Autor Thema: Kurzer Versuch eines Steckbriefes...  (Gelesen 35001 mal)

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Irene Adler

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #45 am: 22.07.2005 17:19 Uhr »
@Claudia: Bei Dahmer muss ich Dir ein bisschen widersprechen. Der weist nämlich nur in sozialer Hinsicht Merkmale des unorganisierten Täters auf, keine Bindungen zu Eltern und Freunden z.B. Ansonsten hat er sehr planvoll gemordet und ja sogar versucht, seine Opfer "rückstandslos" zu beseitigen (Anwendung von Säure, Zerteilung in nicht mehr identifizierbare Stücke). Dass er "Trophäen" in seinem Kühlschrank aufbewahrte, hing wohl mit dem weiteren "Verwendungszweck" zusammen - nämlich aus den Überresten eine Art "Schrein" zu bauen oder sie z.T. auch zu verzehren.

@Scharfnase: Wenn Du den Ripper als unorganisierten Tätertyp siehst und die Briefe als Werk eines "Trittbrettfahrers" bewertest, ist das natürlich schlüssig. Dazu würde auch passen, dass sich die Aufklärung seiner Taten sehr schwierig gestaltete (und noch gestaltet ... ?), denn der unorganisierte Täter ist Dank seiner oft etwas chaotischen Vorgehens- und Denkweise für die Ermittler meist schwerer zu fassen als der planvolle. Aber da wäre die Sache mit der Niere, mit der sich Die Kralle dankenswerterweise schon etwas näher befasst hat. Und was ist mit "Number one squealed a bit" auf der Postkarte vom 1.10.1888? Das konnte doch eigentlich nur der Täter wissen, genau wie die Sache mit dem Versuch, ein Ohr für den "dear boss" von einer der Leichen zu entfernen ... "hatte keine Zeit, die Ohren für die Polizei mitzunehmen".

nikurt

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #46 am: 22.07.2005 18:51 Uhr »
Hi Irene!

Ganzganz kleiner Tipp: Du findest hier im Forum eine Menge postings (falls das nicht reicht: casebook.org) nach denen du leicht rekonstruieren kannst wann welche Info öffentlich zugänglich war und wann welcher Brief wo auftauchte.
Was du hier schreibst ist der absolute Traum jedes Rippies seit 117 Jahren: Eine schriftliche Mitteilung die Infos enthält die nur der Täter haben konnte und die daher authentisch sein MUSS.
Aber leider, alles Illusion...
nikurt

Offline Claudia

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #47 am: 23.07.2005 00:20 Uhr »
Hi Irene!


Nun gut,vielleicht war Dahmer nicht das beste Beispiel,er fällt tatsächlich in beide Kategorien,wobei man über das planvolle Töten streiten kann.
Ist aber auch egal,wir könnten auch Tschikatilo nehmen(eigentlich unorganisiert,aber auch intelligent).Mir ging es eigentlich darum,daß auch ein unorganisiert vorgehender Täter nicht zwangsläufig dumm sein muß.
Im Gegenteil,es kann ja auch einem intelligenten Menschen klar sein,daß er auf diese Art(ohne Verbindung zu den Opfern,schnell zuschlagend usw) die wenigsten Spuren hinterlässt.Je mehe er sich mit dem Opfer befasst(zB zur Beseitigung usw)desto größer die Wahrscheinlichkeit,daß eine Verbindung zu ihm hergestellt werden kann.
Überdies spielen die individuellen Lebensverhältnisse eine große Rolle,im damaligen Eastend lebte man sehr beengt.Sicherlich hätte auch Jack the Ripper gerne mehr Zeit bei den Opfern verbracht,offenbar hatte er diese Möglichkeit aber nicht.Daß er eine gewisse "Abgeschiedenheit" aber nutzte,wenn sie ihm zuteil wurde,zeigt der Mord an Mary Kelly.
Ich weigere mich nur,anzunehmen,daß ein Täter mit dieser Vorgehensweise zwangsläufig dumm sein muß,das denke ich nicht.
Ich glaube auch,daß die Unterscheidung in organisiert und nicht-organisiert eher auf Täter der heutigen Zeit anzuwenden ist,damals waren die gesamten Lebensumstände andere.Kaum einer hatte auch nur ein Zimmer für sich,von Mobilität ganz zu schweigen.Anders gesagt:Hätte Dahmer damals gelebt,hätte er wahrscheinlich kein Appartement bewohnt,sondern allenfalls in einer billigen Unterkunft mit mehreren Zimmergenossen genächtigt.Auch ihm wäre dann nichts übriggeblieben,als direkt auf der Straße zu morden.

Grüße,Claudia

Irene Adler

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #48 am: 23.07.2005 02:47 Uhr »
@nikurt: Klar hätte der Schreiber der Saucy-Jacky-Postkarte den Text des Dear-Boss-Briefes sowie den Hinweis auf die Ohren dem Daily Telegraph vom 1.10. entnehmen können. (Nebenbei bemerkt hieße das, dass er ziemlich früh die Zeitung gelesen, dann alle berichteten Tatsachen akribisch verglichen und danach, auch wieder recht zügig, wenn man den Poststempel in Betracht zieht, seine seltsame Epistel abgeschickt haben müsste, aber na gut, alles möglich.) Wofür ich aber noch nicht den rechten Zusammenhang gefunden habe (vielleicht kann mir die geschätzte Leserschaft da weiterhelfen), ist das "Quieken" von "number one" - oder wie immer man squeal übersetzen möchte. Es gibt in mehreren Presseberichten den dezidierten Hinweis, dass während der vermutlichen Tatzeit eben kein Schrei zu hören war. Und einzig der STAR berichtet an diesem Tag vom Zeugen Schwartz, der die Begebenheit vor der Tatzeit in der Berner Street beschreibt - die "nicht sehr lauten" Schreie der Stride könnte man natürlich auch als "squeal" interpetieren.

@Claudia: Es ist wirklich schwierig, einen Täter immer der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen, da hast Du völlig recht. Im Gegensatz zu Scharfnase hänge ich aber an meiner Vorstellung, dass man es beim Ripper mit einer intelligenten Täterpersönlichkeit zu tun hat (da bin ich Deiner Meinung). Gerade deshalb habe ich ja die Profiling-Liste zitiert - m.E. passt die nämlich auch in "unserem" Fall irgendwie so garnicht durchgängig. Und wie Du schon andeutetest, ein intelligenter Täter wäre in der Lage, absichtlich planlos zu handeln um Spuren zu verwischen ...

nikurt

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #49 am: 23.07.2005 21:48 Uhr »
Hi Irene!

Sorry, ich bin offenbar z´blöd deine postings zu durchschauen...
Könntest du vielleicht deine Aussagen für einen unterbelichteten Ösi ein bisschen konkretisieren??
Vielen Dank nikurt

Irene Adler

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #50 am: 29.07.2005 22:08 Uhr »
Hi nikurt,

sorry, dass mein letztes Posting wohl etwas wirr und ungeordnet war - aber vielleicht kennst Du das, wenn man in einer Sache "drin" ist, denkt man dass alle anderen die eigenen Gedankensprünge doch verstehen müssen. (Den unterbelichteten Ösi nehm ich Dir übrigens sowieso nicht ab. ;-))

Also, ich versuch's nochmal etwas strukturierter:

Problematik: Wenn man nachweisen könnte, dass eine in den JTR-Briefen erwähnte Tatsache nur der Mörder hätte wissen können, wäre man einen Schritt weiter -> Briefverfasser=Täter

Allg. Behauptung: Es gibt KEINEN schlüssigen Beweis dafür, dass der Briefschreiber auch der Mörder sein muss. ("Others believe a hoaxer could have gleaned details of both the previous letter and the murders in an early morning paper of October 1st." -> casebook)

Überprüfung der Behauptung anhand der Saucy-Jacky-Karte:

1. "Hatte keine Zeit die Ohren für die Polizei abzuschneiden."

a) bezieht sich der Schreiber auf den Dear-Boss-Brief ("Beim nächsten Mal schneide ich die Ohren der Dame ab und schicke sie den Polizisten"), muss den Brief also gekannt haben und/oder der Täter sein. Den Brief hätte er der Ausgabe des Daily Telegraph vom 01.10.1888  entnehmen können, wo dieser meines Wissens erstmalig veröffentlicht wurde, hätte dann aber am selben Tag die Postkarte schreiben und zügig abschicken müssen, da sie den Poststempel vom 01.10.1888 trägt.

b) fand er den Hinweis auf den Versuch, der Leiche ein Ohr abzutrennen, sowohl im Telegraph ("in the case of his last victim the murderer made an attempt to cut off the ears") als auch in der Daily News vom 01.10. ("the left ear and the nose being almost cut off"). Würde allerdings auch wieder zeitiges Sichten der Zeitungen, schnelles Schreiben der Postkarte sowie zügiges Abschicken bedeuten. Ist alles möglich, wie ich in meinem letzten Posting schon sagte.

2. "Vielen Dank, dass sie den letzten Brief zurückgehalten haben, bis ich wieder an die Arbeit gehen konnte."

Bezieht sich wohl auf "Halten Sie diesen Brief zurück, bis ich noch ein bißchen mehr gearbeitet habe, dann geben sie ihn sofort heraus" aus dem Dear-Boss-Brief. Daran hielt sich die Polizei kurioserweise wohl, wenn auch unabsichtlich: verfasst am 25.09, Poststempel am 27.09., Eingang bei der Polizei am 29.09., Veröffentlichung im Daily Telegraph am 01.10.
Könnte also ebenfalls am 01.10. der Presse entnommen und im Text der Postkarte verwendet worden sein.

3. "Nummer Eins hat etwas gequiekt."

Diese Tatsache - wenn sie denn stimmt - wird sowohl in der Daily News als auch im Telegraph verneint ("But one of the most extraordinary incidents in connection with the crime is that not the slightest scream or noise was heard"), wenn man sie auf einen (Hilfe-)Schrei direkt vor der Tat bezieht. Das hätte also nur der Täter wissen können.
Alternativ kann es natürlich denkbar sein, dass mit dem "Quieken" der Schrei der Frau aus der Zeugenaussage von Israel Schwartz gemeint war. -> "Tatsächlich gab der Zeuge Israel Schwartz an, dass er Elizabeth 'dreimal schreien, aber nicht laut' hörte."
Diese Zeugenaussage wurde in der Ausgabe des STAR vom 01.10.1888 wiedergegeben, wenn auch nicht wörtlich von einem Schrei die Rede war: "Before he had gone many yards, however, he heard the sound of a quarrel, and turned back to learn what was the matter".

Das würde also zusammenfassend bedeuten, auch wenn ich mich wiederhole: Wenn der Schreiber der Saucy-Jacky-Postkarte NICHT der Täter war, hätte er Berichte aus DREI VERSCHIEDENEN Zeitungen lesen, richtig interpretieren und in den passenden logischen Zusammenhang setzen müssen. Die Frage an Dich/Euch wäre: Für wie wahrscheinlich haltet Ihr das?

Offline Claudia

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #51 am: 30.07.2005 00:01 Uhr »
Hallo Irene!

Nun,ich würde es für sehr wahrscheinlich halten,daß ein Trittbrettfahrer,dem es ja schließlich auf Öffentlichkeit ankommt,die entsprechenden Zeitungen genau und recht zügig nach Hinweisen durchforstet.
Man könnte auch mutmassen,daß der Schreiber selbst der Pressezunft angehörte und so bestens informiert war.Möglicherweise versuchte er,die Rippersache etwas "aufzuwerten" ,um  bessere Schlagzeilen zu bekommen.Ein briefeschreibender Ripper interessierte die Menschen natürlich in besonderer Weise.

Was ich nicht ganz verstehe ist,warum Du dem Hinweis auf das "Quieken" so große Bedeutung zumisst.Sowas hätte doch jeder schreiben können,einfach auf gut Glück,spezielles Täterwissen ist es jedenfalls nicht.
Im Gegenteil,bei einem solchen Hinweis könnte niemand das Gegenteil beweisen und somit den Trittbrettfahrer entlarven.Der wirkliche Täter hätte meines Erachtens,um als authentisch anerkannt zu werden,andere Details genannt.

Grüße,Claudia

nikurt

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Kurzer Versuch eines Steckbriefes...
« Antwort #52 am: 30.07.2005 21:31 Uhr »
Hallo zusammen!

Thx, jetzt hab ichs auch kapiert!
Nun, für sooo unwahrscheinlich halte ich es nicht dass Leut die hoaxten sich um einige Sorgfalt bemühten...siehe den "From Hell"Brief nebst Beilage! Immerhin hätte die Niere von Eddowes stammen können. Da steckte schon einiges an Aufmerksamkeit dahinter...
Aber egal wie wir es auch drehen und wenden, es gibt KEINEN Beweis dass einer der Briefe authentisch ist.
Grüsse nikurt