Hallo Lestrade!
Zu Le Grand:Wenn wir jetzt einfach alles, was gerade zufälligerweise in irgendwelchen Threads erwähnt wird, übereinandertürmen, bringt uns das, fürchte ich, nicht weiter. Wenn wir Le Grand als möglichen Täter aufgreifen, könnte ihn jeder Zeuge in jedem Fall gesehen haben –
dazu müssten wir schon wissen, wie Le Grand ausgesehen hat. Also lassen wir Hutchinson mal weg. Auch, dass Packer Le Grand in der Nacht des Double Event in der Berner Street sah, halte ich für eine sehr gewagte Vermutung:
Matthew Packer hat ja, wie Du bereits erwähnt hast, Le Grand und seinen Kollegen Batchelor auf jeden Fall gesehen, aber eben nicht in der Mordnacht, sondern einige Tage später: Während Packer bei seiner Befragung durch Sergeant Stephen White am 30. September 1888 um 9h morgens ursprünglich angegeben hatte, nichts Auffälliges bemerkt zu haben, hat er es sich später scheinbar anders überlegt. Als White daraufhin (ich glaube am 4. Oktober?) die Order bekam, Packer zum Leichenhaus zur Identifikation der Leiche zu bringen, teilte ihm Mrs. Packer mit, dass ihr Mann bereits von zwei Detectives zu diesem Zweck abgeholt wurde, woraufhin sich White zum Leichenhaus begab, wo er die drei Herren antraf: White verlangte die Amtsbefugnis der beiden zu sehen, worauf sie ihm ihre Ausweise zeigten, ihm aber nicht gestatteten, diese in die Hand zu nehmen. Packer selbst erzählte plötzlich eine andere Geschichte, nämlich, dass die Tote wohl die Frau war, die in der Mordnacht in Begleitung eines Mannes Weintrauben bei ihm in der Berner Street gekauft hat. Als White Packer abermals in der Berner Street aufsuchte, fuhren Le Grand und Batchelor erneut vor und erklärten, Packer zu Charles Warren zum Scotland Yard zu bringen. Der Zeitung entnahm White, dass die beiden Detectives auch den Abfluss im Dutfield´s Yard untersucht haben, und dabei Weintrauben (bzw -stiele) gefunden haben sollen. Er erinnerte sich, dass einer der beiden einen Brief in der Hand hatte, der an ´
Le Grand & Co, Strand´ adressiert war, und erstattete Bericht. Das ist ja der eigentliche Ursprung der ´Traubengeschichte´, und zu Recht steht die Vermutung im Raum, Le Grand und Batchelor hätten diese fingiert.
Le Grand ist natürlich eine interessante Figur, denn er war, wie Stodfield ja schon geschrieben hat, beim
Mile End Vigilance Commitee (also einer der Bürgerwehren), dort aber nicht einfach nur irgendwer: E
r wurde von diesem in seiner Funktion als angeblicher Privatdetektiv zur Supervision und Organisation (vermutlich einschließlich der Koordination der Routen) dieser Amateurtruppe engagiert. (Siehe dazu z.Bsp. Philip Sugden) Diese Bürgerwehr traf sich des Nächtens in der
´Crown´ in der Mile End Road, teilte dort die Routen zu und machte sich dann, als das Lokal schloss, um 00.30h auf den Weg. Es ist also wenig bemerkenswert, wie stark sich Le Grand für die Auflösung des Falles einsetzte, er wurde dafür ja eigentlich bezahlt, wenngleich er diese ´Anstellung´ wohl umso länger gehabt hätte, je länger die Mordserie angedauert hätte...(Soviel kurz dazu.)
Szenen und Zeitwechsel: 1891 wurden Frauen im West End durch
Briefe in farbiger Tinte bedroht, und schließlich wurde als Urheber dieser Briefe ein gewisser ´
Charles Grant´ aufgespürt, der dafür 2 Jahre Schwerarbeit ausfasste, und eben mit Le Grand, der bereits vor seiner ´Karriere´ als ´Detective´ in erster Linie kriminell gewesen sein dürfte, identisch war. Als weiterer Hinweis, der heute als Belastung gegen Le Grand im Fall der Whitechapelmorde angeführt wird, soll ein Satz im ´
Dear Boss´- Brief dienen : ´
Grand work the last job was.´ Naja, da wäre vielleicht ein Schriftvergleich interessant, das macht Le Grand dann aber maximal zum Briefeschreiber, und nicht gleich zum Mörder. Le Grand war sicher eine der Personen, die von den Morden persönlich profitierten, und auch einer der am besten informierten über die ´Beats´ der Bürgerwehr. Das mit den Briefen war aber wohl von den ´Ripper-Briefen´ inspiriert, zumal er sich darin auch nicht als der Ripper ausgab, sondern diesen wohl nur einmal in der dritten Person erwähnte, um darauf hinzuweisen, dass man ihn genauso wenig erwischen werde, wie den Whitechapelmörder.
Also wenn einer Le Grand (und Batchelor) in der Mordnacht gesehen hat, dann eben, wie Du schreibst, am ehesten Schwartz – Aber mal so gesehen: Hätten die beiden sich dann in den kommenden Tagen wirklich so augenscheinlich selbst ins Spiel gebracht? Packer hätte sie ja auch in der Mordnacht in der Berner Street gesehen haben können, und sie dann wohl wiedererkannt. Das wäre schon eine sehr riskante Sache gewesen!
Zu der Theorie mit mehreren Tätern: Ich habe nicht die ´Theorie´, dass der Täter ´gar nicht so allein agierte´, ich schließe es nur (noch) nicht aus. Übrigens: Noch was zu
Fanny Mortimer: Soweit ich mich erinnere, will sie doch auch nicht nur den Mann, der vermutlich Leon Goldstein war, gesehen haben, sondern eben zusätzlich ebenfalls auch noch ein ´
Pärchen´ – und zwar
vor der Entdeckung der Toten, und
danach (!)... oder irre ich mich da jetzt? Vielleicht waren ja auch das die zwei, die Schwartz gesehen hat, und gar nicht Stride und ihr Mörder?
Zu ´Kosminski´: Dieser Maurice Kosminski ist übrigens ein interessanter Fund, ich fürchte nur, dass den ganzen Kosminskis allmählich niemand mehr wirklich folgen kann - mittlerweile tue ich mir da ja fast selbst schon etwas schwer... Eigentlich müsste man das alles mal unter ´Kosminski´ genau aufschlüsseln, inklusive Quellennangaben und chronologisch geordnet, und nur auf die Infos reduziert, die wirklich wichtig und tatsächlich nachvollziehbar sind. Apropos Quellenangaben: Woher kommt das mit den Otterstedts und wie ist der genaue Wortlaut?
Wenn ich Dich jetzt diesbezüglich richtig verstanden habe, wird dadurch möglich, dass die Polizei eigentlich durch den Mord an Stride, oder konkreter gesagt, durch Leon Goldstein auf die Spur eines ´Kosminskis´ kam, und nicht, wie man bisher am ehesten hätte vermuten können, (eventuell allein) durch den Fall Eddowes, und den Zeugen Joseph Hyam Levy, beziehungsweise die Haus-zu.Haus-Befragungen in der Goulston-Street, wo angeblich noch ein Kosminski wohnte?
Das liefert dann aber wieder eine komplett andere Möglichkeit zur Sicht der Dinge:
Erstens, weil Stride ja womöglich gar kein Opfer der Mordserie ist.
Zweitens, weil der Dutfield´s Yard der naheste Tatort zu Aaron Kosminski´s vermuteten Aufenthaltsort bei seinem Schwager Woolf Abrahams am Sion Square war.
Und Drittens, weil viele (Serien-)Mörder angeblich ihren ersten Mord in der Nähe einer Zufluchtsmöglichkeit begehen, der Fall Stride aber sicher nicht der erste Mord in dieser Serie war.
Das Ganze macht dann einen ´Kosminski´ als Täter im Falle Stride womöglich zwar wahrscheinlicher, in den anderen Fällen aber vielleicht gerade eben dadurch wiederum unwahrscheinlicher.... Wäre es außerdem nicht denkbar, dass sich Anderson/Swanson aufgrund der langen Zeitdistanz (bewusst oder unbewusst) irrten, und es bei der von ihnen ins Spiel gebrachten Gegenüberstellung damals vielleicht gar nicht primär um die Identifizierung des Täters ging, sondern in erster Linie einmal darum, rein die Anwesenheit einer Person bzw eines Zeugen an einem Tatort zu verifizieren?
Grüße,
panopticon