Sherlock Holmes jagt Jack the Ripper(gespielt auf einem Laptop mit 4 GB RAM, Windows Vista, Intel Core Duo 2.10 GHz, Nvidia GeForce 8400 M GS)
Als Sherlock Holmes Fan und Spieler der ersten Adventure-Spiele mit dem größten Detektiv aller Zeiten und Hobby-Ripperologe war es für mich klar dass ich dieses Spiel kaufen würde. Und ich ging mit einer gewissen Erwartung an das Spiel heran. Diese wurden nicht enttäuscht.
Die Besserungen zu den Vorgängern sind bereits früh offensichtlich. Die Straßen werden nun auch von Menschen bevölkert, und zwar nicht wenigen, und es kann zwischen klassischer Ansicht (3. Person) und der Ego-Perspektive gewechselt werden. Ich entschied mich für letzteres um die Eindrücke Whitecheapels besser aufnehmen zu können.
Zum Spiel selbst:
Die Erwartungen von so einem Spiel können unterschiedlicher nicht sein. Der eine will unterhalten werden, der andere Ripper-Fakten und wieder ein anderer will eine spannende Story mit Holmes und Watson erleben. Bereits im Vorhinein habe ich das für eine schwere Grundsituation gehalten und ich bin immer noch überzeugt dass diese Grundlage eine problematische ist. Doch der Spagat zwischen Fakt und Fiktion ist meiner Meinung gelungen.
Neben der heimischen Wohnung in der Baker Street und eben dieser doch eher angenehmen Wohngegend wirkt Whitecheapel und Umgebung wie eine kalte, düstere Welt. Die Straßen sind schmutzig, die Menschen heruntergekommen und teilweise betrunken, krank und manchmal aggressiv. Das kleine Hospital wirkt eher wie ein Armenhaus, ein Bordell wirkt sauberer und heimischer als die Wohn- und Geschäftsstuben im Elendsbezirk. Die Prostituierten stehen an jeder Ecke, gehen über die Straßen und bieten ihren Körper an. Jeder dieser NPC's (nicht spielbarer Charakter) hat einen Spruch auf den Lippen wenn man ihn anspricht. In der Nacht wirken die Gassen und Winkel teilweise recht unheimlich. Eine Gegend in der man nachts nicht unterwegs sein möchte.
Den ersten Mord sehen wir bereits zu Anfang als Videosequenz, die meisten Dinge sind angedeutet, man sieht nur das Gesicht des Opfers und eine Hand die sich um ihren Hals schließt. Wir spielen meist als Holmes, nur ab und zu sind wir als Dr. Watson unterwegs. Wir inspizieren den Tatort nachts, sobald die Schaulustigen fort sind, wir gehen in die örtliche Polizeistation (die ebenso heruntergekommen und schmutzig ist wie die Gegend allgemein) um irgendwie an Informationen zu kommen. Wir treffen sogar Abberline und führen ein Gespräch mit ihm. Überhaupt sind einige Personen zu sehen, die ein Ripperologe wiedererkennen wird....als Tatverdächtiger, als Zeuge, als Polizist, als Journalist und letztendlich natürlich als Opfer. Es wurden nicht einfach stupide die Opfer genommen und der Rest auf Holmes gemünzt, nein....es wurde scheinbar gut recherchiert (im Abspann finden wir einen Dank an das englische Ripper-Portal Casebook und im beiliegenden Anleitungsheftchen zwei Texte deutschsprachiger Holmes- bzw. Ripperexperten - unsern werten Thomas Schachner zum Beispiel
).
Natürlich ist nicht jede Theorie, jede Zeugenaussage, jeder Presseartikel im Spiel zu finden, das hätte aus einem ca. 40 Stunden-Spiel ein episches Szenario ohne wirkliches Ende gemacht...was für Ripperologen vielleicht interessant wäre, aber an der Zielgruppe Holmes-Fans und Adventure-Spieler vorbei geht. Aber dies ist halt ein Punkt den man als Ripperologe zu kritisieren hätte. Der Fall wird nicht in seiner epischen Breite behandelt, sondern auf zentrale Positionen gestützt. Einige zentrale und sicherlich wichtige Zeugenaussagen, die Verletzungen und Verstümmelungen, die Uhrzeiten und Daten, einige Ripper-Briefe und Zeitungsausschnitte. Für das Spiel und den Verlauf unserer detektivischen Arbeit reicht das völlig aus. Und eben diese Arbeit könnte wieder interessant für Ripperologen werden...es werden Zeitachsen benutzt um Tatzeitpunkte und Zeugenaussagen zu prüfen, die Karte wird genutzt um irgendetwas aus den Orten der Verbrechen zu erkennen, es werden Fakten gesammelt und auf einer Art Endlos-Pinnwand sinnvoll aneinander gereiht, um damit schließlich auch zuverlässige Aussagen über den Täter, die Motive etc. machen zu können. All das macht Holmes nicht automatisch, sondern der Spieler muss hier arbeiten. Und wer wollte nicht einmal selbst den Zirkel ansetzen oder nach möglichen Motiven bohren?
Es sind unterschiedliche Sachen die mich bewegen diesem Spiel eine gute Note zu geben und das Prädikat "Spiel ich bestimmt noch mehrere Male". Ob es nun kleine liebevolle Details sind, die eher für Adventurespieler interessant sind (Bilder oder Fotos aus anderen Spielen oder Teilen der Holmes-Reihe) oder die allgemeine Stimmung des Spiel, besonders in der Gegend in und um Whitecheapel. Auch die vielen möglichen Wege in die diese Untersuchung gehen kann....welche Personen könnten welches Motiv haben....Dr. Watson beispielsweise favorisiert eine ganz andere Theorie die Holmes scheinbar früh aufgibt. Oder auch die durchaus historisch verbürgten Stimmungen in dieser Zeit....der Antisemitismus in Whitecheapel wird spürbar ob im Gespräch mit einem jüdischen Schuhmacher oder im Gespräch mit einem Barkeeper der in den Juden etwas schlechtes sieht, aber auch der allgemeine Umgang mit Prostituierten in der Zeit. Holmes wirkt da eher wie der kühle Mann der oberen Mittelschicht, der den Dirnen kaum Mitleid entgegenbringt und Dr. Watson erhebt stets den moralischen Zeigefinger um darauf aufmerksam zu machen dass man es hier mit Menschen zu tun hat. Die Untersuchung der Leichen, die aufgrund der Brutalität eher comichaft umgesetzt wurde, gibt ein gutes Bild über die Abscheulichkeit der Verbrechen wieder. Und und und....
Viele Dinge geben allgemein ein klares Bild über die damaligen Verhältnisse ab, der Hauch der Armut und des Todes wird spürbar. Die Mordserie wird aufgrund von Fakten aufgearbeitet, nicht von Spinnereien, auch wenn sicherlich letztendlich alles nur eine Theorie ist.
Ein gutes Adventure, mit einer bisher einzigartigen Methode der Detektivarbeit in einem PC-Spiel, dass auf einer historischen und gut recherchierten Mordserie, nämlich der von Jack the Ripper , beruht.
Fazit:
Holmes-Fans und Adventure-Spieler können ohne Probleme zugreifen.
Ripperologen müssen sich klar sein dass ein PC-Spiel wahrscheinlich nie die Komplexität dieses Falls wiedergeben kann und so nur auf eine Auswahl der Verdächtigen, der Zeugenaussagen und somit der Theorien zugreifen wird. Trotzdem hat dieses Spiel die für Ripperologen einzigartige Möglichkeit sich ins Jahr 1888 zu begeben, die Tatorte zu besuchen und dort die Untersuchung anzuleihern. Selbst die Zeitachse zu benutzen, die Karte Whitecheapels mit Zirkel und Lineal zu bearbeiten etc.
Eingefleischte Ripperologen werden vielleicht ihre Theorie vermissen, ihren Lieblingsverdächtigen oder sonst eine Sache finden die ihnen nicht gefällt....wer sich aber einfach auf diese Zeitreise einlassen will, wird dieses Spiel gerne spielen.
Ich hoffe das hilft dem ein oder anderen eine Entscheidung zu treffen