Autor Thema: Ten Bells  (Gelesen 10210 mal)

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Schwarzblau

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Ten Bells
« am: 05.09.2012 16:48 Uhr »
Ich habe gerade gelesen***, dass die Opfer das Ten Bells frequentierten. Kann man daraus nicht ableiten, dass JtR sie von daher kannte und würde dies wiederum nicht Täter aus höheren Gesellschaftsschichten ausschließen?



***
http://www.casebook.org/victorian_london/tenbells.html

Stordfield

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Re: Ten Bells
« Antwort #1 am: 06.09.2012 10:43 Uhr »
Hallo!

Das "Ten Bells" war ja nicht die einzige Kneipe, in die die späteren Opfer gingen, um ihren Kummer erträglicher zu machen. Es gab da z.B. das "Frying Pan", "The Britannia", "The Horn of Plenty", "Queens Head" und "Blacklayer`s Arms" (und viele Gin- Spelunken mehr). Natürlich hätte auch der Ripper dort verkehren können (und ich glaube, in einem der vielen Profile wird das auch erwähnt), aber ableiten kann man davon noch lange nichts.  ;)

Gruß Stordfield

Offline Lestrade

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Re: Ten Bells
« Antwort #2 am: 06.09.2012 12:59 Uhr »
Eben!

Nicht zu vergessen, das "Prince Albert" (Brushfield Street) und "Princess Alice" (Commercial Street). Der erste Pub spielte eine Rolle unmittelbar nach der Tat an Annie Chapman (Die "Zeugen" Mrs. Fiddymont und Mary Chappell) und der zweite Pub, ganz in der Nähe, galt als möglicher, häufiger Aufenthaltsort von "Leather Apron", was zumindest Presse und Prostituierte behaupteten.

Gruß.
« Letzte Änderung: 06.09.2012 13:38 Uhr von Lestrade »
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Anirahtak

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Re: Ten Bells
« Antwort #3 am: 07.09.2012 20:56 Uhr »
Hallo Schwarzblau,

vermutest du, dass der Ripper die Opfer in Pubs "kennen"gelernt hat? Mich interessiert deine Vorstellung darüber, falls du das mal ausführen willst. :)

Schwarzblau

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Re: Ten Bells
« Antwort #4 am: 08.09.2012 16:26 Uhr »
Vielleicht, dass sie mit ihm mitgingen, obwohl die Morde begangen wurden und sie gewarnt waren. Andererseits wird es als Hure schwer, anders den Beruf auszuüben. Gerade beim letzten Mord würde ich in der damaligen Situation auf mein Zimmer mitnehmen, den ich nicht vertraue.

Offline Anirahtak

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Re: Ten Bells
« Antwort #5 am: 08.09.2012 20:01 Uhr »
Vielleicht, dass sie mit ihm mitgingen, obwohl die Morde begangen wurden und sie gewarnt waren. Andererseits wird es als Hure schwer, anders den Beruf auszuüben. Gerade beim letzten Mord würde ich in der damaligen Situation auf mein Zimmer mitnehmen, den ich nicht vertraue.
Ja, das finde ich einen guten, aufschlussreichen Gedankengang. Einerseits waren die Taten schon im Verlauf als Serie erkennbar, andererseits mussten die Opfer irgendwie Geld ranschaffen. Ich habe das auch schon miteinander abgewogen und halte es für möglich, dass sie trotz Geldmangel nicht unbedingt mit wirklich jedem mitgegangen wären, wenn er auf irgendeine Art "merkwürdig" gewirkt hätte. Also zumindest, dass ihre Bereitschaft dazu gesunken war, seit "JTR" bekannt wurde. Daraus schließe ich, dass er den damaligen Gepflogenheiten entsprechend "normal" wirkte. Catherine Eddowes wurde ja recht kurz vor ihrem Tod noch gesehen, wie sie mit vertraulicher Geste "gütlich" mit einem Mann sprach.

Dass er die Opfer bzw. sie ihn in Pubs aufgegabelt haben, habe ich bislang nicht so in Erwägung gezogen, weil es keine Zeugenaussagen über solche Situationen gibt. Aber es könnte natürlich auch mal so gewesen sein, zB mit Mary Kelly.


Schwarzblau

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Re: Ten Bells
« Antwort #6 am: 08.09.2012 23:04 Uhr »
Ich sehe das vor dem Hintergrund - sicherlich in die Situation anders -, dass ich keinen fremden Mann in der Wohnung akzeptieren würde. Es rufen immer mal wieder welche wegen Englisch-Nachhilfe an und obwohl die Situation nicht so bedrohlich ist wie damals, weise ich sie ab - Frauen und Kinder ja, Männer nein. Wobei sich die Arbeit damals kaum anders vollziehen ließ, aber ich glaube schon, dass er ihnen vertraut war.
 
Vielleicht nicht einmal persönlich bekannt, sondern vom Sehen her oder wirklich eben eine Kneipen-Bekanntschaft. Ich war einmal in einer Kneipe, weil jemand vergessen hatte, sein Autolicht auszuschalten und hatte durchaus den Eindruck, dass fremde Menschen recht vertraulich in dieser Umgebung verkehren. Gehört vielleicht nicht hierher, aber mir wollte der Autobesitzer, obwohl er mich nie vorher gesehen hatte, gleich die Autoschlüssel in die Hand drücken, damit ich das Licht ausschalte. (Was ich verweigerte, ncht, dass irgendwas ist und dann sind meine Fingerabdrücke drin). Ich erzähle die Episode nur, um zu zeigen, wie vertraulich in der Szene miteinander umgegangen wird.

Wäre JtR durch gute Kleidung / dicken Bauch aufgefallen, wäre er wahrscheinlich auf mehr Ablehnung gestoßen, sei es Klassenneid oder auch einfach Angst vor dem Fremden - gerade wenn ein Serienmörder umgeht.
(Nicht das ihr jetzt glaubt, ich würde aussehen wie eine Kneipenbraut, ganz und gar nicht  :scratch_one-s_head: .)

Ich habe das auch schon miteinander abgewogen und halte es für möglich, dass sie trotz Geldmangel nicht unbedingt mit wirklich jedem mitgegangen wären, wenn er auf irgendeine Art "merkwürdig" gewirkt hätte. Also zumindest, dass ihre Bereitschaft dazu gesunken war, seit "JTR" bekannt wurde. Daraus schließe ich, dass er den damaligen Gepflogenheiten entsprechend "normal" wirkte.



Was wieder gegen einen Vermögenden spricht. Kurze Frage: Welcher Mann, der es sich leisten kann, würde eine Frau vom Straßenstrich nehmen, wenn er sich jemanden leisten kann, der im Bordell arbeitet und auf Krankheiten kontrolliert wird? Vielleicht hat es damals auch schon das Äqivalent zum gebildeten Luxus-Callgirl***, welches sich die Herren leisteten. Und wenn die Opfer nicht ganz doof waren, hätten sie die Überlegungen schon aus Erfahrung heraus angestellt, wenn ein gut gestellter Mann um ihre Dienste gebeten hätte. Nei den krassen Klassenunterschieden damals wäre es wohl so, als wenn sich heute ein Millionär auf dem Straßenstrich etwas sucht - warum sollte er?

***
Dass sie damals kaum die Kunden aufgesucht haben, dürfte klar sein, ich will nur die Unterschiede verdeutlichen.
« Letzte Änderung: 08.09.2012 23:25 Uhr von Schwarzblau »

Offline Anirahtak

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Re: Ten Bells
« Antwort #7 am: 10.09.2012 15:39 Uhr »
Ich sehe das vor dem Hintergrund - sicherlich in die Situation anders -, dass ich keinen fremden Mann in der Wohnung akzeptieren würde. Es rufen immer mal wieder welche wegen Englisch-Nachhilfe an und obwohl die Situation nicht so bedrohlich ist wie damals, weise ich sie ab - Frauen und Kinder ja, Männer nein. Wobei sich die Arbeit damals kaum anders vollziehen ließ, aber ich glaube schon, dass er ihnen vertraut war.

Vielleicht nicht einmal persönlich bekannt, sondern vom Sehen her oder wirklich eben eine Kneipen-Bekanntschaft. ...
Den Glauben oder die Vermutung will ich dir auch nicht nehmen. ;) Bei dem wenigen, was man wirklich weiß, ist es ja auch nicht völlig auszuschließen.

Allerdings sollte man bedenken, dass man unsere heutigen Gewohnheiten bezüglich des eigenen Sicherheitsgefühls nicht 1:1 auf Straßenprostituierte im East End des 19. Jahrhunderts übertragen kann. Es blieb ihnen einfach nichts anderes übrig. Für sie ging es um die Grundbedürfnisse Essen und Schlaf, die finanziert werden mussten. Annie Chapmann bspw. kroch ja schon auf dem Zahnfleisch. Ich vermute, sie hätte so ziemlich jeden Kunden angenommen, der nicht offenkundig, und zwar sehr offenkundig, gefährlich wirkte. Und das gilt im Prinzip auch für die anderen Opfer, eventuell mit Abweichungen was die Toleranz gegenüber verrückt oder unheimlich wirkenden Gestalten angeht. Alkoholisierung dürfte diese Toleranz auch wieder erhöht haben. Dass sie wirklich jeden wegschickten, den sie noch nie gesehen hatten, kann ich mir jedenfalls absolut nicht vorstellen.
 
Zitat
Wäre JtR durch gute Kleidung / dicken Bauch aufgefallen, wäre er wahrscheinlich auf mehr Ablehnung gestoßen, sei es Klassenneid oder auch einfach Angst vor dem Fremden - gerade wenn ein Serienmörder umgeht. ...
Das sehe ich nun ganz anders. Klassenneid hin oder her, aber gerade einem erkannbar wohlhabenden Freier wäre sicher auch ein entsprechender Preis berechnet worden. Und George Hutchinson will Mary Kelly ja dabei beobachtet haben, wie sie einen solchen aufgetan hat.

Zitat
Was wieder gegen einen Vermögenden spricht.
Dagegen spricht für mich auch, dass (außer bei Hutchinson) niemals so jemand gesichtet wurde.

Zitat
Kurze Frage: Welcher Mann, der es sich leisten kann, würde eine Frau vom Straßenstrich nehmen, wenn er sich jemanden leisten kann, der im Bordell arbeitet und auf Krankheiten kontrolliert wird? ...
Das würde bedeuten, der Ripper wäre ein echter Freier mit echten Freier-Absichten gewesen, der ab und zu ausrastete. Ich halte ihn eher für einen Serienmörder, für dessen Zwecke eine dunkle Straßenecke besser geeignet ist als ein Gebäude (Bordell) voller Leute, die ein Auge auf die Kollegin haben.


Schwarzblau

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Re: Ten Bells
« Antwort #8 am: 10.09.2012 15:58 Uhr »
Vielleicht nicht einmal persönlich bekannt, sondern vom Sehen her oder wirklich eben eine Kneipen-Bekanntschaft. ...
Den Glauben oder die Vermutung will ich dir auch nicht nehmen. Zwinkernd Bei dem wenigen, was man wirklich weiß, ist es ja auch nicht völlig auszuschließen.


*Vom sehen her* kann vieles bedeuten und wenn er nur regelmäßig die Straße entlang lief, so war sein Anblick irgendwann vertraut genug, dass man sich über in keine Gedanken mehr machte.

Allerdings sollte man bedenken, dass man unsere heutigen Gewohnheiten bezüglich des eigenen Sicherheitsgefühls nicht 1:1 auf Straßenprostituierte im East End des 19. Jahrhunderts übertragen kann. Es blieb ihnen einfach nichts anderes übrig.

Ich versuche sie mit heroinsüchtigen Straßenprostituierten von heute zu vergleichen. Natürlich hätten sie unter normalen Umständen mitgenommen was geht. Aber wenn ein Serienmörder umgeht, dann denke ich, wären sie gegenüber jemanden, der sich eigentlich etwas ansehnlichers und weniger krankheitsbehaftetes leisten können, eigentlich mißtrauisch sein müssen.

Ich vermute, sie hätte so ziemlich jeden Kunden angenommen, der nicht offenkundig, und zwar sehr offenkundig, gefährlich wirkte.

Vielleicht habe ich zu viele Filme gesehen, aber dann hätte sie wahrscheinlich der größten Teil von Whitechapel wegschicken müssen.

Das würde bedeuten, der Ripper wäre ein echter Freier mit echten Freier-Absichten gewesen, der ab und zu ausrastete. Ich halte ihn eher für einen Serienmörder, für dessen Zwecke eine dunkle Straßenecke besser geeignet ist als ein Gebäude (Bordell) voller Leute, die ein Auge auf die Kollegin haben.

Ich stimme vollkommen zu, dass für seine Aktivitäten eine Straßenecke besser geeignet war, als ein Bordell mit lästigen Zeugen. Über weitere Gepflogenheiten weiß ich nätürlich nichts.

Offline Anirahtak

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Re: Ten Bells
« Antwort #9 am: 10.09.2012 18:38 Uhr »
*Vom sehen her* kann vieles bedeuten und wenn er nur regelmäßig die Straße entlang lief, so war sein Anblick irgendwann vertraut genug, dass man sich über in keine Gedanken mehr machte.
Das ist denkbar, gar keine Frage.  Ich halte es nur nicht für zwingend, sondern für ebenso denkbar, dass er sie völlig unbekannterweise ansprach (oder sich ansprechen ließ) und dabei vertrauenserweckend genug wirkte, um ihn als Kunden anzunehmen.

Zitat
Ich versuche sie mit heroinsüchtigen Straßenprostituierten von heute zu vergleichen. Natürlich hätten sie unter normalen Umständen mitgenommen was geht. Aber wenn ein Serienmörder umgeht, dann denke ich, wären sie gegenüber jemanden, der sich eigentlich etwas ansehnlichers und weniger krankheitsbehaftetes leisten können, eigentlich mißtrauisch sein müssen.
Die Schlussfolgerung klingt richtig für mich. Nur bin ich nicht sicher, ob eine Prostituierte, für die es auch ohne Ripper um Leben oder Tod ging, sie auch gezogen hätte. Oder ob sie diesen Schluss nicht gleich wieder verdrängt hätte.

Aber wir sind ja ohnehin beide nicht der Ansicht, dass es er reich wirkte, wenn ich richtig im Bild bin.

Zitat
Vielleicht habe ich zu viele Filme gesehen, aber dann hätte sie wahrscheinlich der größten Teil von Whitechapel wegschicken müssen.
Inwiefern, vom Aussehen her? Ich denke schon, dass es da trotz der Armut eine gewisse Bandbreite gab, von verdreckt und zerschlissen bis hin zu sauber und neuwertig. Im vorigen Beitrag ging es mir aber hauptsächlich ums Verhalten. Also dass ich vermute, der Ripper trat nicht aggressiv an die Frauen heran, oder er brabbelte auch kein verrücktes Zeug oder schnitt eigenartige Grimassen. Ich denke, er benahm sich so gesittet und evtl. gar freundlich, dass sie glaubten, gefahrlos mit ihm gehen zu können.

Zitat
Ich stimme vollkommen zu, dass für seine Aktivitäten eine Straßenecke besser geeignet war, als ein Bordell mit lästigen Zeugen. Über weitere Gepflogenheiten weiß ich nätürlich nichts.
Mich würde es auch brennend interessieren, wie das alles im Detail ablief auf dem dortigen Straßenstrich und wie sich die Kundschaft zusammensetzte. Leider kenne ich keine Quellen dazu. Aber es gibt hier noch ein Thema dazu, vielleicht ineressiert dich das:

http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1066.0.html

Schwarzblau

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Re: Ten Bells
« Antwort #10 am: 12.09.2012 21:05 Uhr »
Aber wir sind ja ohnehin beide nicht der Ansicht, dass es er reich wirkte, wenn ich richtig im Bild bin.

Ich gehe einen Schritt weiter: Er war es auch nicht.
Nicht in einer Gesellschaft, in der ein falsches Wort bedeutet hätte, aufzufliegen. (Soweit ich weiß, ist es in GB heute noch so, dass eine Schicht *Sofa* sagt und die andere *Couch*.) Noch Theater zu spielen und jedes Wort genau zu überlegen, hätte wohl einen zu großen Druck bedeutet.
Ich gehe daher zu 100% davon aus, dass er das war, als was er sich ausgab.

Zudem kann man sich eine gewisse Ungepflegtheit nicht einfach zulegen, wir sähen in der falschen Kleidung auch verkleidet aus.

Offline Anirahtak

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Re: Ten Bells
« Antwort #11 am: 12.09.2012 21:57 Uhr »
Ja, ich denke auch, dass er kam wie er war und dass das in der Gegend auch nicht als ungewöhnlich auffiel. Was auch schon Teil seines "Erfolges" war - passgenaue Unauffälligkeit.

Aufgrund der Uhrzeiten müsste Joseph Lawende ihn gesehen haben.

http://www.casebook.org/witnesses/w/Joseph_Lawende.html

Zitat
... "of shabby appearance, about 30 years of age and 5ft. 9in. in height, of fair complexion, having a small fair moustache, and wearing a red neckerchief and a cap with a peak". ...

"age 30 ht. 5 ft. 7 or 8 in. comp. fair fair moustache, medium built, dress pepper & salt colour loose jacket, grey cloth cap with peak of same colour, reddish handkerchief tied in a knot, round neck, appearance of a sailor."

Was daran so matrosenhaft ist, verstehe ich nicht ganz, aber "shabby appearance".

Schwarzblau

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Re: Ten Bells
« Antwort #12 am: 12.09.2012 22:29 Uhr »
Was daran so matrosenhaft ist, verstehe ich nicht ganz, aber "shabby appearance".

Vielleicht war damit weniger die Kleidung gemeint, als wie er sich gab.