Tony Williams mit Humphrey Price „Uncle
Jack“
256 Seiten
Orion Books, 2005
ISBN: 0752867083
Nachdem wir lange genug von so genannten „Rätsels Lösungen“ verschont
geblieben sind, kommt nun ein Buch auf den Markt, welches wieder
einen neuen, bisher unbekannten, Tatverdächtigen genauer unter
die Lupe nimmt und dessen eindeutig bewiesene Schuld propagiert.
Aber ist uns dieser „Neue“ im Kreis der Verdächtigen
wirklich ein Unbekannter?
Nein - denn der angebliche Ripper ist diesmal kein geringerer, als
der berühmte Leibarzt der königlichen Familie und Gründer
der Walisischen Nationalbibliothek, Sir John Williams.
Manchmal möchte man einige Bücher erst gar nicht lesen,
tut es dann aber trotzdem, weil das Interesse überwiegt und
man dem Verlag die Rezension letztendlich schuldig ist.
Meine anfängliche Skepsis wurde schon auf den ersten Seiten
bestätigt, denn mit fadenscheinigen Argumenten versuchen die
Autoren eine Grundlage für ihre Theorie zu bilden. Angeblich
soll Williams an Mary Ann Nichols eine Abtreibung vorgenommen haben,
aber rein zufälligerweise hat er ihren Namen falsch geschrieben
und die Dame hieß dann Mary Anne Nichols. Weiterhin versuchen
uns die Autoren davon zu überzeugen, dass „ihr Ripper“ im
London Hospital gearbeitet haben soll. Da sie aber in den Aktenbeständen
des Krankenhauses keinen Eintrag finden konnten, schieben sie es
einfach mal auf die Tatsache, dass Williams dort wohl freiwillig
gearbeitet hat und eine schriftliche Erwähnung seinem Ruf als
praktizierender Arzt mit eigener Praxis hätte schaden können.
Hier taucht nun ein Widerspruch auf, denn die Pillen, die bei Annie
Chapmans Leichnam gefunden wurden, sollen ihr angeblich von Williams
verabreicht worden sein. Diesmal war er aber nicht Mitarbeiter des
London Hospitals, sondern in einem anderen Krankenhaus angestellt.
Er war zwar als „Workaholic“ bekannt, aber es ist sehr
schwer vorzustellen, dass er gleichzeitig in mehreren Krankenhäusern
der Region gearbeitet haben soll. Ganz nebenbei hatte er noch in
seiner eigenen Praxis behandeln müssen, und die königliche
Familie nahm seine Dienste zusätzlich noch des Öfteren
in Anspruch.
Die ganze Argumentationskette wäre ja insgesamt recht interessant,
aber der Schreibstil der Autoren ist so langweilig, dass man teilweise
in Versuchung gerät, einfach einige Seiten zu überspringen.
Wenn man ein Buch über „Jack the Ripper“ lesen möchte,
dann sollte dieses „Phänomen“ auch behandelt werden.
Stattdessen wird uns eine ausführliche Biographie von Sir John
Williams präsentiert. Sollte Interesse an der Person Williams’ bestehen,
seien andere Bücher empfohlen.
Was weiterhin negativ auffällt, ist die Tatsache, dass die Opfer
des Rippers gerade einmal auf nur zehn Seiten besprochen werden.
Lediglich mit Mary Jane Kelly beschäftigt er sich länger.
Zum „Herbst des Schreckens“ gehört allerdings etwas
mehr, als sich nur auf eine Person zu konzentrieren.
Hier kommen wir aber zu einem sehr interessanten Punkt des Buches.
Die beiden Autoren haben sich extrem viel Mühe gemacht, Licht
in das Dunkel von Mary Kellys Vergangenheit zu bringen. Dies war
für mich die einzige Passage im Buch, die tatsächlich Interesse
hervorgerufen hat. Ob hinter diesen ganzen Daten allerdings wirklich
Substanz steckt und sie einer genaueren Überprüfung standhalten,
bleibt abzuwarten. Zumindest wurde wieder ein neuer Anreiz für
die „Ripper-Gemeinde“ geschaffen, sich die Census-Daten
doch noch etwas genauer anzusehen.
Fazit:
Wer die „Jack the Ripper“-Bücher von Patricia
Cornwell, Shirley Harrison und Stephen Knight schätzt, wird
bei diesem Buch sicherlich nicht enttäuscht.
Für alle Leser, die sich in der Materie auskennen und eine
hieb- und stichfeste Argumentation erwarten, ist es lediglich ein „good
laugh“, wie es von einem Mitglied des casebook.org-Forums
treffend formuliert wurde. Alleine schon aufgrund dieser Tatsache,
sollte man sich das Buch in den Schrank stellen.
Thomas
Schachner
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