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Identifizierung der Opfer

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Anirahtak:
Hallo,

ich frage mich, wie die Opfer identifiziert wurden. Wie stellte man fest, um welche Person es sich handelte?

Dabei nehme ich an, dass sie in den seltensten Fällen Papiere bei sich hatten, die Hinweise auf ihre Identität gaben. In einer Dokumentation habe ich gehört, dass die Fundorte so schnell wie möglich geräumt wurden, um Ansammlungen von Schaulustigen zu unterbinden. Das verringerte dann aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bekannter vor Ort Angaben machen konnte, der zufällig anwesend war.

Also gehe ich davon aus, dass man die Toten schnell ins Leichenschauhaus brachte - aber wie ging es dann weiter? Wartete man auf Vermisstenmeldungen? Oder fragte man in der Gegend herum, wer vermisst wird? Oder... wie?

Weiß das jemand oder hat weitere Einfälle dazu?

panopticon:
Hallo Anirahtak!

Generell wurden seitens der Exekutive nach der jeweiligen Verbringung des Opfers ins jeweilige Leichenschauhaus wohl stets Beschreibungen mittels diverser Medien (Zeitungen, Plakate, Handzettel...) veröffentlicht, bestimmte Personengruppen (vor allem Anwohner in Tatortumgebungen und verarmte Frauen in der gesamten Umgebung) befragt und eigene Nachforschungen (gerade in Lodging Houses) angestellt:

Wenn ich mich jetzt nirgends irre (möglicherweise nötige Korrekturen erwünscht!), kam es folgendermaßen zu den jeweiligen Erst-Identifizierungen:

1. Fall Buck´s Row: Ein Zeichen der Wäscherei des Lambeth Workhouses am Petticoat der Toten führt zu Untersuchungen in eben diesem. Es wird festgestellt, dass der Verbleib der Habseligkeiten zweier früherer Bewohnerinnen nicht geklärt werden kann. Es handelt sich um jene einer gewissen Mrs. Scorer und jene einer gewissen ´Polly´ Nichols. James Scorer, der von seiner Frau getrennt lebte, und der wohl auch deren Freundin Polly Nichols vom Sehen her kannte, konnte die Tote nicht identifizieren, dafür aber identifizierte Mary Ann Monk, eine aktuelle Bewohnerin des Workhouses, die Tote als die ehemalige Mitbewohnerin Mary Ann ´Polly´ Nichols, was von deren später ausgeforschter Verwandtschaft, allen voran Vater Edward Walker und (seit Jahren getrennt lebenden) Ehemann William Nichols bestätigt wurde.

2. Fall Hanbury Street: Die erste Identifizierung erfolgte scheinbar durch Amelia Palmer/Farmer (warum sich diese meldete oder ob sie irgendwie ausgeforscht wurde, entzieht sich zumindest aktuell meines Wissens), einer Freundin von Annie Chapman, die sie von Crossinghams Lodging House in der Dorset Street 35 kannte, in dem sie üblicherweise nächtigte und dessen Deputy Timothy Donovan die Identifizierung später bestätigte.

3. Fall Berner Street: Die Tote wurde ja von Mrs. Malcolm als ihre Schwester, die jedoch noch lebte, fehlidentifiziert - und zwar bevor bzw während die tatsächliche Identifikation stattfand. Zuvor hatte man die Tote laut Zeitungsberichten mehreren Frauen aus der ´unfortunate class´ gezeigt, aber niemand konnte sie zunächst identifizieren. Mit der Zeit gab es dann jedoch wohl schon Hinweise mehrerer Personen aus dem Umfeld des Lodging Houses in der Flower & Dean Street 32 darauf, dass es sich bei der Toten um eine Frau, die unter dem Namen ´Long Liz´ bekannt war und mit richtigem Namen Elisabeth Stride hieß, handeln dürfte. Mehrere Personen aus dem Lodging House und Michael Kidney, der sich bei der Polizei meldete, bestätigten dies schließlich.  

4. Fall Mitre Square: Aufgrund eines Zeitungsberichts, in dem die Besitztümer der Toten, darunter der Pfandschein unter dem Namen Birrell, aufgelistet waren, meldet sich John Kelly, der Lebensgefährte einer gewissen Catherine Eddowes bei der Polizei und identifiziert die Tote als eben jene. (Später von der ausgeforschten Verwandtschaft bestätigt.)

5. Fall Dorset Street: Das Opfer wurde ja in den ´eigenen´ vier ´Mietswänden´ ermordet und von mehreren Personen inklusive des Vermieters McCarthy, der ja für die Polizei die Tür aufbrach, und später dem bis vor kurzem noch-Lebensgefährten Barnett als jene Frau, die dort wohnte und sich Mary Jane Kelly nannte, identifiziert. Die Zeitungsberichte über zum Teil unter Schock getätigte Aussagen hinsichtlich ihrer posthumen Zurichtung nährten die Legende, dass sie kaum identifizierbar gewesen sei, was ja definitiv nicht stimmt. Die Folge dieser Berichte waren aber eben populäre, teilweise sogar enorm absurde Geschichten wie jene, dass es sich bei der Toten gar nicht um MJK handle und sie noch lebe, bis hin zu Verdächtigung ihres nachweislichen Umfeldes und sogar ihrer eigenen Mittäterschaft in den anderen Fällen, etc., etc.... De facto wurde sie aber eben tatsächlich von sogar mehreren Personen identifiziert. (Interessanterweise ja sogar von jemandem, der sich George Hutchinson nannte, sich als Bekannter der Toten bezeichnete und eine bis heute tatsächlich und berechtigterweise als mehr als nur dubios (im Sinne von ´fragwürdig´) einzustufende Geschichte erzählte.)

Grüße.

Anirahtak:
Hallo panopticon,

vielen Dank für die ausführliche Erläuterung! :good:

Also dann gab es in einigen Fällen zwar keine offiziellen Papiere, aber doch "Schriftgut", welches zur richtigen Stelle führte.

Bei Fällen wie Annie Chapman oder Elizabeth Stride frage ich mich dann, wie lange es dauerte, bis sich jemand meldete. Denn ich stelle mir vor, dass die Opfer keine sehr regelmäßigen Tagesabläufe hatten. Kann auch ein Irrtum sein, aber bei diesem Leben von der Hand in den Mund gehe ich davon aus, dass die Menschen mal hier und mal dort unterwegs waren, je nachdem, wo sich eine Gelegenheit zum Überleben bot. Das würde nur die Orte betreffen, hinzu kämen noch unterschiedliche Zeiten - wir wissen, dass sie auch spät nachts bis früh morgens unterwegs waren. Sicher hatten sie auch Verabredungen und es hängt einiges von der individuellen (Un)zuverlässigkeit der einzelnen Person ab, aber grundsätzlich frage ich mich, wie lange es unter den genannten Umständen dauerte, bis es besorgniserregend auffiel, dass jemand fehlte. - Wobei natürlich die Berichterstattung und die anderen Medien den Vorgang beschleunigt haben dürften.

Gruß und vielen Dank nochmal.


Craddock:

--- Zitat von: Anirahtak am 28.08.2012 01:26 Uhr ---Bei Fällen wie Annie Chapman oder Elizabeth Stride frage ich mich dann, wie lange es dauerte, bis sich jemand meldete.

--- Ende Zitat ---

Nabend umgekehrte Katharina,

gerade bei den beiden Fällen habe ich eigentlich wenig Zweifel, dass es ziemlich schnell ging, bis sich jemand meldete. Chapman wurde bereits am Morgen ihres Todes gegen 11.30 von Amelia Palmer identifziert, die sie aus dem Lodging House relativ gut kannte und ihr Tage vor dem Mord noch begegnet war, wobei Annie ihr ihr Leid bzgl ihres schlechten Gesundheitszustands klagte.

Und bei Stride dauerte es wohl vor allem deshalb länger, weil eine gewisse Dame felsenfest davon überzeugt war, es handle sich bei der Toten um ihre auf Abwege geratene Schwester, was erst nach einiger Zeit zweifelsfrei aufgeklärt wurde, als besagte Schwester sich bei den Behörden meldetet und erbost darüber war, wie ihre Schwester sie in der Öffentlichkeit dargestellt hat.

Generell dürften aber alle Frauen ein gewisses soziales Umfeld gehabt haben, denen es über kurz oder lang (und da doch wohl eher kurz) aufgefallen ist, dass sie sie schon eine Weile nicht mehr gesehen haben. Mit am längsten scheint es wohl bei Tabram gedauert zu haben.

MfG

Lestrade:
Im Falle von Nichols könnte jedoch Ellen Holland (Emily, “Nelly“) die erste Person gewesen sein, die das Opfer mit Sicherheit identifizierte. Erste Sicherheit kam wohl tatsächlich mit Mary Ann Monk auf. Nachzulesen z.B. bei Philip Sugden “The Complete History Of Jack The Ripper“ oder auch im “The Complete Jack The Ripper A-Z“ von Begg/Fido/Skinner (was sich immer zum schnellen Nachschlagen lohnt) oder auch hier:

http://wiki.casebook.org/index.php/Emily_Holland

Bei Stride dürfte auch eine Tätowierung (T.C.) hilfreich gewesen sein. Das erstgenannte Buch von Sudgen beantwortet sehr genau und detailliert die Fragen im ersten Post.

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