Hallo
Kurze Bemerkung zum Vorposting: Gegen 1860 endete die literarische Romantik, die Kunst des ausgehenden 19. Jh, speziell der 80er Jahre desselben, war stilistisch geprägt durch die Vorwegnahme des fin de siecle und des Jugendstils. Und nun sage man mal allen Ernstes, daß diese Stile nicht romantisch oder zumindest romantizistisch waren...
Aber JtR war kein Künstler und seine Opfer keine Kunstobjekte (erinnert Euch mal an die Happening-Auswüchse der frühen 70er Jahre z.B. von Otto Mühl. Blut, Eingeweide, Kot, und natürlich junge unbekleidete Frauen, war alles dabei, oder?)
Hinlänglich bekannt ist, daß es zwei Grundtypen von Serientätern gibt, unorganisierte und organisierte. Zur Lektüre seien empfohlen:
http://www.der-serienmoerder.de/scripts_de/aufsaetze/aufsaetze01.htmlund folgende Statistiken:
http://www.der-serienmoerder.de/scripts_de/forschung/epidemiologie01.htmlhttp://www.der-serienmoerder.de/scripts_de/forschung/phaenomenologie01.htmlhttp://www.der-serienmoerder.de/scripts_de/forschung/synopse_serientaeter01.htmlhttp://www.der-serienmoerder.de/scripts_de/forschung/psychische_stoerungen01.htmlDennoch, das 19. Jh bleibt wohl ein weißer Fleck auf der Landkarte der Kriminalpsychologie. Sicher angenommen werden kann aber, daß sich die Bedürfnisse der Menschen von unseren nicht allzu sehr unterschieden. Man versetze sich nun vorübergehend ins viktorianische England. Die soziale Kontrolle ist extrem und Abweichungen davon, die sich meist in der Pubertät zeigten, werden schnell erkannt. Die Behandlung der Abweichungen aber war abhängig von der sozialen Schicht. Der Adel konnte sich erlauben, was er wollte, die Problemkinder der Oberschicht kamen in Internate. Versagten auch dort Therapieversuche, meist in Gestalt von Zwangsmaßnahmen, kamen diese Kinder zurück in ihre Familien und wurden dort unter Verschluß gehalten. Angehörige der Mittel- und Unterschicht befanden sich auf einer Einbahnstraße, deren Ende allzu oft die Irrenanstalt darstellte. Und davon gab es VIELE und die waren VOLL, auch mit jungen "Patienten".
Da ich überzeugt bin, daß Jack vom organisierten Typus war, übergehe ich seine unorganisierte soziale Evolution. Solltet Ihr mir widersprechen, was ich hoffe (sachliche Kritik ist das beste Mittel, sich aus gedanklichen Sackgassen zu befreien), werde ich auch über diesen Aspekt nachdenken und posten.
Vorausgesetzt sei, daß Jack ein Kind der upper class ist.Uppie-Jack pubertiert also und fällt vielleicht durch folgende Dinge auf:
-Er wird auffällig oft beim Onanieren erwischtFolge: Die viktorianische Sexualmoral schlägt beinhart zu. Mutter oder Nanny lassen ihn nicht unbeaufsichtigt, ihm wird nächtens eine Art Keuschheitsgürtel angelegt. Sollte es ihm doch gelingen, seinen Trieb auszuleben, so bleibt das nicht unbemerkt und er wird drakonisch bestraft.
Ergebnis: 1. Die sexuelle Kontrolle, die über ihn von Frauen ausgeübt wird, wird für ihn zur Normalität.
2. Er entwickelt großes Geschick darin, dieser Kontrolle zu entweichen.
3. Er entwickelt das starke Bedürfnis, seinerseits Kontrolle über Frauen auszuüben, denn empfundene und ausgeübte Kontrolle ähneln sich sehr (klassische Übertragung im Freud'schen Sinne).[Eigentlich finde ich Freud überholt, aber da hat er wohl recht!]
4. Er übt Kontrolle aus, aber noch nicht über Menschen, womit wir beim nächsten Symptom wären.
-Er beginnt damit, Tiere zu quälen und zu töten (keine Hunde oder Katzen, die waren "heilig")Folge: Gar keine, denn der Umgang mit Tieren war zu dieser Zeit recht rustikal. Sein Vater wird ihn vielleicht sogar zur Jagd animieren. Dabei fällt dem Vater auf, daß Jack die Tiere nur bewegungsunfähig schießt und die wehrlosen Kreaturen gerne mit dem Messer tötet. Alles zwar ungewöhnlich, aber durchaus noch im Bereich der damaligen Norm in England. Dennoch wird ihm vielleicht die Jagd untersagt. Ich
HASSE diesen Aspekt, meine berufsbedingte Sympathie für fast alles, was da kreucht und fleucht, verbietet mir Sympathie für Jäger, die nicht zum Nahrungserwerb töten. :evil:
Ergebnis: In dem Moment, in dem er entdeckt, daß es in England Menschen gibt, die außerhalb der Gesellschaft, sozusagen wie Tiere, leben, erteilt er sich in seiner subjektiven Ethik quasi selbst die Erlaubnis, diese genauso zu behandeln. Und auf diesen Moment wartet er mit drängender Ungeduld.
-Er darf keinen seiner Triebe ausleben und es kommt zur Triebumlenkung.Folge: Er wendet sein Interesse nicht mehr Lebewesen zu, sondern Dingen, egal, ob dadurch Lebewesen zu Schaden kommen. Er "zündelt", zuerst vielleicht Heuhaufen auf Feldern, dann Scheunen und Ställe (WOW! In Ställen sind ja Tiere, und die schreien, wenn sie verbrennen! GENIAL für ihn, zwei Fliegen mit einer Klappe, Feuer UND Qual. Dabei könnte er bleiben. Warum er davon abläßt, bleibt unbekannt, vielleicht zieht die Familie in die Stadt, da gibt es nicht so viele Ställe.). Vielleicht beobachtet er die Panik und die Löschversuche aus einem Versteck heraus und onaniert dabei (oft bei ertappten Brandstiftern dokumentiert, die Assoziation Qual [sterbende Lebewesen]=Befriedigung[Onanie] wäre somit hergestellt). Der Gipfel aber wäre ein richtiges Wohnhaus mit richtigen Menschen darin. Ist doch egal, Landarbeiter gibt es genug.
Vielleicht kam er hoffentlich "nur" bis zu den Scheunen, doch die Grenze ist überschritten, Brandstiftung wird unnachgiebig bestraft, wenn der Täter entdeckt wird.
Ergebnis: Und er WIRD entdeckt, denn sein Trieb ist so stark, daß er unvorsichtig wird. Nun muß der Papa seinen Einfluß geltend machen, und er landet nicht im Bau, sondern auf einem der genannten Internate. Dort verhindert die strenge Hierarchie jeglichen Versuch, den eigenen Neigungen zu folgen. Der Direktor paßt auf die Lehrer auf, die ihrerseits die älteren Schüler überwachen, welche auf die jüngeren und jüngsten Schüler aufpassen. Ein schönes System der Kontrolle, oder? Aber nichts für ihn, und so zählt er die Sekunden, bis er seinen Abschluß hat und das alles vorbei ist.
Nach dem Schulabschluß folgte wahrscheinlich die Universität, auf der er nicht weiter auffällt, denn die viele Kontrolle hat dazu geführt, daß er auch Mechanismen der Selbstkontrolle entwickelt. Medizin hat er wahrscheinlich nicht studiert, denn der Respekt vor menschlichem Leben, der dabei vermittelt wird, hätte in Konflikt gestanden mit dem eigentlichen Objekt seiner Begierde, den FRAUEN.
Zu dem, was Claudia hier postete, sei gesagt, daß das Ausleihen eines Anatomiebuches nicht ausreicht, um die Finesse zu entwickeln, die er später an den Tag legte. Das Studium eines solchen Werkes verhält sich zu einer echten Autopsie (oder "Leichenschnelleröffnung", wie er sie vornahm) wie Trockenschwimmen zu einem Sprung vom Zehnmeterbrett. Glaub mir bitte, Claudia, eigene, sehr bittere, Erfahrung. Egal, er hat ja Erfahrung aus seiner Jagdvergangenheit, in der er es sich sicher nicht nehmen ließ, die Beute auch waidmännisch (übrigens, es gibt auch Jägerinnen, und zwar leider immer mehr!) aufzubrechen. In der Anatomie der Säugetiere, und ein solches sind wir, ist es so: Kennste eins, kennste alle, nur die Dimensionen sind unterschiedlich.
JETZT, endlich, ist er fertig mit seinem Studium, die Welt hat nur auf ihn gewartet. Zur sozialen Etikette gehört nun, zu heiraten, aber das werden Papa und Mama schon richten. Seine Frau spielt in dem Feuer seiner Triebe übrigens keine Rolle, sie ist für ihn so etwas wie ein Mittel zum Zweck der sozialen Tarnung, ein Haustier, das man gut behandelt.
Nein, nicht immer gut behandelt, aber er ist sicher, daß sie über sein Sexualverhalten nicht sprechen wird, denn das ist ein Tabu-Thema. Wie denn auch, vor ihm hatte sie keinen Mann gehabt, und so stellt sein Verhalten im Bett und auch außerhalb für sie die Norm dar. Sie wird denken, daß es den anderen Frauen genauso geht, und sich in ihr Schicksal ergeben. Für ihn aber stellt die Sexualität in seiner Ehe keine Befriedigung dar, er muß seine eigentlichen Triebe woanders ausleben. So beginnt er, nach dem klassischen lorenz'schen Appetenzschema, Orte und Opfer auszuspähen.
London ist groß und hat viele Abründe, in die er schauen kann. Whitechapel ist für ihn einer der interessantesten, aber er darf dort nicht auffallen. So wundert sich seine Frau ein wenig, daß er an bestimmten Abenden das Haus in einem etwas "schäbigen" Aufzug verläßt.
Die Taten werden begangen, Ihr wißt alle, an wem, wo und wie. Die "Objekte", denn Menschen sind es für ihn nicht, hatte er schon ausgewählt, sie waren alle so alt wie seine Nanny damals. Ältere, nicht mehr so begehrte Prostituierte, deren Revier die eher entlegenen Gebiete des Rotlichtbezirkes waren.
Irgendetwas stimmt nicht, er hatte sich alles bis ins kleinste Detail ausgemalt. Mal kann er nicht ausweiden, mal liegt das Opfer falsch, mal ist es zu dick, mal zu dünn, mal stimmt die Beleuchtung der Szenerie nicht, und vor Allem die verfluchte Angst, entdeckt zu werden.
Das Wesen der Tat eines unorganisierten Serientäters ist, daß er durch die Tat, wenn auch nur kurzzeitig, Befriedigung findet. Beim organisierten Typus verhält es sich anders. Nie stimmen alle Details, nie kann er richtig "zufrieden" sein. Deshalb muß er die Prozedur verfeinern. Nicht den modus operandi, die "Pirsch", das Gespräch mit dem Opfer, die Verbringung des Opfers an den vorgeplanten Tatort, das alles ist schon in Ordnung. Aber die Taten selber, obwohl sie an Brutalität zunehmen, verschaffen ihm keine Erleichterung mehr.
Er ist zwar intelligent, aber er hat in zunehmender Brutalität das Rezept gesehen, sich den letzten "Kick" zu verschaffen, und das war ein Fehler, was er jetzt einsehen muß.
Für den Höhepunkt seiner "Karriere" braucht er Abgeschiedenheit, am Besten ein Zimmer, und Zeit. Er späht etwas mehr als fünf Wochen, und was er findet, ist das Objekt Mary Jane Kelly. Sie paßt nicht in sein Beuteschema, das Alter stimmt nicht, aber das wird er schon bei der Tat wettmachen können.
Am 9.11.1888 ist es soweit, alles hat geklappt, er ist in ihrem Zimmer und sie liegt tot vor ihm. Er hat Zeit und würde soooo gerne etwas "spielen", aber seine Professionalität beim Ausweiden hindert ihn daran. So führt er also die oft geübten Schnitte aus, schnell und präzise. Er hat das ganze Zimmer, um ihre Organe zu drapieren. Aber den "Kick" hat er nicht gehabt. Er erweitert sein "Operationsfeld" und entfleischt den rechten Oberschenkel, doch das hilft ihm nicht. Er denkt darüber nach, was ihm an der Szene nicht paßt.
Natürlich, ihr Alter.
Was ist das offensichtlichste Zeichen des Alters: das Gesicht.
Er entwickelt Wut auf das Opfer. Sie ist Schuld daran, daß sich seine Phantasien auch in diesem extremen Moment nicht erfüllen konnten.
Also zerstört er zuletzt das Zeichen ihrer Jugend, zerhackt ihr das Gesicht und verläßt den Tatort.
Da er sich ausgezogen hatte, haftet seiner Kleidung kein Blut an, und er erreicht unerkannt sein Heim. Vielleicht fiel seiner Frau auf, daß ihr Mann nach den schrecklichen Morden in Whitechapel, sie hatte natürlich auch davon gehört und gelesen, auffallend liebevoll war.
Er aber ist verzweifelt, weil er auch bei dieser extremsten aller Taten den Boden des vielzitierten Abgrundes nicht einmal gesehen, geschweige denn berührt hat.
Ich bin mir übrigens ziemlich sicher, daß an den Tatorten und den Opfern KEIN Sperma zu finden war, aber das ist wohl nicht mehr zu beweisen.
Was ist sein Ausweg?
Der Ausweg eines Gentleman!Jetzt die Frage:
Welches Mitglied der Londoner Oberschicht beging nach dem 9.11.1888 aus unerklärlichen Gründen Selbstmord??? Nun zu Euren Fragen:
Warum verbringt dieser schräge Typ Stunden damit, sich in JtR hineinzuversetzen?Antwort: Weil ein Abgrund nicht mehr so erschreckend ist, wenn man etwas Licht hineinbringt.
Frage: Ist der etwa selber ein ....?Antwort: NEIN, ich habe zwar in Abgründe schauen müssen, aber es waren nicht meine eigenen. Das, was ich dort gesehen habe, führte bei mir zu ABSOLUTER Selbstkontrolle. Dies heißt nicht, daß ich vor lauter Selbstkontrolle keine Gefühle mehr habe, aber ich bin ein sehr, sehr friedlicher Zeitgenosse und jedem, der mich fragt, gebe ich gerne meine Identität preis, da ich nichts zu verbergen habe.
Frage: Hat der überhaupt kein Mitleid mit den Opfern?Antwort: Ich bin nicht gläubig, aber ich bin sicher, daß es da, wo sie jetzt sind, schöner ist als hier.
Ruht in Frieden, niemand hat so etwas verdient!Frage: Ist das etwa Mark Benecke?Antwort: NEIN, ich mag ihn nicht mal besonders wegen seiner lauten "Trommelei". Er hat das Gleiche studiert wie ich, Biologie, und auch sein Fachgebiet, die Insektenkunde oder Entomologie, ist mit meinem identisch.
Frage: Hat der noch andere Hobbies?Antwort: JA, meine Liebste, Katzen, und ProgRock (progressive Rock als Schlagzeuger und Bassist).
Ein Gruß an ALLE und nun hackt mal auf mich ein