Hamburger Fremdenblatt – 21. September
1888
Die Morde in London. London 20. September
Die Polizei verhaftete vorgestern, wie bereits kurz berichtet,
einen deutschen Barbiergesellen, Namens Karl Ludwig, weil er gedroht
hatte, einen jungen Menschen Namens Alexander Lineberg zu ermorden.
Vor seiner Verhaftung wegen dieses Vergehens hatte ein Constabler
ihn in einer dunklen Sackgasse mit einem Frauenzimmer gesehen,
welche später sagte, er (Ludwig) hätte sie geängstigt,
indem er ein großes Messer aus seiner Tasche gezogen. Auf
dem Wege nach der Polizeiwache warf Ludwig ein Messer mit einer
langen Klinge weg und bei Durchsuchung seiner Person, wurde ein
Rasiermesser und eine Schere bei ihm gefunden. Der Richter des
Themse-Polizei-Gerichtes welchem Ludwig vorgeführt wurde,
stellte den Angeklagten um eine Woche zurück und mittlerweile
stellte die Polizei Recherchen an, ob er nicht irgendwie mit den
jüngsten grausigen Morden in Whitechapel in Verbindung stehe.
Ludwig kam vor etwa 15 Monaten von Hamburg nach London und ist
etwa 40 Jahre alt. – Ausschreitungen gegen Freuen scheinen
jetzt in London an der Tagesordnung zu sein. So wurde gestern in
Dover-Street, Piccadilly, in einem der sasbionablesten Teile Londons,
eine Frauensperson von einem angeblich anständig gekleideten
Mann angefallen, welcher ihr einen Messerstich in die linke Schläfe
versetzte und auch versuchte, ihr den Hals abzuschneiden. Die Frau
liegt schwerverwundet darnieder und ihr Angreifer entkam. Ein an
den Minister des Inneren gerichtetes Gesuch, für die Entdeckung
des Verübers der jüngsten Mordtaten in Whitechapel aus
Staatsmitteln eine Belohnung auszusetzen, ist von diesem abschläglich
beschrieben worden, da wie er sagt, „die Erfahrung der letzten
Jahre gelehrt habe, dass die Aussetzung von dergleichen Belohnungen
dazu geeignet sei, mehr Übles als gute zu stiften.“ – Die
während der letzten Tage geführte Leichenbeschauungsuntersuchung über
die ermordete Annie Chapman förderte nichts zu Tage, was zur
Entdeckung des Mörders führen könnte. Der Arzt Dr.
Phillips erklärte im Laufe der gestrigen Verhandlung. Dass
das Messer, mit welchem die brutale Verstümmelung bewirkt
worden sei, mindestens 5-6 Zoll lang gewesen sein müsse und
die gemachten Schnitte eine anatomische Kenntnis verrieten. Er
selbst würde ohne Gegenwehr 15-20 Minuten zu einer solchen
Operation gebrauchen.
Jan Schattling
(Dokument
zuletzt bearbeitet am 20.11.04)