Hallo.
Und Sickerts Bilder hätten sehr warscheinlich niemanden im Zusammenhang mit JtR interessiert, wenn er nicht selber ständig Andeutungen in diese Richtung gemacht hätte.
Ja, Sickerts Werke tauchen heute ja sogar
in erster Linie im Zusammenhang mit den Rippermorden auf, und vielleicht wäre er darüber sogar amüsiert gewesen - allerdings ist das, was mit ihnen durch Bücher wie dem von Cornwell gleichzeitig mittransportiert wird, für eine allgemeine Verbesserung der Kompetenzentwicklung im Bereich Kunstbetrachtung nicht gerade förderlich, sondern vielmehr schädlich, selbst wenn man derartige Publikationen endlich in die Abteilung ´Fiction-Roman´ einsortiert.
Es gibt übrigens auch einen Ripper-Brief, der mit einem Tuschpinsel geschrieben wurde und ebenfalls mit Bildern verziert wurde. Noch einen Hinweis auf einen Künstler geben die angeblichen Blutflecken auf manchen Ripper-Briefen, da man inzwischen weiß, dass es sich dabei um Ätzgrund für Radierungen handelt.
Ätzgrund und Tusche allein sprechen nicht zwangsläufig für einen Künstler, denn abgesehen davon, dass auch andere Personen über derartige Utensilien verfügen konnten, muss man im professionellen Bereich der Grafik prinzipiell auch die Unterscheidung zwischen Künstler und Gebrauchsgrafiker treffen – etwas, das Cornwell - zumindest in der Dokumentation - komplett unberücksichtigt ließ. Für sie scheint generell jeder, der in der Lage ist, irgendwie zu ´zeichnen´, gleichzeitig auch ein Künstler zu sein. In Wahrheit unterschieden sich Künstler und Gebrauchsgrafiker, die beide klarerweise durchaus mit Tusche und Druckverfahren arbeiten konnten – gerade in der damaligen Zeit – durch ihre Motivation bzw ihr Interesse, und dadurch auch durch ihren Stil und ihre Technik. Sickert jedenfalls, und das macht diese Unterscheidung sehr wichtig, war eindeutig von vorneherein Künstler, zumal sein Interesse nicht nur dem galt, was auf den ersten Blick das eigentliche Motiv seiner Werke zu sein scheint - und das zeigt sich auch in nahezu allen seinen Skizzen, Radierungen und Gemälden ab den 1880er Jahren. Wer es nicht kennt, und Sickerts eigentlichem künstlerischen Interesse selbst auf die Spur kommen will, kann ja zum Beispiel mal jeweils sowohl ´
Little Dot Hetherington at the Bedford Music Hall´ (1889) mit ´
Jack the Rippers Bedroom´ (1908) als auch ´
The Gallery of the Old Bedford´ (c.1895) mit ´
La Hollandaise´ (c. 1906) trotz der scheinbar unterschiedlichen Motive miteinander vergleichen, und dann überprüfen, ob sich der daraus gezogene Rückschluss auch eindeutig in seinen Zeichnungen und Radierungen, sowie seiner generellen Art zu skizzieren finden lässt.
Natürlich hätte Sickert bei Zeichnungen durchaus auch den Stil eines Gebrauchsgrafikers oder Laien nachahmen können, aber seine ´Herkunft´ wäre aufgrund verschiedenster Aspekte gerade zur damaligen Zeit dennoch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ablesbar geblieben.
Was zudem von Laien wie Cornwell, sehr oft falsch eingeschätzt wird, ist die generelle Motivation von Künstlern, anonym Werke (und jede Zeichnung ist ein Werk) irgendwo durch die Gegend zu schicken. Diese hält sich nämlich prinzipiell eigentlich in Grenzen – es sind vielmehr Amateure, die auf ihr ´Talent´ aufmerksam machen wollen und deshalb so manche Schriftstücke gerne mal mit irgendwelchen ´Zeichnungen´ versehen, selbst wenn sie als anonymer ´Scherz´ gedacht sind. Heute erschaffen Künstler zwar durchaus auch mal Werke, bei denen sie mit anonymen Briefen arbeiten, aber ohne die Entwicklung der Kunst im 20. (!) Jahrhundert wäre dies vom künstlerischen Standpunkt her reichlich uninteressant, und bleibt auch in der letztendlich ausgestellten Arbeit in den meisten Fällen ganz bewusst nicht unaufgeklärt. Wenn man sich außerdem ansieht, in welchen Kreisen Sickert damals bereits verkehrte, findet sich bei ihm absolut kein Grund für derartige Aktionen. Die Chance, dass Sickert - selbst, wenn er tatsächlich ´Ripperbriefe´ geschrieben hätte (!) – diese auch noch mit Zeichnungen ausstattete, geht (es sei denn er hätte sich mit einem Kollegen einen Scherz erlaubt) gegen Null – gleichsam wie auch die Chance, dass Jack the Ripper ein Mann war, der über Kunstverständnis verfügte.
Wie lang war denn die TV-Doku? Ich glaube nicht, dass 1 Stunde ausreicht um ein über 400 Seiten dickes Buch "auseinander zu nehmen".
TV-Dokumentationen und Bücher haben per se unterschiedliche, dem jeweiligen Medium immanente Eigenschaften und können einander sicher nicht ersetzen, das ist klar. Aber gerade audiovisuelle Bewegtbildmedien sind besser dazu geeignet, auf die eigentliche Intention und Vorgehensweise bestimmter Autoren schließen zu lassen, als deren Bücher – und das, was diesbezüglich in dieser Doku transportiert wird, macht Cornwell, wie Floh es bereits treffend beschrieb, unsympathisch – nicht einmal wegen zahlreicher, ebenfalls gezeigter Gegenargumente – die hätte man sich schenken können, denn eigentlich ist ohnedies eine Frau zu sehen, die versucht, dem ungeübten Rezipienten reichlich gegenstandslose Argumente mit sehr zweifelhaften Methoden zu suggerieren, und genau das ist der Punkt. Hätte sie zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich auch nur ein (!) Argument vorbringen können, das hieb und stichfest ist – es hätte sich sicherlich auch mittels des Mediums TV adäquat vermitteln lassen, und wäre es wert gewesen, den Großteil der Zeit zur Beweisführung einzunehmen - stattdessen stolperte Cornwell selbstbewusst von einem Fettnäpfchen zum nächsten.
Was die Briefe angeht, die Cornwell verwendete: Könntest Du vielleicht jeweils das betreffende Datum hier posten, dann kann man überprüfen, ob man sie nicht vielleicht in einer anderen Publikation daheim hat. Zudem ist das jeweilige Datum (auch von den entsprechenden Sickert-Briefen) auch in Bezug auf das Briefpapier wohl nicht uninteressant. Danke! Für den Fall, dass Du entsprechende Briefe irgendwo im Netz siehst, lass es uns bitte mittels Links wissen. Sofern die Briefe nicht irgendwie rechtlich geschützt sind (!!!), gäbe es bei Möglichkeit noch eine andere Methode der Digitalisierung, der sich vielleicht auch Degas und Sickert heute bedient hätten: Sie griffen nämlich sehr oft und gerne zum Fotoapparat.
Grüße,
panopticon