Autor Thema: Über die Psychologie  (Gelesen 14053 mal)

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Offline Isdrasil

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Über die Psychologie
« am: 02.10.2011 10:14 Uhr »
Die Psychologie – meiner Meinung nach ein vernachlässigtes Feld.
Schwammige Formulierungen, keine richtigen Anhaltspunkte, wenig akzeptierte Lehrmeinungen. So denken viele, kommen sie mit der Psychologie, und insbesondere mit der Täterpsychologie und dem durch TV-Serien verklärten Profiling, in Berührung.
Dabei ist die Psychologie in meinen Augen auch nicht anders als Mathematik, nur noch nicht derart ausgereift und erforscht, dass man hieb- und stichfeste Ergebnisse präsentieren könnte. Noch nicht.
Denn die Wissenschaft des Geistes behandelt den Geist, und dieser ist nicht abgeschlossen entstanden, sondern wurde wie der materielle Körper durch die Evolution geschaffen und geformt – er befindet sich innerhalb der materiellen Gesetze, ist Teil der Welt und muss auch als dieser verstanden werden. Er ist keine dunkle Grauzone, die wir nicht erkunden können, sondern ist überall und permanent um uns herum sichtbar: Denn die ganze materielle Realität um uns herum, unsere technischen Errungenschaften, politischen Verhältnisse, unsere Art zu leben und zu lieben, die gesamte materiell gebundene Schaffenskraft der Menschen in Form von Möbeln, Strassen, Städten – all das ist Zeuge unseres Geistes, all das wurde nur aus uns heraus geboren und gibt somit Rückschlüsse auf die Gesetze in unseren Köpfen. Und genauso folgen wir Gesetzen, die wie die Gesetze der Mathematik zu einem bestimmten Ergebnis führen, die wir eines Tages gewiss besser verstehen werden, wenn der gesellschaftliche Tabubruch vollzogen sein wird.
Die Psychologie ist wie eine abwärtsgerichtete Maschine mit etlichen Parametern, die jedoch unausweichlich zum Ende und damit zu einem vorhersehbaren Ergebnis kommen wird – vorausgesetzt, man ist mit den Parametern vertraut und kennt die Wirkungsweise des Apparates.

Ich habe dazu erst vorgestern eine interessante Dokumentation gesehen: Ein Mentalist schickte zwei Menschen in den Supermarkt und lies beide einkaufen. Der Haken: Bereits vor dem Einkauf sagte er voraus, welche Produkte die Probanten kaufen würden. Durch unbewusst platzierte Botschaften und Schauspieler innerhalb des Supermarktes bewegte er die Probanten anschließend zielgerichtet zu den Produkten. Und tatsächlich entsprachen die Einkaufswägen nach dem Experiment zu einem beeindruckend großem Teil dem des Mentalisten.
Ein Scharlatan? Mentalisten – das sind doch so Jahrmarktzauberer, oder?
Nein – hier hat jemand eine ungeheure Ahnung von den Gesetzen der Psychologie, die in Werbung und Alltag ständig auf uns niederprasseln. Wir sind im Prinzip unfreier als wir denken würden – selbst wer gezielt gegen die Manipulation geht, lässt sich in diesem Moment schon wieder durch die Manipulation in eine Richtung drehen. Der Rebell ist doch auch nur ein Teil des Systems, denn auch die Meinung des Revoluzzers ist vom System gebildet und geformt. Sind wir uns dessen bewusst, können wir auch im Bereich der Täterpsychologie etwas souverän nach Gesetzen suchen.

Weshalb wurde der Ripper gezwungen, gerade diese Opfer an gerade diesem Ort zu töten? Passen Opfer wie Tabram oder Kelly in dieses Schema? Wieso geschahen die Morde so „regelmäßig“, und weshalb nahm niemand Notiz vom Täter? Das sind Fragen, die mich von Beginn an beschäftigen.

Und gerade letztere Frage wird meiner Meinung nach bis zum heutigen Tage falsch interpretiert.
Wonach suchte die Polizei zur damaligen Zeit? Wie kamen sie auf manche Verdächtige? Woher nahmen sie ihre Annahme, es könne sich bei Person X um den Täter handeln? Genau hier sind wir an einem Punkt, an dem wir bis zum heutigen Tage einen großen „Fehler“ der damaligen Ermittler aufnehmen und weiter denken: Die Täterpsychologie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Serienmörder wurden noch als Wahnsinnige angesehen, als Andersartige, Sonderlinge, als „nicht auffällig“ im Sinne von „auffallend unauffällig“. Und so suchte man nach Schlägern, nach Vorbestraften, nach „Lunatics“, die in irgendwelchen Irrenanstalten zusammen mit anderen Wahnsinnigen ihr Dasein fristeten. Und natürlich – es hätte mich verwundert wenn nicht – fand man sie. Die Wahrscheinlichkeit in der Gosse der damals größten Stadt der Welt dürfte wohl auch nicht allzu gering sein. Hatte betreffende Person auch noch in irgendeinem Bezug Probleme mit Frauen und Gewalt – und auch das war damals wohl keine Seltenheit, eher die Regel im East End – hatte man den Verdächtigen, mit dessen Hilfe man den Druck auf die Ermittlungsarbeiten etwas zügeln konnte.

Doch – diese Methode war schlichtweg falsch. Der Ripper war kein Lunatic, er hatte auch keine sexuelle Abartigkeit an sich, ja er hätte sogar ein arbeitender Familienvater im West End der Stadt sein können…er war eventuell gar kein sozialer Sonderling, bisher nicht gewalttätig aufgefallen oder körperlich beeinträchtig.

Und unter diesen Gesichtspunkten gibt es bisher keinen Verdächtigen, der auch nur ansatzweise sicher in das Täterprofil passt, denn wir begehen nach wie vor die Fehler, die immer noch in den Köpfen unserer Gesellschaft verankert sind, in der Literatur und den Medien ihren Ausdruck finden und damals dazu führten, dass der Täter nicht verhaftet werden konnte: Wir haben eine eingeengte Sicht auf den Täter, da die Psychologie noch nicht gesellschaftlich akzeptiert genug ist und zu viele falsche Täterbilder in den Köpfen der Menschen umhergeistern.

Wer hätte ernsthaft gedacht, dass ein Familienvater den 10-jährigen Mirko grausam missbraucht und umgebracht hat?
Gibt es trotzdem Anhaltspunkte? Kann man das Böse sehen, wenn man auf diesem Gebiet eine Stufe erreicht, die der des Mentalisten entspricht?

Und – sollte eines Tages ein vollständig dem Ripper entsprechendes Profil erstellt worden sein, welches zu annähernd 100 Prozent seine Berechtigung hätte: Würde dies tatsächlich der Ripperologie helfen?

Wahrscheinlich nicht….und trotzdem lassen mich diese Fragen nicht los.

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 02.10.2011 14:50 Uhr von Isdrasil »

Offline Craddock

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #1 am: 02.10.2011 23:05 Uhr »
Zitat von: Isdrasil
Und – sollte eines Tages ein vollständig dem Ripper entsprechendes Profil erstellt worden sein, welches zu annähernd 100 Prozent seine Berechtigung hätte: Würde dies tatsächlich der Ripperologie helfen?

Nein. Wir würden, selbst wenn wir irgendwo einen Verdächtigen ausgraben würden, der plausibler wäre als die kanonischen 3, wahrscheinlich daran scheitern, genug Material zur Vergangenheit des Mannes zusammenzutragen, um uns wirklich ein genaues psychologisches Bild machen zu können, das wir mit dem Profil vergleichen könnten.

Durchaus noch andre interessante Punkte dabei, auf die ich vielleicht morgen eingehe. Ich bin heute zu müde.  :biggrin:

Offline Lestrade

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #2 am: 03.10.2011 10:44 Uhr »
Und – sollte eines Tages ein vollständig dem Ripper entsprechendes Profil erstellt worden sein, welches zu annähernd 100 Prozent seine Berechtigung hätte: Würde dies tatsächlich der Ripperologie helfen?

Vielleicht! Es kommt darauf an, wie es im Verhältnis stehen würde zu neuen Material, welches immer noch auftauchen könnte. Bei bekannten bzw. nicht bekannten Verdächtigen wissen wir nicht, welche Ergebnisse von der Polizei niedergeschrieben wurden. Wir kennen letztendlich nicht den vollständigen Bericht über "Kosminski" und von mir aus auch Druitt.

Kann man das Böse sehen, wenn man auf diesem Gebiet eine Stufe erreicht, die der des Mentalisten entspricht?


Ich denke, als erstes sollte man sich kennen. Man sollte andere Menschen kennenlernen wollen und sich stets darin weiterbilden. Dies ist ein lebenslanger Prozeß und findet in dimensionalen Ausmaßen statt. Schon allein sich mit den Abgründen der menschlichen Seele zu befassen, stellt eine oft unüberwindbare Hürde da. Ganz ehrlich Isdrasil, wer will schon wissen wer er selber ist? Da haben die meisten schlicht und einfach Angst davor und zwar aus unterschiedlichsten Gründen. Wer weiß schon, welche Menschen seine Eltern sind, wer seine Geschwister sind, sein Partner, seine Kollegen. Wer versteht die Dinge, die im Leben passieren. Letztendlich geht es nicht nur um Wissen, sondern um verstehen. Natürlich kann man Kategorien erstellen, wie z.B. die Manipulation in der Werbung. Aber ehrlich gesagt, ist das die Variante für "Doofe". Eine Blondine mit kurzen Top und Minirock wird auf einer Messe immer mehr "Gratishäppchen" verteilen als die dicke Tilla von nebenan. Da muss man eigentlich nicht studieren für, dass wußte schon mit 12 Jahren mein Sohn. Diverse Shows im TV, wo sich der Zuschauer am scheitern und blamieren der Kandidaten erfreut, kann man doch schnell und einfach sortieren. In den Veranstalter, in den Kandidaten und im Zuschauer. Die Motive bei jedem einzelnen sind doch auch schnell ausgemacht. Der Zuschauer "erfreut" sich doch in den meisten Fällen an der Schwäche der Kandidaten, das läßt einem selber stärker erscheinen, überlegender, schlauer obwohl das viele der Zuschauer garnicht sind. Das sind einfache Strukturen, die bedienen, nichts außergewöhnliches...

Oder wer gibt schon gerne zu, wenn er einen Porno schaut, dass ihm die Schläge mit dem Stöckchen auf den nackten Po einer Frau erregen, einem Lust machen? Gewalt (wenn in diesem Fall auch sehr schwach), eine sexuelle Regung hervorbringt?

Aber das alles läßt sich noch auf der Sonnenseite des Lebens betrachten aber nicht so einfach auf der dunklen Seite der Existens eines Jack the Ripper obwohl man die ersten Anfänge bereits auf der hellen Seite antrifft. Von da an, muss man beginnen komplexer zu verstehen. Dazu gehören Geduld, Erfahrung und Reife und der ständige Wille niemals aufzuhören dazuzulernen, zu verbessern und zu verfeinern.

Die wenigsten Menschen sind in der Lage, die Persönlichkeit eines Jack the Rippers annähernd zu verstehen. Bis dahin ist es ein weiter Weg.

Ein sehr weiter Weg.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Isdrasil

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #3 am: 03.10.2011 18:05 Uhr »
Da kann ich nur zu 100% zustimmen!

Grüße, Isdrasil

Offline Anirahtak

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #4 am: 04.10.2011 02:06 Uhr »
[...]
 
Ein Scharlatan? Mentalisten – das sind doch so Jahrmarktzauberer, oder? [...]
Normalerweise höre ich bei dem Begriff "Mentalist" auch sofort weg. Dann hat mir jemand dieses Buch empfohlen, was ich normalerweise von selbst auch nicht in die Hand genommen hätte, weil der Titel und das Bild so albern sind...  Jedenfalls ist es doch ganz lesenswert. Es geht viel um Aufmerksamkeit und Wahrnehmung.

Zitat
Wir sind im Prinzip unfreier als wir denken würden – selbst wer gezielt gegen die Manipulation geht, lässt sich in diesem Moment schon wieder durch die Manipulation in eine Richtung drehen. Der Rebell ist doch auch nur ein Teil des Systems, denn auch die Meinung des Revoluzzers ist vom System gebildet und geformt. Sind wir uns dessen bewusst, können wir auch im Bereich der Täterpsychologie etwas souverän nach Gesetzen suchen.
Bei Extremtätern wie Serienmördern bin ich mir nicht sicher, ob es ausschließlich die Psychologie ist oder nicht auch noch hirnorganische Defekte hinzu. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin auch nicht von der Fraktion, die sich alles und jedes organisch oder mit den Genen erklärt, damit macht man es sich zu einfach (abgesehen davon, dass es Hinweise darauf gibt, dass sich die Genetik durch äußere Einflüsse verändern kann). Allerdings wurde bei hirnorganischen Untersuchungen von Tätern auch schon festgestellt, dass da bestimmte Areale im Gehirn anders aktiv oder inaktiv sind als bei den Vergleichsprobanden. Auch das wird nicht der Weisheit letzter Schluss sein, aber ganz außer acht lassen will ich es doch nicht. Und die Biochemie im Gehirn muss ja nicht angeboren sein, sondern kann sich im Laufe der Zeit, möglicherweise durch äußere Einflüsse, verändern.

Zwar habe ich noch nie eine ausführliche Serientäter-Biographie gelesen, aber schon viele auf Wikipedia. Dabei ist mir aufgefallen, dass so ziemlich alle als Kind misshandelt wurden, physisch und/oder psychisch. Ich schätze, das ist elementarer Bestandteil für solch eine Laufbahn. Nicht der einzige, denn sonst müsste es viel mehr von der Sorte geben, aber es scheint mir "dazuzugehören".

Zitat
[...] und weshalb nahm niemand Notiz vom Täter? Das sind Fragen, die mich von Beginn an beschäftigen.

Und gerade letztere Frage wird meiner Meinung nach bis zum heutigen Tage falsch interpretiert.
Wonach suchte die Polizei zur damaligen Zeit? Wie kamen sie auf manche Verdächtige? Woher nahmen sie ihre Annahme, es könne sich bei Person X um den Täter handeln? Genau hier sind wir an einem Punkt, an dem wir bis zum heutigen Tage einen großen „Fehler“ der damaligen Ermittler aufnehmen und weiter denken: Die Täterpsychologie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Serienmörder wurden noch als Wahnsinnige angesehen, als Andersartige, Sonderlinge, als „nicht auffällig“ im Sinne von „auffallend unauffällig“. Und so suchte man nach Schlägern, nach Vorbestraften, nach „Lunatics“, die in irgendwelchen Irrenanstalten zusammen mit anderen Wahnsinnigen ihr Dasein fristeten. [...]
"Auffallend unauffällig" interpretiere ich anders, aber ansonsten vermute ich genau dies ebenfalls. Man hatte Wahnsinnstaten und suchte nach einem Wahnsinnigen - nach damaligem Stand also jemanden, den man seinen Irrsinn schon von weitem ansah bzw. der schon als verrückt aufgefallen war.

Deine Frage, weshalb niemand Notiz vom Täter nahm, erkläre ich mir damit, dass er sich gerade "auffällig unauffällig" benahm, eben niemandem auffiel. Ein Meister der Unauffälligkeit, sozusagen. Auch sein häufiges Entkommen. Das wird oft mit Glück erklärt, was zweifellos zutrifft. Jedoch braucht es etwas mehr als Glück, um in einem derart dicht besiedelten Gebiet mehrmals zu entkommen, ohne erwischt zu werden - nämlich Unauffälligkeit und eine Art von "Selbstdisziplin", sich rechtzeitig vom Acker zu machen. Somit sind die offenkundigen Lunatics für mich uninteressant.

An der Stelle verweise ich noch auf Bundy, den ich mit Abstand am gruseligsten finde, eben weil er so verdammt "normal" wirkte. Eines seiner überlebenden Opfer beschrieb ihn als jemanden, "mit dem man mitgehen konnte". Er war bei den Republikanern aktiv und die sammelten bei seinem ersten Prozess Geld für einen Anwalt, weil sie davon überzeugt waren, dass er unschuldig sei. Selbst zu diesem Zeitpunkt noch.

Ich will nicht darauf hinaus, dass der Ripper Bundy 1:1 geglichen hätte. Allerdings vermute ich sein Wesen und Auftreten sehr viel eher in diese Richtung anstatt einer Person, die bereits mit einem Bein im Irrenhaus steht.

Zitat
[...] Und unter diesen Gesichtspunkten gibt es bisher keinen Verdächtigen, der auch nur ansatzweise sicher in das Täterprofil passt, denn wir begehen nach wie vor die Fehler, die immer noch in den Köpfen unserer Gesellschaft verankert sind, in der Literatur und den Medien ihren Ausdruck finden und damals dazu führten, dass der Täter nicht verhaftet werden konnte: Wir haben eine eingeengte Sicht auf den Täter, da die Psychologie noch nicht gesellschaftlich akzeptiert genug ist und zu viele falsche Täterbilder in den Köpfen der Menschen umhergeistern.
Meine Rede. Allerdings hatten sie ja auch keine Kriminaltechnik, wodurch sie auch bezüglich vermeintlich normaler, unauffälliger Verdächtiger auf Zeugen oder ein Geständnis angewiesen gewesen wären.

Zitat
[...] Gibt es trotzdem Anhaltspunkte? Kann man das Böse sehen, wenn man auf diesem Gebiet eine Stufe erreicht, die der des Mentalisten entspricht?
Nochmal was mit Bundy und zwar das längere Interview, das er einen Tag vor seiner Hinrichtung gegeben hat:

http://www.youtube.com/watch?v=s9GP-N7S-CA

Ich bin kein Mentalist, aber ich meine, dass er eine Show abzieht. Die Mimikspiele sind sehr interessant und inhaltlich geht er mit keinem Wort auf seine höchstpersönliche Schuld ein. Er schiebt sämtliche Verantwortung der Pornographie zu (dass sich der Ripper zuviele viktorianische Pornos angesehen hat, kann man wohl ausschließen). Bundy passt sich perfekt dem Interviewer an, der ein Evangelikaler ist. Auch die Formulierungen, zB. "...murders I was involved in...". *augenroll* Absolut gruselig und meines Erachtens eine Aufnahme, wo man das Böse/Gefühllose hinter einer Fassade sehr deutlich erkennen kann, wenn man genau hinsieht und -hört.



« Letzte Änderung: 04.10.2011 02:27 Uhr von Anirahtak »

Offline Craddock

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #5 am: 04.10.2011 06:19 Uhr »
Zitat von: Anirahtak
An der Stelle verweise ich noch auf Bundy, den ich mit Abstand am gruseligsten finde, eben weil er so verdammt "normal" wirkte.

Ich stimme hier zu, bei Bundy krieg ich auch Gänsehaut...

Zitat von: Anirahtak
http://www.youtube.com/watch?v=s9GP-N7S-CA

Ich habe das Interview schon mal gesehen und würde hier zustimmen. Ich weiß nicht mehr, in welchem Teil es ist (ich denke, eher in einem der letzten), aber ich hatte da auch das Gefühl, dass Bundy schauspielert. An der Stelle, die ich meine, ging es um sein letztes Opfer, das junge Mädchen. Bundy hat sehr ausführlich geschildert, was damals passiert ist und dann sah es so aus, als würde er von seinen Emotionen überwältigt und finge gleich an zu weinen. An einer Stelle aber sah man, wie er kurz (wirklich nur sehr kurz), zu seinem Interviewer aufsah, mit völlig kaltem Blick, und sich versicherte, dass auch er bestimmt dessen Aufmerksamkeit hatte (zumindest wirkte es so auf mich, kann mich auch täuschen). Auch wenn ich gar nichts mit seinem Opferschema zu tun habe... dieser Mann macht mir Angst. Ja, immer noch.

Offline Isdrasil

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #6 am: 04.10.2011 12:04 Uhr »
Hi

Schön, eure Gedanken hierzu zu lesen. @Anirahtak: Kann dir nur zustimmen. So denk ich mir das auch.

Euer Beispiel von Ted Bundy passt auch wirklich gut zu der Sache…ich habe mir das Interview angesehen (kannte es noch nicht) und spüre auch diese seltsame Atmosphäre. Teilweise sind die Blicke Bundys recht furchteinflössend und passen gar nicht zu seinen gesprochenen Worten, gerade an einer Stelle habe ich mir gedacht: „Du Drecksack fühlst doch was ganz anderes als das was du gerade von dir gibst!“.
Das sind unterbewusste Zeichen, und ich glaube, wir nehmen diese Zeichen auch unterbewusst wahr, ob wir wollen oder nicht. Für die Einen drückt sich das in einem Unwohlsein aus, für die Anderen in Unsympathie.

Und noch was zur Unauffälligkeit der Täter:
Besonders erschüttert hat mich dazu in letzter Zeit der Fall Mirko.
Ich war von Dezember letzten Jahres bis Juni dieses Jahres in den USA und weiß daher nicht, inwieweit die Öffentlichkeit von den Ermittlungsfortschritten informiert war. Jedenfalls war ich trotz des Wissens, dass es sich bei vielen Tätern um Normalos handelt, außerordentlich erstaunt wie normal dieser Mann zu sein scheint: Ein 43-Jähriger Familienvater.
Ich stelle mir in solchen Momenten vor, wie die Familie zusammengesessen hat und die Nachrichten sah, den verzweifelten Aufruf der Eltern verfolgte. Was ging in diesem Moment im Täter vor? Lag er mit seiner Frau auf dem Sofa, hatte sie im Arm, schämte er sich in diesem Moment oder überwog das Machtgefühl, etwas Schreckliches getan zu haben und nicht erwischt zu werden? Ich frage mich, ob man in solchen Momenten der Mimik des Mannes ansehen könnte, dass er der Täter ist…dann frage ich mich, wie der Alltag der Familie ausgesehen hatte. War es eine aktive Familie, unternahm sie viel, oder lebte man vor dem Fernseher in den Tag hinein, neben den Anderen her…
Und vor Allem: Hätte man ihn nicht erwischt, wäre aus ihm noch ein echter Serientäter geworden?

Etwas Postives hatte die Nachricht dann jedenfalls doch noch für mich: Ich finde es schön, dass die Eltern von Mirko nun wenigstens abschließen können.
Doch Andererseits ist man mit Gedanken auch bei der Familie des Täters…

Grüße, Isdrasil

Offline Shadow Ghost

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #7 am: 04.10.2011 14:10 Uhr »
Zitat
Dabei ist die Psychologie in meinen Augen auch nicht anders als Mathematik, nur noch nicht derart ausgereift und erforscht, dass man hieb- und stichfeste Ergebnisse präsentieren könnte. Noch nicht.

Das sehe ich etwas anders, denn in der Mathematik werden bestimmte Objekte aufgrund ihrer Eigenschaften zu Mengen zusammengefasst, z.B. die Menge der natürlichen Zahlen {1,2,3,...}. Anhand dieser Eigenschaften lassen sich dann Sätze und Regeln ableiten.
In der Psychologie geht das meines Erachtens nicht so einfach, das Menschen dafür einfach zu komplex sind. Jede Formulierung von Regeln ist daher nur eine (unzulässige) Verallgemeinerung, z.B. "Frauen können nicht einparken." oder "Einzelkinder sind egoistisch!"

Zitat
Ich habe dazu erst vorgestern eine interessante Dokumentation gesehen: Ein Mentalist schickte zwei Menschen in den Supermarkt und lies beide einkaufen. Der Haken: Bereits vor dem Einkauf sagte er voraus, welche Produkte die Probanten kaufen würden. Durch unbewusst platzierte Botschaften und Schauspieler innerhalb des Supermarktes bewegte er die Probanten anschließend zielgerichtet zu den Produkten. Und tatsächlich entsprachen die Einkaufswägen nach dem Experiment zu einem beeindruckend großem Teil dem des Mentalisten.
Ein Scharlatan? Mentalisten – das sind doch so Jahrmarktzauberer, oder?
Nein – hier hat jemand eine ungeheure Ahnung von den Gesetzen der Psychologie, die in Werbung und Alltag ständig auf uns niederprasseln. Wir sind im Prinzip unfreier als wir denken würden – selbst wer gezielt gegen die Manipulation geht, lässt sich in diesem Moment schon wieder durch die Manipulation in eine Richtung drehen.

Ich habe diesen Beitrag leider nicht ganz gesehen, aber hat der Typ sich wirklich als "Mentalist" bezeichnet? Ich dachte, das wäre so ein "Supermarkt-Psychologe", der eben versteht, wie er seine Kunden zu lenken hat. Dabei muss man aber auch wissen, dass er seinen Probanten vorher gesagt hat, was sie einkaufen sollen, z.B. Pizza. Dass dann einer an dem mittem im Weg aufgestellten Regal mit den Zutaten (Fertigteig, passierte Tomaten,...) hängen blieb, ist eigentlich nicht weiter verwunderlich. Der andere Probant nahm immerhin eine Fertigpizza, die der Mentalist nicht in seinem Muster-Einkaufswagen hatte.
Richtig ist aber, dass wir alle sehr leicht Opfer von Manipulationen werden.

Zitat
Weshalb wurde der Ripper gezwungen, gerade diese Opfer an gerade diesem Ort zu töten?

Wurde er denn gezwungen? Ich denke, dass Serienmörder zwar einen gewissen Drang zur Gewaltausübung verspüren, aber das tun sicher viele andere auch, die eben nicht zum Mörder werden. Vielleicht auch einige hier im Forum. Entscheidend ist für mich, dass bei Serienmörder die Hemmung zur Gewaltausübung geringer ist, sei es, weil ihnen prinzipiell die Empathie fehlt, sei es (später), dass sie ihre Tötungshemmung bereits überwunden haben und sich somit in einem Bereich befinden, den wir nicht betreten können und wollen. Von daher ist es für uns auch schwer, nachzuvollziehen, was solche Menschen treibt. Ob es sich aber um Zwang handelt?
In diesem Zusammenhang ist mir immer ein Zitat vom Green River Killer Gary Ridgway im Ohr: "I killed them because I wanted to kill them."
Er spricht also von einer Willensentscheidung. Auch Ted Bundy wollte meiner Meinung nach Töten, denn nur so konnte er Opfer für seine nekrophilen Neigungen kriegen. Würde es sich nicht um Willensentscheidungen handeln, wieso ist dann die Opfergruppe bei beiden auf spezielle Opfertypen (Prostituierte bzw. College-Girls) beschränkt? Wäre ein Zwang zum Töten da, wieso beschränkt sich dieser Zwang auf bestimmte Opfertypen?

Zitat
Passen Opfer wie Tabram oder Kelly in dieses Schema?

Inwiefern Tabram und Kelly in dieses Schema passen, wurde schon ausführlich in den diversen Threads diskutiert. Sie hatten einfach das Pech, zur falschen Zeit den falschen Klienten zu treffen.

Zitat
Wieso geschahen die Morde so „regelmäßig“, und weshalb nahm niemand Notiz vom Täter?

Wie kommt es zu so einem Mord? Nun, der Täter trifft zu einer ihm passenden Gelegenheit auf das Opfer. Passende Gelegenheit heißt, dass er sich einerseits sicher fühlen konnte, ihm anderseits aber auch das Opfer geeignet erschien. Schauen wir uns die Opfer von Jack the Ripper einmal an, so fällt mir einiges auf, was sie zum idealen Opfer macht.
Zum einen war in allen Fällen das Wetter nicht unbedingt schön, meistens Nieselregen im Laufe des Abends, dazu auch noch kalt. Einem Täter sagt dies, dass Prostituierte, die jetzt noch unterwegs sind, ihr Geld für eine Unterkunft noch nicht beisammen hatten. Folglich würden diese Frauen auch nicht sonderlich wählerisch sein, und einem eventuell aufkommendem Unbehagen widerstehen.
Zum anderen erschienen alle Opfer verwundbar. Die meisten waren betrunken, Chapman war gesundheitlich nicht auf der Höhe.
Alles in allem: leichte Opfer.
Die Gelegenheten schienen jack auch passend gewesen zu sein. Es war dunkel, das Wetter so lala, also wenig Leute auf der Straße, und wenn, dann würde ihn kaum einer erkennen.
Die Regelmäßigkeit kann sich natürlich einerseits leicht dadurch erklären lassen, dass er wann anders keine Zeit hatte, anderseits kann es auch einfach Zufall gewesen sein. Vielleicht war er jedes Wochenende auf Pirsch, doch nur an den besagten Terminen war er erfolgreich. Wegen der vergleichsweise "wenigen" Opfer erscheint uns das heute als Muster.

Zitat
Wonach suchte die Polizei zur damaligen Zeit? Wie kamen sie auf manche Verdächtige? Woher nahmen sie ihre Annahme, es könne sich bei Person X um den Täter handeln? Genau hier sind wir an einem Punkt, an dem wir bis zum heutigen Tage einen großen „Fehler“ der damaligen Ermittler aufnehmen und weiter denken: Die Täterpsychologie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Serienmörder wurden noch als Wahnsinnige angesehen, als Andersartige, Sonderlinge, als „nicht auffällig“ im Sinne von „auffallend unauffällig“. Und so suchte man nach Schlägern, nach Vorbestraften, nach „Lunatics“, die in irgendwelchen Irrenanstalten zusammen mit anderen Wahnsinnigen ihr Dasein fristeten. Und natürlich – es hätte mich verwundert wenn nicht – fand man sie. Die Wahrscheinlichkeit in der Gosse der damals größten Stadt der Welt dürfte wohl auch nicht allzu gering sein. Hatte betreffende Person auch noch in irgendeinem Bezug Probleme mit Frauen und Gewalt – und auch das war damals wohl keine Seltenheit, eher die Regel im East End – hatte man den Verdächtigen, mit dessen Hilfe man den Druck auf die Ermittlungsarbeiten etwas zügeln konnte.

Doch – diese Methode war schlichtweg falsch. Der Ripper war kein Lunatic, er hatte auch keine sexuelle Abartigkeit an sich, ja er hätte sogar ein arbeitender Familienvater im West End der Stadt sein können…er war eventuell gar kein sozialer Sonderling, bisher nicht gewalttätig aufgefallen oder körperlich beeinträchtig.

Und unter diesen Gesichtspunkten gibt es bisher keinen Verdächtigen, der auch nur ansatzweise sicher in das Täterprofil passt, denn wir begehen nach wie vor die Fehler, die immer noch in den Köpfen unserer Gesellschaft verankert sind, in der Literatur und den Medien ihren Ausdruck finden und damals dazu führten, dass der Täter nicht verhaftet werden konnte: Wir haben eine eingeengte Sicht auf den Täter, da die Psychologie noch nicht gesellschaftlich akzeptiert genug ist und zu viele falsche Täterbilder in den Köpfen der Menschen umhergeistern.

Dem kann ich so eigentlich nur zustimmen.
Ich würde daher gerne zwei Strategien verfolgen.
1. Briefe von Nachbarn, Vermietern, Kollegen,... an die Polizei, in denen die Schreiber ihre Verdächtigungen äußern. Da sind sicher viele dabei, die nur den harmlosen Spinner von nebenan denunzieren, aber eben vielleicht auch brauchbare Hinweise, handelt es sich doch bei den Schreibern um Menschen aus dem näheren Umfeld, denen Veränderungen schnell auffallen würden. Ich denke nämlich, dass zumindest der erste Mord - das Durchbrechen des Tabus - Veränderungen irgendeiner Art im Täter hervorrufen muss.
2. Die Verhaftungen von verdächtigen Personen. Viele Serienmörder gerieten früh ins Visier der Polizei, doch ihnen konnte nichts nachgewiesen werden. Gary Ridgway fiel der Polizei sogar mehrfach auf. Einmal folgte der Freund (Zuhälter?) eines Opfers ihm hinterher und verlor zwischenzeitlich seine Spur. Später suchte er mit der Familie des Opfers die Gegend ab und fand Ridgways Haus. Der konnte der Polizei aber versichern, dass er nichts mit der Sache zu tun habe. Eine andere Prostituierte erzählte der Polizei, Ridgway habe sie gewürgt. Doch wieder konnte er die Polizei davon überzeugen, dass alles ganz anders gewesen sei, und er sie nur gewürgt habe, weil sie ihn zuvor in sein bestes Stück gebissen habe. Desweiteren fiel Ridgway auf, weil er oft im Rotlichtbezirk gesehen wurde.
Oder aber Jeffrey Dahmer, dem ein Opfer auskam, während er Bier kaufen war. Der nackte Junge mit Handschellen wurde von der Polizei aufgegriffen. Er war noch betäubt vom Schlafmittel, das Dahmer ihm verabreicht hatte. Als aber Dahmer dazu kam, konnte er die Polizei überzeugen, der Kleine sei sein schwuler Liebhaber und hätte etwas zuviel getrunken. In seiner Wohnung konnte er der Polizei noch Nacktaufnahmen des Jungen zeigen, was diese wohl von der Geschichte überzeugte. Kaum war die Polizei aber weg, tötete er den Jungen.
Worauf ich hinaus will: es ist durchaus möglich, dass unter den vielen Verhaftungen, die es im East End zur damaligen Zeit gab, durchaus auch der Ripper dabei gewesen sein könnte. Leider wird in den Zeitungsberichten dazu nur selten der Name genannt.

Persönlich bin ich Anhänger von Listen. Von verschiedenen Eigenschaften, die man vom Täter kennt, werden Listen mit Namen erstehlt, auf die dieses eine Kriterium zutrifft. Steht eine Person dann auf mehreren dieser Listen, so wird er näher untersucht.
Beispiel Peter Sutcliffe: Vom Yorkshire-Ripper war aufgrund von gefundenen Reifenspuren bekannt, dass er ein Auto aus einer bestimmten Reihe von Marken fuhr. Ein Abgleich mit der Meldebehörde ergibt eine Liste von sagen wir mal 10000 Personen.
Weiter war bekannt, aufgrund einer druckfrischen 5-Pfundnote, die nur an eine von fünf Firmen ausgeliefert worden sein konnte, dass er in eben einer dieser Firmen gearbeitet haben könnte. Das ergibt eine Liste von 5000 Personen.
Weiter war bekannt, dass der Yorkshire-Ripper die Rotlichtbezirke frequentierte. Wieder eine Liste mit 5000 Namen.
usw. usw.
Personen, die nun mehrfach in diesen Listen auftauchen, haben es verdient, genauer untersucht zu werden. Das können zwar immer noch 100 Namen sein, aber immerhin, Land ist in Sicht.
Inwiefern sich das auf den Ripper anwenden lässt, ist fraglich, da wir ja nicht einmal wissen, wer alles 1888 im East End lebte, und damit schon einmal die Grundmenge fehlt.



Offline Isdrasil

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #8 am: 04.10.2011 16:48 Uhr »
Hi

Das sehe ich etwas anders, denn in der Mathematik werden bestimmte Objekte aufgrund ihrer Eigenschaften zu Mengen zusammengefasst, z.B. die Menge der natürlichen Zahlen {1,2,3,...}. Anhand dieser Eigenschaften lassen sich dann Sätze und Regeln ableiten.
In der Psychologie geht das meines Erachtens nicht so einfach, das Menschen dafür einfach zu komplex sind. Jede Formulierung von Regeln ist daher nur eine (unzulässige) Verallgemeinerung, z.B. "Frauen können nicht einparken." oder "Einzelkinder sind egoistisch!"

Hm..das sehe ich nicht ganz so. Natürlich meine ich keine Verallgemeinerungen. Die Mathematik besteht auch aus Funktionen, Stochastik, Vektoren, Mengenlehre. Und diese Regeln können sehr wohl auf die Psychologe angewandt werden. Gerade die Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich sogar sehr gut auf die Psychologie anwenden. Natürlich ist der menschliche Geist zu Komplex, um Verallgemeinerungen treffen zu können. Zum Beispiel Einzelkinder sind egoistisch. Dazu ist die Menge der Einzelkinder und damit die Anzahl der Möglichkeiten viel zu groß. Es müsste weitergehen mit "Einzelkinder die...und die...und die...", und ich glaube, dass man durch Hinzufügen genügender Parameter immer weiter an der Parabel nach unten schlittert, bis man annähernd die X-Achse erreicht und sagen kann: "Der muss zu einer Wahrscheinlichkeit von 99% ein Egoist sein". Das ist angewandte Mathematik, nicht mehr und nicht weniger.
Ebenso beim Ripper und bei Serientätern - deine Idee mit der Liste ist hervorragend, und hier arbeitet man ja auch mit Wahrscheinlichkeiten, die Treffern in den Listen entsprechen. Das meinte ich: Profiling ist auf den Geist des Menschen angewandte Mathematik. Und ich denke, dass dieses Profiling eines Tages überaus ausgereft sein wird und sehr genaue Prognosen auf den Täter geben kann. Wir sind erst am Anfang, auch wenn der Weg sehr weit ist.
Du sprichst von der Menge der natürlichen Zahlen als Begrenzung - doch die Menge der natürlichen Zahlen ist per se auch unendlich und bietet damit auch unendliche Möglichkeiten. Wer jedoch die Regeln verstanden hat, kann mit der Unendlichkeit umgehen und auf Lösungen kommen. Darum geht es auch bei der Psychologie.

Oh - und jetzt muss ich los! Bis bald... 8)

Grüße, Isdrasil

Offline Shadow Ghost

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #9 am: 04.10.2011 17:10 Uhr »
Ich glaube, die Diskussion, ob die Psychologie eine exakte Wissenschaft ist oder irgendwann sein wird, führt zu nichts. Aber ich denke, ich habe nun verstanden, worauf Du hinaus willst: auf eine Art empirisches Profiling. Stephan Harbort hat dazu etwas veröffentlicht (Kriminalistik 1997, 569 ff.), siehe auch hier www.der-serienmoerder.de/scripts_de/.../profil_sexualmoerder01.doc
Diese Idee finde ich sehr interessant und verfolgenswert, verglichen mit den Hokus-Pokus-Profilen, wie man sie sonst so vorgesetzt bekommt, ebenso wie ich Sympathien für das geographische Profiling habe; beides entspricht eben meinem mathematischen Geist mehr als die (auf mich) spukhaft wirkende Tiefenpsychologie.

Stordfield

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #10 am: 04.10.2011 22:35 Uhr »
Hallo!

Es gibt ja auch das mathematische Profiling. Dabei werden Berechnungsformeln zur Wahrscheinlichkeitsvorhersage von Tätermerkmalen erstellt. Einigen tatrelevanten Verhaltensweisen wie z. B. Ortskenntnisse, Verstümmelungen u.ä. ordnet man Variablen- Werten zu und diese Summe wird dann in einer speziellen Formel (sieht ungefähr so aus: exp * (Variable) : [ 1+ exp * (Variable) ]) verwendet, um die Prozentzahl der Wahrscheinlichkeit zu errechnen.

Gruß Stordfield

Offline Lestrade

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #11 am: 04.10.2011 22:48 Uhr »
Ein mathematischer Faktor ist meiner Meinung nach nicht zu knapp vorhanden.
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Shadow Ghost

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #12 am: 05.10.2011 00:02 Uhr »
Zum Beispiel Einzelkinder sind egoistisch. Dazu ist die Menge der Einzelkinder und damit die Anzahl der Möglichkeiten viel zu groß. Es müsste weitergehen mit "Einzelkinder die...und die...und die...", und ich glaube, dass man durch Hinzufügen genügender Parameter immer weiter an der Parabel nach unten schlittert, bis man annähernd die X-Achse erreicht und sagen kann: "Der muss zu einer Wahrscheinlichkeit von 99% ein Egoist sein". Das ist angewandte Mathematik, nicht mehr und nicht weniger.

Diese Überlegung ist meiner Meinung nach verkehrt herum. Wir sind nicht in der Situation zu sagen, "Einzelkinder die...und die...und die...Eigenschaften haben, sind zu einer Wahrscheinlichkeit von 99% Egoist." Vielmehr haben wir die umgekehrte Situation, nämlich dass wir ein Einzelkind haben, von dem wir wissen, dass es ein Egoist ist. Und nun wollen wir herausfinden, welche weiteren Voraussetzungen erfüllt sein mussten, damit dieses Kind zum Egoisten werden konnte. Dabei ist das Problem, dass eben nicht nur der Satz A von Eigenschaften zum Resultat "Egoist" führen kann, sondern eben auch noch ein Satz B und ein Satz C.

Ebenso haben wir es bei Serienmördern, von denen wir nur das Resultat, z.B. "Sadist", kennen. Und auch hier können unterschiedliche Sätze an Eigenschaften und Ereignissen in der Kindheit zu demselben Resultat geführt haben.

Die empirische Erstellung von Täterprofilen setzt dagegen bei der Vermutung an, dass ähnliche Taten eine ähnliche Vorgeschichte haben. Wenn 80% aller Täter, die ihren Opfer die Augen ausstechen, alleine leben oder keinen Führerschein haben, so ist es eine anzunehmende Vermutung, dass auch ein unbekannter Täter, der seinem Opfer die Augen ausgestochen hat, alleine lebt oder keinen Führerschein hat. Man verwendet sozusagen eine empirisch gewonnene apriori-Information, um die oben genannten möglichen Sätze von Eigenschaften und Ereignissen, die zum Resultat "Augen ausstechen" führen können, einzuschränken.

Offline Anirahtak

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #13 am: 05.10.2011 01:00 Uhr »
Ich stimme hier zu, bei Bundy krieg ich auch Gänsehaut... [...]
Nicht wahr? Ein Spezialfall unter den Spezialfällen.



[...]

Euer Beispiel von Ted Bundy passt auch wirklich gut zu der Sache… [...]
Und da wäre auch noch ein Punkt, der mit ihm und Psychologie zu tun hat. Nämlich die Tatsache, dass auch Täter Psychologie anwenden. Im Falle Bundys, der Canaille, der auch mal kurz Psychologie studierte und der sogar mal an einer Suizid-Hotline saß, ganz gezielt. Er brachte seine Opfer auf verschiedene Arten in seine Gewalt, überfiel Schlafende, gab sich als Autoritätsperson aus oder wendete eine Mitleidstaktik an. ZB verband er sich den Arm, legte ihn in eine Schlinge und nahm in den anderen einen Stapel Bücher. Auf dem Campus ließ er die Bücher vor dem Opfer fallen und bat sie, ihm die Bücher zum Auto tragen zu helfen, es stehe gerade da drüben.

Nun, wer würde diese Bitte abschlagen? Kaum einer. Und überhaupt gar niemand käme auf den Gedanken, dass der nette, verletzte Mann mit dem Stapel Bücher, dessen Auto gerade da drüben steht, auch ein nekrophiler Serienmörder sein könnte, der einen gleich am Auto mit einem Brecheisen niederschlagen könnte. Für diesen Schluss müsste man ja selbst verrückt, paranoid sein.

Die Opfer haben also ihre Hilfsbereitschaft mit einem grausamen Tod bezahlt und Bundy hat "perfide Psychologie" angewandt, die sich für seine Ziele als nahezu bombensicher erwies.

Zum Vergleich: Wenn jemand zB als Anhalter zu Fremden ins Auto steigt, entbindet das den Täter selbstverständlich nicht von seiner Schuld. Gleichzeitig ist hier aber noch ein gewisses Maß an Eigenverantwortung seitens des Opfers mit enthalten. Jeder weiß, dass es Risiken birgt, zu Fremden ins Auto zu steigen, dieses Wissen hat auch nichts mit Paranoia zu tun. Und der Täter ist derjenige, der vorgibt, einen Gefallen zu erweisen. Bundy schaffte es, sogar noch diesen Spieß umzudrehen und um Gefallen zu bitten. Die Perfektionierung der Perfidie, was für eine Ultra-Canaillie.

Zitat
Und noch was zur Unauffälligkeit der Täter:
Besonders erschüttert hat mich dazu in letzter Zeit der Fall Mirko.
Ich war von Dezember letzten Jahres bis Juni dieses Jahres in den USA und weiß daher nicht, inwieweit die Öffentlichkeit von den Ermittlungsfortschritten informiert war. Jedenfalls war ich trotz des Wissens, dass es sich bei vielen Tätern um Normalos handelt, außerordentlich erstaunt wie normal dieser Mann zu sein scheint: Ein 43-Jähriger Familienvater.
Ich stelle mir in solchen Momenten vor, wie die Familie zusammengesessen hat und die Nachrichten sah, den verzweifelten Aufruf der Eltern verfolgte. Was ging in diesem Moment im Täter vor? Lag er mit seiner Frau auf dem Sofa, hatte sie im Arm, schämte er sich in diesem Moment oder überwog das Machtgefühl, etwas Schreckliches getan zu haben und nicht erwischt zu werden? Ich frage mich, ob man in solchen Momenten der Mimik des Mannes ansehen könnte, dass er der Täter ist…dann frage ich mich, wie der Alltag der Familie ausgesehen hatte. War es eine aktive Familie, unternahm sie viel, oder lebte man vor dem Fernseher in den Tag hinein, neben den Anderen her…
Und vor Allem: Hätte man ihn nicht erwischt, wäre aus ihm noch ein echter Serientäter geworden?

Etwas Postives hatte die Nachricht dann jedenfalls doch noch für mich: Ich finde es schön, dass die Eltern von Mirko nun wenigstens abschließen können.
Doch Andererseits ist man mit Gedanken auch bei der Familie des Täters…
Ob dieser Kandidat auch ein potenzieller Serinemörder wäre, habe ich mich ebenfalls schon gefragt. Was seine Familie betrifft, frage ich mich, ob sie etwas gemerkt haben. Nicht unbedingt gleich einen solchen Verdacht, aber dass etwas nicht stimmt. Beim "Merken" ist es ja auch immer so eine Sache, ob der Betreffende überhaupt etwas merken will oder sich abschottet und nur noch die gewünschte "Realität" wahrnimmt.

Offline Lestrade

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Re: Über die Psychologie
« Antwort #14 am: 05.10.2011 01:33 Uhr »
Es gibt die Theorie, dass bei Menschen, die sehr emotional und mitfühlend leben, ab dem Alter ab 30 bis Anfang 40, bestimmte Hirnbereiche aktiviert werden, die eigentlich nur im Kindesalter gebraucht werden. Diese Aktivität, ermöglicht ganz neue Kapazitäten und Denkweisen in diesem fortgeschrittenen Alter, die jedoch viele Menschen nie ereilen wird. Berufsgruppen wie Psychologen, vielleicht einige Ärzte oder eben Profiler, natürlich auch einige Philosophen, deren überwiegende Aufgabe es ist, andere Menschen zu verstehen, mit ihnen mitzufühlen, werden dem Maurer, dem Profifussballer, dem Biologen oder dem Lackierer darin überlegen sein. Oder besser gesagt Vorteile haben. Ausnahmen bestätigen die Regel. Um ein wirklicher Mentalist zu sein, braucht man neben diesem enormen Interesse am Menschen auch bestimmte Informationen, um ein möglich rundes Bild über andere abzugeben. Diese Informationen besitzen eben von Berufswegen gute Psychologen oder eben Profiler. Oder aber, sie liefern diese Informationen selber (Statistiken). Die Wahrscheinlichkeiten, gerade in den Hintergründen oder Statistiken bei Serienkillern, liegen doch niemals sehr hoch. Wenn etwas, 60% von irgendetwas ist, dann ist dies bereits viel. Dann war das Alter eben nicht 25-35 Jahre sondern eben 37 Jahre, dann lebte er eben nicht bei seiner Mutter, sondern bei der Schwester seines Vaters, dann war der erste Tatort eben nicht in der Nähe der Arbeitsstelle oder des Wohnortes, sondern in der Nähe seines Cousin. Denn irgendwo muss man ja anfangen, man muss sich an Angaben halten, die vielleicht auch n u r  mit Mathematik zu tun haben. Statistiken sind ja Mathematik, geographisches Profiling hat auch mit Wahrscheinlichkeiten zu tun. Etwas läßt sich immer am Menschen berechnen. Und wenn es nur ein Mittelwert ist. Ein Profiler ist doch überragend, wenn er 6 von 10 Dinge "vorhersagt" und 3 vielleicht nicht so verkehrt sind und eines vielleicht falsch war. Wer ein Profil von einem gesuchten Täter liest, der ist selber schuld, wenn er eine 100%ige Übereinstimmung erwartet. Passiert das einmal, um so schöner...

Der Mathematik muss aber Leben eingehaucht werden, sie muss komplex verstanden und angewandt werden, sie muss von Menschen behandelt werden, die die Zahlen dahinter auch verstehen und interpretieren können. Denn:

Patrick ist Ire und hat rote Haare

und

Chris hat rotes Haar und muss deshalb Ire sein

funktioniert eben nicht unbedingt als unzweifelhafte Logik oder Tatsache. Wenn man sich das als Zahlen darstellt, darf man sich die Verknüpfung mit Ire und rote Haare nicht als unveränderbare Größe in der Formel vorstellen. Kommt bestimmt wahrscheinlich oft so hin, vielleicht eben zu 60% aber halt nicht immer.

Ein Egoist muss nicht unbedingt ein Einzelkind sein und eine Einzelkind nicht unbedingt ein Egoist. Aber vom menschlichen Wesen her, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, denn ein Egoist oder Einzelkind, hatte wahrscheinlich weniger Leute in seiner kindlichen Umgebung als jemand der weniger egoistisch ist.  

Dennoch, es gibt nichts was es nicht gibt, nichts passiert ohne Grund und alles ist möglich.


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