Hi.
Also wenn man alle Aussagen von Ermittlern hernimmt, die wir heute kennen (vor allem die von Sagar und Cox über ihre Verdächtigen, aber auch von diversen anderen), wenn man sich einen möglichen Grund für ein eventuelles Schweigen oder für bewusste, wenn auch vertrauliche Falschaussagen der Polizei überlegt, wenn man sich bestimmte biografische Daten von Cutbush näher ansieht, wenn man sich jene Passagen in den Artikeln der
Sun, die im Gegensatz zu anderen Passagen nicht nachweislich auf Verwechslung oder Irrtum basieren, näher durchliest, die Artikel über seine Verhandlung betrachtet und das Ganze dann mit den
Aussagen von Cutbushs Tante im folgenden Artikel von 1891 vergleicht (mit denen sie ihn vermutlich eigentlich entlasten wollte), wird man feststellen, dass Mitglieder der Polizei allen Grund hatten / gehabt haben könnten, zumindest insgeheim zu glauben, dass er der Täter war, ganz egal, wen man als letztes Opfer sieht:
Lloyd´s Weekly 19. April 1891:
http://forum.casebook.org/showthread.php?t=1387Seine Tante bestätigte aus heutiger Sicht betrachtet in diesem Interview im April 1891, dass Thomas Cutbush seit etwa 2 Jahren (sagen wir also Frühjahr 1889) unter anderem aufgrund seines Studiums von (Medizin?-)Büchern vor allem seinem Arzt Dr. B. gegenüber so paranoid war, dass er fast nicht mehr aus dem Haus ging. Dass sein Zustand so schlimm wurde, dass sie und seine Mutter ihn letzten Endes im März 1891 (also kurz nach der Ermordung von Frances Coles) mit Hilfe der Gemeinde schweren Herzens von 5 Männern ins St. Saviour´s Infirmary in Newington als Privatpatienten (!) bringen ließen, von wo aus er, Mauern überwindend und sich Kleidung organisierend (weil ursprünglich ohne Hose), trotz Bewachung flüchtete - worauf sich auch die
Sun drei Jahre später bezog – offensichtlich hatte Macnaghten recht: die Artikel beschrieben definitiv Cutbush. Die Tante bestätigte auch, dass ihn seine Flucht nach Camden zu einem Mann führte, also dahin, wo auch die
Sun später schrieb, dass ihr Verdächtiger ein Pärchen um Hilfe anflehte, womit anzunehmen ist, dass auch diese Passage in den Artikeln zumindest annähernd korrekt ist, in welcher der männliche Teil des Pärchens den Verdächtigen folgendermaßen zitiert (
Sun, 13. Februar 1894):
´
Sie müssen wissen, (...) dass sie sagen, dass ich Jack the Ripper bin – aber ich bin es nicht, obwohl all ihre Innenseiten (wörtlich ´inside´, auch ´ihr Inneres´, Anm.)
offen, und ihre Eingeweide alle heraußen sind. Ich bin ein Mediziner (wörtlich ´medical man´, Anm.)
, wissen Sie, aber nicht Jack the Ripper – Sie dürfen nicht glauben, dass ich es bin. Aber die tun das, und sie sind hinter mir her, und die Läufer sind hinter mir her, weil sie die 500 Pfund wollen, die für meine Ergreifung geboten werden, und ich habe nur Mädchen zerschnitten (wörtlich ´been cutting up´: auch in Stücke geschnitten, kleingeschnitten, Anm.)
und sie ausgelegt (wörtlich ´been laying them out´ – auch ausgestellt, bereitgelegt, Anm.).´ (Ganzer Artikel im Original:
http://www.casebook.org/press_reports/sun/18940213.html)
Cutbushs Tante bestätigte im Interview 3 Jahre davor jedenfalls auch plötzlich merkwürdigerweise ein Messer (obwohl sie ursprünglich sagte, dass sich ihr Neffe gar keines leisten konnte), und dass er es in den Minories bei Messers. D´s gekauft hat, wie er ihr nach seiner erneuten Ergreifung und Einlieferung (ob nun mit an den Rücken gefesselten Händen oder nicht, ist nicht überliefert
) mitteilte. Sie erklärte auch, dass die Zeitungen ihren Neffen älter schätzten, als er damals tatsächlich war.
Thomas Cutbush zu recherchieren und alles, was dabei zu Tage befördert wurde, adäquat auf Deutsch wiederzugeben, ist auf jeden Fall nicht einfach, dafür aber zeitintensiv, daher erwähne ich weiteres nur mehr kurz: Im Zeitraum nach den Veröffentlichungen der
Sun im Frühjahr 1894 berichteten wohl einige Zeitungen (auch in den Vereinigten Staaten) scheinbar auch davon, dass ein Polizist, der in der Nähe des Mitre Square Dienst hatte, nun ausgepackt hat und erklärte, dass das Individuum, das er dort sah, schließlich nach dem letzten Mord im Dartmoor Asylum aufgespürt wurde, nachdem es vorerst wegen eines geringeren Verbrechens zunächst in einer anderen Einrichtung nahe London untergebracht worden war. Ob er eigentlich ´Broadmoor´ und damit vielleicht Cutush gemeint haben könnte, ist natürlich offen, aber die Aberconway-Version des Macnaghten Memorandums bestätigt wohl, dass ein Polizist in der Nähe des Mitre Squares eine Beobachtung machte, wenngleich Macnaghten diese ´Kosminski´ zuordnete. Besagter Polizist will jedenfalls laut den Zeitungen im Besitz des Messers von ´Jack the Ripper´ gewesen sein. Als einer der in Frage kommenden Polizisten ist eventuell auch
Inspector William Nixon Race (damals jedoch eigentlcih klarerweise L Division Lambeth, und nicht ein PC der City Police, wie bei Macnaghten, und auch unwahrscheinlich am Mitre Square...) zu vermuten, also jener, der auch in obigem Artikel von 1891 vorkommt, da dieser ja Cutbushs Messer von dessen Familie ausgehändigt bekam. Mehr Infos über all dies findet sich z.Bsp. hier:
http://forum.casebook.org/showthread.php?t=530). Zusätzlich geistern auch noch Infos über angebliche Liegenschaften der Cutbushs in der
Fieldgate Street, Parish of St. Mary´s, Whitechapel durch die Gegend. (Diese Straße und ihre Umgebung nervt allmählich, zumal dort auch mal Jacob Levy und die Kosminskis zu finden waren, was wieder zu 1000en Spekulationen führen könnte...) Dann gibt es, und damit ende ich jetzt einmal, angeblich auch noch eine Geschichte, wonach ein Anstaltswärter Jahre später von einem Patienten berichtete, der zuerst Frauenkörper skizzierte, und anschließend Verstümmelungen - nicht hineinzeichnete, sondern - hinein
riss. Muss zwar überhaupt nichts mit Cutbush zu tun haben, zeigt aber zumindest wieder, dass Macnaghtens Entlastungsargumente nicht wirklich solche sind.
Mein persönliches Fazit : Gut möglich, dass einige Ermittler in Cutbush den Ripper sahen und ihn vielleicht auf verschiedenste Art und Weise bewusst schützen wollten, damit ´
ihr altes Department nicht darunter leidet´.
Wenn die Polizei damals den wahren Ripper (wer auch immer) wirklich irgendwie hinter Schloss und Riegel brachte, dann wohl eher zufällig und sehr wahrscheinlich ohne sich dessen eindeutig bewusst zu sein, oder es beweisen zu können.
Nichtsdestotrotz: Wenn Cutbush denn tatsächlich (egal wie) über die beiden Frauen ´herfiel´, und danach sieht es doch noch aus, spielt er vom jetzigen Stand der Dinge her betrachtet in einer ganz anderen Verdächtigen-Liga als die meisten anderen: Denn dann war er nicht nur ein verdächtig erscheinender Verrückter, oder ein verrückt erscheinender Verdächtiger, sondern tatsächlich ein gemeingefährlicher (soll heißen: nicht nur für sein privates Umfeld gefährlicher), gewalttätiger und unberechenbarer Verrückter – etwas, das man von fast keinem anderen Verdächtigen nachweislich sagen kann, sehr wohl aber klarerweise von Jack the Ripper, von dem ich aber nach wie vor annehme, dass er namentlich nicht bekannt ist....
Grüße,
panopticon