Hi
Dies mal außen vor gelassen, ist es wirklich kein Einfaches, von Jacks Taten auf seine Kindheit zu schließen, ohne die philosophische Ebene je zu verlassen…
Wir können ruhig mal etwas Philosophie mit einbringen
Ich stimme Irenes Ausführungen schon mal voll und ganz zu.
Dieses "Potential", aus was es nun immer bestehen mag, muss in Jack the Ripper geschlummert haben - denn ohne dieses Potential hätte auch das East End nicht solche Auswirkungen auf einen Menschen. Es ist ja gar nicht abzustreiten, dass ein von Gewalt geprägtes Umfeld das Ausbrechen dieses Potentials begünstigt. Nicht umsonst kommen auch in Deutschland die meisten Serientäter aus sozial problembehafteten Gegenden. Aber das soziale Umfeld spielt eben nur eine Rolle von vielen.
Das JTR von seinen Taten sexuell befriedigt wurde, heißt noch nicht das er so oder so zum Triebtäter geworden wäre. In einem anderen sozialen Umfeld hätte er vielleicht gelernt mit seinen Neigungen anders umzugehen und/oder eine Ersatzbefriedigung gefunden. Aber im East-End, wie in jedem Slum, war Gewalt gegen Frauen beinahe "legitim", zumindest an der Tagesordnung. Das machte es JTR auf jeden Fall leichter.
Da stimme ich dir auch zu einem Großteil zu. Das Vorhandensein dieser alltäglichen Gewalt und auch das allgemeine Umgehen mit der Gewalt im East End (da fallen mir diese drei Affen ein - nichts hören, nichts sehen, nichts sagen) haben es Jack the Ripper natürlich leichter gemacht. Gar keine Frage. Eventuell mag dies auch ein Phänomen sein, welches gerade in den Problemzonen den Ausbruch der Gewalt fördert.
Aber ich stelle mir auch folgende Frage (und bin froh, dass du sie aufgerufen hast): Hätte er tatsächlich in einem anderen sozialen Umfeld eine "Ersatzbefriedigung" gefunden. Dies ist natürlich auch wieder extrem spekulativ - aber unterstreichen würde ich dies nicht. Denn obwohl ein Großteil der Serientäter aus sozialen Hexenkesseln kommen, gibt es auch die anderen Beispiele, die belegen, dass es eine Art Point of no return gibt - nach dessen Überschreitung es kein zurück mehr für den Täter gibt. Man müsste sich fragen, inwieweit Jack the Ripper psychisch gestört war und wann er diesen Punkt überwunden hatte. Dies kann schon Jahre vor den Morden geschehen sein - oder erst wenige Sekunden vor dem ersten Mord. Dies ist natürlich nicht zu beantworten. Man kann leider nur sagen, dass es nach dem ersten Mord und der gefühlten Befriedigung wohl kein Umkehren mehr gab.
Und noch was ist mir eingefallen: Es kommt natürlich darauf an, wie konkret seine Fantasien gefasst waren. Joachim Kroll zum Beispiel wollte schon immer wissen, wie es ist, einen Menschen "aufzumachen". Jahrzehnte später tat er dies auch. Wenn Jack the Rippers Fantasie war, eine Frau "zu öffnen" - was hätte ihm schon eine Ersatzbefriedigung geben sollen?
Es ist eine verdammt schwere Frage, aber es ist auch einmal schön, in diesem Zusammenhang über die Rolle der Gesellschaft und des Sozialgefüges zu reden. Wir haben leider derzeit einen abscheulichen Fall eines Kinderschänders in Norwegen, der sich in einem gefestigten Lebensrahmen befand und sich nicht abhalten liess - bleibt die Frage, ob Jack the Ripper wirklich soweit vom East End getrieben wurde oder die Taten sowieso begangen hätte...und dies scheint die persönliche Meinung jedes Einzelnen zu bleiben.
Grüße, Isdrasil