Autor Thema: Falls Tabram kein Ripperopfer war (wovon im Allgemeinen ausgegangen wird)...  (Gelesen 55843 mal)

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Offline panopticon

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Hi.

Bezüglich des Mordes an Martha Tabram ist da vor einiger Zeit eine Geschichte in englischen JtR-Foren aufgetaucht, die für die Diskussion hier vielleicht nicht uninteressant ist:

Irgendjemand hat da nämlich einen Akt im Onlinearchiv von Oldbailey gefunden, der einen Fall von 1882 betrifft, und in dem es um eine gewisse ´Mary Connelly´ ging. (Tabrams ursprüngliche Gefährtin in der Nacht ihrer Ermordung, ´Pearly Poll´, hieß ja eigentlich Mary Ann Connelly.)
 
Diese Mary Connelly von 1882 jedenfalls, wurde damals beschuldigt, mit Hilfe einer Komplizin einen norwegischen Seemann namens Auguste Carlson in einem Haus in der St. George´s Street zuerst zu extremem Alkoholkonsum animiert zu haben, und schließlich versucht zu haben, diesen zu  berauben – unter zu Hilfename eines langen Messers , durch das er auch an der Hand verletzt worden sein will (wobei er nicht sagen konnte, welche der beiden Frauen es führte). Das Gesicht hat sie ihm, seinen Angaben nach, auch zerkratzt. Der Mann jedenfalls schlug ihr aufs Auge, attackierte sie in folge auch mit einem Messer, stürzte hinaus, und fand jemanden, der ihn schließlich zur nächsten  Polizeistation brachte, wo er am nächsten Tag gegen Connelly aussagte.

Die angeklagte Mary Connelly, die eine Messerwunde an der Schulter hatte, gab an, dass sie den Mann nicht ausraubte, und auch keine Hand an ihn legte, und dass sie der Sergeant als hart arbeitende Frau kennen würde.

Sie wurde freigesprochen.

Der Akt findet sich hier:

http://www.oldbaileyonline.org/browse.jsp?id=t18820109-198-offence-1&div=t18820109-198&terms=prostitute#highlight


Wir können jetzt natürlich nicht wissen, ob es sich bei Mary Connellly tatsächlich um die Mary Ann Connelly handelte, die 1888 auch unter dem Namen ´Pearly Poll´ bekannt war (beim Alter dürfte es Unterschiede geben, was aber nichts heißen mag), aber WENN sie es war, haben wir es hier mit einer Geschichte zu tun, die folgende ´Zutaten´beinhaltet:

- zwei Frauen, von denen eine Connelly hieß,
- ein oder zwei Messer,
- einen ausrastenden Mann, der sich wohl bedroht fühlte

Zumindest klingt das irgendwie nach einem Szenario, das sich eventuell auch in den George Yard Buildings 6 Jahre später so oder so ähnlich wiederholt haben könnte – Man darf auch nicht vergessen, dass ´Pearly Poll´ nach dem Mord an Tabram erst einige Zeit verschwand, ehe man sie fand und zu den Gegenüberstellungen mit den Soldaten brachte, wobei sie sich auch hier ziemlich merkwürdig verhielt.

Insgesamt liefert diese Geschichte jedenfalls eine Menge Möglichkeiten, die bis zu Varianten führen können, bei denen vielleicht sogar ´Pearly Poll´ letztendlich die eigentliche Mörderin von Martha Tabram war....

Was diesbezüglich vielleicht noch interessant ist, ist das Gerücht, dass ´Pearly Poll´ auch Annie Chapman gekannt haben könnte, wozu ich bisher aber keine mögliche Quelle fand, und dann ist da vielleicht noch die von mir neulich erwähnte Geschichte mit ´Murderer Mag´, die ich in diesem Thread hier unter ´4.´ anbrachte: http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1236.0.html

Prinzipiell jedenfalls könnte ich mir so ein Szenario im Fall Tabram schon vorstellen...


Best regards,
panopticon

JohnEvans

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Hallo, @Isdrasil

daß der Täter noch mal zurück kommt, um Beweise zu vernichten, mag möglich sein, ist aber in Zeiten ohne CSI, BONES, AUTOPSIE etc schwer vorstellbar. Und selbst, wenn, wozu ein anderes Messer anschleppen? Hatte er das alte inzwischen verloren?
 

@KvN,

Zitat
Irgendwie erinnert das Vorgehen schon ein wenig an die "Arbeitsweise" des Rippers:
Bedaure – noch nicht einmal „ein wenig“, sondern einfach gar nicht. Schon vergessen? Zum Töten schnitt er ihnen die Kehle durch.

Zitat
... tödliche Verletzung (der Stich durch das Sternum),
Das haben wir zwar bereits diskutiert – aber gerne noch mal zur Wiederholung: es gibt keinen Beweis dafür, daß dieser Stich der erste war. Er war auf alle Fälle nicht der einzige, der das Potential hatte, lethal zu sein.

Zitat
die Verletzungen waren sehr oberflächlich
Jetzt aber hoppla! Zurück zu deinen Hausaufgaben!

Zitat
hätte sie geschrien wie am Spieß,
Du weißt schon, daß sie einen  Bluterguß unter der Kopfhaut hatte?

Zitat
Technisch kann ich mir eigentlich nur vorstellen dass der Täter das Opfer mit beiden Armen von hinten umfasste, die Spitze eines robusten Messers am Brustbein ansetzte und mit aller Kraft zustieß.
Sagtest du nicht gerade, sie war sehr breit? Der Täter hätte sehr lange Arme haben müssen, um ihre beiden mit einem eigenen zu halten. Und so, wie du schreibst, daß er das Opfer mit beiden Armen umfaßte, geht es erst recht nicht – er hätte einen dritten Arm zum Zustechen benötigt.

Abgesehen davon, siehe oben: du weißt schon, daß sie einen Bluterguß unter der Kopfhaut hatte?

Ich denke, wir können ruhig davon ausgehen, daß der Angriff von vorne erfolgte.

 
@panopticon,

interessanter Fund, der Akt – danke. Ich halte Pearly Poll aber trotzdem nicht für Martha´s Mörderin. :icon_mrgreen:

Aber etwas in dieser Art dürfte vorgefallen sein, daß den Täter in Rage brachte, dafür sprechen die Verletzungen.

JE


Offline panopticon

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Hallo, John.

Ich halte Pearly Poll aber trotzdem nicht für Martha´s Mörderin. :icon_mrgreen:

Nein, ich glaube das natürlich auch nicht. Ich wollte damit nur aufzeigen, dass sich hier jedenfalls einige neue Überlegungen ergeben könnten, wie weit auch immer.

Auf den Gedanken, dass hier vielleicht nicht nur der Täter von vorneherein bewaffnet war, sondern vielleicht auch Martha Tabram selbst, bin ich persönlich vor dieser Geschichte jedenfalls noch nie gekommen. (Obwohl: Vielleicht war ursprünglich ja sogar nur Tabram bewaffnet, und der Soldat holte nach einem äußerst unerwarteten Ausgang des ´Abends´ mit einer Sterbenden seinen Corporal zu ´Hilfe´... ;) )

Anyway: ´Pearly Polls´ Verhalten während ihrer Kooperation mit der Polizei war mehr als merkwürdig -  man könnte daraus schließen, dass sie Angst oder ein schlechtes Gewissen hatte. Bei der Inquest  wurde sogar erwähnt, dass sie nach dem Tod von Tabram gedroht hat, sich zu ertränken, was ihr als Scherz ausgelegt wurde. Wenn sie mit Martha als Komplizin schon seit einiger Zeit (sie kannte Martha laut eigener Angabe ja noch nicht so lang), durch die Straßen zog (vielleicht eben sogar bewaffnet), um betrunkene Seemänner oder ähnliche Personen ´auszunehmen´ - ja, Martha vielleicht sogar überhaupt erst zu dieser ´Praxis´ brachte - wird sie das wohl kaum der Polizei mitgeteilt haben. Sie erahnte in jener Nacht vielleicht , dass sie es mit zwei vermeintlichen ´Opfern´ zu tun hatten, denen sie im Endeffekt nicht ´gewachsen´ waren, weshalb sie selbst bei ihrem ´Corporal´ letztendlich vielleicht auch gar nichts versuchte. Soweit ich weiß, gab ´Pearly Poll´ sogar ziemlich offen an, welchem Gewerbe sie nachging, vielleicht aber allein schon deshalb, um von ihrer Betätigung als ´Gelegenheitsräuberin´ abzulenken...

Auch wenn sie nicht die ´Mary Connelly´ aus dem Akt oben war, könnte ja sie zumindest die gleiche ´Geldbeschaffungspraxis´ wie diese gehabt, und Martha Tabram da mit hineingezogen haben, was dieser schließlich eben aufgrund einer Unterschätzung des erhofften ´Opfers´ (wie auch immer) das Leben gekostet haben könnte.

Klingt für mich jedenfalls plausibler als ein Täter, der zwischendurch kurz mal nach hause läuft, um nach einem besser geeignetem  ´Werkzeug´ zu suchen, oder gar ein zufällig vorbeikommender Gelegenheitsmörder, der eigentlich nur das zu Ende bringt, was ein anderer bereits angefangen hat...


Grüße,
panopticon

Offline Isdrasil

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Hi

@John Evans

Natürlich - meine Überlegung ging eher in die Richtung, ob der Täter und Tabram sich namentlich oder wenigstens vom Sehen her kannten. So hatte er zwar keine Fingerabdrücke oder DNA-Spuren zu befürchten, aber eine eventuelle Aussage Tabrams.  :icon_wink:

Und wozu ein anderes Messer anschleppen? Naja - versetz dich in die Lage: Der Täter hatte in Rage zigmal mit einem kleinen "pen knife" auf Martha eingestochen und war sich nun unsicher, ob sie überlebt hatte. Ursprünglich wollte er eventuell keinen Mord begehen, doch nach dieser - angenommenen - Affekttat sah er sich zwei Möglichkeiten gegenüber: Entweder er liess der Sache seinen Lauf und riskierte eine Identifzierung durch Tabram, oder aber er "zog das Ding" ein letztes Mal durch. Und bei Zweitens würde ich nicht vermuten, dass er mit demselben kleinen Messer zurück kehren würde.
Natürlich hat er kein Messer verloren - in meiner wie immer rein hypothetischen Annahme WOHNTE DER TÄTER IN UNMITTELBARER NÄHE und konnte daher seine Waffe ganz ruhig zuhause austauschen.
Ein ganz normales Prinzip, soll nach Affekttaten durchaus mal vorkommen. Zuhause folgt die Realität und die Ratio und Entscheidungen werden getroffen.
Ein besonderes Risiko für den Täter war auch nicht vorhanden - selbst wenn man ihn mit dem größeren Messer vor dem endgültigen Töten des Opfers irgendwie in der Nähe des Tatorts aufgegriffen hätte...man hätte festgestellt, dass die Wunden nicht mit diesem Messer zugefügt worden wären. Das Risiko bestand aus einem schnellen Stich durch das Brustbein und dem anschließenden Verlassen des Tatortes. Und das wog der Täter gegen das Risiko auf, von einer überlebenden Tabram verpfiffen zu werden. Kontrolle gegen Unsicherheit.
Ich verstehe nicht, was an diesem Szenario unglaubwürdig erscheint - ich sage nicht, dass ich es zu 100 Prozent annehmen würde. Es ist in meinen Augen so vorstellbar. Das ist alles.  :icon_wink:

@Panopticon

Ein wirklich toller Fund! Da muss man dranbleiben  :icon_thumb:

Grüße, Isdrasil





Offline Isdrasil

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Oh nochwas:

Klingt für mich jedenfalls plausibler als ein Täter, der zwischendurch kurz mal nach hause läuft, um nach einem besser geeignetem  ´Werkzeug´ zu suchen...

Natürlich.
Es existiert dennoch die Möglichkeit, dass der Täter den Entschluss zurückzukehren erst zuhause fasste. Da ist ein grundlegender Unterschied.
Ein Täter, der während der Tatbegehung den Entschluss fasst, zuhause eine bessere Waffe zu holen - das klingt tatsächlich etwas weit hergeholt. Aber ein Täter, der nach dem "Cool Down" zuhause Unsicherheit verspürte und aus diesem Grund nochmals an den Tatort zurückkehrte, ist meiner Meinung nach schon wahrscheinlicher, da dies durchaus der Logik einer ungeplanten Affekttat entspricht.

Grüße, Isdrasil

JohnEvans

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@Isdrasil,

laßen wir mal die eigentlich nach wie vor unglaubwürdige Annahme eines nach Hause huschenden Killers zur Seite, und spielen wir das Szenario trotzdem durch.

Mir liegen keine Zahlen vor, wie lange eigentlich so ein „cool down“ dauert. Vor allem in Sachen Affektmord.

Mir bleibt daher nur ein Vergleich mit eigenen Wutanfällen – also, ich beruhige mich lange nicht. Das dauert auf alle Fälle länger als eine halbe Stunde, und das, obwohl ich bisher noch nicht einmal jemanden deswegen angegriffen habe.

Aber vielleicht weißt du ja defintiv, nachge- bzw bewiesenes Näheres zumThema „cool down“.

Überlegen wir weiterhin, wie lange dauerte es wohl, bis Tabram ihren Verletzungen erlag? Sie hatte ja mehrere tödliche Wunden, dh, jede davon war geeignet, entweder ein sofortiges Organversagen oder zumindestens ein baldiges Verbluten herbeizuführen.

Wie lange dauert es also, bis ein Mensch verblutet? Bei der Beantwortung dieser Frage kann uns Dr Philips behilflich sein – siehe Stride „ca 1.5 Minuten“ !!! Und Stride wies nur eine einzige tödliche Wunde auf! Eine! Tabram hatte etliche.

Wie lange könnte das Zufügen aller Wunden (minus der von dir postulierten „ich-lauf-erst-mal-nach-Hause-kühle-mich-ab-denke-ordentlich-nach-suche-nach-einem-passendem-besserem-wirkungsvollerem-Mordwerkzeug-und-spute-zurück-und-verpasse-ihr-den-wesentlich-späteren-Todesstoß“ Wunde) wohl dauern? Selbst mit vermutlichem Zählfehler lassen sich 39 Stiche in exakt so vielen Sekunden zufügen. Sind wir großzügig: sagen wir 2 sek/Stich. Macht ca 80 Sekunden = ca 1.5 Minuten. Laßen wir außerdem Tabram sehr zäh sein, und gönnen wir ihr – verglichen mit Stride – ein längeres Durchhaltevermögen, was, gelinde gesagt, gar nicht mal so falsch gedacht ist: sie war immerhin schwerer als Stride und hatte somit auch mehr Blut in sich.

Also, 2 x so lang? 3 x? ? ? ? Ca 3 min? 4,5 min? Pauschal: 5 Minuten?

Diese Berechnungen gelten jetzt für einen sehr schnellen Mörder und eine sehr lange durchhaltende Martha. Sollte es sich umgekehrt verhalten haben, so ergeben sich zeitliche Verschiebungen in Richtung eines schnelleren Dahinscheidens Martha´s.

Ich behaupte daher, als der Killer den Tatort verließ, hauchte Martha ihre Seele aus, falls sie nicht bereits tot war.

JETZT erst geht der Killer nach Hause – erfährt ein „cool down“ – und kommt angeblich zurück. Selbst wenn er nahe wohnt, reicht die Zeit bis zur seiner Rückkehr nicht aus, um Martha noch lebend vor zu finden.

Außerdem müßte ein eventueller verzögerter Todesstoß sich als solcher eindeutig in der Obduktion als post mortem Verletzung bemerkbar gemacht haben – tat er aber nicht. Es gab keine post mortem Verletzungen. Und an ein Übersehen seitens Dr Killeen glaube ich nicht, da man auch damals bereits sehr wohl zwischen pre und post mortem Verletzungen unterscheiden konnte (na, vielleicht mit Ausnahme von Dr Bond ...)

Damit läßt sich die Idee eines Return-Killers eigentlich nur mehr halten, wenn man obendrein noch davon ausgeht, daß er direkt im selben Stock/Haus hinter der nächsten Tür gewohnt hätte. Und mal kurz ins traute Heim gehuscht ist: „Liebling! Schnell! Ein anderes Messer! Dieses hier ist zu kurz“ .

Jede andere plausible Version, die erklären könnte, wie es einem Affekttäter gelingt, in (großzügig gerechneten) 5 – (noch großzügiger gerechneten) 10 Minuten sein Opfer mit 38 Stichen zu attackieren, sich selbst abzukühlen, ein zweites Messer zu besorgen und zurückkehren, sind jederzeit willkomen.

JE

KvN

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Hi John!

Danke für deine Belehrungen! Du bist der einzig Allwissende! Jetzt zufrieden?

Offline Lestrade

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Schlechten Tag heute? :icon_lol:
Wer wartet mit Besonnenheit, der wird belohnt zur rechten Zeit...

Offline Isdrasil

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Hi John

Mir bleibt daher nur ein Vergleich mit eigenen Wutanfällen – also, ich beruhige mich lange nicht. Das dauert auf alle Fälle länger als eine halbe Stunde, und das, obwohl ich bisher noch nicht einmal jemanden deswegen angegriffen habe.

Das, mein Guter, glaube ich Dir ausnahmsweise mal aufs Wort!  :icon_aetsch:

Aber mal Scherz beiseite: Dieser "Cool Down", wie ich ihn nannte (und daher auch in Gänsefüßchen gesetzt habe), dauert natürlich von Individuum zu Individuum verschieden. Alleine aus diesem Grund wird es uns schwer fallen, aufgrund dieser Basis eine vernünftige Diskussion zu führen. Ich würde Dir auch gerne Zahlen nachreichen, nur leider bin ich derzeit wirklich arg in zeitlichen Nöten. Aus diesem Grund habe ich mich in letzter Zeit auch zurückgehalten - jetzt hat es mich wieder gepackt und gerate schon wieder in die Petrouille bezüglich Quellenangaben  :icon_rolleyes:
Sagen wir es mal so: Bei Affekttaten kommt es sogar unter Umständen vor, dass die Täter bereits während der Tat bemerken, was sie da eigentlich tun - andere wiederum brauchen dazu Tage! Wir können also nicht damit argumentieren. ES IST MÖGLICH, und diese Möglichkeit kannst Du mit deinen subjektiven Empfindungen keineswegs entkräften, sorry.

Alle anderen von Dir angestellten Überlegungen haben einen großen Denkfehler: Du versetzt Dich nicht in die Lage des Täters! Tabram muss nur noch ein wenig geatmet haben, als er den Tatort verliess, um in ihm Unsicherheit zu erwecken. Da ist es egal, ob sie noch 10 Sekunden lebte oder 2 Minuten. Es kommt schlichtweg auf die subjektiven Empfindungen des Täters an, mehr nicht. Und nach der auch von dir für glaubhaft empfundenen sagen wir mal einen Minute kann Tabram defintiv noch gelebt haben.
Und nun kehrt der Täter zurück zum Tatort. Entschlossen, ihr einen tödlichen Stoß zu verpassen. Und ich kann mir das auch so vorstellen: Schnell hin zu Tabram, möglichst schnell einen (subjektiv so empfundenen) tödlichen Stich verpassen und schnell weg! Ich glaube nicht, dass der Täter noch großartig nachhorchte, ob sie noch lebte oder nicht. Er plante den Stich, tat es so, und verschwand in Windeseile.
Aber du sagst es selbst: Die Idee des Return-Killers lässt sich nur halten, wenn er im selben Haus bzw. Stock wohnte. Dann frage ich Dich jetzt mal:
Was sagt dir eigentlich, dass es garantiert nicht so gewesen sein konnte? Was sagt dir, dass der Täter nicht im selben Haus gewohnt haben könnte? Denn genau dies ist von Anfang an meine Überlegung gewesen – ein Täter, der in den George Yard Buildings wohnte.

Ich bin kein Fan Killeens, auch wenn ich ihm in der Sache der zwei Waffen nunmal Glauben schenke. Daher kann ich mir vorstellen, dass diese eine Wunde durch das Brustbein nach dem Tod zugefügt wurde, wenn auch dies sehr knapp geschehen sein muss. Wie gesagt: Ein Täter in den George Yard Buildings und die Rechnung geht durchaus auf.

Grüße, Isdrasil

Offline panopticon

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Hi.

Ich habe mir mal diverse Fakten zu der Möglichkeit (!) angesehen, dass der Täter deshalb ausgerastet ist, weil Tabram ihn irgendwie beklauen / berauben wollte.
(Vorläufig recht überblicksartig, hab leider grad nicht die Zeit, den Quellen so nachzugehen, wie sonst – Ergänzungen und Korrekturen daher ausdrücklich erwünscht!)

Vorweg: Ich will hier nicht primär das spätere Opfer zu einer eventuell ursprünglichen ´Täterin´ machen – Es geht mir nur darum, auch die Möglichkeit eines solchen Szenarios zu hinterfragen. Für Tabram gilt klarerweise die Unschuldsvermutung. Es liegt mir zudem fern, Dinge zu 100%  zu vertreten, die sich nicht halten lassen. Dies ist keine Beweisführung für eine Behauptung von mir, sondern vielmehr ein Versuch, eine Hypothese eventuell so gut wie möglich mit der Faktenlage und der Tatsache, dass wir vieles ohnedies nicht mehr überprüfen können, in Einklang zu bringen, bzw der Versuch, daraus überhaupt eine These zu entwickeln. Dass eine solche These Schwachstellen aufweist, ist mir natürlich durchaus bewusst – siehe Punkt 5: Probleme mit dieser Konstruktion - so treat me gently, please! Es geht darum, diese Hypothese mit konstruktiven Beiträgen zu untermauern oder in Zweifel zu ziehen – beides sollten wir tun. Vielleicht lässt sich ja ein Trend erkennen, was uns letztendlich weiterführt!

Gehen wir also mal davon aus, dass Martha Tabram tatsächlich vorhatte, den Soldaten zu beklauen oder auszurauben, oder dies aufgrund der vorhandenen Gegebenheiten spontan beschloss: Welche Aspekte wären entscheidend?


1. Das Messer:

Wenn man davon ausgeht, dass Tabram und Connelly unter Umständen sicherheitshalber oder mit Vorsatz ein Messer bei sich hatten, wäre die primäre Frage gewesen, wo Tabram überhaupt ein entsprechendes Messer hätte unterbringen können. Bekleidung von Tabram: Schwarze Haube, schwarzer Mantel, dunkelgrüner Rock, brauner Unterrock, braune Strümpfe, sehr alte Stiefel mit seitlichem Federverschluss. Sieht nicht gerade danach aus, als hätte sie ein sonderlich großes Messer versteckt unterbringen können, aber wenn wir davon ausgehen, dass Tabram eventuell (nach einer entsprechenden Entwaffnung), ursprünglich mit ihrem eigenen Messer im Affekt attackiert wurde – mit welcher Art Messer haben wir es dann eigentlich zu tun? Laut Dr. Killeen könnten alle Wunden mit Ausnahme von der durch das Brustbein, durchaus mit einem ´ordinary Penknife´, also einem gewöhnlichen Taschenmesser zugefügt worden sein. Ein solches ist eher handlich, etwas in dieser Art könnte sie durchaus bei sich getragen haben. Abgesehen davon, könnte aber natürlich auch der ´Soldat´ neben einer anderen Waffe ein solches bei sich gehabt haben. Die Chance, dass Tabram einen Soldaten, der ein Bayonett oder ähnliches bei sich trug, mit einem Taschenmesser bedroht haben könnte, mutet merkwürdig an, ist aber unter bestimmten situationsabhängigen Voraussetzungen dennoch vorstellbar.


2. Der Schauplatz - George Yard Buildings:

Wie hätte ein geeigneter Ort für einen versuchten Raub aussehen können? Ein solcher musste wohl gewährleisten, dass das Opfer (der Mann) komplett überrascht wurde und einer Täterin danach nicht so leicht folgen konnte. Wären die George Yard Buildings dafür geeignet gewesen?

Soweit ich informiert bin, hat noch niemand Baupläne oder auch nur einen Grundriss davon ausfindig machen können,....allerdings gibt es wohl etwas Vergleichbares für das St. George House (!) nebenan, von dem wohl auch die Fotos mit dem Kind stammen, die dafür sorgten, dass man annahm, Marthas Leiche wäre ´indoors´ gefunden worden: Darauf zu sehen ist ein Treppenabsatz (zwischen Parterre und der Balkongalerie im 1. Stock) im Inneren. Es ist allerdings nicht nur ein Treppenabsatz, sondern er weist auch einen, durch eine Türöffnung begehbaren Gang mit kleinen Kabinen, vermutlich (zumindest später) Klosetts  auf. Ein Ort, um jemanden zu berauben, eventuell einzusperren und abzuhauen?
Was wäre denn, wenn die George Yard Buildings im Inneren äußerst ähnlich aufgebaut waren? Und was wäre, wenn bei einem (gemutmaßten) Diebstahls- /Raubplan des späteren Opfers etwas schief läuft – Wo wäre die Stelle, an welcher der Beraubte die fliehende Täterin am ehesten einholte, bevor diese ihn eventuell ´einsperren´ konnte – etwa die Tür (-öffnung) vom ´Toilettengang´ hinaus zum Landing?
Wenn man sich einerseits die Illustrationen von der Toten in den George Yard Buildings (!) und andererseits die Fotos (mit dem Kind) und den Grundriss des St. George Houses (!) ansieht, könnte man schon den Eindruck haben, dass die beiden Gebäude eventuell doch ähnlich aufgebaut waren. Auf Casebook hat das schon mal jemand (allerdings ohne der Frage nach einem eventuellen Raubversuch miteinzubeziehen) gegenübergestellt, deshalb erspare ich mir die Mühe. Zu beachten ist auch der Zeitungsartikel, den die Person darüber angebracht hat, und der ebenfalls auf einen Tatort im Inneren des Gebäudes schließen ließe, zumal danach der Tatort, ´in the wide part of the stairs´, wohl ´quite in the dark.´ (´ziemlich im Dunkeln´) lag: http://forum.casebook.org/showpost.php?p=121255&postcount=82

Schauen wir mal wieder auf die Fakten des Falles:
Alfred George Crow sagte aus, dass er etwas oder vielmehr jemanden am Boden liegen sah, als er heimkam und den Treppenabsatz passierte, was ihn nicht weiter verwunderte, da dort wohl öfter jemand schlief. Damit er das am Boden liegende Individuum aber passieren konnte, ohne es zugleich als Tote zu identifizieren, brauchte er also entweder genügend Abstand, ziemliche Dunkelheit, oder eben beides. Beides wäre bei einem Tatort im Inneren mit angrenzendem ´Gang´ zumindest irgendwie möglich gewesen, vor allem unter der Voraussetzung, dass sich Crow prinzipiell überhaupt nicht für das Individuum am Boden interessierte und vielleicht sogar darüber hinwegstieg.

Ich habe mir die Treppen und ihren Winkel auf dem bekannten Bild der George Yard Buildings von außen (http://jacktheripper.de/forum/index.php/topic,1021.0.html) jedenfalls nochmals angesehen, und glaube persönlich zumindest nicht, dass es nur das ´Landing´ (den Treppenabsatz) auf der jeweiligen Balkongalerie gab.


3. Das Gewand:

Irgendwo erinnere ich mich gelesen zu haben (fand das jetzt allerdings nicht mehr – weiß jemand, wo das gestanden haben könnte?), dass auch Tabrams Gewand irgendwie ´unordentlich´ war, als man sie fand. Wenn dem so war, könnte es dafür jedenfalls verschiedene Gründe geben: Entweder das stammte noch vom ´Appetitmachen´ in Zusammenhang mit einem späteren Raubversuch, oder der Täter hat es nach der Tötung (warum auch immer) verursacht,  oder aber Martha zog sich ihren Rock selbst hoch, um schneller laufen /  fliehen zu können. Geschlechtsverkehr wurde jedenfalls ja wohl keiner ´diagnostiziert´...


4. ´Pearly Poll´ Mary Ann Connelly:

Was ist eigentlich mit ´Pearly Poll´ - vor allem unter der Annahme, sie kannte diese (gemutmaßt) übliche Vorgehensweise von sich und Tabram? Pearly Poll meldete sich scheinbar erst bei der Polizei, als sie erfahren hatte, dass bereits nach ihr gesucht wurde. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie vielleicht nie mit einer Gegenüberstellung gerechnet, und konnte daher durchaus von dem Abend mit den Soldaten berichten.  Eine zweite Möglichkeit wäre, dass sie und Martha an jenem Abend gar nicht mit Soldaten unterwegs waren, sondern mit irgendwelchen anderen Männern, und sie generell ein Märchen erzählte. Als Pearly Poll jedenfalls die Soldaten im Tower identifizieren sollte, verschwand sie für mehrere Tage, und als sie schließlich wieder gefunden und zur Gegenüberstellung gebracht wurde, fiel ihr ganz plötzlich ein, dass die Soldaten von der Mordnacht wohl weiße Schleifen an den Mützen hatten - vielleicht um einer genaueren Gegenüberstellung mit diesen Soldaten zu entgehen?


5.  Probleme mit einer solchen Konstruktion:

Die prinzipiellen Probleme einer solchen Hypothese liegen vor allem in der Zeitdifferenz und im entstandenen Lärm. (Was aber generelle Probleme sind, auch bei ´Konstruktionen´mit anders angenommenen Voraussetzungen.)

Zum ersten: Polly und Tabram trennten sich gegen 23.45 Uhr. Als Elisabeth Mahoney gegen 1.50 Uhr heimkam, lag, ihrer Angabe nach, noch niemand auf dem landing. Alfred Crow sah um 3.30 Uhr jemanden daliegen, kümmerte sich aber nicht darum. Gegen 4.45 Uhr findet schließlich John Reeves die Tote und schlägt Alarm...

Zum zweiten: Zwei Tumulte wurden von den Anwohnern in jener Nacht bemerkt, wieso dieser im Treppenhaus nicht? Oder gingen diesen die Tumulte bereits so auf die Nerven, dass sie nicht mehr reagierten? Oder war der Mord gar nicht so ´laut´ (vielleicht auch aus baulichen Gründen), zumindest nicht so, dass er den Bewohnern (die wohl einiges gewohnt waren) im Verhältnis zu anderen Ereignissen sonderlich aufgefallen wäre?

 
6. Fazit: Vorstellbar wäre ein solches Szenario meines Erachtens nach jedenfalls irgendwie – Die eigentliche Frage ist aber vielleicht: Würde ein solches Tabram auch als Opfer von JtR ausschließen?



@ Isdrasil:
Aber ein Täter, der nach dem "Cool Down" zuhause Unsicherheit verspürte und aus diesem Grund nochmals an den Tatort zurückkehrte, ist meiner Meinung nach schon wahrscheinlicher, da dies durchaus der Logik einer ungeplanten Affekttat entspricht.

Kommt eben auch darauf an, wo er daheim war. ;)  Ausschließen würde ich es natürlich nicht, aber für sonderlich wahrscheinlich halte ich es auch nicht.


Best regards,
panopticon

Offline Isdrasil

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Irgendwo erinnere ich mich gelesen zu haben (fand das jetzt allerdings nicht mehr – weiß jemand, wo das gestanden haben könnte?), dass auch Tabrams Gewand irgendwie ´unordentlich´ war, als man sie fand.

Du hast dies entweder im Sourcebook, Kapitel 2, Seite 8 gelesen oder in einer sonstigen Schrift, welche die Aussage John S. Reeves` beim Inquest am 09.08.1888 zitiert:
John S. Reeves of 37, George Yard Buildings, a waterside labourer, said...the deceased`s clothes were disarranged, as though she had a struggle with some one...

 :icon_wink:

Kommt eben auch darauf an, wo er daheim war. ;)  Ausschließen würde ich es natürlich nicht, aber für sonderlich wahrscheinlich halte ich es auch nicht.

Das wollte ich doch nur hören, vielen Dank.  :icon_wink:
Nur weil man nicht Anhänger einer bestimmten These ist, muss man sie nicht per se für unmöglich erklären. Wenn sich jemand die Mühe macht und meine vorherigen älteren Posts in diesem Thema liest, wird er schnell feststellen, dass ich von Anfang an für diese Überlegung vorausgesetzt habe, der Täter wohne in den George Yard Buildings.  :icon_aetsch:

Deine Überlegungen bezüglich Tabram als - sagen wir mal - Initiator dieser Tat finde ich übrigens äußerst interessant. Mich würde nur interessieren, wie Du dir dann den Aspekt dieser "Lautlosigkeit" erklärst, der dieser Tat angelastet wird. Oder glaubst Du gar nicht, dass die Tat derart lautlos vonstatten ging? Wie denkst Du über deinen Punkt 5?

Zu deiner Frage in Punkt 6: Ich finde nicht direkt - sicher wäre es dann wirklich recht unwahrscheinlich. Aber prinzipiell schließt in meinen Augen selbst dieses Szenario den späteren Ripper als Täter nicht aus. Wobei ich schon ehrlich sagen müsste: Es wäre dann wirklich sehr sehr konstruiert, den Ripper als Täter zu vermuten, der von Tabram angegriffen wurde und dann seine Mordserie begann...ach neee...also ja - es würde ihn in meinen Augen wirklich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen. Ja, das war wieder mal ne sehr konkrete Aussage, was?

Grüße, Isdrasil
« Letzte Änderung: 08.03.2010 20:48 Uhr von Isdrasil »

Aeneas

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Zum Thema Lärm hab ich auch noch was.......

gegenüber unseres Hauses ist eine Schule und auf dieser eine Sierene. Seit den 39 Jahren die ich hier wohne, habe ich sie Nachts noch nie gehört. Auch gab es gegenüber mal einen Unfall,ein PKW ist in den Zaundes Nachbarn gefahren, aber keeiner aus unserer Familie hat etwas gehört. Ich will sagen das auch Lärm gegeben haben kann unnd niemand etwas hörte.

noch zum wutausbruch, ich ärgere mich sofort über mich selbst wenn ich einmal unbeherscht war, ich komm direkt danach zur besinnung und ärger mich dann schon wieder, weil ich eben unbeherscht war

Offline panopticon

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Hallo Isdrasil!

Du hast dies entweder im Sourcebook, Kapitel 2, Seite 8 gelesen oder in einer sonstigen Schrift, welche die Aussage John S. Reeves` beim Inquest am 09.08.1888 zitiert:
John S. Reeves of 37, George Yard Buildings, a waterside labourer, said...the deceased`s clothes were disarranged, as though she had a struggle with some one...

Ach ja, da war´s! Danke! Ich habe das bei diesem Zeugen nicht gesucht, weil ich irgendwo im Hinterkopf hatte, dass er die Leiche nicht anrührte (Hingesehen muss er aber natürlich haben!) – da sieht man wieder mal, wie schnell man sich unterbewusst ein falsches Bild von Dingen einprägt. Also von der Auseinandersetzung selbst kann es natürlich auch sein, das liegt ja quasi auf der Hand – vielleicht aber auch nur optisch. Anyway: Es schließt meine Konstruktion oben auf jeden Fall nicht aus.


Bezüglich Punkt 5:
Da spricht Aeneas einen wichtigen Aspekt an: Die Lautstärke allein ist es nicht. Ich beschäftige mich seit einigen Jahren (auch berufsbedingt) sehr intensiv mit Wahrnehmung, darunter eben klarerweise auch akustischer – ein hochinteressantes Thema. Die wissenschaftliche Forschung in diesem (oft leider unterbeachtetem) Themenfeld steckt, im Vergleich zu optischer Wahrnehmung, leider noch ziemlich in den Kinderschuhen. (Kleiner Einschub: Wer mal Lust hat, sich mit der Soziologie des ´Klanges der Welt´ inklusive sozialpsychologischer Studien dazu zu befassen, bzw das eigene ´Gehör´ trainieren / sensibilisieren will – dazu gibt es hochinteressante Bücher, wie zum Beispiel ´The Soundscape. Our Sonic Environment and the Tuning of the World´ von R. Murray Schafer oder ´The Auditory Culture Reader´, herausgegeben von Michael Bull & Les Back, das übrigens ein wunderbares Essay über die urbanen Klänge/Geräusche und deren Wahrnehmung im London (!) des 16. Jahrhunderts beinhaltet – nur, um für dieses wirklich spannende Thema zu werben.... ;) )

Aber zurück zur Frage: Das Problem mit der akustischen Wahrnehmung dieser Tat haben wir ja unabhängig vom Kontext, zumal offensichtlich generell niemand etwas – mit Ausnahme der Tumulte - gehört haben will. Neben den Aspekten, dass die Tat selbst eben eventuell gar nicht dermaßen laut war, wie man aufgrund anderer Fakten (wie der brutalen Verletzungen, z. Bsp.) heute vermuten könnte, muss man sich zum Beispiel eben auch die Frage stellen, ob sie vielleicht schon laut war, aber falsch wahrgenommen / interpretiert wurde. Diesbezüglich wäre es ja hochinteressant zu wissen, wie Whitechapel anno 1888 tatsächlich (unabhängig von diversen Spielfilmklischees) geklungen hat! In dem Zusammenhang mit Tabram als eventueller ´Initiatorin´, stellt sich zum Beispiel die Frage, ob sie es (solange sie dazu noch in der Lage war) gewagt hätte, ´Murder!´ zu rufen (wie das nicht nur im Miller´s Court, sondern, diversen Zeitungsberichten aus dieser Zeit zu folge, tatsächlich bei gewalttätigen Übergriffen üblich war, um eben Fehlinterpretationen zu vermeiden), zumal sie sich hier ja selbst eines Verbrechens schuldig gemacht hätte, aber vielleicht niemals damit rechnete, dass sie deshalb letztendlich einer umbringt. Die andere Frage dazu wäre eben, ob die Bewohner des East Ends da überhaupt noch was drauf gegeben hätten – wie wir wissen, war das ja mittlerweile aufgrund der häufigen Frequenz solcher Rufe auch nicht mehr der ideale Weg, adäquate Aufmerksamkeit zu erzielen.

Dann besteht natürlich die Möglichkeit, dass es sich zwar wie eine handgreifliche Auseinandersetzung angehört hat, allerdings wie eine, die im Verhältnis zu anderen Ereignissen, wie einem tatsächlichen Tumult, nicht dazu geeignet war, als etwas in Erinnerung bleiben, das wirklich außergewöhnlich war. (Frei nach dem Motto: ´Die Nachbarn haben wieder mal Zwist, Sex,...´) 

Was aber vielleicht besonders interessant ist, wäre die Frage nach diesem Gang. Wenn es diesen tatsächlich auch in den George Yard Bulldings gab (ob nun mit Lagerkabinen, Klosetts oder sonst etwas ähnlichem bestückt), wäre er aus baulicher Sicht wahrscheinlich prinzipiell nicht geeignet  gewesen, Geräusche wirklich zu unterdrücken, außer nebenan (er befand sich ja dann quasi im 1. Stock, das ´landing´ etwas darunter) wohnte gar niemand. Eine weitere Frage, die sich diesbezüglich auch noch stellt, wäre die, ob er (als frei zugänglicher, aber trotzdem nicht wirklich öffentlicher Ort) nicht öfter von irgendwelchen ´Pärchen´ frequentiert wurde, und man daher die Geräusche, die durch den Mord entstanden, eben vielleicht wieder fehlinterpretierte und vergaß.

Möglichkeiten gibt es jedenfalls eine Menge. Ich werde mein Augenmerk diesbezüglich mal auf diese beiden angeblichen Tumulte und die Berichterstattung darüber richten, um mir anzusehen, wie etwas geklungen haben könnte, das tatsächlich Aufmerksamkeit erzielte....


Zur Frage in  Punkt 6:
Ja, wahrlich nicht einfach, sich da festzulegen! Ich könnte mir schon vorstellen, dass unser Soldat, sofern die Geschichte so ähnlich abgelaufen ist, wie wir hier mal vorausgesetzt haben, als Affektmörder einen ziemlichen Schock hatte, bzw sich seine Psyche extrem veränderte. Prinzipiell wollte er mit ziemlicher Sicherheit, dass ihm so etwas nie wieder passierte – was vielleicht aber auch eine Aversion auslöste, wenn er Prostituierten allein im Dunkeln auch nur begegnete. Wenn er ihr den Todeshieb vielleicht letztendlich nicht nur deshalb versetzte, damit sie nicht aussagen könnte, sondern eigentlich um die Sterbende zu ´erlösen´, wäre es denkbar, dass er sich damit auseinandersetzte, wie man da in Zukunft ´effektiver´ vorgeht. Aber dass ihn das wirklich zum Ripper gemacht hätte, klingt doch extrem nach einem Fantasyplot - wie die Verwandlung von Anakin Skywalker in Darth Vader. ;)  Insofern würde ich den Soldaten dann also als Ripper eher ausschließen.


Grüße,
panopticon
« Letzte Änderung: 09.03.2010 10:25 Uhr von panopticon »

KvN

  • Gast
Wünsche allseits einen guten Morgen!

Mag an mir liegen, aber ich kann mir den Tabrammord nicht als Tat im Affekt vorstellen...Eigentlich krieg ich gar kein Szenario hin das halbwegs logisch erscheint... :icon_confused:
Problem 1: Der "gewöhnliche Taschenfeitel"
Pen Knife bezeichnet ein Messer mit kurzer, nicht fixierbarer Klinge. Denkbar ungeeignet um schwere oder tödliche Verletzungen verursachen. Im Originalton spricht der Arzt nicht von "durchstochenen Organen", er spricht von "penetrierenden Verletzungen" (wörtlich). Dies bezeichnet Verletzungen, bei denen ein Fremdkörper in das Gewebe eindringt, sagt aber nixe über die Eindringtiefe aus. Ich gehe daher davon aus dass die Organpenetration nur oberflächlich war, sonst wär der Doc ja wohl kaum auf das Taschenmesser als Tatwaffe verfallen. Tabram hätte also bei vollem Bewusstsein mitgekriegt wie es ihr an´s Leben ging, hätte Zeit genung gehabt Radau zu schlagen und sich zu wehren.
Problem 2: Das Hämatom
Da der dottore keine weiteren Läsionen im Bereich des Kopfes fand, ist davon auszugehen dass es nur zu einem Impact mit niedriger kinetischer Energie kam. So ein Hämatom entsteht recht schnell mal, das ergibt sich aus der Durchblutungssituation dieser Region. Bei einer Gewalteinwirkung die jemanden in die Bewusstlosigkeit sendet liegen ganz andere Verletzungen vor. Fazit: siehe oben...
Problem 3: Die räumliche Situation
Lt. Casebook lag die nächste Wohnung ca. 4m(!) entfernt und war vom Tatort lediglich durch 1Tür getrennt. Es ist daher nahezu unmöglich, dass das dort wohnende Ehepaar nichts von einer lautstarken Abschlachtung bemerkt hätte...

Also mal umgekehrt...
Der Täter ging mit eiskalter Präzision vor, setzte initial den Herzstich in überraschender Situation, Tabram sinkt tot zu Boden. Das kann eine relative Lautlosigkeit erklären...Aber: Der Täter hat jetzt den dringenden Wunsch sein Opfer zu verstümmeln und er hat ein Messer in der Hand, groß und robust genug um ein Sternum zu durchstossen. Das steckt er jetzt weg, zückt den blöden Taschenfeitel und beginnt damit auf Tabram herumzupieksen...Scheint mir auch nicht einleuchtend...

Harte Nuß!

Grüße

KvN

  • Gast
Ah ja, Variante 3 gibt´s ja auch noch!

Die Hausbewohner haben schlichtweg gelogen. Absolut vorstellbar, löst die Probleme aber auch nicht ganz. Wenn der Täter tatsächlich sein Messer aus der nahe gelegenen Wohnung geholt hat um Tabram damit ganz sicher zu murksen, musste er dann nicht damit rechnen dass sich bereits die Nachbarn am Tatort versammelt hatten? Wäre doch ganz logisch: Der Lärm ist verebbt, die unmittelbare Gefahr vorbei, also gemma Tote schauen...Ein unnötiges Risiko obendrein: Ein Pen Knife ist zwar als Waffe für die erste Phase des Angriiffs ungeeignet weil wenig effektiv, wenn das Opfer aber nach Kampf, Radau und 38 Stichen wehrlos am Boden liegt ist es ganz leich eine Schlagader zu öffnen und damit den sicheren Tod herbeizuführen. Dauert 10sec. und dann ciao mit au...

Fazit: 2 Messer, die sich von vornherein am Tatort befanden ergeben keinen Sinn, das nachträgliche Herbeiholen aber eigentlich auch ned...

So sehr es mir widerstrebt, für ein halbwegs rundes Bild brauch ich 2 Täter...

Grüße