Hallo!
Hier seit langem mal wieder etwas zum Thema "angewandte Bildforschung"!
Im Grunde kann man eigentlich ja niemandem vorwerfen, dass er/sie sich die Mühe gemacht, bzw. den Versuch unternommen hat, das Bild zu kolorieren. (Ist doch nett und besser geht wahrscheinlich immer.) So auch nicht dem Herren vom Cacebook.
Dass er in Bezug auf die Decken irgendwelche Farben hat nehmen müssen, ist ziemlich klar, wenn man sich länger mit „schwarzweiß sehen“ beschäftigt, bekommt man darin aber auch Übung. Ich habe das Bild vor längerer Zeit selbst restauriert (siehe unten), dabei ging es mir aber nicht um eine reine Kolorierung, denn das Bild weist zusätzlich noch ganz andere Probleme auf. Interessanterweise habe ich die Decke und die Matratze in den gleichen Farben ausgeführt, ohne dieses Bild hier gekannt zu haben. (Ich zweifle eigentlich auch daran, dass das in einem früheren Posting beschriebene Programm bei einem dermaßen alten Bild in diesem Zustand wirklich zuverlässig Farbwerte erkennt, und beweisen ließe es sich wohl kaum.) Der Grund für meine Farbwahl war jedenfalls, dass beides eine an sich höhere Farbsättigung gehabt haben muss. Hier aber zum Beispiel Beige/Ocker- oder Rottöne zu verwenden, macht (selbst wenn dem so war) keinen Sinn, da es eigentlich darum geht, festzustellen, wie die Auffindung an sich ausgesehen hat, und sich der Körper dazu doch vom Bett abheben sollte. (Also eigentlich der gleiche Grund, warum Blueboxes blau / Greenscreens grün sind.) Dennoch liegt hier die „Kolorierung“ des Bildes vom Casebook (in Wirklichkeit handelt es sich hier ja eigentlich um eine Übermalung) in einer Menge Punkte daneben: Das reicht vom nicht kolorierten rechten Arm von Kelly bis hin zum komplett nach eigenem Gutdünken überpinselten Gesicht. (Wenn man kleinlich ist, bemängelt man dann eben auch noch das Bettzeug, und geht dann dazu über festzustellen, dass die Wände an Enden von Holzbetten zu Viktorianischer Zeit eher selten dunkel gestrichen waren, schon gar nicht in Armenvierteln - aber wie gesagt, das ist beides entschuldbar, da es wohl kaum jemanden weiterbringt.)
Eine richtige Nachbearbeitung findet prinzipiell eigentlich anders statt, ist aber, wie auch Thomas bereits erwähnt hat, extrem zeitintensiv. (Ein Problem, das sich von Anfang an stellt, ist eine gute Variation des Basisbildes zu finden - fast alle Bilder, die in Umlauf sind, sind in manchen Bereichen schon so überarbeitet, dass die Auswahl schwer fällt und eigentlich jedes an bestimmten Stellen unbrauchbar ist - da müsste man eigentlich eigens einen Scan vom Original (oder mehrere verschiedene, die man dann miteinander "fusioniert" oder verrechnen lässt) anfertigen):
Wie bereits erwähnt, birgt das Bild aufgrund seines Alters, sowie der Kameras und Beleuchtungsmöglichkeiten von damals schon einmal generell ein paar Probleme. Dafür gibt es aber u.a. wiederum
Einblick in die Arbeitsweise der Kriminalfotografen von damals, was ja auch ganz nett ist: Bevor man überhaupt an eine Kolorierung/Restauration schreiten kann, muss man sich das Bild einmal als Gesamtes ansehen, und sich fragen, wo und warum denn Probleme bezüglich der Belichtung aufgetreten sind/sein könnten. Generell ist auf fast jedem Bild ja mehr zu sehen, als die meisten ad hoc sehen, und so ist es auch in diesem Fall: (Ich habe die ursprüngliche Fotografie zur besseren Veranschaulichung farblich gekennzeichnet und in diesen Bereichen den Kontrast noch ein wenig übertrieben:
Abb.1)
Wir haben in der Originalfotografie zwei extrem überbelichtete Stellen: Die Beine und den Kopf. Die Überbelichtung der Beine resultiert aus einer extremen Lichtquelle zur Linken des Fotografen (
gelb umrandet). Ob dies nun von einem der Fenster herrührt oder ein zusätzliches künstliches Licht ist, um Kelly´s Becken nicht allzu lange belichten zu müssen, ist fraglich - ich denke, dass sie von beidem stammt, da sie bis zu Kelly´s rechtem Bein doch ziemlich abnimmt.
Die zweite Lichtquelle ist auf jeden Fall kleiner, „gerichteter“, weniger intensiv und beleuchtet Kelly´s Kopf, der für die Ermittler neben dem Becken wohl der zweite „wichtige“ Bereich war, von rechts oben. Für sie gibt es neben der Überbelichtung des Kopfes noch weitere Indikatoren im Bild (
orange umrandet), die von einem Hot Spot an der Rückwand, über die Überstrahlung auf der rechten Seite dessen, was der Täter auf den Tisch gelegt hat (ich möchte das jetzt nicht explizit aussprechen) bis hin zum Schattenwurf der Tischplatte und Reflexionen an der Stütze des Betthauptes reichen.
Zwischen den beiden Lichtquellen gibt es eine bemerkbare Zäsur, die zumindest bis an den unteren Teil der Wand reicht, und vom Schatten einer (oder meherer) Person(en) oder, wahrscheinlicher vom Schatten eines Fotoapparates (und eventuell einer Person hinter dem Fotografen) herrühren könnte, die/der sich wohl leicht vor einer der Lichtquellen im Raum befand/en (
rot umrandet).
Dies scheint sich, wenn man dann nachforscht, auch mit der zeitgenössischen Illustration aus den
Illustrated Police News (
Abb.2) zu decken, allerdings wird der Constable zur Rechten des Fotografen nicht einfach als dessen „Bewacher“ herumgestanden sein, sondern vielmehr die kleinere Lichtquelle (ich nehme an, eine Laterne oder ähnliches, ziemlich wahrscheinlich Polizeiausrüstung) gehalten haben, die das Gesicht stärker ausleuchten sollte, und deren Indikatoren ich, wie oben beschrieben, mit den
orangefarbenen Bereichen in
Abb. 1 markiert habe. (Aus heutiger Sicht hätten die Beamten die „wichtigen“ Bildpartien eher unbeleuchtet belassen sollen: Unterbelichtung lässt sich digital an sich ganz gut beheben, Überbelichtung nicht, da hier durch die Überstrahlung gar keine Bildinformation vorhanden ist.)
Mit all diesen Ergebnissen geht man dann daran, die Überbelichtung in den einzelnen Bereichen so weit möglich auszugleichen (der linke Unterschenkel von Kelly zum Beispiel ist aufgrund der Nähe zur linken Lichtquelle zu überbelichtet, hier ist eben keine Information bezüglich Struktur vorhanden, da lässt sich wenig machen), ehe man sich daran macht, das Bild generell zu bearbeiten und danach jeden einzelnen Bereich des Bildes ( - nicht wie bei dem Casebookbild mit farbigen Flächen zu belegen, sondern) mittels Veränderung der vorhandenen Graustufen, Schwarz- und Weißwerte zu kolorieren. (Ist gerade bei Braun- und Hauttönen nicht wirklich einfach, die werden oft ziemlich unnatürlich!). Danach gibt’s dann nochmals ein gesamtes Finishing.
Wie gesagt ,auf jeden Fall sehr zeitintensiv (im Grunde muss man auch ständig nachrarbeiten), und bei diesem Motiv lässt man es dann auch in vielen Bereichen gerne nicht allzu zu wissenschaftlich „naturgetreu“ ausfallen, da man vieles, was man dabei entdeckt, eigentlich nicht (zumindest nicht so genau) entdecken wollte. (Ich habe das in der Unterbauchgegend um am Tisch deshalb auch unterlassen.) Letzteres ist auch der Grund, warum ich die Bearbeitung von mir (
Abb.3) hier an sich nicht anders bringen will, als ich dies tue (das Original ist natürlich wesentlich größer, weniger „grafisch“, nicht nochmals komprimiert, und besitzt wesentlich höhere Auflösung und Farbtiefe).
Was ich dabei jedoch vor allem im Bezug auf Kelly´s Gesichtsverletzungen entdecken, und bisher
nicht sehen konnte, werde ich später in einem anderen Thread posten (Dort, wo die Frage aufgeworfen wird, ob Kelly denn nun ein Opfer von JtR war oder nicht, ich werde danach noch einen Link dazu hierherstellen).
Liebe Grüße,
panopticon
P.S.: „
FM“ steht da übrigens nicht an der Wand (Ich habe übrigens auch kein Blut an die Wand „gedichtet“, da sich auf dem Bild so ja auch keines feststellen lässt) : Eine Vergrößerung des Ausschnittes oberhalb von Mary Jane´s rechtem Ellenbogen zeigt, nicht nur, wo ein weiteres Problem mit dem (zumindest von mir verwendeten) Bild liegt (Rasterung), sondern, dass hier
eigentlich sogar wesentlich mehr an der Rückwand eingraviert zu sein scheint: (Siehe
2.Bild unten)
Kann das jemand lesen? Ein Abdruck auf dem Foto wird es wohl nicht sein, es schließt mit Kelly´s Arm ab. (Auf dem unteren Ausschnitt habe ich zur Verdeutlichung noch mal kurz an der Gradation geschraubt.) Das Untere sieht aus wie F+P+M+2“ oder „F+P+M+?“ ? Das darüber kann ich gar nicht wirklich lesen, irgendwas mit „RS“ am Schluss...? Auf dem mir als Basis verwendetem Bild war das gar nicht so auffällig, aber ich habe schon ein anderes (ob nun anderer Scan oder andere Bearbeitung) gesehen, wo das Wandgekrizzel noch wesentlich deutlicher zum Vorschein kam – Leider finde ich es gerade nicht.
Jetzt wäre natürlich interessant zu wissen, ob das tatsächlich auch aus dem Scan eines Originals herauszuholen ist!?P.P.S.: (@ Scharfnase) Wie man sieht, gibt es bei uns in Österreich eine Menge Bildbearbeitungsprogramme! (Ich habe hierfür zumindest insgesamt 3 verwendet, für genaueres Arbeiten und Analysieren reicht Photoshop allein eigentlich nicht aus.)