Hallo.
Ich denke, dass hier gleich mal mehrere Hundert Namen auftauchen, wenn wir wirklich
alle Personen sammeln würden, die von irgendwem irgendwann einmal verdächtigt wurden, Geständnisse ablegten oder bis heute sonst irgendwie mit dem Fall im Zusammenhang gesehen werden könnten. Das würde dann schon extrem ausufern und verwirren, zumal viele davon ja ohnedies auszuschließen sind.
Hier aber dennoch eine kleine Auswahl (inklusive Beschreibung) von weiteren Personen, die entweder in den Akten auftauchten, oder hin und wieder in manchen damaligen Zeitungen genannt wurden. Personen, zu denen wir bereits Threads haben, habe ich nur namentlich angebracht und mit diesen verlinkt– man kann das auch umgekehrt machen: also wenn jemand einen hier schon beschriebenen Verdächtigen in einem neuen, eigenen Thread diskutieren will (was sich z. Bsp. für Grainger - im Gegensatz zu anderen -anböte), einfach einen Link hierher anbringen, dann spart man sich die Beschreibung. Nötige Korrekturen oder wichtige Ergänzungen sind natürlich (wie immer) willkommen. Manche der Personen sind ziemlich auszuschließen, andere womöglich rein fiktiv, aber mir ging es bei der Auswahl auch um verschiedene damals (!) genannte Szenarien, bzw ´Typen´, sowie einen Einblick in die Geschichten, mit denen die Polizei und die Medien damals konfrontiert wurden, und wie sie damit umgingen. Prinzipiell stammen die Personen aus dem Zeitraum bis Frühjahr 1889 und Grainger habe ich angeführt, weil er ja oft in Publikationen genannt wird. Eventuell auch interessante, ´amerikanische Verdächtige´ wie
Arbie La Bruckman (bzw die ´zwei Frenchys´) oder
Emil Tottermann, die wie Grainger ja auch erst später ins Spiel gebracht wurden, habe ich aber auch mal weggelassen. Die Reihenfolge ist übrigens ziemlich willkürlich, da die Personen oft erst später genannt wurden, als die sie betreffende Angelegenheit stattfand.
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Puckeridge´, eventuell
Oswald PuckridgeNeben Isenschmid und dem ´Bordelllodger´ einer der drei Verdachtsfälle, die Charles Warren am 19. September 1888 in einem Schreiben nannte. Laut Warren ein ausgebildeter Doktor, der am 4. August 1888 aus einer Anstalt entlassen wurde. Der zum Zeitpunkt des Schreibens nicht lokalisierbare Mann soll Leuten gedroht haben, sie mit einem langen Messer aufzuschlitzen. Danach wird sein Name nicht mehr erwähnt. Es ist heute ein ´Oswald Puckridge´ bekannt, der jedoch Arbeiter war, und kein Doktor. Dieser war zum Zeitpunkt der Morde 50 Jahre alt und verheiratet, ließ sich 1900 in ein Workhaus einliefern, wo er kurz darauf aufgrund bronchialer Pneumonie verstarb.
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Der Bordelllodger´
Im gleichen Schreiben wie Isenschmid und ´Puckeridge´ erwähnt. Eine Bordellbesitzerin, die ihren Namen und ihre Adresse nicht angab, berichtete, dass an einem Mordmorgen ein Mann, der in ihrem Haus lebte, mit Blut an seiner Kleidung beobachtet wurde. Sie beschrieb den Mann und wo man ihn antreffen konnte. Als Detectives jedoch dort auf ihn zugreifen wollten, ergriff er die Flucht und entkam. Auf das Bordell und seine Besitzerin gab es keine Hinweise.
3 verrückte MedizinstudentenAm 19. Oktober 1888 nennt Inspector Swanson 3 verrückte Medizinstudenten, nach denen die Polizei suchte. Zwei davon konnten ausfindig gemacht, der dritte würde im Ausland vermutet werden. Vorerst immer nur anonym erwähnt, wird der dritte schließlich auch namentlich genannt: John Sanders oder ´Saunders´.
John William Smith SandersDer dritte verrückte Medizinstudent konnte schließlich ins Haus seiner Mutter – laut Inspector Abberline ´20 Aberdeen Place´, tatsächlich jedoch 20 Abercorn Place – zurückverfolgt werden, das die beiden aber vor zwei Jahren verlassen haben sollen. Heute ist bekannt, dass John Sanders seit 1887 in mehreren Anstalten war – so saß er auch zur Zeit der Morde in einem Privatasylum in Kent (West Malling Place). Anzunehmen ist, dass auch die Polizei damals diesen Fakt eruierte.
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Morford´
Am 24. September 1888 weiß der
Star von einem Mann namens ´Morford´ zu berichten, der am 10. September aus seiner Unterkunft in der Great Ormond Street verschwunden ist, und der sich von einem Pfandleiher zuletzt ein Set Chirurgenmesser geliehen haben soll. Er soll ein alkoholkranker, ´gefallener´, chirurgisch ausgebildeter Mann gewesen sein. Philipp Sudgen meint in
Jack the Ripper The Facts, dass Morford einer der 3 verrückten Medizinstudenten gewesen sein könnte – wenn das der Fall ist, wurde er aber wohl ausgeschlossen, da man im Zusammenhang mit den Studenten schlussendlich nur noch nach John Sanders suchte (siehe oben).
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Pigott´,
William PiggottSiehe, wenn auch nur ein recht kurzer Überblick:
http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,980.0.htmlJames JohnsonAm 29. September 1888 stand Johnson vor dem Dalston Police Court. Ihm wurde von der Prostituierten Elizabeth Hudson (einer polizeibekannten Frau von ´liederlichem Charakter´) vorgeworfen, ihr um 2 Uhr morgens aufgelauert, sie zu Boden gestoßen und ein 8-10 Zoll langes Messer gezückt zu haben, um damit auf sie einzustechen. Ihre Schreie haben zu Johnsons Festnahme geführt. Johnson, der auch von einer Freundin von Hudson beschuldigt wurde, sie bereits zuvor in der Kingslandroad auf ähnliche Weise angegriffen zu haben, gab an, dass die ganze Situation umgekehrt war, und er letztendlich die Prostituierte in Notwehr zu Boden stieß. An ihm wurde auch kein Messer gefunden. Auch seine Landlady sagte zu seinen Gunsten aus und er wurde schließlich freigesprochen – mit dem Hinweis, dass er sich wohl törichterweise selbst in diese Situation brachte. Beschreibung: 35 Jahre, bleich, gut angezogen und situiert, glatt rasiert und starker amerikanischer Akzent. Die Zeitungen übertitelten dennoch u.a. mit ´A Fresh Whitechapel Scare´.
Ein verrückter Friseur namens ´Mary´ Ende September 1888 nahm die Londoner Polizei mit der Polizei in Bremen Kontakt auf. Sie suchte nach einem verrückten Friseur mit Namen dem ´Mary´. Die deutsche Polizei ließ mitteilen, dass dieser Mann seit 7. August 1888 eine einjährige Haftstrafe in Bremen Oslebshausen absitze und daher nicht für die Morde in Frage käme. ´Mary´ war unter Verdacht geraten, weil er mehrfach bei Anbruch der Nacht auf großen Straßen herumlief und Frauen plötzlich mit einem scharfen Instrument in die Brust und in den Unterleib stach, wobei die Wunden nie wirklich tief waren. Er wurde in seinem Laden festgenommen, nachdem eine junge Frau, die er tags zuvor zu vergewaltigen versuchte, ihn wiedererkannte.
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John Kelly´ alias ´
Johann Stammer´ (nicht Eddowes´ Lebensgefährte)
Möglicherweise auch nur rein fiktiver, wahrscheinlich irischstämmiger ehemaliger Sozialist und Fleischer, der von einem Informanten namens Jonas aus Wien in Korrespondenzen mittels des britischen Botschafters in Österreich-Ungarn der englischen Polizei zwischen dem ´Double Event´ und dem Mord an Mary Jane Kelly namentlich genannt wurde. Er soll einen Rachefeldzug gegen Juden und Sozialisten geführt haben, da er aus einer geheimen, internationalen, sozialistischen Bewegung ausgeschlossen wurde, weil er Mitglieder dieser im Rahmen einer Affäre diskreditierte. Soll ursprünglich dem gewaltbereiten Flügel der Bewegung angehört haben, der sich später auch abspaltete und fortan mit Mord, Terror und durch Diskreditierung von Bevölkerungsgruppen ihre politischen Ziele durchsetzen wollte. Hat (laut Informanten, der der ´Chef´ der Organisation in Österreich-Ungarn gewesen sein will) in New York bereits zuvor seine Geliebte und ihr Kind umgebracht, und arbeitete in San Francisco in einer Metzgerei als ´Johann Stammer´ - nannte sich in England jedoch ´John Kelly´. (Also genauso wie Eddowes Lebensgefährte und ein bzw möglicherweise sogar zwei Brüder und der Vater von Mary Jane Kelly) Hat, so der Informant, garantiert keine Briefe geschrieben, da er des Schreibens gar nicht mächtig war, soll aber einen Komplizen gehabt haben, und dem Bild des Täters im
Daily Telegraph nicht ähnlich gewesen sein. Wurde von der sozialistischen Gesellschaft vermutlich selbst seit kurz vor dem Mord an MJK überwacht, um seinem Treiben ein Ende zu bereiten. Möglicher Stützpunkt des Mannes außerhalb Londons: Liverpool. Angeblich zu diesem Zeitpunkt große Fluchtgefahr nach Frankreich. Weitere Beschreibung, die der Informant aus Wien Sir Charles Warren am 4. November 1888 mitteilte: 35 bis 38 Jahre alt, mittelgroß, breite Schultern, markante Züge, aufgrund einer Stecherei eine Narbe unter dem linken Auge und große, extrem strahlende Zähne. Er hätte einen Gang wie ein Seemann und war 3 Jahre als Schiffskoch tätig.
Abgesehen von Charles Warren, der nach eigenen Angaben schon bereits vor den Informationen aus Wien aufgrund des Double Events (bzw der Tatorte) eine Organisation zur Diskreditierung von Sozialisten und Juden hinter den Morden vermutet haben will, und der zumindest keinen Grund sah, warum man der Sache nicht nachgehen solle, sowie dem englischen Botschafter und dem Generalkonsul in Wien, die dem Informanten glaubten und letztendlich sogar Geld für dessen Anreise nach Paris (wo dieser den dortigen ´Chef´ der Bewegung treffen wollte, um mit diesem nach London zu reisen) zur Verfügung stellten, wurde die Geschichte von den höchsten Polizeibeamten (Lushington, Matthews, Anderson und später Monro) als äußerst unglaubwürdig eingestuft. Die Korrespondenzen zwischen London und Wien liefen diesbezüglich vom 12. Oktober 1888 bis März 1889.
Dick Austin Siehe:
http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1080.0.htmlArthur Henry MasonAm 16. November 1888 wurden zwei Männer im ´White Hart Public House´, Hampton Wick, Middlesex auf Mason aufmerksam, da er sich seltsam benahm und aufgeregt erschien, als sie von den ´Whitechapelmorden´ redeten. Zudem fanden sie, dass er der Beschreibung von ´Jack the Ripper´ ähnelte, was sie dazu veranlasste, einen Polizisten darauf anzusprechen, der Mason mit auf die Wache nahm und dort dessen Personalien notierte: Alter: 32, Größe 5 ft 9 in, frischer Teint, schmales Gesicht, Koteletten, Oberlippen- und Kinnbart. Wohnhaft: Portland Road, Spring Grove, Kingston. Beruf: Schriftsetzer bei Kelly and Co Kingston. Seine Daten wurden auf ihre Richtigkeit überprüft und der Mann wieder freigelassen.
George Hutchinson (Wahrscheinlich nicht der Zeuge im Fall Kelly)
Eventuell amerikanischer, wahnsinniger Krimineller, der 1880/81 aus mehreren psychiatrischen Anstalten in den Vereinigten Staaten geflohen ist und zur Zeit der Morde seit 3 oder 4 Jahren angeblich abermals durch Flucht auf freiem Fuß war. Mehrere, vor allem amerikanische Zeitungen brachten ihn im November 1888 und Jänner 1889 als Verdächtigen ins Spiel. Ihm wurde vorgeworfen, eine Frau in Chicago umgebracht und im ´Ripperstil´ entweidet zu haben. Da auch englische Zeitungen schließlich von diesem Mann berichteten (Vgl.
Pall Mall Gazette, 12. Jänner 1889), ist anzunehmen, dass die Londoner Polizei darüber informiert war.
Dr. Frederick R. ChapmanSiehe:
http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1194.0.htmlWilliam Grant GraingerGrainger wurde am 12. Februar 1895 festgenommen, weil er der Prostituierten Alice Graham um 2 Uhr morgens in der Butler´s Street in Spitalfields mit einem Messer in den Bauch gestochen hatte, wobei ihr Magen durch einen 5 cm langen Schnitt ernsthaft, aber nicht lebensbedrohend verletzt wurde. Direkt nach der Ausübung der Tat ließ Grainger sein schreiendes Opfer liegen und versuchte zu fliehen. Die Schreie des Opfers führten zu seiner Verfolgung durch einige Personen und Grainger wurde schließlich von einem Polizisten entwaffnet und verhaftet. In der Polizeistation gab er den Namen ´Grant´ und den Beruf ´Schiffsfeuerwehrmann´ an. Die Zeitungen wurden bald auf diese nächtliche Attacke aufmerksam und brachten sie mit ´Jack the Ripper´ in Verbindung. Eine Australische Zeitung titelte sogar ´Jack the Ripper rothändig gefasst.´. Es wurde berichtet, dass Grainger die Tat beging, weil er mehrfach von Prostituierten ausgeraubt und schlecht behandelt wurde. Er selbst gab der Polizei aber an, dass Graham ´ausbeuterisch´ war. Die
Pall Mall Gazette vom 7. Mai 1895 berichtete jedenfalls, dass Grainger dem einzigen Zeugen, der den Ripper jemals, wenn auch nur kurz, gesehen haben soll, gegenübergestellt wurde und sofort identifiziert worden sei. (Eine ähnliche Geschichte gab es ja schon beim Mord an Frances Coles, der fast auf den Tag genau 4 Jahre zuvor stattfand, bezüglich Thomas Sadler, der wie Grainger Schiffsfeuerwehrmann war, was, wenn diese Berichte stimmen, eventuell darauf hindeuten könnten, nach welcher Art von Person die Polizei damals suchte, und mit welchem Mord der Zeuge zu tun haben könnte, nämlich vermutlich mit dem an Eddowes, wo ja eine Person im ´Seemannslook´ gesichtet wurde.) Nicht nur, dass sich bisher keine andere Quelle für diese angebliche Identifikation fand, als die Zeitung: Die Mordserie war 7 Jahre her – eine wirkliche Identifikation erscheint nach dieser Zeit äußerst unwahrscheinlich. Zudem wurde Grainger letztlich ´nur´ zu 10 Jahren Strafarbeit verurteilt, was weder dafür spricht, dass man ihm auch etwas anderes anhängen konnte, noch, dass er zum Zeitpunkt der Tat als psychisch krank eingestuft wurde, zumal er sonst wohl in einer Anstalt gelandet wäre. (Siehe auch:
http://www.oldbaileyonline.org/browse.jsp?id=def1-318-18950325&div=t18950325-318#highlight - bemerkenswert: ´Evidence is unfit for publication´.)
Grainger wurde 1858 oder 1860 in Cork (damals gehörte das heutige Irland natürlich noch zum Vereinigten Königreich) geboren und trat 1883 der Cork City Artillery bei, wo er allerdings 1889 als ´schlechter Charakter´ entlassen wurde. Er soll mehrfach im East End wegen Trunkenheit verhaftet worden sein und befand sich mehrfach in Workhouses. Ab 1887 reiste er wohl ständig per Schiff zwischen Cork und London hin und her. 1901 saß er laut Akten noch im Parkhurst Prison auf der Isle of Wight. Skurril ist, was sich zwischen seinem Anwalt Mr. Kebbel und Dr. L. Forbes Winslow später abspielte: Während Grainger inhaftiert war, behauptete Kebbel, dass sein Mandant, der auch über medizinisches Wissen verfügte und von seiner Familie verstoßen wurde, zugegeben hätte, ´Jack the Ripper´ zu sein, und im Gefängnis verstorben wäre. Winslow lieferte sich aufgrund dessen 1910 mit dem Anwalt eine hitzige mediale Auseinandersetzung, wohl um seinen ´Verdächtigen´ G. Wentworth Bell Smith erneut ins Spiel zu bringen. Am Ende konnte Winslow wohl nachweisen, dass Grainger noch am Leben war.
Grüße,
panopticon