht hatten, wie sicher und überzeugt waren sie wirklich? Was reden sich Leute ein? Ich weiß das alles nicht. Ich denke in dieser Richtung auch für den jüdischen Zeugen im Seaside Home. Lag es wirklich daran, dass er einen Glaubensbruder nicht an den Galgen liefern wollte, wie von Anderson und Swanson beschrieben? Wir wissen ja überhaupt nicht was da zu bezeugen gewesen war, wir wissen nicht, inwieweit der Zeuge wusste um was es dabei auch grundsätzlich ging. Kann doch sein, dass er einen schwerkranken und hilflosen Verdächtigen sah, ihn wiedererkannte und es ihm nicht gefiel, dass die Polizei kurz drauf schon dessen Erhängung feierte. Vielleicht tat ihm der Verdächtige leid und auch ein solches Gehabe und er sagte im Anschluß, "Hey Leute, aber 100prozentig sicher bin ich mir dann doch nicht".
Wie hätten wir reagiert, wenn du der Bruder eines solchen Verdächtigen gewesen wärst? Du ezählst mir den Vorfall, berichtest nur von Indizien, deinem eigenen Verdacht aber bist einfach nicht sicher. Ich, als weiterer Angehöriger, kann helfen und tue das auch, weil wir beide wissen, dass dein Bruder sehr schwer krank ist. Wollen wir ihn der Polizeijagd aussetzen oder schauen wir lieber, was wir ihm gutes tun können? Vielleicht ist er ja gar nicht der gesuchte Mörder? Anders verhält es sich, wenn du einen klaren Beweis für seine Täterschaft hättest. Dann übergeben wir ihn, aus unserem Rechtsempfinden heraus, der Polizei. Tun wir das nicht, handeln wir illegal und beginnen eine Verschwörung, aus eigenem Schutz oder zu Schutze unserer Gemeinschaft...
Ich weiß nicht, was damals wirklich passiert war. Weiß nicht, ob Angehörige den ihrigen beschützen wollten, weil er krank war und grundlos (aus ihrer Sicht) von der Polizei beschuldigt wurde oder ob sie Wissen hatten, dass er der gesuchte Mörder war. Oder aber ob Menschen aus dieser Gruppe entweder so oder so dachten...
Wenn ich allein bei Aaron Kozminski bleibe, ein naher Verwandter war ein Rabbi und wenn jener Aaron einer der Hauptverdächtigen gewesen war, dem man (zumindest lange) nichts beweisen konnte, dann hatte dieser Rabbi mit Sicherheit davon gewusst und er hätte seinen Part gespielt. Wenn ich mich recht erinnere, musste im jüdischen Recht jemand wahrhaftig bei einer schlimmen Tat von 1 oder 2 Personen gesehen werden, die auch wirklich darauf schwören mussten. Das war offenbar nicht der Fall, eben auch nicht für das englische Recht. Selbst bei einer eigenen starken Überzeugung der Schuld, hätte das für den jüdischen Rechtsmenschen wahrscheinlich keine Verschwörung bedeutet, sondern ein "normales Handeln", sprich ersteinmal Schutz. Allerdings hätte im Falle von Kosminski, die Übergabe des Mannes von einer privaten Anstalt in eine öffentliche, eine Art "Verabredung" mit dem englischen Recht stattgefunden haben können. Den eines wäre dann gesichert gewesen, der Verdächtige würde nie wieder eine Anstalt als freier Mann verlassen. Genau das klingt dann nach einer wirklichen Verschwörung.
Gruß, Lestrade.