Hallo lieber Sherlock,
Danke erst einmal. Nun, selbstverständlich muss man nicht ein Anhänger der Kosminski Theorie sein. Wie alle anderen, ist es eben nur eine Theorie. Jeder versucht so gut wie möglich, seine Theorie zu begründen. Was ich hauptsächlich mache, ist ganz tief ehrlich zu mir selbst zu sein. Mich interessiert, wie die Wahrheit aussehen könnte, unabhängig davon, ob sie mir gerade passt oder nicht. Ich beschäftige mich mit vielen Theorien, in denen ich genauso vorgehe. Jacob Levy z.B. interessiert mich enorm. Mit dieser Theorie setze ich mich intensiv auseinander aber ich finde hier und da Dinge, die mich nicht so überzeugen, wie die bei Kosminski. Was viele vielleicht gar nicht denken würden, ich lebe ganz bewusst damit, dass ich vollkommen falsch liegen könnte. Mich interessiert vor allem der Prozess, in dem ich stecke. Bei der Beschäftigung mit JtR habe ich unglaublich viele Dinge gelernt, die mich haben reifen lassen als ganz normalen Mensch. Den Mann, den wir für Kosminski halten, Aaron Kozminski, muss vielleicht nichts mit diesem “Kosminski“ zu tun haben. Ich versuche ehrlich das Beste aus der Sache zu machen. Nun muss natürlich jeder in seiner JtR Welt entscheiden, was er für die Wahrheit hält, vom kleinsten Detail bis zum Nennen seines Verdächtigen. Ich bin glücklich mit meiner Theorie und das ist das wichtigste. Jeder soll mit seiner Theorie glücklich werden. Ist er es nicht, trage ich dafür nicht die Verantwortung, so denke ich. Die Welt der Ripperologie ist riesig, ein ganzes Universum und ich bin darin unterwegs. Es gibt dort nichts, was es nicht gibt. Was es gibt, ist vor allem große Unsicherheit, was vollkommen normal ist. Ich schwirre dort als kleines Teilchen herum aber eben vollkommen zufrieden. Und sein wir ehrlich, wen interessiert das und vor allem, wer interessiert sich für den Menschen der ich bin? Da habe ich vollkommen losgelassen. Ich habe das an anderer Stelle bereits erwähnt, wenn 100 Leute in einem Raum mit ihren 100 Verdächtigen sitzen, kann maximal eine Person mit seinem Verdächtigen richtig liegen, falls überhaupt. Was ich damit sagen will ist, in der Ripperologie kann man in vielerlei Hinsicht nur falsch liegen. Ich werde es nicht erleben, falls der Fall eines Tages “gelöst“ wird. Ich werde niemanden etwas beweisen können und mir jemand anders auch nichts. Ich denke, dass ist die einzige Wahrheit in unserem Hobby. Was kann einem schon passieren, wenn man am Ende falsch liegt? Wenn ich falsch liege? Man wird mich nicht hinrichten oder lebenslänglich verurteilen, man kann mir nichts wegnehmen. Man kann mit vielleicht mit Häme oder Schadenfreude reagieren aber das ist eben das, was es ist, wer so fühlt, muss genau damit leben, nicht schön und Strafe genug. Ich habe vieles im Leben gesehen, auch viele schlimme Dinge, so etwas berührt mich schon lange nicht mehr. Deswegen kann ich gar nicht verlieren und offen für meine Ansichten einstehen, die ich nach besten Wissen und Gewissen helfend einbringe. Für so etwas kann man nicht belangt werden.
Um vielleicht meine Theorie etwas anders darzustellen, ich habe von Anfang an geglaubt und nach all dem intensiven Studium heute noch mehr als früher, dass Sagar´s Verdächtiger aus der Butchers Row Jack the Ripper war. Ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um Kosminski handelte oder nicht. Ich hoffe, Du kannst nachvollziehen was ich meine, der kühle Kopfmensch sagt “Kosminski“/ Aaron Kozminski, der intuitive Mensch in mir sagt, der Schlachter aus der Butchers Row/ Aldgate.
Nun hoffe ich dein Anliegen richtig verstanden zu haben. Laut Anderson war Kosminski eine “ruhige und harmlose Person“ aber sprach im gleichem Atemzug auch über das Gegenteil, wenn es “über ihn kam, dass seine Grausamkeit keine Grenzen kannte“. Wie wollen wir das nun interpretieren? Die meisten Serienkiller wirken nach außen ruhig und harmlos und geraten dennoch früh in das Visier der Polizei und das aus den unterschiedlichsten Gründen. Ich denke dabei z.B. an Gary Ridgway. Übrigens ist das erwähnte Zitat nur ein Zitat, vermutlich hat es gar nichts mit “Kosminski“ zu tun aber, aufgrund der Aussage Sagars, könnte es ähnlich bei seinem Verdächtigen gewesen sein. Ich denke, dass ruhig und harmlos ist die Wahrnehmung, die man von ihm hatte, wenn man ihn sah oder schlicht an ihm vorbeiging. Die Leute, die ihn z.B. in den Mordnächten begegneten, hatte genau diesen Eindruck von ihm. Es mag vielleicht Kollegen gegeben haben oder Familienangehörige, die etwas anderes bei ihm beobachtet oder mit ihm erlebt haben. Es können Informationen von Ärzten gewesen sein. Als Beispiel nenne ich Richard Trenton Chase. Die Krankenschwestern beobachteten an ihm und erlebten mit ihm Dinge, die sie veranlassten eine Entlassung zu überdenken. Fachkräfte waren anderer Meinung. Und er tat dann wirklich grausame Dinge. Sagar sagte, sein Verdächtiger war der Polizei gut bekannt. Es kam vielleicht deshalb nie zu Anklagen, weil es Nichtigkeiten waren, an denen niemand damals einschätzen konnte, dass es Vorzeichen für schlimmeres sind. Im Falle von Kosminski hatte die Polizei keine handfesten Beweise. Auch damals musste man als Anklage diese Beweise haben. Was nützt es, wenn er um die Tatzeitpunkte an den verschiedensten Tatorten gesehen wurde? Er hatte vielleicht Gründe, genau dort zu sein. Was nützt es, wenn ihm blutige Kleidung zugeordnet hätte können? Er war vielleicht Schlachter oder hatte eine tatsächliche Verletzung. Was nützt es, wenn Schwartz und Lawende ihn nicht hatten identifizieren können? Lawende war niemals sicher, ob es Eddowes war, Schwartz sah etwas, eine Viertelstunde vor der Ermordung von Stride, vielleicht konnte auch er BS Man nicht als Kosminski identifizieren. Nach all den Jahren denke ich, dass genau diese beiden Männer, Schwartz und Lawende, Kosminski nicht identifizieren konnte und das war fatal für die Polizei und spielte Kosminski in die Karten. Vor Gericht hätte es Kosminski entlastet: “Mr. Lawende, ist dieser Mann die Person, die sie an der Church Passage gesehen haben? Nein!“. Mr. Schwartz, ist dieser Mann die Person, die das Opfer angegriffen hatte? Nein! BS Man muss nicht der Mörder von Stride gewesen sein, Swanson notierte, dass bei der Sichtung von Lawende, Eddowes offenbar bereits 5 Minuten tot war. Bei so etwas, musste die Polizei Kosminski gehen lassen, das einzige was möglich war, war eine Observation dieses Mannes. Das alles wäre gelebtes Recht gewesen. Am Ende gab es nur die many circumstances, die Macnaghten erwähnte. Das einzige was es jemals gab, zur Überführung, war der Seaside Home Zeuge, der zum großen Bedauern von Anderson und Swanson seine Meinung änderte, nachdem dieser mitbekam, dass der andere auch ein Jude ist. Das ist gelebte Tragik. Kosminski erfüllte zur Zeit der Morde das typische Klischee eines Sereinkillers, ruhig und harmlos, unauffällig. Wie bei allen anderen auch, falls er der Ripper war, wissen wir, dass es nicht die Wahrheit ist. Wir beide hätten ihn in unserer oberflächlichen Wahrnehmung genauso gesehen. Wenn Freunde zu den Kosminskis gegangen sind, dann hatte das sicherlich verschiedene Gründe. Das sie Zweifel hatten, dass dieser ruhige harmlose Typ, eben vielleicht gar nicht so ist. Gerüchte machen sich breit, sie nehmen Veränderungen an ihm war (eine Beschattung hatte er möglicherweise mitbekommen), “Geheimnisse“ kommen an das Tageslicht, man weiß, dass er mehrmals bei der Polizei vorstellig wurde, Prostituierte berichten über Erlebnisse mit ihm, Menschen erinnern sich an Begegnungen mit ihm, man erfuhr alles wahrscheinlich aus erster Hand durch die Freundschaft mit der Familie, die vielleicht Dinge berichteten, die sie nicht wahrhaben wollten, von den Freunden aber anders interpretiert wurden usw.
Ich hoffe, dass reicht als Antwort.
Herzliche Grüße, Lestrade.