Autor Thema: MJK´s Beine und die (Un-?)Vollständigkeit der bekannten Untersuchungsberichte  (Gelesen 30755 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline Lestrade

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2949
  • Karma: +14/-3
  • Watson, fahr schon mal die Kutsche vor...
@Lestrade: Also Bond´s ´Profilingversuch´ lässt da bezüglich eines Butchers auf einen recht unschlüssigen Doktor schließen : Einerseits schrieb er ja, dass er denkt, dass der Täter seiner Meinung nach nicht einmal das technische Wissen eines Butchers oder Pferdeschlachters besaß, andererseits hält er es für möglich, dass die Tatwaffe ein langes Klappmesser (Dr. Killeen´s "pen knife" lässt grüßen! Zwinkernd ), oder das Messer eines Artztes oder Butcher´s war, und außerdem tippt er eben auf einen starken Mann. Die einzige Berufsgruppe, die sich da eindeutig herauslesen lassen würde, wäre wohl (verrückte) Messerhändler oder -schleifer.  icon_mrgreen

Meines Wissenstandes waren sich Bond und Phillips sich da wohl nicht ganz einig "was das technische Wissen eines Butchers oder Pferdeschlachters" betraf. Kannst du mir erklären, wie man zu der Zeit, nach solch einem Gemetzel, das ja wohl eher eines Abschlachtens gleichkam, von vornherein einen Butcher o.ä. ausschließen kann? Und dies in 1888? Die muss man, ob Arzt oder nicht, ja erst einmal einkalkulieren. Nein, es muss kein Butcher gewesen sein aber sofort zu sagen es war keiner, nein, dies ist mir too much. Ich zieh mir meinen Scheitel doch nicht mit einem Dampfhammer. Da liegt eine Frau (Kelly) vor einem, die man kaum noch zusammenflicken kann und der sagt, ein Butcher oder Pferdeschlächter kann es nicht gewesen sein. Warum? Weil er sie nicht in verkaufsfertige Stücke zerlegt hatte? Der Ripper agierte im Rausch, ein Mensch voller unbeschreiblichen Hass und mit unglaublicher Wut. Was hätte passieren müssen, damit Bond gesagt hätte: "Ein Butcher o.ä. kommt in Frage"? Nehme es mir bitte nicht übel panopticon, ich will hier keinen Butcher in den Mittelpunkt stellen aber ich bin sehr skeptisch was gewisse Polizeiarbeiten und Arztberichte angeht. Und ich möchte mir auch nicht das herauspicken, was gerade in meine Theorien passt. Da nehme ich mal meine eigene Logik zu Hilfe und da erkenne ich folgende Dinge: den präsizen Kehlschnitt, der ein Bespritzen mit so wenig Blut wie möglich auf der Kleidung des Täters genauso mit einschloss, wie den schnellen Tod des Opfers. Das Entfernen der Organe. Die Coolness und Dreistigkeit eines Mannes, der gewohnt war zu töten und den sicheren Umgang mit dem Messer. Dies muss, mit welchem Prozentanteil auch immer, einem Schlächter zugetraut werden, ohne dass dies definitiv einer gewesen sein muss. Diese Aussage von Dr. Bond akzeptiere ich nicht und ich akzeptiere vieles. Wenn die Polizei der gleichen Meinung gewesen wäre wie Bond, hätten sie kaum danach so intensiv jemanden in der Butcher´s Row observiert. Naja, außer es war kein Schlächter der dort in Verdacht geriet.

Liebe Grüße,

Lestrade.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

KvN

  • Gast
Wow, sowas nenn ich eine inhaltlich interessante Diskussion! Respekt, gentlemen!
Ob für die Beinstellung, die das Frontalfoto zeigt, eine massive Manipulation an den Gelenken bzw. eine subtotale Amputation notwendig war ist für mich schwer zu beurteilen. Immerhin besitzt eine Leiche null Muskelgrundspannung, damit sind Positionen möglich, die bei Lebenden niemals erreicht werden könnten. Eine totale Amputation schließe ich aus, diese hätte sicher Erwähnung im Autopsiebericht gefunden. Sollte ein Hüftgelenk bei intaktem Bandapparat luxiert worden sein, würde das beweisen dass der Täter über große Körperkraft verfügte.
Leider entzieht sich das Meiste der Beurteilung, da die Aussagekraft der (mir bekannten) Untersuchungsberichte echt jämmerlich ist. Warum das so ist? Gute Frage...Das anatomische Wissen Ende des 19.Jh. war durchaus auf einem guten Stand, vergleichbar mit heute, zumindest in den hier relevanten Belangen. Viktorianische Prüderie mag da eine Rolle gespielt haben, wenn der Täter das bewusst antizipierte war er auch sehr intelligent. Aber wie auch immer: Es war ihm sehr daran gelegen dass das Opfer in dieser Position aufgefunden wurde, und auch das sit sehr aussagekräftig.
Aber zum Wesentlichen: Nach den (sehr profunden!) Ausführungen von panopticon scheint es wahrscheinlich, dass MJK im Schlaf überrascht wurde. D.h. der Täter war mit den örtlichen Verhältnissen vertraut, er wusste dass MJK in diesem Teil des Millers Court lebte, er wusste wie man die Tür öffnet.
MJK kannte ihren Mörder.

Grüße

KvN

  • Gast
Hi Lestrade!

Bin völlig deiner Meinung, ein Schlachter ist ohne Frage ein heisser Tipp!
Aber Blutrausch, Schlachterei? Nein, glaube ich nicht...
Ich bin der Meinung dass der Mörder völlig kaltblütig gehandelt hat, den Zeitgeist bewusst provozierte. Aber das ist eine schräge Theorie von mir, werde sie in einem eigenen Thread ausführlicher darlegen...

Grüße

Offline Lestrade

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2949
  • Karma: +14/-3
  • Watson, fahr schon mal die Kutsche vor...
Guten Morgen KVN!

Die Hände und Arme des Rippers bei Kelly dürften in Blut gebadet haben, er hat ihr Gesicht zerhackt und sie teilweise im Raum verteilt und sie bis auf die Knochen verstümmelt. Da fällt mir nur Rausch und Abschlachten ein. Schenke mir doch bitte Begriffe wo ich das endlich anders einordnen kann. Das sie so gefunden werden sollte, da stimme ich mit dir überein. Das war jemand dem sein Hass und seine Wut vollkommen entmenschlicht haben oder er hatte eine sehr schwere Geisteskrankheit.
Das Kelly ihn kannte, ist auch meine Theorie. Aber diesmal wollte er, dass man das Opfer nicht gleich oder schnell entdeckt. Warum? Vielleicht kannst du dies ja in deinem bevorstehenden Thread miterläutern.

Ich werde im Gegenzug einen Thread über Joseph Hyam Levys Familie und Verwandschaft, die Jacob Levy und Hyam Hyams mit einschließt, erstellen. Dazu die Verbindungen zur Butcher´s Row. 

Viele Grüße,
Lestrade.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

KvN

  • Gast
Mit Begriffen kann ich leider nicht dienlich sein, solche Taten übersteigen meine sprachlichen Fähigkeiten. Aber ich nutze die Gelegenheit zu einer Präambel, da manches in meinem folgenden Thread durchaus mißverstanden werden könnte: Ich finde Gewalt in jeder Form abstoßend und ekelhaft, speziell wenn es sich bei den Opfern um wehrlose Frauen handelt. Eine Tat wie der Mord an Kelly ist das Werk eines sehr kranken Menschen, genauso wie die Verbrechen eines Bundy, eines Dahmer und wie sie alle heissen.

Begriffe wie "Rausch" erscheinen mir allerdings nicht zielführend, sie implizieren für mich eine unkontrollierte Handlung, und das ist meiner Meinung nach beim Ripperschen Schaffen nicht der Fall. Unser favorisierter Schlachter arbeitet ja ähnlich in seinem Brotberuf, niemand würde ihm aber einen Blutrausch unterstellen. Ähnlich sehe ich auch das als selbstverständlich hingenommene Motiv "Haß auf Frauen". Ein Metzger schlachtet ja auch keine Schweine weil er sie ned leiden kann. Ich glaube dass das Handeln von JtR vor allem von absoluter Gefühllosigkeit bestimmt war...

Aber das ist schon eine andere Geschichte, die uns zu weit von MJKs Beinen wegführt...

Grüße

Offline Lestrade

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2949
  • Karma: +14/-3
  • Watson, fahr schon mal die Kutsche vor...
Frohe Ostern KVN (und auch den anderen) !

Ich kann dir jetzt besser folgen, danke.

Die "absolute Gefühlslosigkeit" unterschreibe ich mit. Der Rest bedarf weiterer Diskussion.

Liebe Grüße, Lestrade.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline panopticon

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 415
  • Karma: +2/-0
Hi!

Zwar nichts über Mary Jane Kelly´s Beine, dafür umso mehr zu den Untersuchungsberichten: Im Miller´s Court ging es im Laufe des Nachmittages des 9. November 1888 scheinbar ähnlich zu wie auf einem Ärztekongress. Interessant erscheint mir Dr. John Rees Gabe, von dem ich zuvor noch nie was gelesen hatte, den ich aber beim Schmökern im A-Z (neue Ausgabe 2010 – ob er auch in den älteren Erwähnung findet, weiß ich nicht...) fand. Der Mann war für die ´London Society for the Prevention of Cruelty to Children´ tätig und vermutlich deshalb vor Ort, weil irgendjemand ja das Gerücht von einem Kind von Mary Jane Kelly in die Welt setzte. Gabe hat jedenfalls den Leichnam vor Ort gesehen und sich gegenüber den meisten Zeitungen nur insofern dazu geäußert, dass der Körper so entsetzlich entstellt war, wie er es noch nie zuvor (bei einem Menschen) gesehen hätte, und dass ein bestimmtes Organ fehlte. Für den ´New York Herald´ (10. November 1888) machte der Mann aber scheinbar eine Ausnahme – und was da zu lesen ist, ist hochinteressant, weil es mit dem, was den Tatortbildern zu entnehmen ist, ziemlich übereinstimmt und zusätzlich noch einige Aspekte einbringt, die im Vergleich mit Dr. Bond´s  bekannter post mortem Untersuchung auf Bond´s Vorgehen hindeuten – und auf den Verbleib mancher Organe: Bond erwähnte die Auffindungsposition der meisten Organe und schrieb im Zusammenhang mit dem Herzbeutel, dass das Herz ´absent´ war. Ferner erwähnte er die ´Überreste des Magens´ und deren Inhalt. Genauso wenig, wie er aber vom  Auffindungsort des Herzens berichtete, erwähnte er auch den Magen nicht weiter, sondern schilderte nur, was er davon noch im Körper vorfand – Überreste. Jetzt aber kommt´s: Dr. Gabe hingegen erwähnt sehr wohl den Magen und wo dieser gefunden wurde: Nämlich herausgeschnitten und  ´sorgfältig´ neben dem ´mutilated trunk´ positioniert – genauso wie die Eingeweide, die Leber und – erraten ;)das Herz der Toten. Gegenprobe: Was erwähnt Dr. Gabe nicht? Zum Beispiel die Lunge – und die war ja auch laut Dr. Bond noch im Körper. Gabe erwähnte (wie gesagt) schon, dass ein bestimmtes Organ bzw Teile des Körpers fehlten –  das Herz lag aber laut seinen Angaben neben der Toten – und seine Angaben sind bezüglich dessen, was sich mit den Tatortfotos vergleichen lässt, an sich ziemlich korrekt, bis hin zur ´Frisur´ der Toten und deren Ursache. Noch etwas ist interessant: Er beschrieb auch, wie der Täter den Körper der Toten ´geöffnet´ hat – nämlich indem das Fleisch auf jeder Seite eines Schnittes in der Mittelhalbierenden ´sorgfältig´ (Zitat! Man vergleiche es mit KvNs profunder Analyse!) zurückgefaltet wurde - oder (im Vergleich mit den Skizzen vom Mitre Square) anders gesagt: genau wie im Fall Catherine Eddowes.  Gabe erklärt aber zudem noch, an was ihn das erinnert: An den Kadaver eines Schafes in einem Schlachthaus. Gabe bezifferte die Zeit, die der Täter für die Verstümmelungen seiner Meinung nach auf jeden Fall gebraucht hat mit ´a full half hour´. Interesting, isn´t it?


Grüße,
panopticon

Offline Lestrade

  • Superintendent
  • *****
  • Beiträge: 2949
  • Karma: +14/-3
  • Watson, fahr schon mal die Kutsche vor...
Hallo panopticon!

Sehr interessant, sehr interessant.

´a full half hour´

Da spiele ich aber nicht den Überraschten.

Es wurde einmal behauptet, das die Verletzungen bzw. Verstümmelungen im Gesicht von Kelly ihr zugefügt wurden, während ein Teil des Lakens über Gesicht lag. Findest du dazu etwas?

Grüße.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

KvN

  • Gast
Interesting, indeed!

Klare Indizien dass Kelly ein Ripperopfer war! Und weitere Verstärkung für die Butcher Theorie!
By the way: Warum war die Lunge noch im Körper? Bleibe ich bei meiner Theorie der symmetrischen Organe (Uterus, Niere...) so wären die Lungen ja auch interessant gewesen. Die halbe Stunde halte ich für ein Minimum, der Ripper hat zwar nicht mit chirurgischer Präzision, aber doch sorgfältig "gearbeitet".

Grüße und THX