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Vossische Zeitung, 03. Oktober 1888

London, 2. Oktober
Der Doppelmord im Ostende bildet fortgesetzt das allgemeine Tagesgespräch in London und drängt alle anderen Ereignisse tief in den Hintergrund. Die Zeitungen füllen ihre Spalten mit langen Berichten über die beiden Morde, und die meisten knüpfen daran Leitartikel und andere Betrachtungen, worin hauptsächlich über die Rathlosigkeit geklagt wird, mit welcher die Polizei den sich so rasch wiederholenden grausigen Unthaten gegenübersteht. Gestern begann der Leichenbeschauer die Untersuchung über die mit der Ermordung der Elizabeth Stride in Berner-street, Commercialroad, verknüpften Umstände. Der Schauplatz des Mordes ist ein schmaler Gang nach dem Hof eines Gebäudes, in welchem der internationale Arbeiter-Bildungsklub, eine kommunistischer Verein, dem viele Deutsche, Russen und Polen als Mitglieder angehören, seinen Sitz hat. Die Leiche wurde von dem in später Nachtstunde in seinem Wagen von einer Reise zurückkehrenden Verwalter des genannten Klubs, Louis Deimschütz, entdeckt. Der Mord wurde verübt, während in dem Klub bei offenen Fenstern diskutiert, gesungen und getanzt wurde. Das Geräusch des herannahenden Wagens muß den Mörder verscheucht haben, ehe er Zeit hatte, sein Opfer in der gewohnten Weise zu verstümmeln. Der mit weit entsetzlicheren Umständen verknüpfte Mord in Mitre Square ist in tieferes Dunkel gehüllt, als das Verbrechen in Berner-street, das Opfer desselben ist noch nicht identifiziert. Die beiden Morde sind thatsächlich mit einer Gewandtheit, einer Sicherheit und einer Heimlichkeit begangen worden, die von großer Erfahrung und genauer Lokalkenntnis zeugen, welche nur ein Mensch haben kann, der die Gewohnheiten und die Schlupfwinkel seiner Opfer genau kennt und längere Zeit in der Nachbarschaft gewohnt hat. Der Mörder scheine seine teuflische Mordsucht hinter einem anständigen, artigen Benehmen zu verbergen und seine Opfer erkennen die Gefahr wahrscheinlich erst, wenn es zu spät ist.

Seitdem vorstehende Korrespondenz geschrieben wurde, haben neue Entdeckungen die in London herrschende Aufregung noch gesteigert. Hierüber erhalten wir folgende Meldung:

London, 3. Oktober (Eig. Dratber. Der „Voss. Ztg.“)
Gestern wurde eine neue grässliche Entdeckung gemacht, welche auf die kürzliche Verübung eines geheimnisvollen Verbrechens schließen lässt. Beim Niederreißen eines unvollendet gebliebenen Opernhauses am Themsequai, unweit des Parlamentsgebäudes in Westminster wurde in den Kellerräumen eine in einen Unterrock gehüllte, schon stark verweste Frauenleiche gefunden, welcher Kopf, Arme und Beine fehlten. Unlängst waren an verschiedenen Punkten Westlondons zwei Frauenarme gefunden worden, welche muthmaßlich zu dem entdeckten Rumpfe gehören.

 

Thomas Schachner
(Dokument zuletzt bearbeitet am 20.11.04)