Mal so zwischen rein geschmissen:
Die Suche nach der Princess StreetDer „Scone Palace“ nördlich von Perth – ein geschichtsträchtiger Ort, wie er im Buche steht. Hier wurden Macbeth und Robert the Bruce zu Königen gekrönt, hier steht der Schreibtisch, an dem Mary Antoinette kurz vor ihrer Hinrichtung ein paar letzte Briefe schrieb, hier schlief unsere Queen Victoria in den sanften Federn eines rot besamteten Himmelbettes – und hier sitze ich mit meiner Liebsten in einem schwarzen Fiat Punto und studiere mit ihr zusammen den ADAC-Strassenatlas. Mehr Geschichte an einem Ort geht einfach nicht mehr…
Hinter uns stolziert ein Albinopfau zwischen einer Reisegruppe verzückter Italo-Touristen, die sich anscheinend mehr für ihn interessieren als sich um die Legenden des berühmten „Stone of Destiny“ zu kümmern. Der Pfau versucht, den weiblichen Gegenstücken zu imponieren und stellt gelegentlich seine Federn auf, lässt sie wild vibrieren. Leider ignorieren ihn seine Artgenossinnen völlig. Die Menge der Touristen hingegen ist entzückt.
„Fabuloso“.
„Bellissima!“.
„Spectaculare!“.
Höchstwahrscheinlich ist er das meist fotografierte Motiv an diesem Ort. Ich muss es wissen – schließlich habe ich es auch getan.
Aber egal, hier dreht es sich eigentlich gerade um ganz andere Dinge.
Es geht um Dundee, nur wenige Meilen östlich von Perth gelegen.
Dundee. Der Ort, an dem vor gut 120 Jahren ein gewisser William Henry Bury von Deck des Dampfschiffes „Cambria“ ging und sich nieder ließ, nachdem er London mitsamt seiner Frau Ellen verlassen hatte. Der Ort, an dem dieser Herr Bury seine Frau Ellen kurz darauf tötete. Der Ort, zu dem auch Frederick Abberline reiste, um sich den Fall genauer anzusehen. Möglicherweise auch der Ort, an dem das Kapitel „Jack the Ripper“ sein Ende fand. Wer weiß das schon so genau?
Ich blicke meine Liebste an. Sie blickt mich an. Und dann rücke ich nochmals raus mit meiner kleinen Idee. Vielleicht könnte man ja noch einen Zwischenstopp einbauen…
Als Lockmittel müssen das um die Anfangjahre des 20. Jahrhunderts gebaute und von dem Geist eines ermordeten Matrosen heimgesuchte Segelschiff „RRS Discovery“, eine „sehr, sehr lange“ Massage, Schokolade, und die Tatsache dass es sich bei Dundee doch tatsächlich um die Partnerstadt von Würzburg handelt, herhalten. Es dauert nicht lange, und ich erhalte die Einwilligung meiner „Chefin“.
Unser nächstes Ziel lautet demnach: Princess Street, Dundee.
Der Fiat Punto jault, der Pfau posiert, die Italiener jubilieren. Das Wetter – naja, es ist durch und durch britisch (in diesem Zusammenhang muss ich an eine kleine Weisheit aus Edinburgh zurück denken: Wenn Du an der George Street stehst und das andere Ufer des Firth of Forth erkennen kannst, dann wird es bald regnen. Kannst du das Ufer nicht erkennen – dann regnet es schon!).
Die 30 Meilen vergehen jedenfalls äußerst schnell, befinden sich in diesem Teil des Landes doch wesentlich besser ausgebaute Strassen als in den Highlands. Ob dies zur sagenhaften Idylle des Landes beiträgt? Nicht wirklich…ich habe diese einspurigen, unförmigen Schaukelstrassen der Glens und der Mountains durchaus besser leiden können. Man fühlte sich wie in einem Segelschiff, gemächlich durch die Landschaft treibend. Abenteuer. Das ist es, was in der Zivilisation oftmals verloren geht. Man fühlt sich auf den Schnellstrassen einfach nicht einsam genug.
In Dundee angekommen, erst einmal ein wenig Enttäuschung. Auch hier wieder: Zivilisation und all ihre Krankheiten in hoher Konzentration. Baustellen, hässlich eckige, graue Gebäude. Hektisch dreinblickende Menschen rasen durch die Roundabouts. Nirgends die erhoffte und so geliebte Ausstrahlung schottischer Städte, keine roten Telefonzellen, kleine Tante Emma-Lädchen, Schilder, die vor streunenden Schafen warnen. Nichts davon. Wir kommen uns fast vor, als wären wir in Frankfurt. Und wer Frankfurt kennt, weiß, wovon ich rede.
Ich habe nichts gegen Großstädte - ganz im Gegenteil. Ich bin ein Mensch, der auf dem Land lebt, sich aber gerne in Städten aufhält. Der multikulturelle Flair vieler Metropolen hat mich schon oft in seinen Bann gezogen. Hamburg, London, Paris, Edinburgh…und etwas kleiner Nürnberg oder auch Würzburg. Dundee hingegen schlägt aus der Reihe. Diese Stadt hat keine Ausstrahlung, obwohl man sie erwartet. Diese Stadt ist einfach irgendwie „unsympathisch“. Ihr fehlt das Gesicht, der Geist, die Lebendigkeit.
Also: Einfach schnell die Princess Street suchen und dann wieder weg. Der Besuch des Segelschiffes „Discovery“ vergeht uns irgendwie wieder. Wir sehen es kurz einmal, als wir an der „Hafenpromenade“ (man kann es nicht wirklich so nennen) vorbeifahren. Das sollte genügen. Und die Suche nach einem Parkplatz im undurchschaubaren Richtungswust der Schilder macht es auch nicht besser…
Nachdem wir endlich eine Lücke gefunden haben, die Suche nach der Princess Street. Vorbei an Gerüsten, die an alte im viktorianischen Stil gebauten Häuser lehnen. Nicht, um diese zu renovieren – nein, sie werden reihenweise überputzt und aus dem charmanten Look schwarz gefärbter Sandsteine entsteht eine mattgraue Einheitsfassade. An anderen Ecken steht schon gar kein Gebäude mehr. Man hat sie einfach abgerissen. Und so laufen wir von einer Baustelle in die nächste. Zwischendurch blitzt mal ein schöner Flecken auf: Das alte Hauptgebäude des Hafens weiß immer noch zu beeindrucken. Einzelne schmale Gassen zeugen noch von vergangenen Tagen. Manches Haus steht noch so, wie es wohl schon ein oder zwei Jahrhunderte steht. Aber trotzdem, unser erster Eindruck bestätigt sich: Es mag nicht der Flair aufkommen, der in Städten wie Inverness oder Stirling zumindest im Stadtkern herrscht. Jedes Land braucht eben sein persönliches Frankfurt.
Aber ich merke – ich drifte wieder mal unheimlich ab.
Schließlich, nach einigem Hin und Her, erreichen wir endlich Hausnummer Eins der Princess Street in Dundee. Hier werde ich das ehemalige Wohnhaus Burys ausfindig machen, und hier werde ich ein paar Fotos für meine Kollegen im Forum knipsen. Auf der linken Seite gleich ein Gebäude, welches mich sofort an das Bild bei Bury auf der Homepage denken lässt. Digicam zücken und – knips! Die rechte Seite besteht aus ziemlich herabgekommenen Häusern, eines der ersten beherbergt ein reichlich unscheinbares Möbelgeschäft. Wir laufen weiter – Hausnummer 7, 13, 21…33, 45…..59….61…dann plötzlich – hört die Häuserzeile auf! Ein wenig verunsichert bin ich schon. War da nicht etwas mit Hausnummer 113 oder 119? Ich blicke die Strasse hinauf. Da, genau dort hinter der Wiese und dem Kreisverkehr scheint es weiterzugehen. Wir laufen also weiter.
Und so ist es auch: Als ich am ersten Haus nach der Unterbrechung schon das Strassenschild „Princess Street“ sehe, fasse ich neuen Mut. Bei den ersten Gebäuden sind keine Hausnummern zu erkennen…dann, endlich, die erste Hausnummer. Ich sehe sie mir an. Moment. Das kann nicht sein. Mir schwant Böses. Meine Lebensgefährtin verdreht die Augen. Ich sehe noch einmal hin. Tatsächlich. Wir stehen vor Hausnummer 163!
Nach einigen Sekunden dann ist es gewiss: Etliche Häuser der Princess Street wurden abgerissen, um der Moderne Platz zu machen. Und natürlich – wie sollte es auch anders sein – zählt Bury`s Haus anscheinend auch dazu.
Ich kann Euch sagen, ich war richtig geknickt. Ich hätte mich einfach mal gefreut, dass Haus ausfindig machen zu können. Ich hätte es hier gerne mit einem eigenen Foto präsentiert, wenn nicht eh schon irgendwo eines existiert. Aber es hat nicht sein sollen.
Der restliche Tag war wie verflucht: Wir wollten in einem Cafe noch einen Kaffee trinken, da ging die Maschine plötzlich nicht mehr. Wir liefen durch ein Gerüst an einem Haus durch, da bröckelten kurz hinter uns Steine auf den Boden. Ich hätte beim Ausparken beinahe einen Unfall gebaut. Ein Bus hätte mich beinahe von der Strasse gefegt. Es schien so, als würde uns diese Stadt einfach nicht wollen – und als hätte sie dies nie getan.
Meine Liebste bekam schließlich, was ich ihr versprochen hatte. Und ich kaufte mir zur Aufmunterung im Zavvi um die Ecke das neue Opeth-Album „Watershed“. Als wir schließlich die Stadt verließen, auf der Tay-Bridge die Bucht überquerten, auf der einst Bury und Abberline einsegelten, und dabei die ersten Klänge des neuen Meisterwerks meiner Lieblingsband ertönten, blickte ich kurz noch einmal zu dieser tollen Frau neben mir - und war mir wieder bewusst, weshalb ich sie so liebe. Die Schmach in Dundee war schnell vergessen, unser Weg zurück nach Pitlochry durch die Trossachs war eine Offenbarung – und es ist eigentlich auch nicht so wichtig, wie das Haus aussah.
Was würde es bringen? Es würde uns doch nur einen Teil unserer Fantasie nehmen…
Isdrasil