Berliner Tageblatt, 04. Oktober
1888
Die Weibermorde in London,
so schreibt unser Londoner Korrespondent, dürften noch immer nicht ihren
Abschluß gefunden haben. Man schließt dies u. A. aus einem anfangs
für einen schlechten Scherz erachteten Brief eines Anonymus an die Redaktion
der telegraphischen Korrespondenz „Central-News“. Das wüste,
höhnische und in rohem Jargon geschriebene Dokument ist vom 25. September
datiert und lautet:
„Lieber Alter! Ich höre noch immer, dass die Polizei
mich schon „gekriegt“ hat, aber sie werden mich nicht
so bald „fixieren“. Ich lache darüber, wenn sie
so pfiffig aussehen und davon schwätzen, auf der richtigen
Fährte zu sein. Kapitaler Spaß mit „Leder-Schürze“!
Fiel fast um! Ich will den H----- den Garaus machen, und ich werde
mit dem Zerschlitzen nicht aufhören, bis ich „eingeschnallt“ bin.
Famoses Stück war letzte Arbeit, ich gab dem Weibe kaum Zeit,
auch nur zu kreischen. Wie wollen sie mich jetzt fangen? Ich liebe
meine Arbeit und werde damit fortfahren. Sie werden sehr bald wieder
von diesem kleinen Spiele hören. Ich habe etwas von dem rothen
Stoff in einer Ingwer-Bierflasche aufgefangen beim letzten Mal,
um damit zu schreiben, aber er wurde so dick wie Leim und kann
nicht gebraucht werden. Rothe Tinte ist gut genug dazu. Ha! Ha!
Bei der nächsten Arbeit werde ich dem Weibe die Ohren abschneiden
und der Polizei zusenden, just um des Spaßes willen, nicht
wahr? Behalten Sie diesen Brief, bis ich mehr gethan! Dann heraus
damit! Mein Messer ist hübsch und scharf. Soll gute Arbeit
werden, sobald Gelegenheit. Glück auf!
Ihr ergebener
Jack, der Auschlitzer
Mir liegt nichts an solchem schlechten Namen. War nicht fertig,
dies früher zu senden. Ich habe all’ den rothen Stoff
jetzt von den Händen. Noch keine weitere Chance. Die sagen,
ich sei ein Doktor! Ha! Ha!“
Der ganze Brief ist mit rother
Tinte geschrieben in deutlicher, guter Schrift. Vier Tage später
erfolgten die neuesten beiden Morde. (Inzwischen ist noch ein dritter
konstatiert. D.R.)
Auch aus der Klasse der der Weiber der Gasse und bei einer der
Verstümmelten ist wahrgenommen, dass in der That der Versuch
gemacht wurde, ihr beide Ohren abzuschneiden, wobei der Mörder
muthmaßlich gestört wurde. Die Redaktion fügt hinzu,
dass sie den Brief der Polizei behändigt habe. Die Aufregung
in London, schreibt unser Korrespondent, sei in stetem Steigen
begriffen. In der sonst am Sonntag so stillen City seien die zu
den Thatorten führenden Straßen in einer viertel deutschen
Meile Länge mit Menschen voll gepfropft gewesen, die sich
erst zerstreuten, nachdem die Polizei die Versicherung wiederholte: „Nichts
mehr zu sehen! Leichen längst fortgeschafft, auch alles Blut
abgewaschen!“ Da Matthews, der Minister des Innern, dabei
beharrt, keine Belohnung für die Entdeckung des Verbrechers
auszusetzen, wird eine Petition an die Königin dieserhalb
vorbereitet. Unter den Hypotheken über den Geisteszustand
des Unbekannten, auf den jetzt alle Welt mit Erbitterung fahndet,
gehört nach Obigem auch die, dass man es mit einem hirnverbrannten
wilden Rachesucher an der niedrigsten Halbwelt zu thun habe, oder
gar mit Einem, der wüstem religiösen Wahnsinn verfallen,
dieselbe als Sünde aus der Welt ausmerzen wolle. Der Mörder
arbeitete mit großer Hast. Die Polizei im Ostend wird deshalb
massenhaft vermehrt, so dass bei Nacht jede Straße alle acht
Minuten patrouillirt werden kann.
Die „Central News“ empfing am 1. Oktober eine mit
Blut beschmierte Korrespondenzkarte in genau derselben Handschrift,
wie der veröffentlichte Brief. Darin heißt es:
„Liebes altes Haupt!
Ich machte keinen Scherz, als ich Dir die Wette klar machte. Du
wirst noch von anderen Leistungen Jacks hören, ehe viele Morgen
vergangen sind. Dieses Mal – zwei Mal Erster! Die eine kreischte
ein wenig. Konnte nicht mir ihr sofort fertig werden. Hatte nicht
die Zeit, ihre Ohren für die Polizei abzuschneiden. Besten
Dank dafür, dass Sie meinen ersten Brief nicht veröffentlicht,
ehe ich wieder an die Arbeit gegangen.
Jack, der Auschlitzer“
Niemand zweifelt hier mehr an der
Identität des grausigen
Mörders mit dem Schreiber jener […] (Anm.: Ein Wort
kann nicht identifiziert werden) Zeilen.
Thomas
Schachner
(Dokument
zuletzt bearbeitet am 20.11.04)